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OGH vom 20.02.2020, 6Ob244/19d

OGH vom 20.02.2020, 6Ob244/19d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache W*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Benedikt Spiegelfeld, Rechtsanwalt in Wien, als bestellter Verfahrenshelfer, über den Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 48 R 68/19h-177, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom , GZ 19 P 38/18f-159, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Beim Betroffenen besteht aufgrund eines Sachverständigengutachtens vom eine psychische Erkrankung. Der Sachverständige hielt für diesen Zeitpunkt fest, dass die Einsichtsfähigkeit für das Krankheitsgeschehen fehlt, wobei Krankheitseinsicht der erste Schritt zur Behandlung wäre. Sollte sich der Betroffene einer medikamentösen Behandlung unterziehen, sei eine Besserung des Zustands möglich. Dieser Umstand sei jedoch unwahrscheinlich, da die Krankheitseinsicht fehle. Mit der Erkrankung sind Denkstörungen und Handlungsweisen verbunden, die es mit sich bringen, dass der Betroffene zumindest für den damaligen Zeitpunkt der Begutachtung nicht in der Lage schien, bestimmte Angelegenheiten ohne der Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Im Einzelnen erschien die Überblicksgewinnung gestört und der Betroffene in seinem Denken und Handeln durch die Krankheit geleitet.

Mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom wurde für den Betroffenen Dr. C***** zum Sachwalter für alle Angelegenheiten bestellt.

Der (nunmehrige) Erwachsenenvertreter beantragte die Anordnung eines Genehmigungsvorbehalts im Sinne des neuen Erwachsenenschutzgesetzes. Er führte begründend aus, der Betroffene agiere fern der Realität. Seine zahlreichen Eingaben an Behörden zeigten, dass er nicht in der Lage sei, die Realität richtig einzuschätzen. „Mildernd“ komme allenfalls hinzu, dass er eher nicht dazu neige, sich aus seiner Abkapselung gegenüber der Umwelt zu lösen. Allerdings sei er für sich gesehen sicherlich absolut geschäftsunfähig. Es komme nicht auf die „Einschlägigkeit“ an, sondern vielmehr auf das Gesamtbild.

Der Betroffene sprach sich gegen die Anordnung eines Genehmigungsvorbehalts aus, weil er dies nicht für erforderlich halte.

Das Erstgericht wies den Antrag des Erwachsenenvertreters auf Anordnung eines Genehmigungsvorbehalts ab und begründete dies im Wesentlichen damit, es sei nicht bekannt, dass Verwaltungsverfahren gegen den Betroffenen anhängig seien bzw im Raum stünden oder der Betroffene in den letzten Jahren für ihn erheblich nachteilige Geschäfte/Verträge abgeschlossen hätte. Es sei nicht ersichtlich, dass derzeit die Gefahr drohe, der Betroffene werde in Zukunft nachteilige Geschäfte abschließen. Das Erstgericht erachtete die Voraussetzungen für die Anordnung eines Genehmigungsvorbehalts als nicht gegeben.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Erwachsenenvertreters Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahingehend ab, dass ein Genehmigungsvorbehalt hinsichtlich Handlungen und Unterlassungen vor Behörden und Verwaltungsgerichten sowie im rechtsgeschäftlichen Verkehr angeordnet wurde. Es begründete dies im Wesentlichen damit, dass sich im vorliegenden Fall aus dem Akt Verwaltungsverfahren und Gerichtsverfahren ergäben. Der Betroffene verfasse auch zahlreiche Eingaben an Gerichte und kooperiere weder mit dem Erwachsenenvertreter noch mit sonst irgendjemandem. Es sei bislang weder möglich gewesen, die Zuhilfenahme niederschwelliger sozialer Dienste zu erreichen noch eine Vertrauensperson zu etablieren. Mit der bestehenden Krankheit seien Denkstörungen und Handlungsweisen verbunden, bei denen die geistigen Kapazitäten so eingesetzt würden, dass sie „nicht unbedingt zum Wohle“ des Betroffenen gereichten. Die sich für den Betroffenen daraus ergebende Gefahr sei durchaus erheblich, weil er sich mit Hilfe des Erwachsenenvertreters ein gewisses Sparguthaben habe ansammeln können, das verloren gehen könnte, bzw könne es zu neuen Schulden kommen. Überdies könne der Nachweis einer Handlungs- und Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen ohne seine Mitwirkung möglicherweise nicht gelingen.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde nicht zugelassen, da keine Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs des Betroffenen ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt.

