OGH vom 21.11.2018, 7Ob196/17z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** K*****, vertreten durch Mag. Jürgen M. Krauskopf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V***** – Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 23.300 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 37/17v38, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 68 Cg 20/16x33, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass es insgesamt – einschließlich der rechtskräftigen Klagsabweisung durch das Erstgericht von 3.300 EUR samt 4 % Zinsen seit – zu lauten hat:
„1. Das Hauptbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 23.300 EUR samt 4 % Zinsen seit zu bezahlen, wird abgewiesen.
2. Das erste Eventualbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 23.300 EUR samt 4 % Zinsen seit Zug um Zug gegen Übergabe der Versicherungspolizze Nr ***** des zwischen dem Kläger und der V*****versicherung AG abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrags, zu bezahlen, wird abgewiesen.
3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 20.000 EUR samt 4 % Zinsen seit binnen 14 Tagen Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Rechte aus dem zwischen dem Kläger und der V*****versicherung AG abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag, Versicherungspolizze Nr *****, zu bezahlen.
4. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, weitere 3.300 EUR samt 4 % Zinsen seit Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Rechte aus dem Lebensversicherungsvertrag wie Punkt 3. zu bezahlen, wird abgewiesen.
5. Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 8.368,65 EUR (darin enthalten 1.291,50 EUR USt und 619,65 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.849,92 EUR (darin enthalten 308,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Revisionsbeantwortung wird zurückgewiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger erwarb über Beratung und Vermittlung seines Bankberaters J***** M***** (idF: Betreuer) am eine fondsgebundene Er und Ablebensversicherung mit Vermögensverwaltung der V*****versicherung AG (idF: Versicherer). Er leistete eine einmalige Einzahlung von 20.000 EUR.
Die Beklagte ist ein Maklerunternehmen der V*****-Gruppe, deren Mitarbeiter für die Beklagte auf Provisionsbasis Produkte vertreiben. Der Betreuer war zum Zeitpunkt der Beratung des Klägers schon seit mehreren Jahren in der V***** K***** tätig. Er hatte dem Kläger, der immer davon ausging, dass der Betreuer im Namen der Beklagten tätig wurde, schon des öfteren Produkte vermittelt. Auf den dem Kläger in diesem Zusammenhang übermittelten Polizzen wurde immer auf die Beklagte als Maklerin hingewiesen.
Bei der V***** K***** gestellte Anträge wurden grundsätzlich an die Beklagte übermittelt und anschließend über die F***** GmbH (idF „F*****“) an den Versicherer weitergereicht, vom Versicherer polizziert und von der F***** über den Weg der Beklagten an die Kunden versendet.
Der Versicherer vertrieb verschieden kündbare Produkte. Der Betreuer hatte vor der Vermittlung an den Kläger an einer Schulung zu den Produkten des Versicherers teilgenommen und das Vorgetragene so missverstanden, dass er danach Produkten ohne Kapitalgarantie die Eigenschaft einer Kapitalgarantie zuordnete.
Am beriet der Betreuer den Kläger, wobei beiden klar war, dass der Kläger ausschließlich ein mit Kapitalgarantie ausgestattetes Produkt erwerben wollte. Der Betreuer empfahl dem Kläger das Produkt „X*****Zertifikat“ und sicherte ihm zu, dass dieses eine Kapitalgarantie am Laufzeitende sowie eine Laufzeit von 15 Jahren aufweise. Daraufhin entschied sich der Kläger für dieses Produkt. Auf dem Antrag setzte der Betreuer unter „Vertragsdauer“ unter den Vordruck „unbegrenzt“ ein: „15“ [gemeint Jahre], Einmalprämie „EUR 20.000,--“. Unter „Anlagestrategie“ füllte er aus: „X*****Zertifikat 100 %“. Der Betreuer hatte den Antrag so ausgefüllt, dass für ihn unzweifelhaft ein mit 15 Jahren befristetes Kapitalgarantieprodukt beantragt worden war. Während der Beratung wurde der Garantiegeber erörtert, die F***** dagegen nicht erwähnt. Die Stempel der Beklagten waren auf dem Versicherungsantrag zum Zeitpunkt der Unterzeichnung durch den Kläger noch nicht angebracht.
