OGH vom 24.10.2019, 6Ob107/19g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DDDDr. G*****, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 62/19d-9, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Dornbirn vom , GZ 3 C 1149/18a-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und es wird die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Nr 73 in EZ ***** KG *****. Er kaufte das Grundstück im Jahr 1971 und errichtete darauf ein Ferienhaus.
Der Beklagte ist Eigentümer des Nachbargrundstücks Nr 65 in EZ ***** KG *****. Der Großvater des Beklagten hatte das Grundstück in den 1940er Jahren gekauft und darauf im Jahr 1970 ebenfalls ein Ferienhaus errichtet. In der Folge übergab er das Grundstück seinem Sohn, dem Onkel des Beklagten, von dem es der Beklagte mit Kaufvertrag vom erwarb. Zum Grundstück des Beklagten kann man über den unbefestigten W*****weg zugehen oder mit Spezialfahrzeugen zufahren oder mit Allrad-PKW über den H*****weg zufahren. Der Beklagte benutzt die Zufahrt über den H*****weg.
Jedenfalls in den Jahren 1970/71 verlief der H*****weg auf dem im Norden an das Grundstück des Klägers angrenzenden Grundstück Nr 75/3 der Ehegatten V***** annähernd parallel zur Grundgrenze.
Der begehrt, dem Beklagten das Befahren seines Grundstücks zu untersagen. Er bringt vor, der H*****weg (künftig: der Weg) verlaufe [in seinem hier interessierenden Streckenabschnitt] zumindest seit dem Jahr 2012, in dem aufgrund einer Verlegung der Kanalisation eine Änderung der Wegtrasse erfolgt sei, in einer Breite von 1,26 Metern über das Grundstück des Klägers. Ein Befahren des Weges ohne Inanspruchnahme des Grundstücks des Klägers sei seither nicht mehr möglich. Die Stadt D********** habe die Kanalisation nach Fertigstellung der Arbeiten „detailliert eingemessen“. In der nordöstlichen Ecke des Grundstücks des Klägers befinde sich der Kanalschacht. Beim Kanalschacht sei eine gut sichtbare, etwa in der Mitte des Weges liegende Vermessungsmarke angebracht. Die Verlegung des Weges sei im Wesentlichen durch Baumaßnahmen, nicht durch Hangbewegungen erfolgt. Im Jahr 2012 sei eine „Grenzrekonstruktion“ des Grundstücks Nr 73 durch ein Vermessungsbüro erfolgt, bei dem die Grenzen des klägerischen Grundstücks eindeutig festgelegt worden seien. Die in der digitalen Katastermappe eingetragenen Grundstücksgrenzen seien rechtlich verbindlich.
Der Beklagte nutze den Weg ohne Rechtsgrundlage. Da der Weg erst seit der Neuverlegung der Kanalisation im Jahr 2012 im Eigentum des Klägers stehe, sei eine Ersitzung gegenüber dem Kläger ausgeschlossen. Der Beklagte habe auch gegenüber den Ehegatten V***** keine Dienstbarkeit ersessen. Vielmehr hätten deren Rechtsvorgänger, die Geschwister H*****, einem Geh- und Fahrrecht der Rechtsvorgänger des Beklagten ausdrücklich widersprochen.
Der Beklagte könne zu seinem Grundstück über den W*****weg oder über den K*****weg zufahren. Er habe am und am eingeräumt, dass zu seinen Gunsten kein Fahrrecht über den H*****weg und über das Grundstück des Klägers bestehe.
Der bringt vor, seine Rechtsvorgänger hätten vor der Erbauung des Ferienhauses im Jahr 1970 von den Eigentümern jener Grundstücke, über die der H*****weg verlaufe, darunter des klägerischen Grundstücks Nr 73, die Zustimmung für das Gehen und Fahren zu Bauzwecken zugunsten des Grundstücks Nr 65 eingeholt. Das Geh und Fahrrecht sei dem Beklagten bzw seinen Rechtsvorgängern bereits anlässlich der Bauführung sowie zusätzlich durch die jahrzehntelange widerspruchslos hingenommene Ausübung zugunsten des Grundstücks Nr 65 konkludent eingeräumt worden. Die Eigentümer des Grundstücks Nr 65 hätten sich auch immer an der Straßenerhaltung beteiligt. Der H*****weg habe bereits spätestens Mitte der 1980er-Jahre auf das Grundstück des Klägers gereicht; das Geh und Fahrrecht sei daher jedenfalls bis einschließlich des Jahres 2017 ersessen worden.