1.1. Vorweg ist festzuhalten, dass nach neuerer Rechtsprechung durch die Anordnung oder Aufhebung eines Genehmigungsvorbehalts nicht in subjektive Rechte des Erwachsenenvertreters eingegriffen wird, sodass ihm keine Rechtsmittellegitimation im eigenen Namen zukommt (4 Ob 115/19v = RS0132737 [T1]; 2 Ob 203/19w).

1.2. Aus diesem Grund kommt dem Erwachsenenvertreter auch keine Rechtsmittelbeantwortung zu. Gleichwohl hat der Oberste Gerichtshof im vorliegenden Fall im Interesse der Vervollständigung der Entscheidungsgrundlage dem Erwachsenenvertreter die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt.

2.1. § 242 Abs 2 ABGB normiert, dass, soweit dies zur Abwendung einer ernstlichen und erheblichen Gefahr für die vertretene Person erforderlich ist, das Gericht im Wirkungsbereich der gerichtlichen Erwachsenenvertretung anzuordnen hat, dass die Wirksamkeit bestimmter rechtsgeschäftlicher Handlungen der vertretenen Person oder bestimmter Verfahrenshandlungen bei Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten wie nach § 865 Abs 3 und Abs 5 ABGB die Genehmigung des Erwachsenenvertreters und in den Fällen des § 258 Abs 4 ABGB auch jene des Gerichts voraussetzt.

2.2. Sachwalter, die vor dem bestellt wurden, sind nach dem gerichtliche Erwachsenenvertreter (§ 1503 Abs 9 Z 10 ABGB). § 1503 Abs 9 Z 12 ABGB sieht vor, dass bis zum im Fall einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung im Sinn der Z 10 auch ohne gerichtliche Anordnung im gesamten Wirkungsbereich des ehemaligen Sachwalters und nunmehrigen gerichtlichen Erwachsenenvertreters ein Genehmigungsvorbehalt im Sinn des § 242 Abs 2 ABGB in der Fassung des 2. ErwSchG besteht (zwingender gesetzlicher Genehmigungsvorbehalt). Nach dem besteht für Personen, für die vor dem ein Sachwalter bestellt worden ist, nur ein Genehmigungsvorbehalt, wenn und soweit er gerichtlich angeordnet wird (Zierl/Schweighofer/Wimberger,Erwachsenenschutzrecht Rz 909).

2.3. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass bis zum im Rahmen des Wirkungsbereichs des bestellten Sachwalters ein Genehmigungsvorbehalt hinsichtlich aller Angelegenheit bestand.

3.1. Zu den Voraussetzungen für die Anordnung eines Genehmigungsvorbehalts gibt es mittlerweile eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 3 Ob 87/19v vom . In dieser wird dazu ausgeführt:

„...

2.4 Die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Anordnung eines Genehmigungsvorbehalts nach § 242 Abs 2 ABGB sind entsprechend eng abgesteckt (Fritz in Schneider/Verweijen, § 129 AußStrG Rz 8).

2.4.1 Ein Genehmigungsvorbehalt erfordert die ernstliche und erhebliche Gefahr für die vertretene Person. Diese Terminologie ist an § 4 Z 1 HeimAufG und § 3 Z 1 UbG angelehnt (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 21), sodass auch die dazu ergangene Rechtsprechung nutzbar gemacht werden kann, wobei im Bereich des § 242 Abs 2 ABGB aber auch auf einen bedeutenden Vermögensnachteil Bedacht zu nehmen ist (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 21). Eine ernstlich drohende Gefahr im UbG ist eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Erheblichkeit ist die besondere Schwere des drohenden Schadens. Die beiden Kriterien stehen in einer Wechselbeziehung: Bei besonders schwerwiegenden Folgen genügt bereits eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit, um die Zulässigkeit der weitergehenden Einschränkungen zu bejahen, und umgekehrt (RS0075921 [T1, T 6, T 7]).

