OGH vom 21.02.2017, 4Ob16/17g

OGH vom 21.02.2017, 4Ob16/17g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** W*****, vertreten durch Dr. Manfred Luger, Rechtsanwalt in Freistadt als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte Partei G***** W*****, vertreten durch Mag. Michael Raffaseder, Rechtsanwalt in Freistadt, wegen Unterhalt, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 15 R 111/16y-14, womit das Urteil des Bezirksgerichts Freistadt vom , GZ 1 C 58/15s-10, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird insoweit ersatzlos aufgehoben, als die beklagte Partei ab Rechtskraft der Berufungsentscheidung zu einer 270 EUR übersteigenden Unterhaltsleistung verpflichtet wurde.

Im Übrigen werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Mitteilung des Beklagten vom wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz noch in aufrechter Ehe mit dem Beklagten lebende Klägerin begehrte – erkennbar gestützt auf § 94 ABGB – von ihrem Gatten ab einen „zusätzlichen“ Betrag von 270 EUR an Unterhalt. Der Beklagte verdiene monatlich knapp 3.000 EUR, beziehe die Familienbeihilfe für die drei Kinder und zahle die Betriebskosten und das Darlehen für das Haus. Die Klägerin sei nicht in der Lage, ein Einkommen zu erzielen, zumal sie die jüngste Tochter ständig wegen einer Erkrankung betreuen müsse. Die Klägerin brachte zunächst vor, dass der Beklagte „an monatlichem Unterhalt“ lediglich 400 EUR zahle. Im weiteren Verfahren behauptete die Klägerin, dass der Beklagte für sie „und die drei noch minderjährigen Kinder“ einen monatlichen Barbetrag von 400 EUR zur Verfügung stelle. Zuletzt wurde von ihr vorgebracht, dass der Beklagte „keinerlei Unterhalt für die Kinder zahle“.

Der Beklagte wandte ein, dass er sämtliche Betriebskosten von 400 EUR, die monatlichen Kreditraten für das Haus von 850 EUR und den vereinbarten Unterhaltsbetrag von 400 EUR zahle. Das für die Unterhaltsbemessung relevante Einkommen betrage nach Abzug der Fahrtkosten zu seiner Arbeitsstelle in München nur 1.647 EUR. Weiters seien von der Bemessungsgrundlage auch die Kosten für die Wohnung in Deutschland im Ausmaß von 620 EUR abzuziehen, weil der Beklagte diese Wohnung benötige, um einer Arbeit nachzugehen. Der Klägerin sei es möglich, ein monatliches Einkommen von 1.200 EUR zu erzielen.

Das Erstgericht gab der Klage zur Gänze statt. Es legte seiner Entscheidung als Bemessungsgrundlage ein monatliches Einkommen des Beklagten (einschließlich Kindergeld, abzüglich von 50 % der monatlichen Kreditzahlungen für das gemeinsame Haus von 850 EUR) von gerundet 3.075 EUR zugrunde und ging von einem möglichen Eigeneinkommen der Klägerin im Ausmaß von 400 EUR als Hilfskraft in Teilzeitbeschäftigung aus. Unter Berücksichtigung der weiteren Unterhaltspflichten des Beklagten für die Kinder stünden der Klägerin 28 % des gemeinsamen Familieneinkommens, abzüglich des ihr möglichen Eigeneinkommens von 400 EUR zu. Von dem daraus sich ergebenden Betrag von 573 EUR müsse sich die Klägerin ein Fünftel der vom Beklagten getragenen Betriebskosten im Gesamtausmaß von 400 EUR anrechnen lassen. Der für den Wohnungsaufwand geleistete Naturalunterhalt sei in der Regel nach Köpfen auf alle die Wohnung nutzenden Personen aufzuteilen, wobei auch der Beklagte mitzuzählen sei, weil er die Wohnung ohne Einvernehmen mit der Klägerin verlassen habe. Von den monatlichen Zahlungen des Klägers im Ausmaß von 400 EUR könne die Klägerin nur ein Viertel für sich verwenden, weil der Beklagte keine regelmäßigen Zahlungen an die Kinder leiste. Der Klägerin stehe daher ein zusätzlicher monatlicher Unterhaltsbetrag von 393 EUR zu, von dem sie nur 270 EUR geltend gemacht habe.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung über Berufung des Beklagten dahin ab, dass es den Beklagten zur Zahlung von jeweils zusätzlichen 198 EUR (von November 2013 bis September 2014), 260 EUR (von Oktober 2014 bis September 2015), 270 EUR (ab Oktober 2015 bis zur Rechtskraft der Berufungsentscheidung) sowie ab Rechtskraft der Berufungsentscheidung von (insgesamt) 945 EUR monatlich verpflichtete. Es sei davon auszugehen, dass die monatlichen Leistungen von 400 EUR der Mutter und den Kindern zugutekämen. Wegen des höheren Ehegattenunterhalts sei es angemessen, der Klägerin von der Zahlung von 400 EUR einen monatlichen Anteil von 150 EUR anzurechnen. Die vom Beklagten bezahlten Betriebskosten von 400 EUR müsste sich die Klägerin ab der Haushaltstrennung per Oktober 2015 zu einem Viertel anrechnen lassen, weil sich der Beklagte wegen seines Auszugs daran nicht mehr beteiligen musste. Für die Kosten der Pendlerwohnung des Beklagten seien von der Bemessungsgrundlage 440 EUR abzuziehen. Für Zeiträume von November 2013 bis September 2014 zog das Berufungsgericht für Fahrtkosten Beträge von 130 EUR bzw 360 EUR von der Bemessungsgrundlage ab. Das Berufungsgericht verneinte, dass der Klägerin die Aufnahme auch einer bloß geringfügigen Beschäftigung möglich sei. Bei der Bemessungsgrundlage sei das Kindergeld nicht zu berücksichtigen. Dieses gebühre vielmehr der Mutter und sei zur Hälfte dem Unterhaltsanspruch hinzuzurechnen. Weil der Beklagte der Klägerin auch die zweite Hälfte des Kindergeldes nicht ausbezahlt habe, seien die sonstigen Unterhaltspflichten des Beklagten nur mit jeweils 2 % zu berücksichtigen. Der Klägerin stünden daher 33 % der Bemessungsgrundlage des Beklagten abzüglich 6 % für seine sonstigen Unterhaltspflichten zu, wobei dieser Betrag um das halbe Kindergeld zu erhöhen und die Kreditraten sowie die anteiligen Betriebskosten und die anteiligen Barzahlungen zu reduzieren sei.

