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OGH vom 17.10.1973, 7Ob192/73

OGH vom 17.10.1973, 7Ob192/73

Norm

Allgemeine Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfall- Versicherung

Art6 Abs 1 litb;

Versicherungsvertragsgesetz § 6;

Versicherungsvertragsgesetz § 23;

Versicherungsvertragsgesetz § 29;

Versicherungsvertragsgesetz § 32;

Versicherungsvertragsgesetz § 34a;

Kopf

SZ 46/105

Spruch

Die Führerscheinklausel des Art. 6 Abs. 1 lit. b AKIB unterliegt als Vereinbarung einer vorbeugenden Obliegenheit im Sinne der §§ 6 Abs. 2 und 32 VersVG nicht der Überprüfung nach den §§ 23 ff. und 34a VersVG; sie gilt auch für Fahrten auf nichtöffentlichem Grund

(HG Wien 1 R 95/73; Bg f. Handelssachen Wien 2 C 231/73)

Text

Am verursachte die Mutter des Klägers, die nicht im Besitze eines Führerscheins ist, auf dem ÖAMTC-Verkehrsübungsplatz in der Südstadt mit dem bei der Beklagten vollkaskoversicherten PKW des Klägers einen Unfall, wodurch an diesem PKW abzüglich des Selbstbehaltes von 1800 S ein Schaden von 1665 S entstand.

Der Kläger begehrte sowohl die Feststellung des bestehenden Deckungsschutzes aus der Vollkaskoversicherung als auch die Zahlung des nicht durch den Selbstbehalt gedeckten Schadens. Die Beklagte behauptete Leistungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 1 lit. b AKIB.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte über den eingangs geschilderten unbestrittenen Sachverhalt hinaus fest, daß der Verkehrsübungsplatz des ÖAMTC in der Südstadt nicht für den öffentlichen Verkehr zugänglich sei, sondern nur von Personen benützt werden könne, die hiezu eine Eintrittskarte lösen und eine Zusatz-Haftpflichtversicherung abschließen, durch die diese Versicherung auch auf Fahrer erstreckt wird, die die vorgeschriebene Fahrerlaubnis noch nicht besitzen, aber mindestens 18 Jahre alt sind. Die Möglichkeit des Abschlusses einer entsprechenden Zusatz-Kaskoversicherung sei nicht vorgesehen. Nach der Rechtsansicht des Erstrichters ist das Feststellungsbegehren mit Rücksicht auf das bereits gestellte Leistungsbegehren unzulässig. Auch letzteres sei aber nicht berechtigt. Der ÖAMTC-Verkehrsübungsplatz Südstadt sei zwar nicht eine Straße mit öffentlichem Verkehr, und seine Benützung sei daher ohne Führerschein gestattet, die Führerscheinklausel gelte aber auch für derartige Verkehrsflächen, weil das Fahren ohne Führerschein in der Regel auch auf einer Straße ohne öffentlichen Verkehr eine Gefahrenerhöhung bedeute.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger nur noch hinsichtlich des Leistungsbegehrens erhobenen Berufung Folge und änderte das Ersturteil in diesem Umfang im Sinne der Klage ab. Es billigte die Rechtsansicht, daß der Verkehrsübungsplatz keine Straße mit öffentlichem Verkehr sei und die Mutter des Klägers daher den PKW ohne Führerschein lenken durfte. Es liege aber keine erhebliche Gefahrerhöhung nach § 23 VersVG vor, so daß der Versicherungsnehmer nach der Übung des redlichen Verkehrs ableiten durfte, der Versicherer habe die mit der bloß unerheblichen Erhöhung der Gefahr verbundenen Risken übernommen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und stellte das Ersturteil hinsichtlich des Leistungsbegehrens wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Art. 6 Abs. 1 lit. b der Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfallversicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern (AKIB) bestimmt als Obliegenheit, die zum Zwecke der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist und deren Verletzung im Zeitpunkt des Schadensereignisses nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 VersVG 1958 die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt, daß der Lenker eine Lenkerberechtigung für die Gruppe besitzt, in die das Fahrzeug fällt. Die besonders geregelten Ausnahmen der unverschuldeten Annahme, daß der Lenker die Lenkerberechtigung besitzt, oder der Schwarzfahrt kommen hier mangels eines entsprechenden Parteivorbringens nicht in Betracht.

