OGH vom 09.10.2014, 6Ob111/14p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der Eintragungswerberin T***** GmbH, FN *****, mit dem Sitz in Wien und der Geschäftsanschrift *****, vertreten durch Dr. Rupert Brix, Notar in Wien, aus Anlass des Revisionsrekurses der Eintragungswerberin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 28 R 135/14z 7, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 74 Fr 3035/14b 3, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B VG (Art 140 B VG) an den Verfassungsgerichtshof den
Antrag ,
a) in § 6 Abs 1 und in § 54 Abs 3 GmbHG in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2014 (AbgÄG 2014, BGBl I 2014/13) jeweils den Betrag „35.000“,
b) in § 10 Abs 1 GmbHG in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2014 (AbgÄG 2014, BGBl I 2014/13) den Betrag „17.500“ und
c) § 10b GmbHG in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2014 (AbgÄG 2014, BGBl I 2014/13)
als verfassungswidrig aufzuheben.
An Stelle der unter a) und b) genannten Beträge mögen wieder die davor geltenden Beträge laut der Fassung des Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2013 (GesRÄG 2013, BGBl I 2013/109), nämlich in § 6 Abs 1 und § 54 Abs 3 GmbHG „10.000“ und in § 10 Abs 1 GmbHG „5.000“ in Geltung gesetzt werden.
Gemäß § 62 Abs 3 VfGG wird mit der Fortführung des Verfahrens bis zur Zustellung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.
Text
Begründung:
Dr. T***** B***** beantragte am als Geschäftsführer der T***** GmbH beim Erstgericht deren Neueintragung. Das Stammkapital wurde mit 10.000 EUR angemeldet.
Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Es begründete seine Abweisung damit, dass das Stammkapital gemäß § 6 GmbHG mindestens 35.000 EUR erreichen müsse und Dr. T***** B***** in einem Begleitschreiben mitgeteilt habe, er wolle das Gründungsprivileg nach § 10b GmbH bewusst nicht in Anspruch nehmen, da er die geltende Gesetzeslage für verfassungswidrig halte.
Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluss. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, die ohnehin in ihrer Belastung mit einem Zeitraum von zehn Jahren abgefederte Rückführung des Stammkapitals auf wiederum mindestens 35.000 EUR gemäß § 10b Abs 5 GmbHG wie es durch einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren Bestand des österreichischen GmbH Rechts gewesen sei nach einem Zeitraum von nur acht Monaten sei kein verfassungsrechtlich bedenklicher Schritt. Ob und welche Motive dabei in den Materialien für diesen Schritt genannt seien, spiele schon vor dem Hintergrund tatsächlich bestehender und beachtenswerter Gläubigerschutzerwägungen keine Rolle. Dem Gesetzgeber müsse es auch unbenommen bleiben, Schritte, die als nicht zielführend oder notwendig erkannt worden seien, wieder rückgängig zu machen. Im vorliegenden Fall sei ein Zeitraum von zehn Jahren bis zur Rückführung zur Verfügung gestellt worden. Neugründungen würden damit immer noch begünstigt. Alle GmbHs müssten aber in zehn Jahren über ein Mindeststammkapital von 35.000 EUR verfügen. Eine weitergehende Entkapitalisierung bereits bestehender GmbHs sei gestoppt worden. Angesichts der langen Geltung des Erfordernisses von 35.000 EUR könne durch die bereits nach kurzem Zeitraum wieder erfolgende Anhebung auf genau den durch mehr als 20 Jahre in allen Kreisen fest verankerten Betrag keine unverhältnismäßige Regelung erkannt werden.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil von der Neuregelung eine Vielzahl von zu gründenden Gesellschaften betroffen sei und eine Auseinandersetzung des Obersten Gerichtshofs mit etwaigen von ihm gehegten verfassungsrechtlichen Bedenken fehle.
