OGH vom 06.05.1960, 2Ob133/60
Norm
Kopf
SZ 33/50
Spruch
Berechnung des nach § 1325 ABGB. zu ersetzenden Verdienstentganges.
Entscheidung vom , 2 Ob 133/60.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin wurde am abends in W. bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Als sie, aus der L.-Gasse kommend, die R.-Straße zu überqueren versuchte, wurde sie von dem vom Beklagten gelenkten PKW., der mit einer Geschwindigkeit von 65 km/h vom R.-Platz in Richtung J.-Gasse fuhr, erfaßt und an einer Stelle niedergestoßen, die in der linken Fahrbahnhälfte des Beklagten lag.
Der Beklagte wurde wegen dieses Vorfalles vom Strafgericht der Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG. rechtskräftig schuldig erkannt.
Die Klägerin begehrte - nach einer Klagsänderung im Zuge des Verfahrens - für Verdienstentgang bis Ende September 1959 44.711 S 86 g, an Schmerzengeld 15.000 S und als Entschädigung gemäß § 1326 ABGB. 10.000 S, ferner die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für alle künftig aus dem Unfall entstehenden Schäden.
Der Beklagte bestritt den Anspruch nach Grund und Höhe und wendete insbesondere auch ein, daß die Klägerin zu 50% den Unfall mitverschuldet habe.
Das Erstgericht erkannte gemäß dem Feststellungsbegehren, sprach der Klägerin an Stelle der begehrten 69.711 S 86 g nur 53.646 S 86 g, nämlich außer den ungekürzten Beträgen für Schmerzengeld und Entschädigung für Behinderung des besseren Fortkommens 28.646 S 86 g für Verdienstentgang zu und wies das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 16.065 S ab.
Den von beiden Parteien gegen das Ersturteil erhobenen Berufungen gab das Berufungsgericht nicht Folge.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten, soweit dieser ein Mitverschulden der Klägerin an dem Unfall geltend machte, den Verdienstentgang der Höhe nach und den Anspruch nach § 1326 ABGB. bestritt, nicht Folge; im übrigen gab er der Revision der Klägerin Folge, hob die Urteile der Unterinstanzen hinsichtlich der Abweisung des Begehrens auf Zahlung eines Betrages von 14.094 S s. A. auf und verwies die Rechtssache im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klägerin fühlt sich dadurch beschwert, daß das Berufungsgericht den in der klägerischen Berufung erhobenen Einwand gegen die Berechnung des Verdienstentganges der Klägerin durch das Erstgericht als nicht stichhältig befunden hat. Es handelt sich um folgenden Sachverhalt:
Die Klägerin erhielt bis zum Unfall als Angestellte der amerikanischen Botschaft monatlich 3978 S brutto ausgezahlt und entrichtete die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge aus eigenem. Das Erstgericht legte dem errechneten Entgang der Klägerin nach Abzug von 392 S 70 g für Lohnsteuer und 312 S für Versicherungsbeiträge - die Beträge sind der Höhe nach unbekämpft - einen Monatsnettogehalt von 3273 S 30 g zugrunde. Gegenüber dem in der Berufung gegen diese Berechnung erhobenen Einwand, die Klägerin müsse die ihr zukommende Entschädigung für entgangenen Arbeitsverdienst versteuern und, um eine Schmälerung ihrer Ansprüche auf Pensions- und Krankenversicherung zu verhindern, Beiträge zu einer freiwilligen Versicherung leisten, vertrat das Berufungsgericht den Standpunkt, daß das Vorbringen betreffend eine freiwillige Versicherung gegen das im Rechtsmittelverfahren geltende Neuerungsverbot verstoße und daß es die Klägerin unterlassen habe, dem Gericht Unterlagen zu liefern, die es ermöglicht hätten, eine allfällige künftige Steuervorschreibung schon im Urteil zu berücksichtigen.
In der Frage "brutto oder netto" bei der Bemessung von Schadenersatz für Verdienstentgang folgt der Oberste Gerichtshof der herrschenden Lehre (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 9. Aufl. S. 643 ff.). Hienach ist davon auszugehen, daß der Schädiger den Geschädigten so zu stellen hat, wie wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre, daß aber der Geschädigte andererseits auch nicht besser gestellt werden darf, als wenn er den Unfall überhaupt nicht erlitten hätte. Es sind zwei hintereinander liegende Berechnungen erforderlich, nämlich die Berechnung, was zu ersetzen ist, und die Berechnung, wie dies zu ersetzen ist.
