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OGH vom 20.11.2009, 1Ob191/09h

OGH vom 20.11.2009, 1Ob191/09h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadtgemeinde K*****, vertreten durch Dr. Simon Brüggl, Rechtsanwalt in Kitzbühel, gegen die beklagte Partei Johann K*****, vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, Entfernung und Unterlassung (Gesamtstreitwert: 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 127/09d-26, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Kitzbühel vom , GZ 3 C 296/08d-22, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

„1) Das Klagebegehren, es werde gegenüber der beklagten Partei festgestellt, dass zu Gunsten der klagenden Partei auf dem auf Grundstück 1563 in EZ ***** Grundbuch ***** in der Natur bestehenden Weg laut nachfolgender Handskizze ein Gehrecht besteht,

(Bild nur im Original ersichtlich)

wird abgewiesen.

2) Die beklagte Partei ist schuldig, binnen 14 Tagen die auf dem auf Grundstück 1563 Grundbuch ***** in Richtung Grundstück 1632 errichteten Gatter angebrachte Tafel mit der Aufschrift „Privatgrundstück, Betreten verboten" zu entfernen;

3) Die beklagte Partei ist schuldig, binnen 14 Tagen die auf dem Grundstück 1563 Grundbuch ***** in Richtung H*****weg errichtete Kette samt Tafel mit der Aufschrift „Privatweg, Durchgang verboten" und die hinter dieser Kette aufgestellte Tafel mit der Aufschrift „Privatweg, Durchgang verboten" zu entfernen;

4) Die beklagte Partei ist schuldig, es ab sofort zu unterlassen, den auf dem Grundstück 1563 Grundbuch ***** verlaufenden Weg abzusperren, das auf diesem Weg in Richtung Grundstück 1632 befindliche Gatter zu versperren, Ge- und Verbotstafeln aufzustellen und jede ähnliche Störung des zu Gunsten der klagenden Partei auf dem Grundstück 1563 in EZ ***** Grundbuch ***** bestehenden Gehrechts zu unterlassen.

5) Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 383,50 EUR (nur Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist Eigentümer einer in Tirol gelegenen Liegenschaft, die zu Gunsten seiner am geborenen Mutter mit einer im Grundbuch angemerkten fideikommissarischen Substitution belastet ist. Über diese Liegenschaft führt ein unter anderem von Wanderern zumindest seit den 50-iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts benützter Weg, den der Beklagte seit 2005 mit einem Gatter und einer Kette versperrte. Zusätzlich brachte er Tafeln mit der Aufschrift „Privatweg, Durchgang verboten" und „Privatgrundstück, Betreten verboten" an.

Die Klägerin begehrte die Feststellung des Bestehens einer ersessenen Wegeservitut, die Entfernung der Absperrungen und Tafeln sowie die Unterlassung weiterer Störungshandlungen. Der Weg werde seit zumindest 1877 von Gemeindebürgern, Touristen, Wanderern und Kindern auf dem Schulweg regelmäßig benützt, jährlich finde ein Prozessionsgang statt.

Der Beklagte wendete - soweit für das Revisionsverfahren noch relevant - seine mangelnde Passivlegitimation ein und verwies dazu auf die fideikommissarische Substitution.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und hielt diesen Einwand für nicht berechtigt. Nur im Fall einer - hier nicht vorliegenden - rechtsgeschäftlichen Begründung eines Servitutsrechts wäre die Zustimmung der Nacherbin erforderlich.

Das vom Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit über 4.000 EUR, nicht aber über 20.000 EUR und ließ die ordentliche Revision zu. Es verneinte eine aus Vor- und Nacherben bestehende einheitliche Streitpartei, weshalb die actio confessoria (§ 523 ABGB) nur gegen den Vorerben als derzeitigen Eigentümer zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist zulässig und teilweise berechtigt.