Der Verlauf des H*****weges sei im Zusammenhang mit der Kanalisation ohne Einwand des Klägers derart verändert worden, dass er in einem etwas größeren Ausmaß über das Grundstück Nr 73 des Klägers führe. Die Eigentümer des Grundstücks 65 seien aufgrund der Gleichwertigkeit der Zufahrt verpflichtet gewesen, der Verlegung des Weges zuzustimmen. Damit sei auch das von ihnen ersessene Geh und Fahrrecht auf den neuen Wegverlauf übergegangen.
Im Übrigen seien alle auf dem gesamten Hang befindlichen Grundstücke samt den darauf befindlichen Gebäuden und dem Weg gegenüber der Katastergrenze gleichmäßig nach unten verschoben worden. Da nicht die Katastergrenze, sondern der natürliche Grenzverlauf maßgeblich sei, seien die Grundstücksgrenzen ebenfalls „nach unten gewandert“. Der strittige Zufahrtsweg befinde sich daher nach wie vor nicht auf dem Grundstück des Klägers, sodass dieser nicht aktiv legitimiert sei.
Schließlich sei die Klage angesichts der Hangrutschung und des Umstands, dass auch der Kläger die Straße auf der neuen Trasse weiter verwende, schikanös. Der dem Beklagten durch den Verlust der Zufahrt zu seinem Ferienhaus drohende Nachteil stehe außer Verhältnis zum Nachteil des Klägers, weiter die Verwendung der Zufahrtsstraße durch den Beklagten zu dulden.
Das wies die Klage ab.
Es traf – über den eingangs dargestellten Sachverhalt hinaus – folgende weiteren Feststellungen:
„Im Zusammenhang mit einer natürlichen Hangrutschung kam der zunächst nördlich am Grundstück des Klägers vorbei führende 'H*****weg' in Richtung nach Süden, wobei allerdings der Abstand zwischen dem Weg und dem Ferienhaus des Klägers nicht verringert wurde und auch nicht die vom Kläger an der nördlichen Grenze angebrachten Pfosten weg kamen. Ziemlich bald nach 1971 hatte der Kläger an der nördlichen Grundstücksgrenze zum Weg Pfähle eingepflanzt, die es heute noch gibt. Auch das Haus des Klägers wurde Richtung unten verschoben. Diese Wegverlegung teilweise auf das Grundstück des Klägers (derzeit bis 1,26 Meter) begann schon vor Jahrzehnten […]. Der Kläger geht davon aus, dass bereits im Jahre 1992 der Weg über die Grundstücksgrenze auf sein Grundstück teilweise verlegt worden ist.
Im Jahre 2012 ließ die Stadt D***** Kanalisationsarbeiten im Erdreich unterhalb des Weges durchführen, wodurch es zu einer Verbreiterung des Weges kam. Außerdem ließ der nördliche Nachbar des Klägers V***** am Wegrand Flusssteine anbringen. Dadurch erfolgte ebenfalls eine gewisse Mehrbelastung in Richtung Süden (somit in Richtung des Hauses des Klägers), was für den Kläger aber ersichtlich war. […]
[…] Erst kurz vor der ersten Bauverhandlung betreffend die Renovierung des Ferienhauses des Beklagten im Jahr 2017 erfuhr der Kläger definitiv davon, dass ein Stück des Weges auf seinem Grundstück in Folge der Verschiebung zu liegen gekommen sei.“
Rechtlich vertrat das Erstgericht den Standpunkt, es sei ausgehend von den Mappengrenzen noch nicht während der gesamten Ersitzungszeit von 30 Jahren über das Grundstück des Klägers gefahren worden. Der Kläger wehre sich aber erst seit 2015/16 gegen seine Nachbarn, also lange, nachdem die Wegtrasse laut Mappengrenzen auf sein Grundstück gewandert sei. Dies könne unter den gegebenen Umständen als Zustimmung des Klägers zur Wegbenutzung gewertet werden, zumal in der Literatur vertreten werde, dass bei Bodenverschiebungen die Grundstücksgrenzen mitwanderten. Die erst kürzlich erlangte Kenntnis des Klägers davon, dass die Wegtrasse laut Mappenplan über sein Grundstück führe, bewirke nicht den Verlust bestehender Nutzungsberechtigungen.
