OGH vom 09.02.1995, 2Ob512/95
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Schinko, Dr. Tittel und Dr. Baumann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Lieselotte Melanie D*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land als Sachwalter, infolge Revisionsrekurses des Sachwalters gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wels vom , GZ R 881/94-57, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Wels vom , GZ 1 P 112/90-48, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der 40-jährige Max S***** leistet als außerehelicher Vater der 16-jährigen Lieselotte Melanie D***** seit dem einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 2.350,--. Er bezog in der Zeit von November 1993 bis Oktober 1994 einschließlich anteiliger Sonderzahlungen und einer Schmutzzulage sowie Krankengeldes insgesamt S 182.386,90, woraus sich ein monatliches Einkommen von S 15.198,90 ergibt. Er ist weiters sorgepflichtig für seine Ehefrau und einen 13-jährigen ehelichen Sohn. Die Ehefrau ist als Teilzeitkraft berufstätig und verdient monatlich ca. S 7.000,--. Lieselotte Melanie D***** lebt im Haushalt ihrer Mutter. Diese ist berufstätig und verdient ca. S 11.000,-- im Monat. Weiters bezieht sie eine Witwenpension von S 3.400,-- monatlich. Die Minderjährige bezieht nach ihrem verstorbenen Stiefvater eine Waisenpension, die einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen umgerechnet rund S 1.800,-- monatlich beträgt. Die Mutter bewohnt mit dem Kind und einer bereits selbsterhaltungsfähigen Tochter ein Einfamilienhaus, das zu einem Drittel in ihrem Eigentum steht.
Das Erstgericht gab einem Unterhalts- erhöhungsantrag des Sachwalters der Minderjährigen insoweit statt, als es eine Unterhaltserhöhung auf monatlich S 2.700,-- vornahm und das Mehrbegehren von weiteren S 500,-- abwies. Es vertrat die Rechtsansicht, die Berechnung der Unterhaltspflicht habe nach der Prozentmethode zu erfolgen, weshalb der Vater für seine im 16. Lebensjahr stehende Tochter unter Berücksichtigung eines Abzuges von 2 % für das noch nicht selbsterhaltungsfähige eheliche Kind und 1 % für die teilzeitberufstätige Ehefrau monatlich 19 % der Bemessungsgrundlage, sohin S 2.700,-- zu leisten habe. Diese deutlich unter dem Regelbedarf liegende Unterhaltsleistung sei im Hinblick auf das Eigeneinkommen der Minderjährigen angemessen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Sachwalters des mj. Kindes nicht Folge. Es vertrat die Ansicht, daß im vorliegenden Fall die Berechnung der Unterhaltspflicht nach der Prozentsatzmethode zu erfolgen habe. Ausgehend von der nach anteiligem Abzug der Schmutzzulage ermittelten Bemessungsgrundlage von S 14.600,-- ergäbe sich rechnerisch ein Unterhaltsbetrag von S 2.774,--; die Unterhaltsbemessung mit S 2.700,-- sei nicht zu beanstanden. Zwar werde auch mit der erhöhten Unterhaltsleistung der Regelbedarf des Kindes von S 4.110,-- bei weitem nicht erreicht, doch sei dem Kind die Waisenpension von S 1.800,-- als Eigeneinkommen anzurechnen. Eigenes Einkommen des mangels voller Selbsterhaltungsfähigkeit weiterhin unterhaltsberechtigten Kindes dürfe zwar nicht einseitig zur Verminderung des Geldunterhaltes um das gesamte Eigeneinkommen des Kindes führen, sondern müsse auch dem betreuenden Elternteil zugute kommen. Bei im Zweifel anzunehmender Gleichwertigkeit von Geld- und Betreuungsleistungen stehe der Minderjährigen insgesamt ein Betrag von S 3.600,-- zur Befriedigung ihrer Geldwertebedürfnisse zur Verfügung, womit rund 87 % des Regelbedarfs abgedeckt werden könnten. Dem Vater verbleibe ein Einkommensrest von S 11.900,--, woraus auch die Sorgepflichten für das eheliche Kind und die nur teilweise selbsterhaltungsfähige Ehefrau zu erfüllen seien. Bei diesem Sachverhalt könne nicht von einer Unteralimentierung trotz vorhandener Leistungsfähigkeit gesprochen werden.
Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt, weil sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage der Anrechenbarkeit der Waisenpension als Eigeneinkommen eines Kindes nur im Fall des Todes des betreuenden Elternteils befaßt habe.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters mit dem Antrag, die angefochtenen Entscheidungen dahin abzuändern, daß die Unterhaltspflicht auf S 3.200,-- ab dem erhöht werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Der Unterhaltssachwalter vertritt in seinem Rechtsmittel die Ansicht, daß der sogenannte Regelbedarf einer Überprüfung bzw. Neudefinition zu unterziehen sei, weil die Erörterung der Frage unterblieben sei, wie es zur Festsetzung der in den Regelbedarfssätzen genannten Zahlen gekommen sei. Eine Alimentierung nach den Regelbedarfssätzen stelle in jedem Fall eine Unteralimentierung dar; schließlich seien die Anspannungsgrundsätze im konkreten Fall heranzuziehen.
