OGH vom 17.09.2014, 6Ob123/14b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin Österreichische Finanzmarktaufsicht, 1090 Wien, Otto Wagner Platz 5, gegen die Antragsgegner 1. E*****, 2. E ***** GmbH, *****, 3. S***** GmbH, *****, 4. S***** GmbH, *****, alle vertreten durch Jarolim Flitsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Abberufung des Treuhänders gemäß § 20 Abs 6 BWG, über den Revisionsrekurs der Dritt und Viertantragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 28 R 2/14s 40, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 71 Fr 3144/12y 34 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die Erstantragsgegnerin ist seit September 1988 im Firmenbuch eingetragen. Sie ist ein Kreditinstitut; ihr Unternehmensgegenstand umfasst auch Bankgeschäfte.
Am erwarben die Revisionsrekurswerber eine qualifizierte Beteiligung iSd § 2 Z 3 BWG. Am informierte die FMA das Erstgericht, dass die Stimmrechte der Revisionsrekurswerber an den erworbenen Anteilen ex lege ruhen würden, und beantragte die Bestellung eines Treuhänders für die Ausübung der Stimmrechte der Revisionsrekurswerber. Erst am erfolgte eine Anzeige des Erwerbs gemäß § 20 Abs 1 BWG durch die damalige Rechtsvertreterin der Revisionsrekurswerber.
Mit Beschluss des Erstgerichts vom wurde Rechtsanwalt Dr. Johannes Müller zum Treuhänder für die Ausübung der Stimmrechte der Revisionsrekurswerber bestellt.
Die Zweit bis Viertantragsgegnerinnen beantragten die Abberufung des Treuhänders. Die Zweitantragsgegnerin zog diesen Antrag in der Folge wieder zurück. Die Dritt und Viertantragsgegnerin behaupteten, sie hielten nicht mehr eine qualifizierte Beteiligung an der Erstantragsgegnerin.
Das Erstgericht wies soweit für das Revisionsrekursverfahren von Belang den Antrag der Dritt und Viertantragsgegnerinnen auf Enthebung des Treuhänders ab. Gemäß § 20 Abs 4 BWG würden die Stimmrechte jener Aktionäre „automatisch“ ruhen, die der Anzeigeverpflichtung wegen ihres Beschlusses, eine qualifizierte Beteiligung zu erwerben, nicht nachgekommen seien. Dieses Ruhen gelte bis zur Feststellung der Finanzmarktaufsicht (FMA), dass der Erwerb der Beteiligung nicht untersagt worden wäre. Hiefür sei ein Antrag des Erwerbers, dessen Stimmrechte ruhten, notwendig. Da kein entsprechendes Verfahren eingeleitet worden sei, würden die Stimmrechte weiterhin ruhen, sodass der Treuhänder nicht abzuberufen sei.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Zwar könne die qualifizierte Beteiligung auch in der Form aufgegeben werden, dass der Gesellschafter seine Beteiligung an verschiedene Personen übertrage, wobei die übertragenen Beteiligungen jeweils unter dem Schwellenwert lägen und damit für diese Erwerbsvorgänge das Sonderverfahren der §§ 20 ff BWG nicht gelte. In diesem Fall bestehe kein Bedarf an einem Fortbestehen des Ruhens der Stimmrechte, weil nach der gesetzlichen Wertung bei einer derartigen Beteiligung keine nachteilige Einflussnahme angenommen werde. Allerdings sei auch in diesem Fall ein Bescheid der FMA erforderlich, dass die qualifizierte Beteiligung nicht mehr bestehe. Dies ergebe sich wertungsmäßig aus einem Vergleich mit den Sondervorschriften der §§ 20 ff BWG, nach denen das Ruhen der Stimmrechte dann wegfalle, wenn bei Übertragung der qualifizierten Beteiligung jeweils an eine dritte Person die betreffenden Bestimmungen eingehalten worden wären. In diesem Fall wäre durch die Nichtuntersagung des qualifizierten Beteiligungserwerbs durch den Dritten seitens der Antragstellerin objektiviert gewesen, dass die Dritt und Viertantragsgegnerinnen ihre qualifizierten Beteiligungen aufgegeben hätten.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zum Ende des gemäß § 20 Abs 4 BWG eingetretenen Ruhens der Stimmrechte von Beteiligungen fehle, wenn nach dem Erwerb einer qualifizierten Beteiligung ein Teil der Beteiligung aufgegeben und dadurch der Schwellenwert für eine qualifizierte Beteiligung unterschritten wurde.
Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1. Die §§ 20 ff BWG regeln den Erwerb von qualifizierten Beteiligungen an Kreditinstituten, das Verfahren sowie die Kriterien für die Beurteilung. Die betreffenden Bestimmungen der §§ 20 ff BWG setzen die Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute bzw in der nunmehrigen Fassung BGBl I 2013/184 die Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG um. Dabei hat die hier anzuwendende Bestimmung des § 20 BWG durch die Novelle BGBl I 2013/184 inhaltlich keine Änderung erfahren; diese Novelle fügte lediglich den hier nicht anzuwendenden Abs 7 an.