2.4.2 Ein solcher Vorbehalt kann auch mit Blick auf seinen Ausnahmecharakter erst dann angeordnet werden, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr vorliegen, dass der Betroffenen (für den Anlassfall: im Verwaltungsverfahren) ein Schaden im Sinne des § 242 Abs 2 ABGB droht (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 22; Barth/Ganner, Handbuch Erwachsenenschutzrecht3 72; Götsch/Knoll, Das 2. Erwachsenenschutz-Gesetz aus der Sicht der Bankenpraxis, ÖBA 2017, 304; Gruber/Palma in Deixler-Hübner/Schauer, Erwachsenenschutzrecht Handbuch Rz 2.40; Zierl/Schweighofer/Wimberger, Erwachsenenschutzrecht2 Rz 152 bzw Rz 583 [„bestehende Gefährdungssituation“]). Bloß abstrakt mögliche Gefährdungen reichen nicht aus (vgl zur insoweit vergleichbaren deutschen Rechtslage nach § 1903 BGB etwa BGH XII ZB 519/15 NJW-RR 2016, 1027, bezüglich eines Betreuungsbedarfs für die rechtliche Vertretung in 'wahnbedingt' geführten Verfahren).

2.4.3 § 242 Abs 2 ABGB sieht vor, dass das Gericht – soweit hier maßgebend – die Handlungsfähigkeit (nur) für bestimmte Verfahrenshandlungen ausschließen kann. Der Genehmigungsvorbehalt ist dabei auf das notwendige Ausmaß zu beschränken, zumal ein solcher Vorbehalt nur angeordnet werden darf, wenn er zur Abwehr der Gefahr auch erforderlich ist (vgl auch BGH XII ZB 608/15).

2.4.4 Aus dem Gesagten folgt, dass das Gesetz grundsätzlich die pauschale Aufnahme sämtlicher Verfahrenshandlungen in den Genehmigungsvorbehalt verbietet (vgl Fritz in Schneider/Verweijen, § 129 AußStrG Rz 8; Gitschthaler/Schweighofer, Erwachsenenschutzrecht § 242 Anm 4; Schweighofer, Das 2. Erwachsenenschutz-Gesetz EF-Z 2017/99, 198; Zierl/Schweighofer/Wimberger, Erwachsenenschutzrecht2 Rz 583b), sodass eine genaue Formulierung geboten ist (Gruber/Palma in Deixler-Hübner/Schauer, Erwachsenenschutzrecht Handbuch Rz 2.46) bzw der Umfang bestimmt bezeichnet werden muss (Barth/Ganner, Handbuch Erwachsenenschutzrecht3 73), was auch den Genehmigungsvorbehalt für Verfahrenshandlungen bei Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten betrifft (Barth/Ganner, Handbuch 74).

...“

3.2. Aus den Ausführungen in dieser Entscheidung folgt, dass für die Anordnung eines Genehmigungsvorbehalts zwei Voraussetzungen gegeben sein müssen: Einerseits müssen hinreichende Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr, dass dem Betroffenen ein Schaden im Sinne des § 242 Abs 2 ABGB droht, vorliegen. Andererseits muss der Genehmigungsvorbehalt auf das notwendige Ausmaß beschränkt sein.

4.1. Der vom Rekursgericht angeordnete Genehmigungsvorbehalt entspricht diesen Anforderungen nicht. Den Ausführungen des Rekursgerichts ist nicht zu entnehmen, dass tatsächlich eine konkrete Gefahr besteht, der Betroffene wolle für ihn nachteilige Geschäfte abschließen oder Verfahren bei Behörden anhängig machen. Die vom Rekursgericht angeführten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren wurden schon vor längerer Zeit eingeleitet; auf aktuelle Verfahrenseinleitungen besteht kein Hinweis. Im gegen den Betroffenen geführten Kündigungsverfahren wird der Betroffene durch den Erwachsenenvertreter vertreten (s ON 185). Die vorliegenden Anhaltspunkte sind zu wenig konkret, um daraus schließen zu können, dass dem Betroffenen ein – wenn auch nur vermögensrechtlicher – Nachteil im Sinne des § 242 Abs 2 ABGB droht.