Weder bei der Beklagten noch bei der F***** fiel der widersprüchliche Versicherungsantrag auf. Da das Produkt mit „X*****Zertifikat“ ausreichend definiert war, wurde der Antrag an den Versicherer gesendet, dort polizziert und schließlich von der Beklagten direkt an den Kläger geschickt. Auch diesem fiel eine Abweichung zu dem von ihm gewünschten Produkt nicht auf.
Am erhielt der Kläger ein Schreiben des Versicherers, mit welchem dieser den Versicherungsvertrag kündigte und erklärte, dass der Emittent des Zertifikats mitgeteilt habe, dass sich auf Grund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Hedgefonds der veröffentlichte Kurs des Zertifikats „auf Null“ belaufe und das Kündigungsrecht mit Wirkung zum ausgeübt worden sei.
Der Kläger wandte sich sogleich an den Betreuer, von dem er die Antwort erhielt, dass etwas falsch polizziert worden sei. Er versicherte dem Kläger, dass, wenn ein Fehler passiert sei, die Versicherung zahlen werde. Der Kläger kannte den Betreuer damals schon seit vielen Jahren, vertraute ihm und verließ sich auf das, was ihm gesagt wurde. Er übergab dem Betreuer auch seine gesamten Unterlagen, damit dieser der Sache nachgehen könne.
Dass in Wahrheit der Betreuer einen Fehler gemacht hatte, erfuhr der Kläger erst vom Klagevertreter. Dieser war bereits Rechtsvertreter eines anderen vom Betreuer falsch beratenen Kunden. In dem von diesem anderen Kunden anhängig gemachten Gerichtsverfahren erfuhr der Klagevertreter im Zuge der Zeugenaussage am , dass sich der Betreuer geirrt hatte. Bis dahin wusste er lediglich, dass in der komplexen Kette „etwas passiert“ sein musste. Der Kläger beauftragte den Klagevertreter am , der danach die anderen anhängigen Verfahren beobachtete, um möglichst viel Wissen aus diesen Verfahren für jenes des Klägers ableiten zu können.
Hätte der Betreuer den Kläger richtig beraten, so hätte dieser ein kapitalgarantiertes Produkt gekauft, nämlich entweder das Produkt „S***** Garantie 26“ oder das Produkt „S***** S***** Garantie 3“ des Versicherers. Das Produkt „S***** 3“ hatte eine 105%ige Kapitalgarantie, das Produkt „S***** Garantie 26“ eine 100%ige Kapitalgarantie. Beide Produkte sind nicht mehr erhältlich. Für welches sich der Kläger entschieden hätte, kann nicht festgestellt werden.
Der Kläger begehrt mit der am eingebrachten Klage 23.300 EUR sA, hilfsweise begehrt er die Zahlung mit dem 1. Eventualbegehren Zug um Zug gegen Übergabe der Versicherungspolizze, mit dem 2. Eventualbegehren Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Rechte aus dem zwischen ihm und dem Versicherer abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag, sowie mit dem 3. Eventualbegehren die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden aus der Beratung und/oder Vermittlung und/oder Verwechslung hinsichtlich dieses Versicherungsvertrags.
Der Betreuer habe bei Vermittlung des Finanzprodukts für die Beklagte gehandelt. Ihm sei klar gewesen, dass der Kläger nur ein kapitalgarantiertes Produkt kaufen wollte, er habe dem Kläger aber irrtümlich das „X*****Zertifikat“ empfohlen, worin der Schaden liege. Von den genauen Umständen habe der Kläger erst durch den Klagevertreter erfahren. Diesem wiederum seien die Hintergründe der Vermittlung des falschen Produkts im Rahmen einer Tagsatzung am bekannt geworden. Weil die Alternativprodukte nicht mehr erhältlich seien, richte sich das Klagebegehren nicht auf ein solches Alternativprodukt, sondern auf Schadenersatz.
