OGH vom 19.11.2008, 3Ob182/08y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Fabrizio L*****, vertreten durch Dr. Matthias Lüth und Mag. Michael Mikuz, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Marisa R*****, vertreten durch Dr. Günther Clementschitsch ua Rechtsanwälte in Villach, wegen 261.578,62 EUR sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom , GZ 6 R 69/08a-16, womit der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom , GZ 21 Cg 104/07i-11, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit verworfen wird. Dem Erstgericht wird die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 2.139,94 EUR (darin 356,66 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 2.567,63 EUR (darin 427,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Prozessparteien sind italienische Staatsbürger und in Italien wohnhaft. Der Kläger stützt seine am beim Erstgericht eingelangte, auf die Zahlung von 261.578,62 EUR gerichtete Klage auf folgenden Sachverhalt:
Der Kläger sei der Sohn und nach seinen Behauptungen Alleinerbe des am verstorbenen David L*****. Dieser habe bei der Zweigstelle einer österreichischen Bank in Villach mehrere Konten und ein Wertpapierdepot gehabt. Im Verlassenschaftsverfahren vor dem Bezirksgericht Villach sei dem Kläger der in Österreich gelegene Nachlass gemäß § 139 Abs 1 AußStrG ausgefolgt und ihm die Verfügungsberechtigung über die Bankkonten eingeräumt worden. Zum Todeszeitpunkt habe das im Alleineigentum des Erblassers stehende Wertpapierdepot einen Wert von 258.740,44 EUR und das dazugehörige Verrechnungskonto ein Guthaben von 2.838,28 EUR aufgewiesen. Die mit dem Erblasser befreundete Beklagte habe keine Erb- oder Legatsberechtigung. Dennoch habe die Beklagte die Wertpapiere um 258.740,44 EUR verkauft und diesen Betrag sowie das Guthaben auf dem Verrechnungskonto am behoben und damit „dem Kläger als Erben und rechtmäßig Verfügungsberechtigten entzogen", ebenso ein Sparguthaben von 149.089,98 EUR, zu dem sich der Kläger eine Ausdehnung seines Klagebegehrens vorbehalte. „Da keine Berechtigung der Beklagten bestand, das Geld abzuheben, dadurch dem Erben zu entziehen und für sich zu behalten, ist sie verpflichtet, das Geld an den Kläger als Erben zurückzubezahlen." Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts berief sich der Kläger auf Art 5 Nr 3 EuGVVO sowie § 77 JN. Die unerlaubten Abhebungen seien in Villach durchgeführt worden.
Das Erstgericht wies die Klage zunächst schon am wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück (ON 2). Dieser a limine gefasste Beschluss wurde vom Rekursgericht aufgehoben (ON 5). In der Klagebeantwortung erhob die Beklagte den Einwand der örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit. Die klagende Partei mache einen Bereicherungsanspruch geltend. Bei der gebotenen vertragsautonomen Auslegung des Begriffs „unerlaubte Handlungen" könnten Bereicherungsansprüche nicht beim Gerichtsstand für Deliktsklagen geltend gemacht werden. Der Gerichtsstand nach § 77 JN scheide wegen des schon abgeschlossenen Verlassenschaftsverfahrens aus.