1. Einheitliche Streitpartei ist eine Streitgenossenschaft nach § 14 ZPO dann, wenn sich die Urteilswirkungen kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses („anspruchsgebunden") oder kraft gesetzlicher Vorschrift („wirkungsgebunden") auf sämtliche Streitgenossen erstrecken. Die einheitliche Streitpartei ist nicht immer eine notwendige Streitgenossenschaft, sondern dann, wenn kraft Gesetzes die Klage nur von oder gegen alle Rechtsgenossen gemeinsam eingebracht werden kann. Ansonsten ist die Frage nach einer notwendigen Streitgenossenschaft nach dem materiellen Recht zu entscheiden (9 Ob 33/08f; Schubert in Fasching/Konecny² § 14 ZPO Rz 1). Es handelt sich um eine Frage der Sachlegitimation (6 Ob 216/03p = RIS-Justiz RS0035479 [T11]). Eine notwendige Streitgenossenschaft wird angenommen, wenn wegen Nichterfassung aller Teilhaber die Gefahr unlösbarer Verwicklungen durch verschiedene Entscheidungen entsteht (9 Ob 33/08f; RIS-Justiz RS0035479). Eine von Anfang an vorliegende Nichtbeteiligung eines notwendigen Streitgenossen führt grundsätzlich zur Abweisung des Klagebegehrens mangels Passivlegitimation des einzelnen, beklagten Streitgenossen, ein nachträglicher Beitritt als (streitgenössischer) Nebenintervenient reicht nicht aus (5 Ob 579/88 = SZ 61/155; Schubert aaO Rz 3).

2. Nach Judikatur und Rechtsprechung sind bei Klagen auf Feststellung einer Servitut nur alle Miteigentümer gemeinsam passiv klagslegitimiert; sie bilden eine notwendige Streitgenossenschaft (RIS-Justiz RS0012106; RS0101793). Wird allerdings nur gegen einen Miteigentümer als Störer wegen Beeinträchtigung des Eigentumsrechts mit Unterlassungsklage vorgegangen, liegt kein Fall notwendiger Streitgenossenschaft vor. Die Frage des Bestehens einer Servitut ist dann als grundsätzlich nicht bindende Vorfrage im Unterlassungsprozess zu überprüfen (4 Ob 245/00h = RIS-Justiz RS0114280; 7 Ob 8/07p).

3. Im Fall einer fideikommissarischen Substitution (§ 608 ABGB) ist das Eigentumsrecht zwischen Vor- und Nacherben funktional geteilt. Ihre Berechtigungen ergänzen einander, beide zusammen haben die Rechtsstellung eines Vollerben und damit das uneingeschränkte Eigentumsrecht, wie es sonst dem Alleineigentümer zusteht (5 Ob 265/08v; RIS-Justiz RS0012536). Das Eigentum des Vorerben ist zeitlich beschränkt. Seine Rechtsstellung entspricht der eines Fruchtnießers (RIS-Justiz RS0012535), weshalb er nicht frei über die Liegenschaft verfügen kann (RIS-Justiz RS0012549). Der Vorerbe kann nur mit Genehmigung der Substitutionsbehörde oder mit Zustimmung des Nacherben die Liegenschaft veräußern oder belasten (5 Ob 265/08v) und unterliegt sohin einem absolut wirkenden Veräußerungs- und Belastungsverbot zugunsten des Nacherben (8 Ob 139/07k; 6 Ob 136/07d). Alle Verfügungen, die der Vorerbe über das Substitutionsgut ohne Genehmigung oder Zustimmung trifft, sind, soweit es sich um dingliche Verfügungen handelt, die die Rechte des Nacherben beeinträchtigen, nichtig. Das diesen Verfügungen vorausgehende Verpflichtungsgeschäft ist hingegen unbeschränkt gültig (RIS-Justiz RS0012578). Ein ohne Zustimmung des Nacherben geschlossener Vertrag über die Veräußerung oder Verpfändung einer Liegenschaft ist nicht nichtig, einer grundbücherlichen Eintragung steht aber die nach § 94 Abs 1 Z 2 GBG zu beachtende eingeschränkte Befugnis des Vorerben entgegen. Der Nacherbe hat daher gegen grundbücherliche Eintragungen, die im Widerspruch zur Substitution stehen, die Löschungsklage und das Rekursrecht (Rassi in Kodek, Grundbuchsrecht § 10 GBG Rz 28; Apathy in KBB² § 613 Rz 3). Wird ein Exekutionstitel gegen den Vorerben erwirkt, ist für die Exekution auf das Substitutionsgut die Zustimmung des Nacherben nötig, die nach § 9 EO oder durch ein Urteil nachzuweisen ist (Apathy aaO Rz 8). Trotz des funktional geteilten Eigentums bilden Vorerbe und Nacherbe keine Miteigentumsgemeinschaft im Sinn der §§ 825 ff ABGB, weshalb keinem von ihnen die Teilungsklage nach § 830 ABGB zusteht (5 Ob 82/09h = RIS-Justiz RS0012536 [T5]).

