OGH vom 01.09.2009, 5Ob162/09y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Roch und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache 1.) der klagenden Partei Ing. Peter T 2.) der klagenden und gefährdeten Partei Ing. Stefanie T*****, beide vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei und den Gegner der gefährdeten Partei Paul T*****, vertreten durch DDr. Fürst Rechtsanwalts GmbH in Mödling, wegen 2.000 EUR sA und Unterlassung (Streitwert 5.000 EUR) und einstweiliger Verfügung (Streitwert 5.000 EUR), über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 35 R 175/09h-22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom , GZ 3 C 863/08z-12, abgeändert wurde, nachstehenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs der gefährdeten Partei wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass nachstehende
einstweilige Verfügung
erlassen wird:
Zur Sicherung des Anspruchs der gefährdeten Partei auf Erhaltung ihrer körperlichen Integrität wird dem Gegner der gefährdeten Partei bei sonstiger Exekution verboten, das Stiegenhaus des Hauses ***** in ***** werktags in der Zeit von 7 - 19 Uhr zu betreten, sich während dieser Zeit in der Umgebung des bezeichneten Hauses aufzuhalten, und zwar in der ***** zwischen der ***** und der *****, und an allen übrigen Orten zu jeder Zeit einen Abstand von mindestens 10 m zur gefährdeten Partei einzuhalten.
Dieses Verbot gilt bis .
Das Begehren, mit der Durchsetzung dieser Verbote die Sicherheitsbehörde zu beauftragen, sowie das Mehrbegehren werden abgewiesen.
Die gefährdete Partei hat sämtliche Kosten des Provisorialverfahrens erster, zweiter und dritter Instanz vorläufig selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die gefährdete Partei (in der Folge Zweitklägerin) ist Angestellte der Baumeister T***** GmbH, die im Haus ***** ihre Büroräumlichkeiten hat.
Der Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge der Beklagte) bewohnt eine Wohnung im selben Stockwerk. Wegen dieser räumlichen Nähe treffen die Zweitklägerin und der Beklagte, die zueinander im Verwandtschaftsverhältnis Cousin-Cousine stehen, immer wieder aufeinander.
Mehrmals kam es bei solchen Zusammentreffen zu Zwischenfällen, bei denen der Beklagte die Zweitklägerin geschlagen, beschimpft und verletzt hat. Im Verfahren 3 C 1250/07k des Bezirksgerichts Liesing wurde der Beklagte rechtskräftig zur Zahlung eines Schmerzengeldbetrags von 350 EUR verpflichtet, weil er die Zweitklägerin durch das Versetzen von Schlägen ins Gesicht am verletzt hat. Die Zweitklägerin ist durch die Angriffe gegen sie psychisch angeschlagen und beeinträchtigt.
Mit der gegenständlichen Klage begehrt sie, den Beklagten für schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, sie tätlich anzugreifen, dabei zu misshandeln und/oder zu verletzen, dem Beklagten zu verbieten, sich ihr auf weniger als 10 m zu nähern und ihn für schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, das Stiegenhaus des Hauses ***** zu betreten und sich in der ***** aufzuhalten. Gleichzeitig wird die Zuerkennung eines Schmerzengeldbetrags von 2.400 EUR für Verletzungen begehrt, die ihr der Beklagte anlässlich eines Vorfalls am im Haus zugefügt habe.
Mit dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die primär auf § 382g EO idF vor dem 2. GeSchG gestützt wird, begehrt die Klägerin, dem Beklagten zu verbieten, sich im Stiegenhaus des bezeichneten Hauses aufzuhalten sowie in der ***** aufzuhalten bzw dieses oder diese zu betreten und darüber hinaus den Beklagten aufzutragen, jedes Zusammentreffen mit ihr zu vermeiden. Beantragt wurde, mit der Durchsetzung des Verbots die Sicherheitsbehörde zu beauftragen. Befristet wurde der Antrag für die Zeit bis .
Der Beklagte bestritt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und brachte vor, sein Wohnbedürfnis im Haus zu befriedigen. Er sei daher nicht in der Lage, das Unterlassungsgebot zu erfüllen.