Die Beklagte sei Maklerin. Sie habe dem Kläger die Zurechnungskette nie offengelegt, weshalb im Zweifel ein Eigengeschäft anzunehmen sei.
Die Beklagte wendete – soweit für das Revisionsverfahren relevant – ein, der Klagsanspruch sei verjährt und die Beklagte nicht passiv legitimiert. Sie sei nur ein Subprovisionär der F***** gewesen. Dem Kläger stehe noch ein Rücktrittsrecht vom Lebensversicherungsvertrag aufgrund fehlerhafter Rechtsbelehrung zu, das er ausüben müsse, ehe er sich gegen die Beklagte wenden könne. Er habe gegen die Schadensminderungspflicht dadurch verstoßen, dass er nicht seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag gegen den Versicherer versucht habe durchzusetzen.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Hauptbegehren mit 20.000 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 3.300 EUR sA– rechtskräftig – ab. Es erachtete den Anspruch des Klägers als nicht verjährt. Der Kläger habe durch seinen Vertreter erst am so hinreichend Kenntnis vom Schädiger und vom Sachverhalt erlangt, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg habe einbringen können. Weil der Versicherungsantrag keinen Stempel der F***** getragen und der Betreuer auch nicht offen gelegt habe, jemand anderen als die Beklagte zu vertreten, liege ein Eigengeschäft der Beklagten vor. Der reale Schaden bestehe im Erwerb der falschen Anlage, weshalb Fälligkeit gegeben sei. Ein Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag vor Geltendmachung des Schadens gegenüber der Beklagten sei dem Kläger nicht zumutbar, selbst wenn nach der neuesten EuGH-Judikatur ein Rücktritt in solchen Fällen grundsätzlich noch möglich sei.
Das Berufungsgericht gab der gegen den stattgebenden Teil dieser Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten nicht Folge. Es verwarf die Tatsachen- und Mängelrüge und gelangte rechtlich ebenfalls zur Ansicht, dass das Klagebegehren nicht verjährt sei. Bei mehreren in Betracht kommenden Schädigern stehe es dem Kläger frei, gegen welchen er sich wende. Die Führung eines Prozesses mit zweifelhaften Erfolgsaussichten wegen unklarer Rechtslage sei ihm auch im Rahmen der Schadensminderungspflicht nicht zumutbar. Die passive Klagslegitimation sei zu bejahen, weil der Mitarbeiter der V***** auch schon bei früheren Produktvermittlungen im Namen der Beklagten tätig geworden sei und in den dem Kläger darüber übermittelten Polizzen immer der Hinweis auf die Beklagte als Maklerin enthalten gewesen sei.
Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nachträglich zu, weil die Frage des Verhältnisses des Rücktritts vom Lebensversicherungsvertrag bzw einer allfälligen Verpflichtung hiezu zum Schadenersatzanspruch gegenüber dem das Produkt vermittelnden Makler von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung sei.
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen, und hilfsweise, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben.
Die Revisionsbeantwortung des Klägers ist verspätet. Die Verständigung über die gemäß § 508 Abs 3 ZPO vom Berufungsgericht freigestellte Revisionsbeantwortung, wurde dem Kläger am zugestellt. Die Beantwortung war gemäß § 507a Abs 3 Z 1 ZPO beim Berufungsgericht einzubringen. Die vom Kläger am beim Erstgericht eingebrachte Revisionsbeantwortung wurde am an das Berufungsgericht weitergeleitet und langte dort am ein. Wird aber eine Rechtsmittelschrift bei einem funktionell nicht zuständigen Gericht eingebracht, ist für die Rechtzeitigkeit der Zeitpunkt des Einlangens beim zuständigen Gericht maßgebend (vgl RISJustiz RS0043678 [T4]). Die Revisionsbeantwortung des Klägers war daher als verspätet zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.