Das gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es ließ die Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Eigentumsverhältnisse im Fall einer großflächigen Bodenverschiebung nicht vorliege.
Rechtlich sei den Ausführungen Ganners (Eigentumsverhältnisse bei großflächigen Bodenverschiebungen, ÖJZ 2001, 781) zu folgen, nach dem in Anlehnung an Art 660a (Schweizer) ZGB Ausnahmen vom Grundsatz der Unveränderlichkeit der Grundstücksgrenzen bei großflächigen Bodenverschiebungen dann möglich sein müssten, wenn dadurch die Rechtssicherheit nicht gefährdet werde, Nutzung und Wert der betroffenen Grundstücke von der Beschaffenheit der Erdoberfläche bestimmt seien und durch eine Verschiebung der Grenzen im Einklang mit der Bodenverschiebung ein besseres und praktikableres Ergebnis erzielt werde.
Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall erfüllt. Bei Einhaltung des Grundsatzes der Unverrückbarkeit der Grenzen müsste der Weg nach oben verlegt werden [gemeint: um auf derselben Liegenschaft zu verbleiben]; angesichts der fortschreitenden Bewegung des Hanges wäre bald eine neuerliche Korrektur erforderlich. Das zeige, dass eine Verschiebung der Grenzen im Einklang mit der Hangrutschung die bessere und letztlich einzig praktikable Lösung sei. Nachdem sich die Grenzen in der Natur nicht verändert hätten, sei auch die Rechtssicherheit nicht gefährdet. Im Ergebnis bedeute dies, dass die Grundstücksgrenzen mit der Bodenverschiebung „nach unten gewandert“ seien, soweit die Verlegung des Weges auf die Hangrutschung zurückgehe.
Nach den Feststellungen beruhe die Verlegung des Weges ausschließlich auf der Rutschung; eine (zusätzliche) Verschiebung sei aus den Feststellungen zu den Kanalisationsarbeiten nicht abzuleiten. Ausgehend davon, dass die Grenze zwischen dem Grundstück Nr 73 des Klägers und dem Weg nach unten gewandert sei, sei dem Kläger der Beweis des Eigentums an der fraglichen Wegfläche nicht gelungen. Das Klagebegehren sei daher zu Recht abgewiesen worden, ohne dass es auf die Ersitzung eines Wegerechts durch den Beklagten ankomme.
Mit seiner strebt der Kläger die Abänderung der Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn an. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Der Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
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1. Bei der Eigentumsfreiheitsklage hat der Kläger sein Eigentum und den Eingriff des Beklagten, dieser hingegen die Berechtigung seines Eingriffs zu beweisen (RS0012186). Bildet die richtige Grenze eine Vorfrage in einem streitigen Verfahren, so ist über sie im Prozess zu entscheiden (RS0109157; RS0013882 [T1]). Da die Entscheidung über die Vorfrage nicht der Rechtskraft teilhaft wird (RS0042554 [T6], RS0039843 [T21, T 23]), schadet es nicht, wenn am Prozess nicht alle Miteigentümer der betroffenen Liegenschaften beteiligt sind (2 Ob 22/17z mwN).
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2.1. Besteht Streit über den eigentumsrechtlichen Grenzverlauf, so ist die richtige Grenze laut aktuellem Grundbuchsstand festzustellen. Dabei ist nach der Rechtsprechung nicht auf die Mappengrenzen abzustellen. Sind die Grundstücksgrenzen nicht im Grenzkataster eingetragen und besteht zwischen den Grundnachbarn keine Einigkeit, so bestimmt sich der eigentumsrechtliche Grenzverlauf nach unbedenklichen objektiven Grenzzeichen (zB Grenzsteine, Metallmarken, Grenzpflöcke) oder nach der Naturgrenze (zB Mauern, Zäune, Bäume, Böschungskanten, natürliche Grenzlinien; RS0130738; 4 Ob 21/19w mwN; vgl RS0109156).