Das Erstgericht wies nun die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück. Art 5 Nr 3 EuGVVO normiere einen Gerichtsstand für außervertragliche Schadenersatzansprüche. Was darunter falle, sei nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs autonom zu bestimmen. Am Gerichtsstand für Deliktsklagen könnten Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht geltend gemacht werden, da es sich nicht um quasi-deliktische Ansprüche handle. Dies gelte selbst für solche Bereicherungsansprüche, die aus einem Eingriff in Rechtsgüter des Entreicherten herrührten, da mit ihnen nur die Rückgängigmachung der Entreicherung, nicht aber Schadenersatz begehrt werde.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Der Kläger bringe zwar vor, dass der Erblasser der Alleineigentümer des Wertpapierdepots gewesen sei, jedoch setze sein Vorbringen zwingend voraus, dass der Beklagten eine Verfügungsberechtigung über die Konten zugekommen sein müsse, weil sonst die Realisierung des Wertpapierdepots nicht nachvollziehbar wäre. Dass die Beklagte die Bank in irgendeiner Form getäuscht habe, bringe der Kläger nicht vor. Maßgeblich sei daher die Rechtsbeziehung zwischen der Beklagten und dem Erblasser. Damit sei ein vertraglicher Hintergrund für den Klageanspruch gegeben. Bereicherungsrechtliche Ansprüche fielen nicht unter den Gerichtsstand nach Art 5 Nr 3 EuGVVO.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Mit seinem Revisionsrekurs beantragt der Kläger die Aufhebung der Zurückweisung der Klage und die Durchführung des Verfahrens.
Mit der ihr freigestellten Revisions- rekursbeantwortung beantragt die Beklagte, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, er ist auch berechtigt.
I. Vorauszuschicken ist, dass der Kläger den Vermögensgerichtsstand des § 99 JN, auf den er sich in der Klage gar nicht berufen hat, den er aber nun im Revisionsverfahren releviert, schon wegen des klaren Wortlauts des Art 3 Abs 2 EuGVVO iVm deren Anhang I (in dem § 99 JN ausdrücklich angeführt ist) nicht in Anspruch nehmen kann (vgl 4 Ob 233/97m = SZ 70/176). Auf den Gerichtsstand des § 77 JN kommt der Kläger im Revisionsrekurs nicht mehr zurück.
II.1. Nach Art 5 Nr 3 EuGVVO können Ansprüche vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, eingeklagt werden, „wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden". Der Begriff „unerlaubte Handlung" ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ein vertragsautonomer Begriff, der sich auf alle Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird und die nicht an einen „Vertrag" im Sinn von Art 5 Nr 1 anknüpfen (RIS-Justiz RS0109078, RS0109739, RS0115357). Das Rekursgericht zitiert richtig die oberstgerichtliche Rechtsprechung, dass Bereicherungsansprüche nicht beim Gerichtsstand für Deliktsklagen geltend gemacht werden können, selbst dann nicht, wenn die Ansprüche aus einem Eingriff in Rechtsgüter des Entreicherten herrühren, da mit ihnen nur Rückgängigmachung der Entreicherung, nicht aber Schadenersatz begehrt wird (6 Ob 319/99a = ZfRV 2001, 70; ebenso 5 Ob 49/06a; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht8, Art 5 Rz 75; Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht², Art 5 Brüssel I - VO Rz 83; Burgstaller in Burgstaller/Neumayr, IZVR, Art 5 EuGVO Rz 46; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht², Art 5 A.1 Rz 224).
2. Für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeitsfrage sind die Klageangaben maßgeblich (RIS-Justiz RS0115860). Bei den sogenannten „doppelrelevanten Tatsachen", also jenen, aus denen sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die Begründetheit des Anspruchs erfolgt, muss die Schlüssigkeit des Klagevorbringens ausreichen, um nicht die Zuständigkeitsprüfung mit einer weitgehenden Sachprüfung zu belasten (RIS-Justiz RS0116404).
III. Der Kläger stützt seine Klage auf eine Haftung der Beklagten aus „unerlaubter Handlung":
1. Einzuräumen ist, dass der Kläger der Beklagten nicht expressis verbis ein strafbares Delikt vorwirft, wohl aber schlüssig durch die Behauptung eines Sachverhalts, der weitgehend dem Delikt der Untreue (§ 153 StGB; früher § 205c StG) entspricht. Dieses Delikt begeht, wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht und dadurch dem anderen einen Vermögensnachteil zufügt.