2.1. Nach § 20 Abs 1 BWG hat jeder, der beschlossen hat, eine qualifizierte Beteiligung an einem Kreditinstitut direkt oder indirekt zu erwerben oder eine derartige qualifizierte Beteiligung direkt oder indirekt zu erhöhen (interessierter Erwerber), mit der Folge, dass sein Anteil an den Stimmrechten oder am Kapital die Grenzen von 20 vH, 30 vH oder 50 vH erreichen oder überschreiten würde oder das Kreditinstitut sein Tochterunternehmen würde, dies der FMA zuvor schriftlich unter Angabe des Umfangs der geplanten Beteiligung zusammen mit den Informationen gemäß § 20b Abs 3 anzuzeigen. Die Anzeigepflicht gilt auch für gemeinsam handelnde Personen, die zusammen genommen eine qualifizierte Beteiligung erwerben oder erreichen würden. Die Anzeige kann durch alle gemeinsam, mehrere oder jeden der gemeinsam handelnden Personen einzeln vorgenommen werden. Nach § 20 Abs 2 BWG gilt diese Anzeigepflicht in gleicher Weise für die beschlossene Aufgabe der direkt oder indirekt gehaltenen qualifizierten Beteiligung oder Unterschreitung der in Abs 1 genannten Grenzen für Beteiligungen an einem Kreditinstitut.
2.2. § 20 Abs 3 BWG betrifft sodann die Anzeigepflicht des Kreditinstituts. § 20 Abs 4 BWG normiert Sanktionen bei konkreten Pflichtverletzungen, darunter das Ruhen von Stimmrechten. Die Bestimmung lautet wie folgt:
„(4) Die FMA hat geeignete Maßnahmen, insbesondere gemäß Abs 5 Z 1 und 2 gegen die in den Abs 1 und 2 genannten Personen zu ergreifen, wenn sie ihren Verpflichtungen zur vorherigen Anzeige nicht nachkommen oder wenn sie eine Beteiligung entgegen einer Untersagung gemäß § 20a Abs 2, während des Beurteilungszeitraums nach § 20a Abs 1 oder ohne eine Bewilligung gemäß § 21 Abs 2 erwerben. Die Stimmrechte für jene Aktien oder sonstigen Anteile, die von den betreffenden Aktionären oder sonstigen Gesellschaftern gehalten werden, ruhen
1. bis zur Feststellung der FMA, dass der Erwerb der Beteiligung gemäß § 20a Abs 2 nicht untersagt worden wäre oder
2. bis zur Feststellung der FMA, dass der Grund für die erfolgte Untersagung nicht mehr besteht.“
2.3. § 20 Abs 5 BWG sieht konkrete Maßnahmen der FMA zur Gefahrenabwehr vor:
„(5) Besteht die Gefahr, dass der durch qualifiziert beteiligte Eigentümer ausgeübte Einfluss den im Interesse einer soliden und umsichtigen Führung des Kreditinstitutes zu stellenden Ansprüche nicht genügt, so hat die FMA die zur Abwehr dieser Gefahr oder zur Beendigung eines solchen Zustands erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.
Solche Maßnahmen sind insbesondere:
1. Maßnahmen im Sinne des § 70 Abs 2 oder
2. Sanktionen gegen die Geschäftsleiter im Sinne des § 70 Abs 4 Z 2 oder
3. der Antrag bei dem für den Sitz des Kreditinstitutes zuständigen, zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen erster Instanz zuständigen Gerichtshof auf Anordnung des Ruhens der Stimmrechte für jene Aktien oder sonstigen Anteile, die von den betreffenden Aktionären oder sonstigen Gesellschaftern gehalten werden,
a) für die Dauer dieser Gefahr, wobei deren Ende vom Gerichtshof festzustellen ist, oder
b) bis zum Kauf dieser Aktien oder sonstigen Anteile durch Dritte nach erfolgter Nichtuntersagung gemäß § 20a Abs 2;
der Gerichtshof entscheidet im Verfahren außer Streitsachen.“
2.4. § 20 Abs 6 BWG betrifft die Bestellung eines Treuhänders bei Ruhen der Stimmrechte. Demnach hat ein Gerichtshof, wenn er das Ruhen der Stimmrechte gemäß Abs 5 feststellt, gleichzeitig einen Treuhänder zu bestellen, der den Anforderungen des § 5 Abs 1 Z 3 BWG zu entsprechen hat, und ihm die Ausübung der Stimmrechte zu übertragen.
3.1. Nach Art 19 der RL 2006/48/EG bzw nunmehr Art 22 der RL 2013/36/EG muss eine natürliche oder juristische Person, die beschlossen hat, an einem Kreditinstitut eine qualifizierte Beteiligung direkt oder indirekt zu erwerben oder eine derartige qualifizierte Beteiligung direkt oder indirekt zu erhöhen, mit der Folge, dass ihr Anteil an den Stimmrechten oder am Kapital 20 %, 30 % oder 50 % erreichen oder überschreiten würde oder das Kreditinstitut ihr Tochterunternehmen würde, den für das Kreditinstitut zuständigen Behörden diese Tatsache vor dem Erwerb schriftlich unter Angabe des Umfangs der geplanten Beteiligung zusammen mit den Informationen nach Art 23 Abs 4 der Richtlinie anzuzeigen.