Die Revisionsrekurswerberin regt wie schon in ihrem Rekurs gegenüber dem Rekursgericht an, der Oberste Gerichtshof möge an den Verfassungsgerichtshof den Antrag stellen, die in den §§ 6, 10 und 54 GmbHG in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2014 (AbgÄG 2014, BGBl I 2014/13) lautenden Beträge von 35.000 bzw 17.500 EUR als verfassungwidrig aufzuheben und statt dessen die in diesen Bestimmungen in der Fassung des Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2013 (GesRÄG 2013, BGBl I 2013/109) lautenden Beträge 10.000 bzw 5.000 EUR wieder in Kraft treten zu lassen. Die Revisionsrekurswerberin führt dazu einige Argumente ins Treffen.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat dazu Folgendes erwogen:
1. Gesetzliche Grundlagen:
1.1. Mit der GmbH-Novelle 1980 (BGBl 1980/320) wurde in § 6 Abs 1 GmbHG das bis dahin geltende Mindeststammkapital von 100.000 ATS auf 500.000 ATS und in § 10 Abs 1 GmbHG die Mindesteinzahlung auf bar zu leistende Einlagen auf 250.000 ATS erhöht. In den erläuternden Bemerkungen (RV 5 BlgNR 15. GP 5 f) wird dazu angemerkt, dass die bis dahin geltenden Mindestbeträge für das Stammkapital (in der Regel 100.000 ATS) infolge der Geldwertverdünnung zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger und zur Wahrung der Kapitalgrundlage der Gesellschaften nicht mehr ausreiche.
1.2. Von bis lauteten § 6 Abs 1 und § 10 Abs 1 GmbHG in der Fassung des 1. Euro Justiz-Begleitgesetzes (BGBl I 1998/125):
„ § 6. (1) Stammkapital und Stammeinlage müssen auf einen in Euro bestimmten Nennbetrag lauten. Das Stammkapital muss mindestens 35 000 Euro erreichen und besteht aus den Stammeinlagen der einzelnen Gesellschafter, deren jede mindestens 70 Euro betragen muss.“
„ § 10 (1) Auf jede bar zu leistende Stammeinlage muss mindestens ein Viertel, jedenfalls aber ein Betrag von 70 Euro eingezahlt sein; soweit auf eine Stammeinlage weniger als 70 Euro bar zu leisten sind, muss die Bareinlage voll eingezahlt sein. Auf die bar zu leistenden Einlagen müssen mindestens insgesamt 17 500 Euro eingezahlt sein; sind sie gemäß § 6a Abs. 2 bis 4 niedriger, müssen sie bar voll eingezahlt sein. Insofern auf eine Stammeinlage nach dem Gesellschaftsvertrag die Vergütung für übernommene Vermögensgegenstände angerechnet werden soll, muss die Leistung sofort im vollen Umfang bewirkt werden.“
Mit der Umstellung der Schillingbeträge auf Eurobeträge war somit im Wesentlichen keine Veränderung der Höhe der Mindestkapitalaufbringung bei der GmbH verbunden, es wurden die umgerechneten Eurobeträge nur geringfügig auf runde Beträge abgerundet.
1.3. Mit dem Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetz 2013 (BGBl I 2013/109 GesRÄG 2013) wurden mit Wirksamkeit ab der Betrag in § 6 Abs 1 und § 54 Abs 3 GmbHG von 35.000 durch den Betrag 10.000 und in § 10 Abs 1 GmbHG der Betrag 17.500 durch 5.000 ersetzt.
In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 2356 BlgNR 24. GP 1) wird durchaus gesehen, dass sich durch die Absenkung des Mindeststammkapitals die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer reduzieren werden. Weiters wird ausgeführt:
„Es besteht mittlerweile weitgehende Einigkeit darüber, dass das Mindeststammkapital weil es eine abstrakte, nicht auf den Einzelfall abgestimmte Größe ist keine dem Betrieb angemessene Kapitalausstattung garantiert und als Haftungsfonds im Krisenfall meist nicht mehr zur Verfügung steht, somit Gläubigerschutzzwecke nur eingeschränkt erfüllen kann. Darüber hinaus hat die wirtschaftliche Entwicklung insbesondere im Dienstleistungssektor zur Entstehung wenig betriebsmittel- und kapitalintensiver Unternehmensfelder geführt. Dem Mindeststammkapital kommt jedoch nach wie vor erhebliche Bedeutung als individuelle und für die Rechtsform der GmbH allgemein wichtige Seriositätsschwelle zu (…). Es stellt der Gesellschaft auch einen Kapitalpolster zur Verfügung, der deren Überschuldung bereits bei Unternehmensgründung verhindert und erste Anfangsverluste abfedern kann. Darüber hinaus soll der Zugang zur Haftungsbeschränkung der GmbH nicht allzu leicht ermöglicht werden. Leichtfertige und möglicherweise wenig erfolgversprechende Gründungen sollen verhindert werden.