2. Der Kläger hat die wesentlichen Tatbestandselemente des genannten Delikts behauptet, nämlich den Zugriff auf fremdes Vermögen durch das Vorbringen fehlender Erb- oder Legatsberechtigung der Beklagten sowie deren Verfügungen darüber. Auch ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Vorsatzform der Wissentlichkeit ist dem Klagevorbringen der Vorwurf der bewussten Entziehung fremden Vermögens zu entnehmen („... dem Kläger als rechtmäßigem Eigentümer entzogen"; „unberechtigte Behebung"; „unerlaubte Abhebungen"). Auch der Zueignungsvorsatz wurde zumindest schlüssig behauptet („keine Berechtigung ... das Geld abzuheben, dadurch dem Erben zu entziehen und für sich zu behalten"). Der vom Rekursgericht hervorgehobene Umstand, dass die Beklagte über eine Vollmacht des Erblassers verfügt haben musste, ändert an der Schlüssigkeit des Klagevorbringens in Richtung eines Delikts nichts, weil es ja gerade beim Delikt der Untreue nach § 153 StGB darauf ankommt, dass eine mit Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis vorliegt, die eben missbraucht wird. Schließlich wurde auch der Zueignungsvorsatz zumindest schlüssig behauptet.
3. Nach dem maßgeblichen Klagevorbringen hat also die Beklagte durch ihre Kontoauflösung und Vereinnahmung des Guthabens den Nachlass rechtswidrig geschmälert. Bis zur Einantwortung hatte die Verlassenschaft (RIS-Justiz RS0012206), danach der Erbe als Universalsukzessor (RIS-Justiz RS0013001) einen auf das Eigentumsrecht zu stützenden Herausgabeanspruch, den der Erbe mit Singularklage (§ 366 ABGB) durchsetzen kann (vgl RIS-Justiz RS0007817, dort 8 Ob 601/85). Die Forderung der Verlassenschaft gegenüber der Bank ist durch die Auszahlung des Guthabens an die Beklagte untergegangen. Der Kläger begehrt also Geldersatz als Surrogat für den Herausgabeanspruch. Eine auf Geld statt auf die Herausgabe einer Sache (hier wäre das die Übertragung der Forderung gegen die Bank auf den Kläger) gerichtete Klage ist eine schadenersatzrechtliche Interessenklage (6 Ob 139/00k = RdW 2000, 737 mwN; vgl ferner den schadenersatzrechtlichen Herausgabeanspruch des ersten Käufers gegen den zweiten Käufer im Fall der Doppelveräußerung: RIS-Justiz RS0004731).
4. Auch wenn es auf die schadenersatzrechtliche Beurteilung nach österreichischem Recht nicht ankommt, kann bei der gebotenen vertragsautonomen Auslegung des Begriffs „unerlaubte Handlung" kein Zweifel über den Zuständigkeitstatbestand des Art 5 Nr 3 EuGVVO bestehen, wenn der Klageanspruch auf eine nach dem Strafrecht strafbare Handlung gestützt wird. Dass mit dem Begehren auf Geldersatz eine Schadenshaftung iSd Judikatur des EuGH geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag anknüpft, liegt auf der Hand. Gegen diese Beurteilung können die in der Revisionsrekursbeantwortung angeführten Entscheidungen des EuGH (C-189/87, Kalfelis/Bankhaus Schröder; C-261/90, Mario Reichert/Dresdner Bank AG) nicht ins Treffen geführt werden, weil in beiden Fällen die Klage nicht auf eine nach dem Strafrecht strafbare Handlung gestützt wurde (im ersten Fall ging es um eine sittenwidrige unerlaubte Handlung im Zusammenhang mit Termingeschäften, im zweiten um einen Gläubigeranfechtungsanspruch in Ansehung eines Schenkungsvertrags). Demnach ist spruchgemäß zu entscheiden.
Die Beklagte hat dem im Zwischenstreit über die internationale Zuständigkeit obsiegenden Kläger die ausschließlich durch den Zwischenstreit ausgelösten Kosten der Rechtsmittelverfahren zu ersetzen (§§ 41 und 50 Abs 1 ZPO).