2.2. Entscheidend ist daher zunächst die Frage der Eintragung im Grenzkataster. Dieser ist gemäß § 8 Z 1 VermG zum verbindlichen Nachweis der Grenzen der Grundstücke bestimmt. Auf alle nicht im Grenzkataster enthaltenen Grundstücke ist § 8 Z 1 VermG nicht anzuwenden (§ 52 Z 1 VermG). Der hinsichtlich dieser Grundstücke vorhandenen Mappendarstellung kommt hingegen nicht die Bedeutung einer bücherlichen Eintragung zu (RS0049554). Sie genießt daher keinen öffentlichen Glauben und ist nur ein Beweismittel, dessen Beweiskraft der Richter nach freier Überzeugung zu beurteilen hat (RS0011258; vgl RS0049554 [T1, T 2]). Dies gilt auch für die digitale Katastermappe (Rassi, Grundbuchsrecht² [2013] Rz 54).
3.1. Strittig ist im vorliegenden Verfahren der Verlauf der Grenze zwischen dem klägerischen Grundstück Nr 73 und dem nördlich unmittelbar daran angrenzenden Grundstück Nr 75/3. Diese Grundstücke sind – ebenso wie das Grundstück Nr 65 des Beklagten – nicht im Grenzkataster eingetragen (öffentlich einsehbares Grundbuch).
3.2. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass die in der Grundbuchsmappe (nunmehr: digitale Katastermappe) dargestellte Grenze zwischen den Grundstücken 73 und 75/3 noch in den Jahren 1970/71 den Grenzverlauf zutreffend wiedergab. Einigkeit besteht auch darüber, dass im Beurteilungszeitpunkt unter Zugrundelegung der Mappengrenze ein Teil des H*****weges über das Grundstück Nr 73 verläuft.
3.3. Rechtlich steht der Beklagte auf dem Standpunkt, es sei seit dem Jahr 1970 zu einer rechtlich relevanten natürlichen Verschiebung der zwischen diesen Grundstücken verlaufenden Naturgrenze gekommen, aufgrund derer der Mappengrenze keine Richtigkeit mehr zukomme. Demgegenüber steht der Kläger auf dem Standpunkt, die Überschreitung der (weiterhin richtigen) Mappengrenze ergebe sich aus baulichen Maßnahmen im Zuge von Kanalisationsarbeiten im Jahr 2012.
3.4. Nach den Feststellungen des Erstgerichts beruht die – gemessen an der Mappengrenze erfolgte – teilweise Verlegung des Weges auf das klägerische Grundstück Nr 73 auf einer natürlichen Bodenverschiebung. Den Ausführungen, wonach im Jahr 2012 durch die Verbreiterung des Weges eine „gewisse Mehrbelastung gegen Süden“ stattgefunden habe, kann aber nicht verlässlich entnommen werden, ob die Überschreitung der Mappengrenze teilweise auch der baulichen Verbreiterung der Wegtrasse nach Süden geschuldet ist. Diesem Umstand kommt aber, wie im Folgenden ausgeführt, rechtliche Relevanz zu.
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5.1. Das Berufungsgericht legte die erstgerichtlichen Feststellungen dahin aus, dass die Verschiebung des Weges über die Mappengrenze ausschließlich einer natürlichen, großflächigen Bodenverschiebung geschuldet sei. Ausgehend davon kam es rechtlich zum Ergebnis, dass die Grenze gemeinsam mit der – gegenüber der Mappengrenze kontinuierlich verschobenen – Erdoberfläche „mitgewandert“ sei.
5.2. Die Frage der Auswirkungen langsam fortschreitender großflächiger Bodenverschiebungen, etwa aufgrund von Erosion oder tektonischen Verschiebungen, auf den Grenzverlauf von Liegenschaften wurde von Ganner eingehend rechtsvergleichend untersucht (Eigentumsverhältnisse bei großflächigen Bodenverschiebungen, ÖJZ 2001, 781).