Das Erstgericht erließ die begehrte einstweilige Verfügung ausgehend von dem oben wiedergegebenen Sachverhalt und stützte sich dabei auf die Bestimmung des § 382g EO. Die Zweitklägerin sei durch die Handlungsweise des Beklagten in ihrer Lebensführung durch Eingriff in ihre Privatsphäre unzumutbar beeinträchtigt, weil sie seit längerer Zeit das Haus, in dem sie arbeite, nicht mehr ungestört und angstfrei betreten und benützen könne.
Einem dagegen vom Beklagten erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz Folge und wies den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab.
Die Bestimmung des § 382g EO (idF vor dem 2. GeSchG) sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar. Diese Bestimmung habe den Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre zum Inhalt, wohingegen § 382b EO die körperliche Integrität nur bestimmter naher Angehöriger schütze. Eine solche Angehörigeneigenschaft bestehe zwischen den Streitteilen nicht.
Nach allgemeiner Auffassung seien die im StRÄG 2006 enthaltenen straf- und zivilrechtlichen Bestimmungen speziell auf das sogenannte „Stalking" bezogen, worunter die von der Zweitklägerin geltend gemachte Gewaltanwendung des Beklagten nicht falle. Der Begriff der „Privatsphäre" der §§ 16, 1328a ABGB umfasse nicht den Schutz der körperlichen Integrität, die eine besondere Erscheinungsform der Privatsphäre im Sinn von § 382g EO sei.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht jedoch 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu vorliege, ob Gewalt im Sinn von § 382b Abs 1 und 2 EO (idF vor dem 2. GeSchG) dem Eingriff in die Privatsphäre des § 382g EO zu unterstellen sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Zweitklägerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag an das Gericht zweiter, in eventu erster Instanz gestellt.
Der Beklagte beantragte, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Zweitklägerin ist aus dem vom Rekursgericht bezeichneten Grund zulässig.
Der Revisionsrekurs ist im Ergebnis auch berechtigt.
Obwohl die Zweitklägerin ihr Begehren auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung primär auf die Bestimmung des § 382g EO (hier idF vor dem 2. GeSchG) gestützt hat, hat sie doch mehrfach klargestellt, dass auch die Voraussetzungen des § 381 Z 2 EO erfüllt seien, weil die Beeinträchtigung ihrer Persönlichkeitsrechte, nämlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit einen derartigen Unterlassungsanspruch begründe.
Ganz zutreffend hat das Rekursgericht erkannt, dass die Bestimmung des § 382g EO idF vor dem 2. GeSchG keine geeignete Grundlage zur Durchsetzung des hier verletzten Persönlichkeitsrechts auf körperliche Integrität bildet. Schutzobjekt dieser Bestimmung war die Privatsphäre des Opfers. Der Gesetzgeber des StRÄG 2006 (BGBl I 56/2006) hat sich im Zusammenhang mit § 382g EO ausdrücklich auf die Bestimmungen der §§ 16 und 1328a ABGB als materiell-rechtliche Grundlage des Schutzes der Privatsphäre bezogen, wobei den Materialien zum StRÄG 2006 zu entnehmen ist, dass der Privatsphärebegriff des § 382g EO mit jenem des § 1328a ABGB identisch sein sollte. Aus der RV zu § 1328a ABGB idF ZivRÄG 2004 ist wiederum abzuleiten, dass die dort angesprochene Privatsphäre zwar dem Bereich der Persönlichkeitsrechte zuzuordnen ist, der Gesetzgeber aber das Recht auf Achtung der Privatsphäre vom Recht auf körperliche Unversehrtheit unterscheidet und abgrenzt (s RV zum ZivRÄG 2004 173 der Beilagen XXII. GP S 5, 15 f, 17). Auch in der Literatur wird die Privatsphäre, die durch § 1328a ABGB geschützt wird, nicht so verstanden, dass darunter auch die körperliche Unversehrtheit fallen würde (vgl Rummel3 Rz 3 zu § 1328a ABGB; KBB2 Rz 4 zu § 1328a ABGB;Markowetz/Steininger JAB 2007/2008/8; Angst2 Rz 2 ff zu § 382g EO;Hager-Rosenkranz EF-Z 2006/65; Graf in Zak 2006, 206).