Der erwünschten Erleichterung des Zugangs zur Rechtsform der GmbH steht somit die Notwendigkeit der Beibehaltung einer gewissen Seriositätsschwelle gegenüber. Auch für letztere lässt sich keine allgemein gültige, für alle Fälle adäquate Größe nennen. Ein Rechtsvergleich zeigt jedoch, dass ein Betrag von 10 000 Euro eine solche sinnvolle und wirksame Seriositätsschwelle sein kann.“ (aaO 13)
Zur Änderung des Betrags in § 54 Abs 3 GmbHG führen die Materialien aus:
„Da das Mindeststammkapital in Hinkunft nur mehr 10 000 Euro betragen soll, kann auch eine Herabsetzung des Stammkapitals bis zu diesem Betrag erfolgen. Diese Möglichkeit soll unter den sonstigen Voraussetzungen der §§ 54 ff. GmbHG auch Gesellschaften offen stehen, die bereits vor Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gegründet wurden, weil eine auf neu gegründete Gesellschaften beschränkte Regelung wohl verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt wäre.“ (aaO 15)
1.4. Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2014 (BGBl I 2014/13 AbgÄG 2014) wurden mit Wirksamkeit die durch das GesRÄG 2013 in den §§ 6, 10 und 54 GmbHG herabgeminderten Beträge wieder auf diejenigen vor dem GesRÄG 2013 hinaufgesetzt. Das Mindeststammkapital beträgt seither wieder 35.000 EUR.
Überdies wurde mit dem AbgÄG 2014 folgende Regelung neu eingeführt:
„Gründungsprivilegierung
§ 10b (1) Im Gesellschaftsvertrag, nicht jedoch durch eine Abänderung des Gesellschaftsvertrags (§ 49), kann vorgesehen werden, dass die Gesellschaft die Gründungsprivilegierung nach Maßgabe der folgenden Absätze in Anspruch nimmt.
(2) Im Gesellschaftsvertrag ist für jeden Gesellschafter auch die Höhe seiner gründungsprivilegierten Stammeinlage festzusetzen, die nicht höher als die jeweils übernommene Stammeinlage sein darf. Die Summe der gründungsprivilegierten Stammeinlagen muss mindestens 10.000 Euro betragen.
(3) Auf die gründungsprivilegierten Stammeinlagen müssen abweichend von § 10 Abs. 1 insgesamt mindestens 5.000 Euro bar eingezahlt werden. Sacheinlagen sind ausgeschlossen.
(4) Während aufrechter Gründungsprivilegierung sind die Gesellschafter abweichend von § 63 Abs. 1 nur insoweit zu weiteren Einzahlungen auf die von ihnen übernommenen Stammeinlagen verpflichtet, als die bereits geleisteten Einzahlungen hinter den gründungsprivilegierten Stammeinlagen zurückbleiben. Dies gilt auch für den Fall, dass während aufrechter Gründungsprivilegierung ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wird.
(5) Die Gründungsprivilegierung gemäß Abs. 2 bis 4 kann durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrags beendet werden, wobei vor Anmeldung der Änderung zum Firmenbuch (§ 51) die Mindesteinzahlungserfordernisse nach § 10 Abs. 1 zu erfüllen sind. Ansonsten endet die Gründungsprivilegierung spätestens zehn Jahre nach der Eintragung der Gesellschaft im Firmenbuch. Die Eintragungen betreffend die Gründungsprivilegierung im Firmenbuch (§ 5 Z 2a und 6 FBG) können erst entfallen, wenn zuvor die Mindesteinzahlungserfordernisse nach § 10 Abs. 1 erfüllt wurden.“
In § 11 GmbHG wurde durch das AbgÄG 2014 der Satz :
„Gegebenenfalls sind auch die Inanspruchnahme der Gründungsprivilegierung nach § 10b und die Höhe der für die einzelnen Gesellschafter festgesetzten gründungsprivilegierten Stammeinlagen einzutragen.“
hinzugefügt.