5.2.1. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden die Regelungen des Eigentumserwerbs durch Zuwachs in § 411 (alluvio) und § 412 ABGB (avulsio), deren Anwendung auf großflächige Bodenverschiebungen vom Autor jeweils verneint wird. Dies begründet Ganner hinsichtlich des § 411 ABGB damit, dass der Anwendungsbereich ausschließlich das unmerkliche Anspülen von Erdreich durch fließendes Gewässer erfasse; hinsichtlich des § 412 ABGB damit, dass die darin vorgesehene Regelung des Eigentumsverlusts durch Verschweigung innerhalb von Jahresfrist für allmähliche Veränderungen nicht passe und zu gänzlich unpraktikablen Ergebnissen führen könne, da Rückholansprüche hinsichtlich Pflanzen oder Gebäuden aufgrund der nur verschobenen, ansonsten aber unveränderten Erdoberfläche technisch undurchführbar sein könnten. Ganner greift in der Folge auf die Regelung der § 660 bis 660b Schweizer ZGB zurück.
5.2.2. § 660 Abs 1 ZGB sieht vor, dass Bodenverschiebungen von einem Grundstück auf ein anderes zu keiner Veränderung der Grenzen führen. Diese Bestimmung normiert damit den Grundsatz der Unverrückbarkeit der Grenzen. Nach § 660a Abs 1 ZGB gilt dieser Grundsatz jedoch nicht für Gebiete mit dauernden Bodenverschiebungen, wenn diese Gebiete vom Kanton als solche bezeichnet wurden. Hintergrund dieser Bestimmung ist die Erkenntnis, dass der Grundsatz der Unverrückbarkeit der Grenzen in jenen Fällen, in denen ganze Hänge und Talseiten mit allen natürlichen und künstlichen Bodenbedeckungen, wie Straßen und Häusern, von dauernden Verschiebungen des Geländes betroffen sind, zu unhaltbaren Ergebnissen führt (Strebel/Laim in Basler Kommentar Zivilgesetzbuch II5§ 660a ZGB Rz 1). Innerhalb dieser Gebiete folgen die Grenzen dem Gelände (Strebel/Laim in Basler Kommentar, § 660a ZGB Rz 3). Unabhängig davon, ob das betroffene Grundstück in einem Gebiet liegt, das als Gebiet mit dauernden Bodenverschiebungen bezeichnet ist (Strebel/Laim in Basler Kommentar, § 660b ZGB Rz 2) kann gemäß § 660b Abs 1 ZGB jeder Grundeigentümer verlangen, dass eine Grenze neu festgesetzt werde, wenn sie wegen einer Bodenverschiebung unzweckmäßig wird.
5.2.3. Ganner kommt zum Ergebnis, dass auch für das österreichische Recht Ausnahmen vom Grundsatz der Unverrückbarkeit der Grenzen erforderlich seien. Der Gesetzgeber habe nämlich den Fall nicht bedacht, dass durch großflächige und länger dauernde Bodenverschiebungen die zweckmäßige und effiziente Benutzung von Grundstücken erschwert oder gar verhindert werde (ÖJZ 2001, 786 f). Während bei kleineren Verschiebungen die Grenzen nicht mehr von den Naturgrenzen festgelegt würden, sondern möglichst exakt rekonstruiert werden müssten, bestehe für den Bereich großflächiger Bodenverschiebungen eine durch Analogie zu schließende Regelungslücke. Demnach müssten Ausnahmen vom Grundsatz der Unveränderlichkeit der Grundstücksgrenzen gelten, wenn dadurch die Rechtssicherheit nicht gefährdet werde (etwa weil die Grundstücke nicht im Grenzkataster eingetragen seien), die Nutzung und der Wert der betroffenen Grundstücke von der Beschaffenheit der Erdoberfläche bestimmt würden und dadurch ein besseres und praktikableres Ergebnis erzielt werden könne (ÖJZ 2001, 787 f). Bei großflächigen Bodenverschiebungen komme es zu einer Verschiebung der Grundstücksgrenzen, die dann primär von den Naturgrenzen und Grenzzeichen gebildet würden (ÖJZ 2001, 787).
