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OGH 18.12.2009, 6Ob243/09t

OGH 18.12.2009, 6Ob243/09t

Rechtssätze


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Normen
RS0006259
Trotz der Untersuchungsmaxime (§ 2 AußStrG) gilt auch im außerstreitigen Unterhaltsbemessungsverfahren der Dispositionsgrundsatz; ein Anspruch, den der Berechtigte gar nicht geltend gemacht hatte, kann aber - ungeachtet der Tatsache, dass ein früherer Antrag nicht als Teilantrag bezeichnet und eine Nachforderung nicht ausdrücklich vorbehalten wurde - nicht in Rechtskraft erwachsen, ist doch Voraussetzung der materiellen Rechtskraftwirkung die Identität der Ansprüche. An dieser Identität mangelt es aber bei einem Begehren auf Unterhaltsleistungen für die Zukunft oder - wie nach nunmehriger Rechtsprechung zulässig (SZ 61/143) - für die Vergangenheit, wenn mit der Behauptung, die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners sei höher als ursprünglich angenommen, ein höherer Betrag begehrt wird.
Normen
RS0007143
Bei Geltendmachung eines Anspruchsteiles erfasst die Rechtskraft den Anspruch nur soweit, als über ihn entschieden wurde. Dabei macht es keinen Unterschied, ob im Antrag zum Ausdruck gebracht wurde, dass nur ein Anspruchsteil geltend gemacht werde und ob die Geltendmachung des Anspruchsrestes ausdrücklich vorbehalten wurde, ob sich die für die Unterhaltsbemessung maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse seit der Erlassung der Vorentscheidung geändert haben und welche Zeit seit der Vorentscheidung verstrichen ist, ist hiefür auch ohne Bedeutung.
Normen
AußStrG §18 A
AußStrG 2005 §43
ABGB §140 Ad
ABGB §140 Ag
ABGB idF KindNamRÄG 2013 §190 Abs3
ABGB idF KindNamRÄG 2013 §231 Ad
ABGB idF KindNamRÄG 2013 §231 Ag
ABGB §936 VIIc
ZPO §411 Cb
RS0107666
Auch im außerstreitigen Verfahren ergangene Unterhaltsfestsetzungen unterliegen der materiellen Rechtskraft, sie können nur bei geänderten Verhältnissen abgeändert werden. Die materielle Rechtskraft der Entscheidung setzt aber voraus, dass dem Gericht alle für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Umstände bekannt sein müssen, im Fall der Genehmigung eines Unterhaltsvergleichs (oder bei der gleichzuhaltenden Unterhaltsfestsetzung, die den Vergleich als tragende Begründung heranzieht) also auch der Umstand, dass eine für die Bejahung einer anfechtungsfesten Willenseinigung erforderliche Kenntnis der vertragschließenden Parteien über die Vergleichsgrundlage vorlag. Der Irrtum einer Partei und der darauf beruhende Willensmangel kann daher im Sinne der weiten Auslegung der Umstandsklausel gegen die materielle Rechtskraft ins Treffen geführt und zum Gegenstand eines Unterhaltserhöhungsantrags (auch für die Vergangenheit) gemacht werden.
Normen
RS0007161
Dem Begehren, die Unterhaltsverpflichtung im Hinblick auf eine (wesentliche) Änderung der Verhältnisse in anderer Weise festzusetzen, steht nicht die Rechtskraft der vorangegangenen Unterhaltsbemessung entgegen. Wurde über den (gesamten) Unterhaltsanspruch rechtskräftig erkannt, dann ist hingegen ein Antrag, die Unterhaltsbemessung trotz unverändert gebliebener Verhältnisse zu ändern, wegen Rechtskraft zurückzuweisen.
Normen
ABGB §140 Aa
ABGB idF KindNamRÄG 2013 §231 Aa
ABGB §936 VIIc
ABGB §1418
RS0053297
Unabhängig davon, ob die seinerzeitige Unterhaltsbemessung durch gerichtlichen Vergleich oder gerichtliche Entscheidung erfolgte, darf eine Änderung der Unterhaltsbemessung für die Vergangenheit immer dann erfolgen, wenn wegen Änderung der Verhältnisse (ganz allgemein!) die seinerzeitige Unterhaltsbemessung wegen der ihr innewohnenden Umstandsklausel nicht mehr bindend blieb.
Normen
RS0019012
Eine Änderung der Verhältnisse, der die Rechtskraft einer früheren Entscheidung nicht mehr entgegensteht, liegt nicht nur vor, wenn neue Tatsachen eingetreten sind, sondern auch dann, wenn schon zur Zeit der früheren Entscheidung eingetretene Tatsachen dem Gericht erst später bekannt werden.
Normen
RS0007145
Eine neue Entscheidung im Sinne des § 142 ABGB wird auch dann als zulässig anzusehen sein, wenn bloß neue Umstände hervorgekommen sind, die eine andere Sachlage ergeben, als jene, die den früheren Entscheidungen zugrunde lagen.
Normen
RS0007146
Die Rechtsmeinung, dass ein Erhöhungsantrag, soweit die Unterhaltsfestsetzung auf der Parteiendisposition beruht, nur dann zulässig sei, wenn in der letzten Unterhaltsfestsetzung der Durchschnittsbedarf des Unterhaltsberechtigten nicht annähernd erreicht wurde (LGZ Wien in EFSlg 35797, 40594, 30595, 50998 ua), ist mangels gesetzlicher Grundlage nicht zu billigen, zumal im Unterlassen der Geltendmachung eines (höheren) Anspruches auch kein schlüssiger Verzicht auf diesen (höheren) Anspruch zu erblicken ist.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen A***** H*****, geboren am , über den Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch den Magistrat der Stadt Villach, Jugendamt, 9500 Villach, Gerbergasse 6, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 2 R 157/09d-12, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom , GZ 3 P 20/09m-8, aufgehoben und das Verfahren für nichtig erklärt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs aufgetragen.