Jedenfalls ist durch die nunmehrige Einführung eines „allgemeinen Gewaltschutzes" durch das 2. GeSchG klargestellt, dass Gewaltanwendung von der Verletzung der Privatsphäre zu unterscheiden ist, indem nunmehr § 382e EO, überschrieben mit „Allgemeiner Schutz vor Gewalt", eine Sonderdurchsetzungsnorm für Angriffe gegen die körperliche Integrität schafft. Auf den gegenständlichen Fall ist diese Bestimmung, die erst für Anträge nach dem (§ 413 EO idF des 2. GeSchG) in Betracht kommt, nicht anwendbar (der gegenständliche Antrag wurde am eingebracht). Der bisher nur einem familiär definierten Personenkreis zukommende Schutz des § 382b EO sollte damit zu einem allgemeinen Gewaltschutz erweitert werden (vgl Thoma-Twaroch, Umgang mit Gewalt, FamZ 2008, 331; Hager-Rosenkranz, Das 2. GeSchG 2009 - Änderungen im zivilgerichtlichen Verfahren, ecolex 2009, 560; JAB zum 2. GeSchG, 106 der Beilagen XXIV. GP S 11).
Vor Inkrafttreten dieser Bestimmung wurde von höchstgerichtlicher Rechtsprechung die Bestimmung des § 382b EO als lex specialis angesehen, deren Schutz nicht jedermann zur Verfügung stand, der außerhalb des Familienbereichs Schutz vor Gewalt suchte (vgl RIS-Justiz RS0114306).
Das Rekursgericht hat allerdings übersehen, dass schon bisher das aus den Bestimmungen des StGB, aus Art 2 MRK und aus § 16 ABGB abgeleitete Persönlichkeitsrecht auf körperliche Unversehrtheit zivilrechtliche Ansprüche, insbesondere auch einen nach § 381 Z 2 EO sicherbaren Unterlassungsanspruch auslöste (vgl RIS-Justiz RS0008994; RS0114307; RS0008999 ua). Dass die Klägerin ihren Antrag auch darauf gestützt hat, wurde schon oben ausgeführt.
Die Voraussetzungen des § 381 Z 2 EO liegen vor. Durch die festgestellten, wiederholten Gewaltanwendungen des Beklagten gegen die Zweitklägerin ist die Erlassung einer Verfügung im Sinn des § 381 Z 2 EO zur Verhütung weiterer drohender Gewalt, im Besonderen von Körperverletzungen notwendig. Die bereits erfolgte Beeinträchtigung des Anspruchs auf körperliche Unversehrtheit der Zweitklägerin und die weiterbestehende räumliche Nähe des Beklagten zur Arbeitsstätte der Zweitklägerin machen es erforderlich, den gegenwärtigen Zustand gegen drohende Gewalt, im Besonderen Körperverletzungen der Klägerin zu sichern. Die Zweitklägerin ist der sie treffenden Behauptungslast ausreichend nachgekommen (vgl RIS-Justiz RS0005311). Das befristete Unterlassungsverbot nimmt das Prozessergebnis nicht vorweg, weil es nur zeitlich beschränkt ist (vgl RIS-Justiz RS0004920 [T3]). Die von der Zweitklägerin begehrten Verbote im Sinn des § 382 Z 5 EO erscheinen geeignet, weitere drohende Gewalt zu verhüten.
Durch die Befristung und zeitliche Einschränkung des Betretungsverbots, das zur vollen Erreichung des Sicherungszwecks erforderlich ist (vgl RIS-Justiz RS0014292), wird weder der angestrebten endgültigen Entscheidung vorgegriffen noch nachhaltig eine nicht zu rechtfertigende Interessenbeeinträchtigung des Beklagten bewirkt.
In diesem Sinn war daher die begehrte Verfügung zu erlassen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 383 Abs 1 EO.