Entgegen der Annahme des Berufungsgerichtes ist die im Wege der AKIB vereinbarte Obliegenheitsverletzung der Prüfung entzogen, ob eine Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 VersVG vorliegt. § 32 VersvG bestimmt nämlich ausdrücklich, daß eine Vereinbarung, durch welche der Versicherungsnehmer bestimmte Obliegenheiten zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder zum Zweck der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr übernimmt, durch die Vorschriften dieses(nämlich des zweiten) Kapitels (ab § 16 VersVG) nicht berührt wird. Die allgemeinen Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes über die Gefahrerhöhung gelten daher nicht, sofern es sich um die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen abschließend geregelten Sonderfälle vereinbarter vorbeugender Obliegenheiten handelt (vgl. sinngemäß Stiefel - Wussow, Kraftfahrversicherung[7], 94). Dem steht auch nicht entgegen, daß § 34a VersVG u. a. den § 29 für einseitig zwingend erklärt. Zunächst kommt der Rechtssatz nicht zur Anwendung, daß das spätere Gesetz dem früheren derogiert, weil der genannte erste Satz des § 34a neuer Fassung (Verordnung 1939) dem § 31 alter Fassung entspricht (Bruck - Möller, VVG[8] I 411, 447). § 32 VersVG stellt somit klar, daß die dort ermöglichte vertragliche Ausweitung der gesetzlichen Obliegenheiten der §§ 23 und 27 Abs. 2 nicht dem § 34a erster Satz widerspricht. Es können daher vorbeugende Obliegenheiten zusätzlich vereinbart werden. Die Vertragsfreiheit ist bloß hinsichtlich der Rechtsfolgen der Verletzung solcher Obliegenheiten stark eingeschränkt, insbesondere dürfen die zwingenden Normen des § 6 VersVG nicht umgangen werden Bruck - Möller, 411 oben; vgl. auch Prölss - Martin VVG[9], 196. und 789). Die Richtigkeit dieser Ansicht ergibt sich schließlich auch daraus, daß § 29 VersVG nur die - unerhebliche - Erhöhung der Gefahr betrifft, während vorbeugende Obliegenheiten nach § 32 VersVG zum Zweck der Verminderung der Gefahr vereinbart werden können und die Führerscheinklausel ein solcher Fall ist (BGH VersR 1960, 590; die dortige Rechtsansicht, daß die Leistungsfreiheit selbst bei einer erst nach dem Versicherungsfall bekanntgewordenen Obliegenheitsverletzung eine Kündigung nach § 6 Abs. 1 VersvG voraussetze, widerspricht allerdings der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (z. B. SZ 40/46), Zu prüfen ist daher nicht, ob das Fahren ohne Führerschein auf einem Verkehrsübungsplatz eine Gefahrerhöhung darstellt, sondern bloß, ob die wirksam vereinbarte Obliegenheit verletzt wurde. Dies ist mit dem Erstrichter zu bejahen. Da die Mutter des Klägers unbestrittenermaßen gar keine Lenkerberechtigung besaß, ist eine Zuwiderhandlung gegen den Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 lit. b AKIB zweifelhaft. Der Erstrichter hat auch zutreffend erkannt, daß in den österreichischen AKIB eine Einschränkung der Führerscheinklausel auf den öffentlichen Verkehr, wie sie in der deutschen AKB im Jahre 1970 ausdrücklich eingeführt wurde, fehlt. In den AKIB wird auch nicht (mehr) auf den Besitz der "vorgeschriebenen" Fahrerlaubnisabgestellt, sondern auf den der (allgemeinen) Lenkerberechtigung für die Fahrzeuggruppe. Es ist allerdings nicht erkennbar, aus welchem Gründe die Verfasser der AKIB - anscheinend in Anlehnung an die gleichlautende Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB 1967 - vom Erfordernis der vorgeschriebenen Fahrerlaubnis abgegangen sind. Möglicherweise wurde im neuen Wortlaut eine inhaltliche Änderung nicht erkannt (vgl. 186 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, XI. GP, 103, und Lorenz - Lieburnau VR 1968, 106). Wurde aber schon nach dem alten Wortlaut die Führerscheinklausel von der herrschenden Meinung auch auf die Benützung von Kraftfahrzeugen auf Privatgrundstücken angewendet (Pienitz AKB[2], 99 und Prölss - Martin[18], 770 mit Zitaten der Rechtsprechung), so läßt der neue Wortlaut der österreichischen AKIB eine andere Auslegung umso weniger zu. Es kommt danach nicht darauf an, ob der Fahrer im Einzelfall ohne Lenkerberechtigung fahren durfte, sondern ob er die für die betreffende Gruppe von Fahrzeugen erforderliche Lenkerberechtigung besaß. Diese Auslegung nach dem Wortsinn ist auch mit dem zu vermutenden Zweck der Bestimmung im Einklang, ungeprüften und deshalb in der Regel ungeübten Fahrern das Risiko für eine Beschädigung des eigenen Fahrzeuges nicht auf Kosten der Gemeinschaft der übrigen Kaskoversicherten abzunehmen.

Die Rechtslage in der Pflichtversicherung nach den AKHB, die sich anders als das Vertragsrecht der AKIB im Rahmen der Verordnungsermächtigung des § 60 KFG zu halten hatten, bedarf keiner vergleichenden Prüfung (immerhin wird diesbezüglich auf dem Verkehrsübungsplatz eine Zusatzversicherung abgeschlossen), zumal die Interessenlage in den beiden Versicherungszweigen verschieden ist. Auch der Sonderfall des von einem Fahrlehrer oder einer hiezu ermächtigten Person beaufsichtigten Fahrschülers nach den §§ 108 und 122 KFG ist nicht zu untersuchen. Die Entscheidung SZ 42/71 betrifft einen solchen anders gelagerten Fall, in dem die Leistungsfreiheit auch nicht aus der Führerscheinklausel abgeleitet wurde.

Der Kläger hätte demnach die Leistungsfreiheit des Versicherers nur durch den Beweis nach § 6 Abs. 2 VersvG widerlegen können, daß die Verletzung der Obliegenheit keinen Einfluß auf den Eintritt des vorliegenden Versicherungsfalles oder den Umfang der dem Versicherer hier obliegenden Leistung gehabt habe. Einen solchen Beweis hat der Kläger mangels konkreter Behauptung nicht einmal anzutreten versucht (SZ 40/46), obwohl naheliegt, daß der Unfall durch mangelnde Fahrpraxis, wie sie in der Regel dem Fahlen der Lenkerberechtigung entspricht, zumindest begünstigt wurde. Unerörtert kann bei dieser Rechtslage bleiben, ob der Verkehrsübungsplatz eine Straße mit öffentlichem Verkehr und ob das Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne Führerschein dort erlaubt ist.

In Stattgebung der begrundeten Revision war daher das Ersturteil wiederherzustellen.