Text

Begründung:

Am beantragte die am geborene Minderjährige, vertreten durch das Jugendamt Villach, die Festsetzung eines vom Kindesvater zu leistenden Unterhalts von 140 EUR.

Das Erstgericht setzte den Unterhalt mit Beschluss vom beginnend mit mit monatlich 140 EUR fest. Dabei ging es von einem monatlichen Nettoeinkommen des Kindesvaters von 1.400 EUR aus. Dieser Beschluss wurde am zugestellt.

Am  beantragte das Jugendamt namens der Minderjährigen, den Unterhalt von 140 EUR auf 210 EUR monatlich zu erhöhen, beginnend mit . Dem lag ein Einkommen des Kindesvaters von 1.400 EUR zu Grunde.

Der Kindesvater äußerte sich zu diesem Antrag nicht.

Das Erstgericht setzte darauf hin mit Beschluss vom den Unterhalt für die Minderjährige mit 210 EUR monatlich fest.

Das Rekursgericht hob über Rekurs des Kindesvaters diesen Beschluss und das vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies den Antrag auf Erhöhung des Unterhalts zurück. Eine Neufestsetzung des Unterhalts könne nur bei geänderter Sachlage oder bei Änderung der dem Unterhaltsanspruch zu Grunde liegenden Gesetzeslage erfolgen. Sei aber über den gesamten Unterhaltsanspruch rechtskräftig erkannt worden, sei ein Antrag, die Unterhaltsbemessung trotz unverändert gebliebener Verhältnisse zu ändern, wegen Rechtskraft zurückzuweisen. Im vorliegenden Fall gehe schon aus dem Vorbringen des Jugendamts hervor, dass sich die maßgeblichen Verhältnisse zwischen dem ersten Unterhaltsbemessungsbeschluss und dem Antrag auf Erhöhung des Unterhalts nicht geändert hätten. Der Antrag sei daher zurückzuweisen.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich zu.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt:

1. Im außerstreitigen Verfahren ergangene Beschlüsse sind der materiellen Rechtskraft zugänglich und können nur bei Änderung der Sach- oder Rechtslage abgeändert werden (RIS-Justiz RS0107666, RS0053297). Eine derartige Änderung der Verhältnisse, der die Rechtskraft einer früheren Entscheidung nicht mehr entgegensteht, liegt nicht nur vor, wenn neue Tatsachen eingetreten sind, sondern auch dann, wenn schon zur Zeit der früheren Entscheidung eingetretene Tatsachen dem Gericht erst später bekannt werden (RIS-Justiz RS0019012, vgl auch RS0007145 [T1]). Dem Begehren, die Unterhaltsverpflichtung im Hinblick auf eine (wesentliche) Änderung der Verhältnisse in anderer Weise festzusetzen, steht nicht die Rechtskraft der vorangegangenen Unterhaltsbemessung entgegen. Wurde über den (gesamten) Unterhaltsanspruch rechtskräftig erkannt, dann ist hingegen ein Antrag, die Unterhaltsbemessung trotz unverändert gebliebener Verhältnisse zu ändern, wegen Rechtskraft zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0007161).

