OGH vom 27.11.2008, 7Ob203/08s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *****, vertreten durch Dr. Peter Jandl und Mag. Doris Schöberl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Herbert S*****, vertreten durch Dr. Thomas Rast und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 40 R 327/07w-32, womit das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ 2 C 484/06f-17, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die klagende Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft ist Eigentümerin eines aus drei Zimmern und Nebenräumen bestehenden Bestandobjekts (Siedlungshaus). Sie begehrt vom Beklagten die Räumung des Hauses mit der Behauptung, er benütze es nach dem Tod seiner Mutter, die als Genossenschaftsmitglied dort aufgrund eines Nutzungsvertrags gewohnt habe, titellos, weil ein (beabsichtigter) Nutzungsvertrag mit ihm nie zustandegekommen sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen lebt und arbeitet der Beklagte in Deutschland, wo er ein Haus besitzt. Der Beklagte ist weiters auch Eigentümer einer Wohnung in Wien. Im Siedlungshaus ist er seit (polizeilich) gemeldet. Nach dem Tod seiner Mutter im September 2002 wollte er als Erbe in deren Bestandvertrag mit der Klägerin eintreten. Er stellte einen Antrag auf Übernahme der Nutzungsrechte. Seitens der Klägerin wurde ihm mitgeteilt, dass er nach deren Satzung dafür seine weiteren Wohnsitze aufgeben müsse. Dies sicherte der Beklagte zunächst mündlich und dann auch noch zweimal schriftlich zu. Das Objekt wird seit September 2002 nicht mehr bewohnt.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, zwar seien die aus der Mitgliedschaft bei der Klägerin erwachsenden Rechte und Pflichten erblich; Voraussetzung für die Aufnahme eines Erben als Nachfolger sei jedoch, dass er oder sein mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebender „Eheteil" keine Eigentumswohnung, Genossenschaftswohnung oder Eigenheim besitze. Diese in der Satzung der Klägerin festgelegte Voraussetzung habe der Beklagte nicht erfüllt. Da er sein Haus in Deutschland ebenso wie seine Eigentumswohnung in Wien entgegen seinen Zusicherungen nicht aufgegeben habe, sei ein Nutzungsvertrag mit ihm nicht wirksam zustandegekommen. Da er das Bestandobjekt daher titellos benütze, sei dem Räumungsbegehren stattzugeben.
Das Gericht zweiter Instanz änderte die erstinstanzliche Entscheidung über Berufung des Beklagten dahin ab, dass es das Räumungsbegehren abwies. Die Rechtsrüge des Beklagten sei im Ergebnis berechtigt: Weder aus der Klage noch aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen sei ersichtlich, dass der Mietvertrag mit der verstorbenen Mutter des Beklagten jemals beendet worden sei. Unstrittig sei der Beklagte als erblicher Sohn der Universalrechtsnachfolger der früheren Nutzungsberechtigten. Für die Auflösung des Nutzungsvertrags gelte § 20 WGG. Diese Vorschrift normiere im hier relevanten Bereich keinerlei gegenüber dem ABGB oder dem MRG abweichende Bestimmungen. Nach § 20 Abs 1 Z 1 lit b WGG seien auch die §§ 25 bis 42a MRG anzuwenden. Hieraus resultiere, dass der mit der Mutter des Beklagten abgeschlossene Mietvertrag erst durch eine gerichtliche Aufkündigung beendet werden müsste. Da eine Beendigung des Nutzungsvertrags nicht einmal behauptet worden und der Beklagte Universalrechtsnachfolger seiner Mutter sei, liege ein aufrechter Mietvertrag mit dem Beklagten vor, sodass die von der Klägerin behauptete titellose Benützung nicht gegeben sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil lediglich die nach den Umständen dieses Einzelfalls vorzunehmende Beurteilung einer Satzung einer Genossenschaft maßgebend gewesen sei und das Berufungsgericht im Übrigen nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die als Revisionsgründe Aktenwidrigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das erstgerichtliche Urteil bestätigt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel seiner Prozessgegnerin entweder zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts aus dem im Folgenden dargelegten Grund zulässig und im Sinn des Antrags, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückzuweisen, berechtigt.
Der vorliegende Rechtsstreit ist entgegen der vom Beklagten in der Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht eine Streitigkeit im Sinn des § 502 Abs 5 Z 2 ZPO. Jene Fälle, in denen ausgesprochen wurde, dass Räumungsklagen wegen titelloser Benützung nicht unter die genannte Bestimmung fielen, sind mit der vorliegenden Causa insofern nicht vergleichbar, als dort keinerlei Zusammenhang mit einem zuvor geschlossenen Bestandvertrag bestand (2 Ob 78/98d, RIS-Justiz RS0046865 [T3]; vgl auch 5 Ob 274/02h). Ist - wie hier - das Bestehen oder Nichtbestehen eines Bestandvertrags im Rahmen des Räumungsstreits strittig, hängt die Zulässigkeit der Revision nicht vom Streitwert ab (10 Ob 11/00s und 3 Ob 91/03h, RIS-Justiz RS0046865 [T8 und T 13] ua). Ein vom Revisionsgegner vermisster Bewertungsausspruch nach § 500 Abs 2 ZPO hatte daher zu unterbleiben.