4. Mit der Frage, ob Vorerbe und Nacherbe auf Beklagtenseite notwendige Streitgenossen sind, hat sich der Oberste Gerichtshof in zwei älteren Entscheidungen befasst:

5 Ob 211/67 (= SZ 40/131) betraf die Einverleibung des Eigentumsrechts an einer Liegenschaft für die Witwe (Vorerbin) mit der Beschränkung der fideikommissarischen Substitution zugunsten des beklagten Nacherben und hinsichtlich einiger Grundparzellen dieser Liegenschaft auch zugunsten des dortigen Klägers. Der Kläger begehrte die Ausstellung einer verbücherungsfähigen Urkunde mit der Einwilligung zur Erweiterung der fideikommissarischen Substitution zu seinen Gunsten hinsichtlich weiterer Grundparzellen. Der Oberste Gerichtshof wertete die Witwe und Vorerbin sowie den beklagten Nacherben als einheitliche Streitpartei und verneinte daher die Passivlegitimation des allein belangten Nacherben. Eine Klage gegen die Vorerbin allein könnte zu einer Schmälerung der Anwartschaftsrechte des Nacherben führen. Der geltend gemachte Anspruch berühre die Rechtsstellung sowohl der Vorerbin als auch des Nacherben.

In der Entscheidung 8 Ob 521/78 (= SZ 51/65) wurde hingegen in einem Teilungsprozess nach § 830 ABGB die Stellung des Nacherben als notwendiger Streitgenosse aus der Erwägung verneint, dass dem Nacherben nur ein Anwartschaftsrecht zustehe und der Vorerbe zur Vertretung des von der Nacherbschaft betroffenen Vermögens berufen sei.

5. Im konkreten Fall begehrte die Klägerin zwar die Feststellung des Bestehens einer ersessenen Servitut (Gehrecht) und nicht die (im Bestreitungsfall auch bei vom Eintragungsgrundsatz ausgenommenen Servituten zulässige: Höller in Kodek Grundbuchsrecht § 4 GBG Rz 112) Verpflichtung des Eigentümers des dienenden Grundstücks, in die Einverleibung der Servitut einzuwilligen, wie sie in ihrer Revisionsbeantwortung betont. Eine ersessene Wegeservitut, deren Vorliegen hier behauptet wurde, muss der Eigentümer aber auch ohne Intabulation im Grundbuch als dingliches Recht gegen sich gelten lassen (Kiendl-Wendner in Schwimann ABGB³ § 481 ABGB Rz 4). Ein dingliches Verfügungsgeschäft (Abgabe einer Aufsandungserklärung), das ohne Zustimmung der Nacherbin nichtig wäre, und die Eintragung im Grundbuch sind für den Erwerb der Servitut nicht erforderlich. Die Belastung der Liegenschaft wäre mit Ablauf der Ersitzungszeit eingetreten, was eine Verschlechterung der Rechtsposition der Nacherbin bedeutet. Diese bereits eingetretene Belastung der Liegenschaft mit der ersessenen Servitut kann der Nacherbe auch nicht mehr mit den im Grundbuchsrecht eingeräumten Rechtsbehelfen (Rekurs gegen eine unzulässige Eintragung, Löschungsklage) verhindern. Das Urteil auf Feststellung der ersessenen Servitut berührt somit die Rechtsstellung sowohl des Vorerben als auch der Nacherbin und bedeutet eine Schmälerung der Anwartschaftsrechte der Nacherbin, wie sie auch in 5 Ob 211/67 angenommen wurde. Die in 8 Ob 521/78 herangezogene Vetretungsbefugnis des Vorerben ist durch das absolut wirkende Veräußerungs- und Belastungsverbot beschränkt und damit kein zwingendes Argument gegen eine notwendige Streitgenossenschaft im Verhältnis zwischen Vorerben und Nacherben, dessen Anwartschaftsrecht durch die massive Beschränkung der Verfügungsbefugnis des Vorerben ja besonders geschützt wird.