Richtigerweise sind die Untergerichte zunächst vom Nettoschaden ausgegangen, weil der Klägerin vor dem Unfall nur die Nettoeinkünfte verblieben, also die um die Lohnsteuer und gesetzlichen Sozialversicherungsabgaben verminderten Bruttoeinkünfte. Bei der Berechnung des der Klägerin gebührenden Schadenersatzes sind aber die Steuer- und sonstigen Abgabeverpflichtungen erneut, also ein zweites Mal, zu berücksichtigen, und zwar nunmehr diejenigen, die durch die Schadenersatzleistung selbst entstehen. Die Schadenersatzleistung ist alsdann so zu bemessen, daß sie unter Berücksichtigung der durch sie wieder entstehenden Abzüge dem Nettoschaden entspricht.
Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, daß sie die ihr für Verdienstentgang zukommende Entschädigung werde versteuern müssen. Denn zu den gemäß § 2 Abs. 3 EStG. 1953 der Einkommensteuer unterliegenden Einkünften gehören gemäß § 24 Z. 1 lit. a EStG. 1953 auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind. Den Betrag, den die Klägerin an Einkommensteuer für die ihr als Verdienstentgang zukommende Summe wird zahlen müssen, hat ihr der Beklagte zu ersetzen. Der Oberste Gerichtshof vermag sich der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß mangels entsprechenden Vorbringens in diesem Belang das Erstgericht eine künftige Steuervorschreibung nicht habe berücksichtigen können, nicht anzuschließen. Die Klägerin hat bereits in erster Instanz die Berechnung ihres Verdienstentganges auf ihr Bruttoeinkommen abgestellt und dadurch das in Rede stehende Problem erkennbar und mit hinreichender Deutlichkeit aufgeworfen. Wie bereits dargetan, ergibt sich die Steuerpflicht der Klägerin für die gegenständlichen Einkünfte aus dem Gesetz selbst. Auf die einschlägigen Bestimmungen des EStG. 1953 als Bestandteil des inländischen Rechtes hatte aber das Gericht Bedacht zu nehmen, und es hätte in Ausübung der ihm gemäß § 182 ZPO. obliegenden Pflichten im Hinblick auf die erwähnte Berechnung darauf hinwirken müssen, daß alle in diesem Belang erforderlichen Angaben gemacht und alle Aufschlüsse gegeben werden. Dies wird nachzuholen und es wird erforderlichenfalls über die Höhe der von der Klägerin voraussichtlich zu bezahlenden Steuer ein Sachverständiger zu vernehmen sein.
Aber auch die Ansicht des Berufungsgerichtes, das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich ihrer freiwilligen Versicherung verstoße gegen das Neuerungsverbot, trifft nicht zu. Um die Klägerin so zu stellen wie vor dem Unfall, ist es auch erforderlich, daß ihr jene Ansprüche gegenüber dem Versicherungsträger gewahrt bleiben, die ihr unter Zugrundelegung der von ihr während ihrer Tätigkeit bei der amerikanischen Botschaft geleisteten Beiträge zustanden. Irgendwelcher Tatsachenbehauptungen der Klägerin bedurfte es hiezu nicht, sondern lediglich der Erhebung und Feststellung, ob und welche Beiträge die Klägerin in der Zeit nach ihrem Unfall außer den im Abzugsweg von der Arbeitslosenunterstützung und von ihrem Arbeitseinkommen einbehaltenen Versicherungsbeträgen bezahlt hat.
Weder die Steuersumme noch die Versicherungsbeiträge können nach dem Vorgesagten mit den von den Parteien als richtig anerkannten Beträgen von 392 S 70 g bzw. 312 S monatlich angenommen werden. Aus diesem Gründe konnte auch dem Abänderungsantrag der Klägerin nicht Folge gegeben werden. Es war vielmehr mit Rücksicht auf das Vorliegen von Feststellungsmängeln das Urteil des Berufungsgerichtes und, da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, auch das Ersturteil im aufgezeigten Umfang aufzuheben und die Sache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.