Der erkennende Senat hat zuletzt im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ausgesprochen, daß ein konkretes Berechnungssystem dem Gesetz, das die Bemessungskriterien nur durch unbestimmte Rechtsbegriffe umschreibe, nicht entnommen werden könne. Es sei daher auch dem Obersten Gerichtshof verwehrt, Regeln der Unterhaltsbemessung derart zu einem System zu verdichten, daß als Ergebnis geradezu eine Tabelle für jeden möglichen Anspruchsfall zur Verfügung stünde (2 Ob 548/94 mwN). Insbesondere stehe die Bemessung des Unterhaltes bloß in Höhe des Regelbedarfs ohne Bedachtnahme auf die konkreten Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners mit dem Gesetz nicht in Einklang, weil sie die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners nicht berücksichtige (RZ 1991/26 und 50; 1 Ob 512/94). Hingegen stelle die Bemessung des Unterhaltes nach bestimmten nach Altersgrenzen abgestuften Hundertsätzen des Einkommens des Unterhaltsschuldners, durch die die Gleichbehandlung gleichartiger Fälle gewährleistet werden soll, an sich für durchschnittliche Fälle eine brauchbare Handhabe dar, um den Unterhaltsberechtigten an den Lebensverhältnissen des Unterhaltsschuldners angemessen teilhaben zu lassen. Die Gefahr einer Unteralimentierung trotz vorhandener Leistungsfähigkeit bei undifferenzierter Handhabung der Prozentsatzmethode sei dann gegeben, wenn den Unterhaltsschuldner keine weiteren Unterhaltspflichten treffe. In derartigen Fällen sei primär auf die Bedürfnisse des Kindes (Regelbedarf) abzustellen.
An diesen Grundsätzen ist festzuhalten.
Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß der außereheliche Vater auch für eine teilzeitbeschäftigte Ehefrau und einen minderjährigen ehelichen Sohn sorgepflichtig ist. Auch dieser hat daher angemessen an den Lebensverhältnissen des Vaters teilzunehmen. Gegen die Anwendung der Prozentsatzmethode bestehen daher im konkreten Fall keine Bedenken.
Zu der vom Rekursgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage hat der erkennende Senat zu einem vergleichbaren Sachverhalt bereits Stellung genommen und ausgesprochen, daß auch die nach der verstorbenen Mutter bezogene Waisenpension als eigene Einkünfte des Kindes anzurechnen sind. Nichts anderes kann aber gelten, wenn das Kind nach dem verstorbenen Stiefvater eine eigene Waisenpension erhält und weiter in der Betreuung der Mutter verbleibt. Als eigene Einkünfte ist nämlich grundsätzlich alles anzusehen, was dem Kind an Leistungen, welcher Art immer, auf Grund eines Anspruches zukommt, soweit nicht gesetzlich anderes angeordnet ist (Pichler in Rummel2 Rz 11 zu § 140; 5 Ob 606/90 = Purtscheller-Salzmann Rz 39 E 1).
Im vorliegenden Fall beträgt die Waisenpension ca. S 1.800,--. Das Rekursgericht hat diesen Betrag je zur Hälfte dem geldunterhaltspflichtigen Vater und der die Betreuung leistenden Mutter angerechnet und ist daher davon ausgegangen, daß der Minderjährigen ein Betrag von S 3.600,-- zur Befriedigung ihrer geldwerten Bedürfnisse zur Verfügung stehe. Berücksichtigt man, daß dem Vater ein Betrag von S 11.900,-- verbleibt und dieser noch für seine Ehefrau und ein minderjähriges eheliches Kind sorgepflichtig ist, erscheint daher die konkrete Unterhaltsbemessung angemessen.
Zur im Revisionsrekurs aufgeworfenen Frage der Angemessenheit der sogenannten Regelbedarfssätze ist anzumerken, daß unter Regelbedarf allgemein jener Bedarf verstanden wird, den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern an Nahrung, Kleidern, Wohnung und zur Bestreitung der weiteren Bedürfnisse, wie etwa kulturelle und sportliche Betätigung, sonstige Freizeitgestaltung und Urlaub hat (SZ 63/81, Pichler in Rummel2 Rz 2 zu § 140). Für diesen Regelbedarf liefert die Verbrauchsausgabenstatistik (durchschnittliche Verbrauchs- ausgaben für ein unversorgtes Kind in Arbeitnehmerhaushalten, Statistische Nachrichten 1970, 360) Grundlage, die durch Valorisierung nach dem Verbraucherpreisindex den gegenwärtigen Verhältnissen angepaßt werden (Pichler aaO). Es handelt sich daher um eine dem Tatsachenbereich zuzuordnende Frage, auf die vom Obersten Gerichtshof nicht weiter einzugehen ist.
Schließlich sind dem Akteninhalt keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen, daß der außereheliche Vater auf ein höheres Einkommen angespannt werden könnte.
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.