6.1. Hinsichtlich nicht im Grenzkataster eingetragener Grundstücke ist nach ständiger Rechtsprechung von der Relevanz der Naturgrenze vor der Mappengrenze auszugehen (vgl RS0130738). An der Verbindlichkeit der Naturgrenze ist bei nicht im Grenzkataster eingetragenen Grundstücken auch in jenen Fällen festzuhalten, in denen Bodenbewegungen über einen langen Zeitraum hinweg zu einer großflächigen Verschiebung der Erdoberfläche führen, sodass Grenzzeichen sowie für die Naturgrenzen relevante äußere Zeichen und Geländemerkmale in einem größeren Gebiet gegenüber der Mappengrenze verschoben werden.
6.2. Durch die Relevanz der Naturgrenzen ist im Fall des „Mitbewegens“ der Grenze auch das von Ganner formulierte Kriterium der Schaffung praktikabler Ergebnisse – damit können nur solche Ergebnisse gemeint sein, die für die betroffenen Eigentümer nicht weniger zweckmäßig sind als die Mappengrenzen – typischerweise gewährleistet.
6.3. Für die Verschiebung von Erdmassen durch Bergstürze, Lawinenabgänge, zeitlich abgrenzbare Hangrutschungen und ähnliche Naturereignisse erscheint hingegen die analoge Anwendung des § 412 ABGB sachgerecht (vgl Klingenberg in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³, § 412 ABGB Rz 2; Holzner in Rummel/Lukas, ABGB4§ 412 Rz 2; Klicka/Reidinger in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar4, § 412 ABGB Rz 1, alle mwN). Derartige Ereignisse sind daher nicht als großflächige, über einen langen Zeitraum hinweg wirkende Bodenverschiebungen im oben beschriebenen Sinn zu qualifizieren.
7.1. Im vorliegenden Fall verlief die Grenze zwischen dem klägerischen Grundstück Nr 73 und dem nördlich davon gelegenen Grundstück Nr 75/3 noch in den Jahren 1970/71 nicht entlang des strittigen Weges, der Grenzverlauf war mit dem Verlauf des Weges sohin nicht deckungsgleich. Für die hier zu beurteilende Eigentumsfreiheitsklage bedarf es aber nicht der Feststellung des exakten Grenzverlaufs, sondern lediglich der Beurteilung, ob der Kläger Eigentümer eines Teils des strittigen Weges ist.
7.2. Nach den Feststellungen fand zwischen dem Jahr 1979 und dem Beurteilungszeitpunkt eine Bodenbewegung des gesamten Hanges statt, durch die es zu einer Verschiebung des Hauses des Klägers und des Weges in seinem strittigen Abschnitt gegenüber den Mappengrenzen kam. Dies bewirkt rechtlich keine Veränderung der – im Verhältnis zueinander nicht verschobenen – Naturgrenzen. Die langsame, großflächige Bodenbewegung zieht vielmehr das „Mitwandern“ der Naturgrenze nach sich.
7.3. Geht man von der – vom Berufungsgericht zugrunde gelegten – Auslegung der erstgerichtlichen Feststellungen aus, wonach die Verschiebung des Weges über die Mappengrenze ausschließlich aufgrund dieser Bodenbewegung erfolgte, so hätte das zur Konsequenz, dass der strittige Wegteil weiterhin nördlich des Grundstücks des Klägers, nicht aber innerhalb dessen Grenzen verliefe.
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8.1. Zu berücksichtigen ist jedoch das klägerische Vorbringen, wonach im Jahr 2012 die Stadt D***** die Kanalisationsarbeiten „genau eingemessen“ habe, beim Kanalschacht in der Straßenmitte eine Vermessungsmarke angebracht worden sei und eine „Grenzrekonstruktion“ durch ein Vermessungsbüro stattgefunden habe, bei der die Grundstücksgrenzen des klägerischen Grundstücks „eindeutig festgesetzt“ worden seien.