In den erläuternden Bemerkungen heißt es zu dieser Novelle:
„Aus steuerrechtlichen Erwägungen (siehe S. 105 des Regierungsprogramms für die XXV. Gesetzgebungsperiode) erscheint es geboten, das Mindeststammkapital der GmbH wieder auf den bis Mitte 2013 geltenden Betrag von 35 000 Euro zu erhöhen. Auch der gemäß § 10 Abs. 1 auf die Bareinlagen mindestens einzuzahlende Betrag soll sofern die Gesellschaft nicht die Gründungsprivilegierung nach dem vorgeschlagenen § 10b in Anspruch nimmt wieder 17 500 Euro betragen.
Durch diese Maßnahmen kann der in der Regierungsvorlage zum GesRÄG 2013 (RV 2356 XXIV. GP) prognostizierte Steuerausfall (Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer) vermieden und gleichzeitig eine günstige Gründungsmöglichkeit aufrechterhalten werden.“ (ErläutRV 24 BlgNR 25. GP 27)
Zur „Gründungsprivilegierung“ des § 10b GmbHG heißt es in der Materialien:
„Damit die Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung auch für Unternehmer mit geringen finanziellen Möglichkeiten attraktiv bleibt, soll es in der auf maximal zehn Jahre befristeten (vgl. Abs. 7) Anfangsphase der unternehmerischen Tätigkeit möglich sein, durch entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag Erleichterungen hinsichtlich des einzuzahlenden Betrags und der Verpflichtung zur Einzahlung weiterer Stammeinlagen in Anspruch zu nehmen.“ (aaO)
Auf Seite 105 des Regierungsprogramms für die XXV. Gesetzgebungsperiode heißt es:
„die Kapitalherabsetzung von GmbHs soll steuerlich nicht gefördert werden, da eine Verschlechterung der Eigenkapitalbasis nicht Ziel der »GmbH light« Reform war. Daher Auffüllungsverpflichtung für jene mit Kapitalherabsetzung mit zukünftigen Gewinnen und für alle Neugründungen. »GmbH light« nur noch für Neugründungen;“
2. Verfassungsrechtliche Bedenken:
Der Rechtsmittelwerber hat in seinem Rekurs und im Revisionsrekurs folgende auch vom erkennenden Senat geteilte Bedenken geäußert, die seit dem AbgÄG 2014 geltende Gesetzeslage könnte gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art 2 StGG, Art 7 Abs 1 B VG):
2.1. Mit der „Gründungsprivilegierung“ gemäß § 10b GmbHG erlaubt der Gesetzgeber die Gründung einer GmbH mit jener Kapitalausstattung, wie sie die Eintragungswerberin aufweist (Stammkapital 10.000 EUR, davon eingezahlt 5.000 EUR). Dennoch verlangt das Gesetz auch für gründungsprivilegierte GmbHs formell die Einhaltung des Mindeststammkapitals von 35.000 EUR, das aber bis längstens zehn Jahre nach der Eintragung faktisch keine Bedeutung, nicht einmal in der Insolvenz der Gesellschaft (§ 10b Abs 4 GmbHG), hat, sofern die Gesellschafter nicht schon früher freiwillig das volle Stammkapital von 35.000 EUR einzahlen. Das Stammkapital von 35.000 EUR hat daher für die zehn Jahre der Gründungsprivilegierung tatsächlich keinen realen Gehalt und steht nur auf dem Papier (vgl H. Herda , GmbH „light“ - Die Reform der Reform, wbl 2014, 361 [367: „Die Summe der gründungsprivilegierten Stammeinlagen bildet für max 10 Jahre nur de facto das Stammkapital“]). Dann aber erscheint es sachlich nicht gerechtfertigt, bei gründungsprivilegierten GmbHs de facto nur für das Steuerrecht vom Stammkapital 35.000 EUR auszugehen, kann doch durch die Rückführung des Mindeststammkapitals auf 35.000 EUR nach den zitierten erläuternden Bemerkungen der zum GesRÄG 2013 prognostizierte Steuerausfall bei der Körperschaftssteuer und der Kapitalertragsteuer vermieden werden (zu den steuerrechtlichen Auswirkungen der Novellen vgl H. Herda , aaO 366 f).