3.2. Art 21 RL 2006/48/EG schreibt der Mitgliedstaaten vor, dass falls der Einfluss der in Art 19 Abs 1 genannten Personen sich zum Schaden einer umsichtigen und soliden Geschäftsführung des Instituts auswirken könnte die zuständigen Behörden die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um diesen Zustand zu beenden. Diese Maßnahmen können in einstweiligen Verfügungen, Sanktionen, vorbehaltlich der Art 65 bis 72, gegen Mitglieder des Leitungsorgans oder Geschäftsleiter oder der Aussetzung der Ausübung des Stimmrechts für Aktien oder Anteile, die von den Anteilseignern oder Gesellschaftern des betreffenden Kreditinstituts gehalten werden, bestehen. Eine inhaltlich idente Regelung enthält nunmehr Art 26 der RL 2013/36/EU. Diese Regelung ist nunmehr ausdrücklich mit „Informationspflichten und Sanktionen“ überschrieben.
3.3. Art 21 Abs 2 Unterabs 2 der RL 2006/48/EG bzw Art 26 Abs 2 Unterabs 2 der RL 2013/36/EU sieht sodann vor, dass „ähnliche Maßnahmen“ für natürliche oder juristische Personen gelten, die ihren in Art 19 Abs 1 der RL 2006/48/EG bzw Art 22 Abs 1 der RL 2013/36/EU festgelegten Verpflichtungen zur vorherigen Unterrichtung nicht nachkommen.
3.4. Diese Maßnahmen sind ausdrücklich für alle Aktien des betreffenden Gesellschafters vorgesehen, also nicht etwa für die zusätzlich erworbenen Aktien, die erst gemeinsam mit bereits gehaltenen Aktien einen qualifizierten Erwerb im Sinne der Richtlinie verwirklichen (vgl Diwok in Diwok/Göth , BWG [2005] § 20 Rz 67; Wagner in Dellinger , BWG [2009] § 20 Rz 82).
4.1. Aus dem Wortlaut des § 20 BWG im Zusammenhalt mit Art 21 der RL 2006/48/EG bzw Art 26 Abs 2 der RL 2013/36/EU ergibt sich in einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit, dass es sich bei § 20 Abs 4 und 5 BWG um verschiedene Tatbestände handelt. Während § 20 Abs 5 BWG nicht einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Anzeige des beabsichtigten Erwerbs voraussetzt, sondern lediglich erfordert, dass der durch einen qualifiziert beteiligten Eigentümer ausgeübte Einfluss den im Interesse einer soliden und umsichtigen Führung des Kreditinstituts zu stellenden Ansprüchen nicht genügt, ist § 20 Abs 4 BWG eine Sanktion für die Verletzung der Anzeigepflichten.
4.2. Aus dem Charakter der betreffenden Bestimmung als Sanktionsnorm ergibt sich aber zwingend, dass die bloße Weiterveräußerung der qualifizierten Beteiligung nicht zum Wegfall der Sanktion führen kann. Vielmehr handelt es sich bei der Veräußerung der qualifizierten Beteiligung um einen weiteren, gleichfalls anzeigepflichtigen Sachverhalt, wobei die Verletzung dieser Verpflichtung gegebenenfalls eine weitere Sanktion nach sich ziehen könnte.
4.3. Die bloße Weiterveräußerung ist kein gesetzlicher Tatbestand, der den Wegfall der Rechtsfolge des § 20 Abs 4 BWG nach sich zöge. Dass bei Weiterveräußerung der Anteile nicht mehr die Gefahr eines schädlichen Einflusses durch den qualifiziert Beteiligten besteht, könnte nur nach § 20 Abs 5 BWG Bedeutung haben. Für die Sanktionsnorm des § 20 Abs 4 BWG ist daraus jedoch nichts abzuleiten.
4.4. Für eine eigenständige Beurteilung des Wegfalls des Erlöschens der Stimmrechte durch das Firmenbuchgericht besteht in dieser Konstellation kein Raum. Vielmehr haben es die Revisionsrekurswerberinnen in der Hand, eine Feststellung der FMA zu erwirken, dass der Erwerb der Beteiligung gemäß § 20a Abs 2 BWG nicht untersagt worden wäre (§ 20 Abs 4 Z 1 BWG). Ein solcher Antrag wurde nach der Aktenlage bisher aber nicht einmal gestellt.
4.5. Ob neben dem im § 20 Abs 4 Z 1 BWG angeführten Bescheid der FMA auch andere Bescheide der FMA aus Anlass der Weiterveräußerung der qualifizierten Beteiligung ein Wegfallen des Ruhens der Stimmrechte auslösen können, ist im vorliegenden Fall nicht abschließend zu beurteilen, weil ein derartiger Bescheid nicht vorliegt.
5. Damit erweist sich die Entscheidung der Vorinstanzen im Ergebnis als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0060OB00123.14B.0917.000