6 . Aus diesen Erwägungen sind der Vorerbe und die Nacherbin als notwendige Streitgenossen zu qualifizieren, soweit es um die Feststellung der ersessenen Servitut geht. Die nur gegen den Vorerben erhobene Feststellungsklage scheitert somit an dessen fehlender alleinigen Passivlegitimation.

Anderes gilt für die Ansprüche auf Entfernung und Unterlassung, die bei Geltendmachung gegen Vor- und Nacherben nicht zwingend zum selben Ergebnis führen müssen. Bei diesen Ansprüchen ist der Beklagte als unmittelbarer Störer passiv legitimiert, ein anderer aber nur dann, wenn er die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit hat, die Störung zu steuern oder zu verhindern (Koch in KBB² § 523 Rz 13 mwN). Die dem Nacherben mögliche Einflussnahme auf Maßnahmen des Vorerben beschränkt sich auf Handlungen, die die Substanz des Substitutionsguts beeinträchtigen. Verkauft oder belastet der Vorerbe die Liegenschaft, steht dem Nacherben eine Unterlassungsklage (Koch aaO § 613 ABGB Rz 3 und 5 mwN) und ein Sicherstellungsanspruch iSd § 520 ABGB (Koch aaO Rz 5) zu. Eine vergleichbare Möglichkeit der Einflussnahme des Nacherben ist aber bei jenen Handlungen, die der Beklagte gesetzt hat, um sich der Ausübung der Servitut zu widersetzen (Versperren des Wegs), nicht jedenfalls anzunehmen. Würden daher der Vorerbe und die Nacherbin gemeinsam auf Unterlassung und Entfernung geklagt, könnte die Nacherbin einen Einwand der mangelnden Passivlegitimation darauf stützen, sie habe die Störungshandlung nicht selbst vorgenommen bzw diese sei ihr nicht zurechenbar. Das zeigt, dass das Urteil nicht gegen beide gleich lauten muss, was Voraussetzung für eine notwendige Streitgenossenschaft wäre.

Dass die Voraussetzungen für die Ersitzung der Servitut vorliegen, ist nach dem festgestellten Sachverhalt eindeutig zu bejahen und im Revisionsverfahren auch nicht mehr strittig. Die Abweisung des Begehrens auf Feststellung des Bestehens einer Servitut gründet sich ausschließlich auf die fehlende Passivlegitimation wegen einer notwendigen Streitgenossenschaft, weshalb diese Vorfrage nicht bindend zu Gunsten des Beklagten negativ beantwortet wurde. Diese im Verhältnis zum Beklagten im Verfahren auf Unterlassung und Entfernung zu bejahende Vorfrage bindet wiederum nicht die Nacherbin (siehe dazu Punkt 2).

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Beide Parteien haben je zur Hälfte obsiegt, weshalb nur die in § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO genannten Barauslagen zu je 50 % zu ersetzen sind. Die Pauschalgebühr für die Berufung des Beklagten betrug entgegen seinem Kostenverzeichnis nur 467 EUR.