2.2. Zutreffend verweist die Rechtsmittelwerberin darauf, dass empirisch belegt ist, dass die meisten Insolvenzen bei Unternehmen in den ersten Jahren nach der Gründung eintreten. So schreibt der Kreditschutzverband von 1870 in seinem Bericht über die Unternehmensinsolvenzen für das Jahr 2013, dass von allen 2013 eingetretenen Insolvenzen 24 % Unternehmen ab dem Gründungsjahr 2010, 31 % Unternehmen von den Gründungsjahren 2005 bis 2009, also allein in den ersten neun Jahren somit 55 % betroffen waren. Je älter die Unternehmen waren, desto geringer ist die Zahl der Insolvenzen (in diesem Sinn auch H. Herda aaO 367).
Nach den zitierten erläuternden Bemerkungen zum GesRÄG 2013 kann das Mindeststammkapital Gläubigerschutzzwecke nur eingeschränkt erfüllen. Darüber hinaus habe die wirtschaftliche Entwicklung insbesondere im Dienstleistungssektor zur Entstehung wenig betriebsmittel- und kapitalintensiver Unternehmensfelder geführt.
Daher setzte der Gesetzgeber des GesRÄG 2013 das Mindeststammkapital auf 10.000 EUR herab.
Es ist in der Tat nicht zu sehen, dass sich bereits acht Monate nach Inkrafttreten des GesRÄG 2013, nämlich im Zeitpunkt des Inkrafttretens des AbgÄG 2014 am , die Verhältnisse so grundlegend geändert hätten, dass nunmehr wieder entgegen den dargelegten Erwägungen des Gesetzgebers des GesRÄG 2013 ein höheres Stammkapital von Nöten sei. Die Rückkehr zum früheren Mindeststammkapital von 35.000 EUR kann daher möglicherweise sachlich nicht gerechtfertigt sein. Dazu kommt, dass es bei Betrachtung der empirischen Verhältnisse der dargestellten Insolvenzstatistik gerade dann, wenn die besonders insolvenzgefährdeten ersten (zehn) Jahre nach der Gründung vorbei sind, sachlich nicht gerechtfertigt erscheint, die gründungsprivilegierten GmbHs dann zu einer Aufstockung ihres Stammkapitals auf das Dreieinhalbfache zu zwingen.
2.3. Bereits der Gesetzgeber des GesRÄG 2013 hatte wie sich aus den oben zitierten Materialien ergibt Bedenken, dass die Möglichkeit, Neugründungen von GmbHs mit einem Mindeststammkapital von 10.000 EUR zuzulassen und gleichzeitig aber für Altgesellschaften keine Möglichkeit, das Stammkapital (von mindestens 35.000 EUR) auf 10.000 EUR herabzusetzen, zuzulassen, verfassungswidrig sein könnte, weil es zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung von Alt- und Neugesellschaften käme. Deshalb entschloss sich der Gesetzgeber des GesRÄG 2013 dazu, in § 54 Abs 3 GmbHG den Betrag, auf den GmbHs, und zwar auch Altgesellschaften, die Kapitalherabsetzung durchführen können, auf 10.000 EUR abzusenken.
Durch das AbgÄG 2014 wurde das Mindeststammkapital, auf das das Stammkapital herabgesetzt werden kann, wieder auf 35.000 EUR erhöht. Dadurch entsteht aber im Endeffekt genau jene bedenkliche Ungleichbehandlung zwischen einerseits solchen GmbHs, die entweder zwischen und mit einem Stammkapital von 10.000 EUR gegründet wurden (und dieses Stammkapital bis beibehalten dürfen, vgl § 127 Abs 16 GmbHG idF des AbgÄG 2014) oder seit die Gründungsprivilegierung des § 10b GmbHG für zehn Jahre ab Eintragung in Anspruch nehmen können, und andererseits jenen Altgesellschaften, die zwischen und dem Inkrafttreten des GesRÄG 2013 () zwingend mit mindestens 35.000 EUR Stammkapital gegründet werden mussten und jetzt bis aber keine Möglichkeit mehr haben, das Stammkapital auf 10.000 EUR herabzusetzen oder die Gründungsprivilegierung des § 10b GmbHG in Anspruch zu nehmen.