1. Zur Verjährung:
Soweit die Revisionswerberin die Klagsabweisung mit dem Argument der Verjährung erreichen will, ist ihr nicht zu folgen:
Die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem dem Geschädigten sowohl der Schaden und die Person des Schädigers als auch die Schadensursache bekannt geworden sind. Er muss auch den Kausalzusammenhang zwischen schädigender Handlung und Schaden kennen, und die Umstände, die ein Verschulden des Schädigers begründen (RISJustiz RS0034951 [T5], RS0087615 uva).
Nach der Rechtsprechung können Versuche von Anlageberatern, nervöse Anleger nach Kursverlusten zu beschwichtigen, den Beginn der Frist verzögern. Sie können die Erkennbarkeit des Schadenseintritts und damit den Beginn der Verjährungsfrist hinausschieben oder dazu führen, dass dem Verjährungseinwand des Schädigers die Replik der Arglist entgegengehalten werden kann (RISJustiz RS0034951 [T33], RS0087615 [T12]).
Hier mag der Kläger aufgrund der Kündigung im Jahr 2010 einen Hinweis auf einen möglichen Schaden gehabt haben. Sein langjähriger Betreuer erklärte ihm damals aber über sofortige Nachfrage, dass etwas falsch polizziert worden sei, und dass, wenn ein Fehler passiert sei, die Versicherung zahlen werde. Mit diesen Erklärungen schob er die Verantwortung auf den Versicherer und beschwichtigte – dies ist (entgegen der Ansicht der Beklagten) rechtliche Beurteilung – den Kläger, der so davon abgehalten wurde, die Notwendigkeit weiterer Nachforschungen zu erkennen. Eine Aktenwidrigkeit oder ein Verfahrensmangel liegen in der richtigen rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts nicht.
Das Wissen des Klagevertreters kann dem Kläger erst mit der Auftragserteilung im Jänner 2013 zugerechnet werden, weil das erworbene Wissen eines Bevollmächtigten nach ständiger Rechtsprechung nicht generell, sondern nur dann dem Mandanten zuzurechnen ist, wenn es im aufgetragenen Wirkungskreis erworben wurde (4 Ob 45/12f; RISJustiz RS0019537 [T1]; RS0019518). Auch insoweit ist die am eingebrachte Klage rechtzeitig.
2. Zur
Im Sinn des im Stellvertretungsrecht herrschenden Offenlegungsprinzips (RISJustiz RS0019427) muss der Wille, im Namen eines anderen zu handeln, im Geschäftsverkehr ausdrücklich erklärt werden oder aus den Umständen erkennbar sein (RISJustiz RS0088884; RS0019532). Im Zweifel ist ein Eigengeschäft des Handelnden anzunehmen (RISJustiz RS0019516). Ist das Stellvertretungsverhältnis dem Vertragspartner aber bekannt, ist eine Offenlegung nicht mehr erforderlich (vgl 1 Ob 622/94). Hier wurde bei der Vermittlung früherer Versicherungsverträge durch den Berater auf den Polizzen stets auf die Beklagte als Maklerin hingewiesen, sodass dem Kläger das Vertretungsverhältnis bereits offengelegt war und aufgrund dieser Vorgeschichte in ihm der begründete Glaube an die Berechtigung zur Vertretung der Beklagten erweckt werden konnte (vgl 7 Ob 24/06i mwN; RISJustiz RS0020145; RS0020004). Auch in diesem Fall verschickte die Beklagte die Polizze an den Kläger. Auf die F***** wurde nicht hingewiesen und es steht auch kein Umstand fest, warum der Kläger abweichend von anderen gleichartigen Geschäftsfällen auf ein Eigengeschäft der Bank hätte schließen können.
3. Zum Schaden bei fehlerhafter Anlageberatung:
Nach der Rechtsprechung besteht der Schaden bei einer fehlerhaften Anlageberatung schon in der ungewollten Vermögenszusammensetzung. Der (reale) Schaden des Anlegers tritt also bereits durch den Erwerb der nicht gewünschten Vermögenswerte ein (RISJustiz RS0129706).