Unter den Voraussetzungen, dass der Beklagte rechtskräftig eingeantworteter Alleinerbe seiner Mutter ist, die als Mitglied der Klägerin das Siedlungshaus aufgrund eines Nutzungsvertrags bewohnte, und dass der Nutzungsvertrag nach dem Tod der Mutter nicht gekündigt wurde (eine Kündigung wurde von der Klägerin allerdings gar nicht behauptet), wären die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zutreffend:
Gemäß § 1 Abs 1 MRG ist unter einem Mietvertrag auch der genossenschaftliche Nutzungsvertrag zu verstehen. Nach § 1 Abs 3 MRG und § 20 Abs 1 WGG idF des 1. WÄG sind auf Nutzungsverträge mit gemeinnützigen Bauvereinigungen unter anderem insbesondere auch die §§ 14, 29 und 30 MRG anzuwenden. Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 5 Ob 119/91, SZ 65/97 = WoBl 1992, 210 ausgeführt hat, bedeutet dies, dass der Nutzungsvertrag - von den hier nicht in Betracht kommenden Fällen des § 29 Abs 1 Z 2 bis 4 und Abs 2 und 3 MRG abgesehen - nur durch Aufkündigung (§ 29 Abs 1 Z 1 MRG) oder durch Aufhebung des Vertrags nach § 1118 ABGB bei Verwirklichung der in § 29 Abs 1 Z 5 MRG genannten Tatbestände aufgelöst werden kann; nur im letzteren - hier nicht in Betracht zu ziehenden - Fall stünde zur Durchsetzung die Räumungsklage offen.
Nach § 14 Abs 1 MRG wird der Nutzungsvertrag durch den Tod des Nutzungsberechtigten nicht aufgehoben. Sind eintrittsberechtigte Personen im Sinn des § 14 Abs 3 MRG vorhanden, so treten diese nach § 14 Abs 2 MRG unter Ausschluss anderer zur Erbfolge berufenen Personen in das Nutzungsverhältnis ein. Sind solche Personen - wie offenbar im vorliegenden Fall - nicht vorhanden, so treten anstelle des verstorbenen Nutzungsberechtigten die nach allgemeiner Erbfolge berufenen Erben mit Rechtskraft der Einantwortung ein (Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht21 § 14 MRG Rz 2 mwN). Wie vom Erstgericht noch festgestellt, sieht § 9 der Satzung der Klägerin vor, dass die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Rechte und Pflichten grundsätzlich erblich sind, die Aufnahme eines Erben als Nachfolger jedoch abzulehnen ist, wenn der Erbe eine Eigentumswohnung, eine Genossenschaftswohnung oder ein Eigenheim besitzt. Falls Erben in einem solchen Fall also kein dringendes Wohnbedürfnis haben, kann das Nutzungsverhältnis mit ihnen durch die gemeinnützige Bauvereinigung daher mittels Kündigung nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG aufgelöst werden. Ohne eine solche Auflösung mittels Kündigung muss eine Räumungsklage aber scheitern (RIS-Justiz RS0070086).
Unrichtig ist daher die Ansicht der Revisionswerberin, selbst wenn man annehme, dass der Beklagte Universalsukzessor seiner Mutter sei, sei er nicht in das Mietverhältnis eingetreten, weil dies einen gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter (Nutzungsberechtigten) voraussetzte. Gilt doch dieses Erfordernis nur für nach § 14 Abs 2 und 3 MRG Eintrittsberechtigte, nicht aber für nach allgemeiner Erbfolge berufene Erben, die - mangels Eintrittsberechtigter nach § 14 Abs 2 und 3 MRG - mit Rechtskraft der Einantwortung in das Bestandverhältnis eintreten.
Zutreffend macht die Revisionswerberin allerdings geltend, dass das Berufungsgericht zu Unrecht unterstellt habe, es stehe außer Streit, dass der Beklagte Alleinerbe der Nutzungsberechtigten sei. Zwar hat die Klägerin selbst schon in der Klage vorgebracht, dass der Beklagte der „erbliche Sohn aus der Verlassenschaft" sei. Daraus kann aber eine Außerstreitstellung, dass der Beklagte rechtskräftig eingeantworteter Alleinerbe der Nutzungsberechtigten sei, noch nicht abgeleitet werden.
Dass das Berufungsgericht zu Unrecht eine Außerstreitstellung einer Alleinerbenschaft des Beklagten angenommen hat, stellt zwar entgegen der Ansicht der Revisionswerberin keine Aktenwidrigkeit dar (vgl 7 Ob 2387/96x, SZ 70/99). Da aber Feststellungen betreffend eine (Allein-)Erbenschaft des Beklagten und dessen rechtskräftige Einantwortung fehlen, ist ein der rechtlichen Beurteilung zuzuordnender sekundärer Feststellungsmangel gegeben, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichts und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht führt. Dieses wird die Frage zu erörtern und zu klären haben, ob der Beklagte - wie vom Berufungsgericht angenommen - tatsächlich rechtskräftig eingeantworteter Universalsukzessor seiner Mutter ist und mangels sonstiger nach § 14 Abs 2 und 3 MRG Eintrittsberechtigter anstelle seiner verstorbenen Mutter in den Nutzungsvertrag eingetreten ist. Falls dies zuträfe und der Beklagte das Siedlungshaus demnach nicht titellos benützte, wäre das Klagebegehren abzuweisen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.