8.2. Sollte der Kläger damit eine im Zuge einer Grenzverhandlung getroffene Einigung über den Grenzverlauf zwischen den Eigentümern der benachbarten Grundstücke Nr 73 und Nr 75/3 behaupten, so wäre zu beachten, dass einer vergleichsweise vorgenommenen Festlegung der Grenze unmittelbare Bedeutung für die Eigentumsverhältnisse zukommt, sofern eine unkenntliche oder streitige Grenze im Sinn des § 850 ABGB vorlag (Twaroch, Grundstücksgrenzen und Kataster, NZ 1994, 54 [60]) und die Eigentümer nicht bloß eine Eigentumsübertragung verschleiern wollten (6 Ob 256/10f; RS0013881 [T2]; vgl den der Entscheidung 1 Ob 202/13g zugrunde liegenden Sachverhalt). Unter diesen Voraussetzungen führt daher bei nicht in den Grenzkataster eingetragenen Grundstücken ein Vergleich über den Grenzverlauf zu einer Berichtigung der Grenze, ohne dass es weiterer Schritte bedürfte (2 Ob 22/17z = RS0013881 [T5]).
8.3. Sollte sich daher erweisen, dass der Kläger und die Eigentümer des Grundstücks Nr 75/3 im Jahr 2012 eine vergleichsweise Einigung über den Verlauf der Grenze zwischen diesen Grundstücken erzielt haben, so wäre der vereinbarte, nach dem Klagevorbringen durch die in der Wegmitte angebrachte Vermessungsmarke gekennzeichnete Grenzverlauf bindend. Auf die zeitlich davor stattgefundenen großflächigen Bodenverschiebungen käme es diesfalls für die Beurteilung des Eigentums des Klägers an Teilen des strittigen Weges nicht an.
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9.1. Wie aufgezeigt, lässt sich den erstgerichtlichen Feststellungen zudem nicht verlässlich entnehmen, ob im Zuge der Kanalisationsarbeiten im Jahr 2012 eine Verbreiterung des strittigen Weges nach Süden, also in Richtung des Hauses des Klägers stattgefunden hat; gegebenenfalls, ob die Verbreiterung dazu führte, dass der Weg – trotz „Mitwanderns“ der Naturgrenzen im Zuge der stattgefundenen Bodenverschiebungen – in das Grundstück Nr 73 hineinragte.
9.2. Eine allfällige Verbreiterung des Weges durch Baumaßnahmen allein führt grundsätzlich nicht zu einer Änderung der Eigentumsverhältnisse an den von der Wegtrasse in Anspruch genommenen Liegenschaftsteilen. Anderes könnte sich lediglich im Fall eines – die Qualifikation des Weges als Gebäude (dazu RS0009921; 7 Ob 222/00y) voraussetzenden – Eigentumsverlusts des Klägers durch Verschweigung in Kenntnis der Bauführung auf seinem Grund gemäß § 418 S 3 ABGB ergeben. Derartiges wurde jedoch im Verfahren nicht behauptet.
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10.1. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass im Fall einer Verschiebung der Naturgrenzen gegenüber den Mappengrenzen eines nicht im Grenzkataster eingetragenen Grundstücks durch eine allmählich eingetretene, großflächige Bodenverschiebung weiterhin die Naturgrenzen maßgeblich sind.
10.2. Sollte die Verschiebung des Weges gegenüber der Mappengrenze im vorliegenden Fall daher ausschließlich einer derartigen Bodenverlagerung geschuldet sein, würde dies bedeuten, dass das Berufungsgericht zu Recht das Eigentum des Klägers an Teilen des H*****weges und damit seine Aktivlegitimation zur Erhebung der Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB verneint hätte.
10.3. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen kann aber noch nicht verlässlich beurteilt werden, ob der Grenzverlauf nach der stattgefundenen Bodenverschiebung durch eine vergleichsweise Einigung der Eigentümer der betroffenen Grundstücke Nr 73 und Nr 75/3 verbindlich derart festgelegt wurde, dass Teile des strittigen Weges auf dem Grundstück des Klägers liegen.