Hat der Geschädigte infolge pflichtwidriger Anlageberatung nicht die gewünschten risikolosen, sondern risikoträchtige Wertpapiere erworben, so ergibt sich der nach der Differenzmethode zu ermittelnde Schaden nicht aus einer Gegenüberstellung des aufgewendeten Veranlagungsbetrags zu den Kurswerten zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung, weil die Wertpapiere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zukünftigen Kursschwankungen unterliegen. Erst nach einem Verkauf der Wertpapiere kann der Geschädigte daher einen Geldersatzanspruch stellen, weil sich dann der rechnerische Schaden endgültig beziffern lässt (RISJustiz RS0120784).
Hält dagegen der Anleger die nicht gewünschten, aber angekauften Papiere noch, gebührt ihm ein Anspruch auf „Naturalersatz“ in der Form, dass ihm Zug um Zug gegen Übertragung der Wertpapiere der zu deren Erwerb gezahlte Kaufpreis abzüglich erhaltener Zinsen bzw Dividenden zurückzuzahlen ist. Dieser „Naturalersatz“ ist beim Anlegerschaden eine besondere Form des Geldersatzes (8 Ob 66/14k; RISJustiz RS0129706).
4. Anwendbarkeit auf den Lebensversicherungsvertrag:
Die Rechte aus einem Lebensversicherungsvertrag sind grundsätzlich übertragbar (7 Ob 157/12g; 7 Ob 304/99b; RISJustiz RS0032544). Der „Verkauf“ einer inländischen Lebensversicherung erfolgt dann durch Zession. Der Versicherungsnehmer tritt die Ansprüche aus dem Vertrag ab, was mangels anderer Vereinbarung ohne weiteres, also auch ohne Verständigung des Versicherers und ohne dessen Zustimmung, zulässig ist. Der Versicherungsnehmer kann auch künftige Forderungen aus dem Versicherungsvertrag abtreten (Schauer, Das Österreichische Versicherungsvertragsrecht³ 277 f; Fletzberger, Secondhand-Polizzen: eine rechtliche Bestandsaufnahme, ÖZW 2006, 70 ff). Mit den Ansprüchen aus der Lebensversicherung werden im Zweifel sämtliche Rechte des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag (auch Gestaltungsrechte, insbesondere das Kündigungsrecht) an den Zessionar übertragen (Sieprath, Der Lebensversicherungs-Zweitmarkt – Eine Kurzbetrachtung aus versicherungsrechtlicher Sicht, DRiZ 2008, 49 [52]; ders, Der Handel mit gebrauchten Lebensversicherungen aus versicherungsrechtlicher, aufsichtsrechtlicher und steuerrechtlicher Sicht, 81 und 85).
Die Grundsätze zur Haftung wegen fehlerhafter Anlageberatung sind auf den Fall der fehlerhaften Vermittlung von Lebensversicherungsverträgen mit nicht gewollten Eigenschaften (hier: fondsgebunden ohne Kapitalgarantie statt mit Kapitalgarantie) wegen der gleichgelagerten Interessenlage hier wie folgt zu übertragen. Solange noch Ansprüche des Versicherungsnehmers aus dem Vertrag dem Versicherer gegenüber bestehen können (etwa Rücktrittsrechte, laufende Ablebensversicherung), ist die Lage mit dem Anleger vergleichbar, der das nicht gewollte Finanzprodukt behalten hat. Es steht dem Kläger bloß ein Anspruch auf Naturalrestitution (§ 1323 ABGB) zu. Er hat daher Anspruch auf Rückzahlung der zum Erwerb aufgewendeten Beträge Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte aus dem Lebensversicherungsvertrag.