Das Berufungsgericht betrachtete die ordentliche Revision zunächst nicht als zulässig. Über einen Antrag nach § 508 ZPO ließ es die ordentliche Revision zu, weil nicht völlig auszuschließen sei, dass es seine Kompetenzen tatsächlich überschritten habe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Beklagten erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht aufgezeigten Grund zulässig und auch berechtigt.

1.1 Nach der Ansicht des Beklagten begründet der Umstand, dass das Berufungsgericht der Klägerin ab Rechtskraft der Entscheidung einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 945 EUR zugesprochen hat, obwohl diese nur einen Betrag von 270 EUR begehrt hat, die Nichtigkeit des Berufungsurteils.

1.2 Eine Nichtigkeit wegen Überschreitung des Klagebegehrens im Berufungsverfahren liegt dann vor, wenn in die Teilrechtskraft eingegriffen wurde (RIS-Justiz RS0107779). Ein Ersturteil erwächst aber nur dann in Teilrechtskraft, wenn ein Teil der Entscheidung unangefochten bleibt. Dieser Fall liegt hier nicht vor, weil der Beklagte das zur Gänze stattgebende Urteil des Erstgerichts vollumfänglich angefochten hat, weshalb ein Verstoß gegen die Teilrechtskraft auszuschließen ist. Der Beklagte kann sich in einem solchen Fall aber auch nicht auf das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelwerbers (Verbot der reformatio in peius) berufen, das aus denselben Gesetzesstellen (§§ 466, 505 Abs 3 ZPO) abzuleiten ist wie das Gebot der Wahrung der Teilrechtskraft. Wird somit die ganze Entscheidung angefochten, dann gibt es weder Teilrechtskraft noch das Verbot der reformatio in peius, sondern nur die Bindung des Rechtsmittelgerichts an den Urteilsantrag nach § 405 ZPO (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1746).

1.3 Nach der nun herrschenden Rechtsprechung begründet ein Verstoß gegen § 405 ZPO allerdings nur einen Verfahrensmangel (RIS-Justiz RS0041089; RS0041240). Ein solcher wird vom Beklagten auch zutreffend aufgezeigt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Gericht über die seinem Urteilsspruch im § 405 ZPO gezogenen Schranken hinausgegangen ist, ist zunächst das Klagebegehren, aber auch der sonstige Inhalt der Klage maßgebend (RIS-Justiz RS0041078; RS0025188 [T1]). Aus dem Klagebegehren und dem sonstigen Inhalt der Klage ergibt sich ohne Zweifel, dass die Klägerin nur einen („zusätzlichen“) Betrag von 270 EUR begehrte, zumal sie ausdrücklich auf die Unterhaltsleistungen des Klägers Bezug nimmt. Insoweit das Berufungsgericht der Klägerin einen 270 EUR übersteigenden Unterhalt ab Rechtskraft der Entscheidung zuspricht, hat es den Urteilsantrag überschritten, weshalb die Berufungsentscheidung in diesem Umfang, somit im Ausmaß eines monatlichen Unterhaltsbetrags von 675 EUR ab Rechtskraft der Entscheidung, ersatzlos zu beheben war.