4.2. Weiters ergibt sich aus der zitierten Entscheidung, dass die pauschale Aufnahme sämtlicher Verfahrenshandlungen in den Genehmigungsvorbehalt grundsätzlich gesetzwidrig ist. Soweit vom Genehmigungsvorbehalt auch zivilgerichtliche Verfahren umfasst sein sollten, wird auf die weiteren Ausführungen in der Entscheidung 3 Ob 87/19v verwiesen:

„...

2.5.1 Wenn damit auch Zivilprozesse gemeint sein sollen, ist auf § 1 Abs 2 ZPO zu verweisen, wonach es einer Person in jenen Verfahren, die in den Wirkungsbereich eines Erwachsenenvertreters fallen, bereits ex lege an der Prozessfähigkeit mangelt, ohne dass es eines Genehmigungsvorbehalts bedarf. Entsprechendes gilt für Außerstreit- (vgl § 2 Abs 3 AußStrG) und Exekutionsverfahren (§ 78 Abs 1 EO). Für das Erwachsenenschutzverfahren scheidet ein Genehmigungsvorbehalt auch bei zweckwidrigen Verfahrenshandlungen aus, weil die betroffene Person unabhängig von ihrer Verfahrensfähigkeit dort Verfahrenshandlungen vornehmen kann (§ 116a AußStrG und jüngst 3 Ob 87/19v vom ). Die Gefahr, dass die Betroffene in den genannten gerichtlichen Verfahren kostenverursachende, aussichtslose Rechtsbehelfe ergreift, kann somit einen Genehmigungsvorbehalt nach § 242 Abs 2 ABGB nicht rechtfertigen.

Das ergibt sich auch aus dem Umstand, dass § 242 Abs 2 ABGB den Genehmigungsvorbehalt für Verfahrenshandlungen eben nur bei Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten vorsieht. An diese Formulierung wurde im erstgerichtlichen Beschluss auch ausdrücklich angeknüpft. Der Beschränkung des Vorbehalts auf das Verwaltungsverfahren liegt zugrunde, dass Parteien in solchen Verfahren trotz Bestellung eines Erwachsenenvertreters verfahrensfähig bleiben. Nur um in Fällen, in denen diese für sich nachteilig im Verwaltungsverfahren agieren, Abhilfe zu schaffen, soll ein Genehmigungsvorbehalt angeordnet werden können (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 22).

...“

4.3. Daraus ergibt sich, dass sich der vom Rekursgericht angeordnete Genehmigungsvorbehalt hinsichtlich der Verfahren nur auf Verfahrenshandlungen bei Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten beziehen kann. Hinsichtlich dieser Verfahren ist aber nicht ersichtlich, dass dem Betroffenen in diesem Bereich ein ernstlicher und erheblicher Schaden droht. Auch die pauschale Anordnung sämtlicher Verfahrenshandlungen erscheint im Lichte der zitierten Entscheidung 3 Ob 87/19v zu weit gefasst.

4.4. Zum Genehmigungsvorbehalt im rechtsgeschäftlichen Verkehr ist auszuführen, dass die Anordnung eines Genehmigungsvorbehalts in diesem Bereich ohne jede Einschränkung den gesetzlichen Vorgaben nicht entspricht, da darunter ja jedes Rechtsgeschäft, das der Betroffene abschließen möchte, fallen würde.

5. Zusammenfassend steht somit der vom Rekursgericht angeordnete Genehmigungsvorbehalt im Lichte der Rechtsprechung sowohl von den Anordnungsvoraussetzungen als auch vom Umfang her mit den gesetzlichen Anforderungen nicht im Einklang. Daher war dem Revisionsrekurs Folge zu geben und die zutreffende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00244.19D.0220.000

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