Das Hauptbegehren besteht daher nicht zu Recht. Die Beklagte stützt ihren Einwand auf Verletzung der Schadensminderungspflicht nur auf die Unterlassung der Klagsführung gegen den Versicherer zur Bekämpfung der (ihrer Meinung nach unzulässigen) Kündigung und Geltendmachung des (ihrer Meinung nach) möglichen Rücktrittsrechts mangels Belehrung darüber. Bei erfolgreicher Prozessführung wäre der Schaden gemindert worden. Sie erkennt eine „Bereicherung“ des Klägers darin, dass er diese Rechte zusammen mit allfälligen Ansprüchen aus der noch bestehenden Ablebensversicherung weiter geltend machen könne. Dies müsse berücksichtigt werden.
Diesen Einwänden wird durch die Verurteilung Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte aus dem Versicherungsvertrag Rechnung getragen. Andere Umstände, aus denen sich eine Verletzung einer Schadensminderungspflicht des Klägers ergeben könnte, wurden nicht vorgebracht und sie ergeben sich auch nicht aus dem Sachverhalt. Die Frage, ob dem Kläger überhaupt unter diesen Umständen eine Prozessführung zuzumuten wäre (vgl die Grundsätze zu RISJustiz RS0018766 [T2], RS0027787 [T15]), braucht hier nicht beurteilt werden.
5. Zum ersten Eventualbegehren:
Die Beklagte kann eine die mögliche Bereicherung des Klägers im Sinn der dargestellten Judikatur verhindernde Rechtsposition mit dem ersten Eventualbegehren des Klägers, also durch die alleinige Übergabe der Versicherungspolizze, nicht erreichen.
Bei der Versicherungspolizze (dem Versicherungsschein vgl Fenyves in Fenyves/Schauer VersVG § 3 Rz 1; Schauer, Das Österreichische Versicherungsvertragsrecht³ 91) handelt es sich in der Regel um eine bloße Beweisurkunde (vgl 7 Ob 33/07i mwN; 7 Ob 304/99b; 7 Ob 2194/96i; 7 Ob 6/87; RISJustiz RS0121870, RS0079983; Fenyves in Fenyves/Schauer VersVG § 3 Rz 3; Grubmann, VersVG8 § 3Anm 3). Dass hier ein Fall eines Versicherungsscheins als echtes Wertpapier vorgelegen hätte (vgl Fenyves in Fenyves/Schauer VersVG § 4 Rz 12), wurde vom Kläger nicht behauptet. Ansonsten ist aber selbst eine Lebensversicherungspolizze, die gemäß § 4 VersVG auf Inhaber lautet, kein Wertpapier, sondern ein Legitimationspapier (Fenyves in Fenyves/Schauer VersVG § 4 Rz 3 mit Verweis auf 3 Ob 667/54; Schauer, Das Österreichische Versicherungsvertragsrecht³ 92), sodass die reine Übergabe des Versicherungsscheins ohne Abtretung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag nicht die der Beklagten bei Naturalrestitution zustehende Rechtsposition vermitteln kann (vgl 7 Ob 6/87 sowie zum Pfandrecht RISJustiz RS0011156).
6. Ergebnis:
Das erste Eventualbegehren war daher ebenso wie das Hauptbegehren abzuweisen. Die Beklagte ist aber im Sinn des zweiten Eventualbegehrens aus den oben in Pkt 5. und 6. angestellten Überlegungen zur Naturalrestitution, also auf Ersatz des Kapitals Zug um Zug gegen die Abtretung sämtlicher Rechte aus dem Lebensversicherungsvertrag verpflichtet.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 43 ZPO (hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens iVm § 50 ZPO). Der Verfahrensaufwand, der zur Prüfung der Berechtigung des Hauptbegehrens erforderlich war, konnte auch für die Beurteilung des erfolgreichen Eventualbegehrens verwertet und damit ein annähernd gleicher wirtschaftlicher Erfolg erreicht werden (RISJustiz RS0110839). Im Hinblick darauf hatte auch keine Änderung der erstinstanzlichen Obsiegensquote und des darauf basierenden, unbekämpften Kostenzuspruchs zu erfolgen. Für die verspätete Revisionsbeantwortung steht kein Kostenersatz zu.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00196.17Z.1121.001 |
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