2. Im übrigen Umfang war die Entscheidung aus folgenden Erwägungen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen:

2.1 Das Klagebegehren ist unschlüssig; dies ist in Anwendung des Grundsatzes, dass bei Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung die Gesetzmäßigkeit des Urteils nach allen Richtungen zu prüfen ist, aufzugreifen. Ein Klagebegehren ist rechtlich nur dann schlüssig, wenn das Sachbegehren materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RIS-Justiz RS0037516). Das Rechtsschutzziel der Klägerin ist erkennbar darauf gerichtet, dass sie (neben den bisherigen Zahlungen) im Ergebnis den ihr zustehenden Unterhalt zur Gänze erhält. Die Klägerin begehrt 270 EUR als „zusätzlichen Unterhalt“ und macht damit erkennbar und unter Berücksichtigung der Zahlungen des Beklagten (nur) jenen Teil an gesetzlichem Unterhalt geltend, der ihr vom Beklagten bisher vorenthalten wurde.

Aus dem teilweise widersprüchlichen und lückenhaften Vorbringen der Klägerin lässt sich die Höhe der von ihr in Anrechnung gebrachten Unterhaltszahlungen des Beklagten nicht zweifelsfrei ableiten. Demnach stelle der Beklagte für sie und die drei Kinder einen monatlichen Barbetrag von 400 EUR zur Verfügung. Daraus ließe sich der Schluss ziehen, dass die Klägerin eine Art „Familienunterhalt“ verfolgt, was gesetzlich nicht gedeckt wäre. Dazu im Widerspruch brachte sie auch vor, dass der Beklagte keinen Unterhalt für die Kinder leiste. Im Verhältnis zum Beklagten blieb offen, in welchem Ausmaß die Klägerin durch die zugestandenen Zahlungen ihren eigenen Unterhalt als befriedigt erachtet. Da die Klägerin bisher aber nur den Überhang zu den Unterhaltsleistungen des Beklagten verlangte, deren Höhe aber von ihr nicht nachvollziehbar behauptet wurde, fehlt dem Begehren die Schlüssigkeit, zumal sich daraus nicht ableiten lässt, welcher Unterhaltsbetrag der Klägerin insgesamt zustehen soll.

2.2 Zur Vermeidung einer Überraschungs-entscheidung (RIS-Justiz RS0037166 uva) wird der Klägerin daher Gelegenheit zu geben sein, den auf sie entfallenden Unterhaltsbetrag der bisherigen Zahlungen unter allfälliger Bezugnahme auf eine zwischen den Streitteilen vorgenommene Widmung zu konkretisieren. Widerspricht das diesbezügliche Vorbringen jenem des Beklagten, ist darüber ein Beweisverfahren durchzuführen. Wenn eine solche Widmung nicht behauptet oder festgestellt wird, es also unklar bleibt, in welchem Ausmaß die vom Beklagten gezahlten Beträge der Klägerin oder den Kindern zukommen sollen, kommt die Verrechnungsregel des § 1416 ABGB wegen der Mehrzahl der Gläubiger nicht zur Anwendung (RIS-Justiz RS0033436). In einem solchen Fall ist die Zahlung nicht starr nach Köpfen oder nach Billigkeit, sondern in Relation zu den festzustellenden Unterhaltsansprüchen der Kinder zu setzen (4 Ob 20/09h, Punkt 3.7).

2.3 Mangels bisher schlüssigen Vorbringens und aufgrund des Umstands, dass der Klägerin im fortgesetzten Verfahren zunächst Gelegenheit zur Verbesserung zu geben sein wird, erübrigt sich ein Eingehen auf die Einwände des Beklagten gegen die vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsmeinungen zu Bemessungsgrundlage, Anrechnung und Anspannung.

2.4 Insoweit die Berufungsentscheidung nicht ersatzlos zu beheben war, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Gänze aufzuheben, zumal sich die mangelnde Schlüssigkeit auch dahin auswirkt, dass jene Teile des Berufungsurteils, mit denen ein Unterhalt von weniger als 270 EUR „zusätzlich“ zugesprochen wurde, mangels eines erkennbaren Streitgegenstands nicht in Rechtskraft erwachsen konnten.

3. Die Ergänzung eines Rechtsmittels durch einen nachfolgenden Schriftsatz verstößt gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels (RIS-Justiz RS0041666), weshalb die nachträgliche Mitteilung des Beklagten zurückzuweisen war.

4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00016.17G.0221.000

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