10.4. Ebenso kann nicht beurteilt werden, ob – auch unter Berücksichtigung eines „Mitwanderns“ der Naturgrenzen mit einer großflächigen, allmählichen Bodenverschiebung – erst die Verbreiterung des Weges die Inanspruchnahme des Grundstücks des Klägers zur Folge hatte.
10.5. Dies macht eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und eine Ergänzung des Verfahrens erforderlich.
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11.1. Sollte sich erweisen, dass der strittige Weg unter Berücksichtigung der dargestellten Rechtslage auch über das Grundstück Nr 73 des Klägers verläuft, so wäre der Kläger zur Erhebung der Eigentumsfreiheitsklage aktiv legitimiert. Diesfalls wäre auf das vom Beklagten erstattete Vorbringen, den strittigen Weg aufgrund der Ersitzung eines Geh- und Fahrrechts zugunsten der Eigentümer des Grundstücks Nr 65 auszuüben, einzugehen.
11.2. Für die hier in Rede stehende Ersitzung einer Servitut beträgt die Ersitzungsfrist gemäß § 1470 ABGB 30 Jahre. Erforderlich ist die Ausübung redlichen (§ 1463 ABGB) und echten (§ 1464 ABGB) Besitzes während der Ersitzungsfrist; gemäß § 1477 ABGB setzt die uneigentliche (lange) Ersitzung keinen rechtmäßigen Besitz voraus (Meissel in KBB5§ 1478 Rz 1).
11.3. Der zur Ersitzung führende Besitz kann auch durch Stellvertreter, Boten oder andere Besitzmittler ausgeübt werden (RS0011655 [T1]), sofern er vom Besitzwillen des Ersitzenden getragen wird (RS0011655 [T6]). Für den Besitzwillen ist das äußere Bild der Benützung ausschlaggebend (RS0011655 [T3]). Notwendig ist eine für den Eigentümer des belasteten Gutes erkennbare Rechtsausübung (RS0033018 [T2]).
11.4. Ausgehend davon, dass im Zeitraum von 1970 bis zum Erwerb eines Spezialfahrzeugs durch den Onkel des Beklagten im Jahr 1985 Versorgungsfahrten für den Rechtsvorgänger des Beklagten ausschließlich von dessen Nachbarn E***** durchgeführt wurden, der den H*****weg auch zur Zufahrt zu seinem eigenen Grundstück verwendete, werden Feststellungen zu treffen sein, aus denen abgeleitet werden kann, ob diese Fahrten für die damaligen Eigentümer des Grundstücks 75/3 (über das der Weg im strittigen Streckenabschnitt verlief) als Besitzausübung zugunsten des Rechtsvorgängers des Beklagten, (und nicht als Ausübung eines eigenen Rechts des E*****) erkennbar waren. In diesem Zusammenhang könnten Rückschlüsse aus den zwischen dem Rechtsvorgänger des Beklagten und den Liegenschaftseigentümern, über deren Grundstücke der H*****weg führte, über die Wegnutzung geführten Gespräche gezogen werden. Die diesbezügliche Feststellung, dem Kläger sei die Zufahrt über den H*****weg „ebenfalls“ mündlich gestattet worden, lässt noch keine verlässlichen Schlüsse hinsichtlich einer dem Rechtsvorgänger des Beklagten erlaubten Benutzung zu.
11.5. Sollte sich – ausgehend von den dargestellten Erwägungen – ergeben, dass die Ersitzungsfrist des § 1477 ABGB vor der Einbeziehung von Teilen des Grundstücks Nr 73 des Klägers in den H*****weg (durch Verbreiterung oder eine einvernehmliche Grenzberichtigung) bereits abgelaufen war, wird zu beurteilen sein, ob der Kläger die offenkundige Servitut übernommen hat (vgl etwa 1 Ob 202/13g).
11.6. Sofern die Ersitzungsfrist vor der Einbeziehung von Teilen des Grundstücks Nr 73 des Klägers in den Weg noch nicht abgelaufen war, wird der vom Beklagten erhobene Einwand des Rechtsmissbrauchs zu prüfen sein.
12. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00107.19G.1024.000 |
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