Auch H. Herda aaO 365 meint, der Umstand, dass es derzeit und bis 2024 drei verschiedene „GmbH-Regime“ gebe, könne aus verfassungsrechtlicher Sicht nur als bedenklich eingestuft werden. Auch unter diesem Aspekt bestehen somit Bedenken, dass die geltende Rechtslage insoweit gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen könnte.
3.1. Das Rekursgericht hat verschiedene Autoren bzw Stellungnahmen, die sich mit dem GesRÄG 2013 und/oder dem AbgÄG 2014 im hier einschlägigen Aspekt befassen, zitiert ( Torggler in seiner Stellungnahme der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien [38/SN-500/ME XXIV. GP]; Schummer [Institut für Österreichisches und Internationales Unternehmens- und Wirtschaftsrecht, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Graz, 32/SN-500/ME XXIV. GP]; Dachorganisation ASB Schuldnerberatungen GmbH [7/SN 500/ME XXIV. GP]; Kreditschutzverband von 1870 [33/SN-500 ME XXIV. GP]; Schauer [139/SN-3/ME XXV. GP]; Hügel [71/SN-3/ME XXV. GP und 27/SN-500/ME XXV. GP]; Walch [Die gründungsprivilegierte GmbH nach dem Abgabenänderungsgesetz 2014, ecolex 2014, 335]; Kalss [Editorial GesRZ 2014, 1]).
Eine Auseinandersetzung mit diesen Stellungnahmen ist entbehrlich, weil sich keine einzige davon ausdrücklich mit der hier allein entscheidenden Frage befasst, ob gegen die Rechtslage nach dem AbgÄG 2014 verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.
3.2. H. Herda aaO 368 meint, verfassungsrechtlich besonders problematisch sei die Situation für vor dem gegründete GmbHs, wenn sie von der Möglichkeit der Kapitalherabsetzung auf 10.000 EUR nach dem GesRÄG 2013 Gebrauch gemacht hätten. Für sie steige die Mindest-KSt praktisch sofort wieder auf 1.750 EUR jährlich. Schließlich resümiert diese Autorin (aaO 369), es stelle sich häufig die Frage einer sachlichen Rechtfertigung für getroffene Regelungen. Besonders kritisch werde die Situation für gründungsprivilegierte GmbHs bei Ablauf der 10-Jahres-Frist, die Befristung sei willkürlich und sachlich nicht gerechtfertigt. Das Nebeneinander von drei verschiedenen „GmbH-Regimen“ könne nur als Sündenfall des Gesetzgebers bezeichnet werden, Rechtssicherheit und Vertrauensschutz blieben auf der Strecke. In vielen Bereichen stelle sich die Frage einer sachlichen Rechtfertigung, eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und letztendlich der Verfassungswidrigkeit.
4.1. Die angezogenen Gesetzesbestimmungen § 6 Abs 1 und § 10 Abs 1 GmbHG idF des AbgÄG 2014 sind für den vorliegenden Fall präjudiziell. Würde die Rechtslage nach dem GesRÄG 2013 gelten, stünde der Eintragung der Eintragungswerberin mit einem Stammkapital von 10.000 EUR kein Hindernis entgegen.
4.2. Die ebenfalls zur Aufhebung beantragte Gesetzesstelle in § 54 Abs 3 GmbHG sowie der gesamte § 10b GmbHG idF des AbgÄG 2014 sind hier zwar nicht anzuwenden, stehen aber mit den anderen präjudiziellen Gesetzesstellen in einem untrennbaren Zusammenhang, sodass sie nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ebenfalls präjudiziell sind ( Mayer , B VG 4 Art 89 II.2. lit c mwN).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0060OB00111.14P.1009.000