2. Allerdings gilt im außerstreitigen Unterhaltsbemessungsverfahren der Dispositionsgrundsatz (RIS-Justiz RS0006259). Ein Anspruch, den der Berechtigte nicht geltend gemacht hat, kann daher - ungeachtet der Tatsache, dass ein früherer Antrag nicht als Teilantrag bezeichnet und eine Nachforderung nicht ausdrücklich vorbehalten wurde - nicht in Rechtskraft erwachsen, ist doch Voraussetzung der materiellen Rechtskraftwirkung die Identität der Ansprüche (RIS-Justiz RS0006259; 6 Ob 126/07h). Bei Geltendmachung eines Anspruchsteils erfasst die Rechtskraft den Anspruch nur soweit, als über ihn entschieden wurde. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Umstand, dass nur ein Anspruchsteil geltend gemacht werde, offen gelegt wird (RIS-Justiz RS0007143; 5 Ob 592/90; 5 Ob 75/09d). Auch spielt es keine Rolle, ob die Geltendmachung des Anspruchsrestes ausdrücklich vorbehalten wurde oder ob sich die für die Unterhaltsbemessung maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse seit der Erlassung der Vorentscheidung geändert haben (RIS-Justiz RS0007143). Vielmehr kann, wenn ein Anspruch geltend gemacht wird, der insoweit noch nicht Gegenstand der vorangegangenen Entscheidung war, der Unterhalt auch bei gleichgebliebenen Verhältnissen erhöht werden. Der Unterhaltsberechtigte kann auch bei gleichgebliebenen Verhältnissen verlangen, dass der Unterhalt auf den ihm zustehenden Betrag erhöht wird. Ein derartiger Erhöhungsantrag kann auch für die Vergangenheit gestellt werden (RIS-Justiz RS0007161 [T3]; RS0006259; 4 Ob 598/95; 1 Ob 25/07v).

3. Anders liegt der Fall nur dann, wenn etwa bei einer (Teil-)Abweisung eines überhöhten Unterhaltsbegehrens über den Unterhaltsanspruch abschließend rechtskräftig erkannt wurde. In diesem Fall stünde auch einem höheren Unterhaltsbegehren - sofern nicht geänderte Verhältnisse behauptet werden - die Rechtskraft der Vorentscheidung entgegen (RIS-Justiz RS0006259 [T1]). Wurde einem Unterhaltsfestsetzungsbegehren hingegen vollinhaltlich stattgegeben, so kann jederzeit ein höherer Unterhaltsbetrag gefordert werden, ohne dass es hiezu einer Änderung der Verhältnisse bedarf (6 Ob 126/07h). Im seinerzeitigen Unterlassen der Geltendmachung eines höheren Anspruchs liegt auch kein schlüssiger Verzicht auf den Mehrbetrag (RIS-Justiz RS0007146).

4. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung ist eine Unterhaltserhöhung grundsätzlich auch rückwirkend möglich (vgl 10 Ob 1543/95). Der Erhöhungsantrag kann daher auch für die Vergangenheit gestellt werden (RIS-Justiz RS0007161 [T3]); einzige materielle Grenze ist hier die Verjährung (1 Ob 25/07v).

5.1. Das Gegenstand des nunmehrigen Antrags bildende Mehrbegehren von 70 EUR monatlich war aber nicht Gegenstand der Entscheidung im ersten Unterhaltsbemessungsverfahren. Dessen Rechtskraft beschränkt sich vielmehr auf den damals geltend gemachten Betrag von 140 EUR monatlich. Hingegen entfaltet die seinerzeitige Entscheidung keine Sperrwirkung für die Geltendmachung eines seinerzeit nicht begehrten Betrags.

5.2. Damit erweist sich aber die vom Rekursgericht vorgenommene Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses und Nichtigerklärung des bisherigen Verfahrens als verfehlt. Daher war der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs aufzutragen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2009:0060OB00243.09T.1218.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
VAAAD-46006