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OGH vom 30.05.1973, 6Ob104/73

OGH vom 30.05.1973, 6Ob104/73

Norm

Genossenschaftsgesetz § 18;

Genossenschaftsgesetz § 19;

Genossenschaftsgesetz § 23;

Kopf

SZ 46/59

Spruch

Die den Vorstandsmitgliedern einer Genossenschaft obliegende Geschäftsführung ist beschränkbar; das Vorstandsmitglied haftet dann der Genossenschaft nur für sein Verschulden bei der Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben

(OLG Innsbruck 1 R 162/72, LG Feldkirch 3 Cg 1641/70)

Text

Der Beklagte wurde im Jahre 1945 zum Obmann des Vorstandes der Kläger (einer registrierten Genossenschaft m. b. H.) gewählt und behielt diese Funktion bis zum Feber 1968. In den Jahren 1961/1962 begann die Klägerin in B mit der Errichtung zweier Wohnblocks für ihre Mitglieder, deren erster im Jahre 1965 bezogen wurde. Zur Finanzierung dieser Bauvorhaben nahm die Klägerin bei der Sparkasse der Stadt B und der Hypothekenbank des Landes Kredite auf.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes 76.437.34 S samt Anhang mit der Behauptung, daß dieser die ihm als Obmann des Vorstandes obliegende Pflicht, für die Rückzahlung der Darlehen Sorge zu tragen grob fahrlässig verletzt habe. Hiedurch seien der Klägerin bezüglich des bei der Hypothekenbank des Landes aufgenommenen Kredites Verzugszinsen und Prozeßkosten in der Höhe von 151.437.34 S entstanden. Unter Berücksichtigung der vom ehemaligen Kassier und Vorstandsmitglied Hugo G zur teilweisen Schadensdeckung geleisteten Zahlung von 75.000 S verbleibe ein Restbetrag von 76.437.34 S. Der Beklagte beantragte Klagsabweisung und bestritt jedes Verschulden an dem von der Klägerin behaupteten Schaden, weil die finanziellen Angelegenheiten der Genossenschaft nicht zum Aufgabenkreis des Obmannes des Vorstandes gehört hätten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es war der Auffassung, daß es der Vorstand der Klägerin unterlassen habe, die ihm obliegenden Pflichten mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zu erfüllen. Als Obmann des Vorstandes wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, sich über die finanzielle Situation der Klägerin zu informieren und die zur Abdeckung der Bankverbindlichkeiten notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Wenn auch der Beklagte seine Funktion nur ehrenamtlich übernommen habe, so hätte er ihr dennoch gerecht werden müssen und hätte er sich nicht blindlings auf den Kassier verlassen dürfen. Keine Entschuldigung bedeute es auch für den Beklagten, daß der Aufsichtsrat seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Bei richtigen Maßnahmen des Vorstandes wären die aufgelaufenen Verzugszinsen vermeidbar gewesen. Der Beklagte habe aber seine jeweilige Wahl zum Obmann des Vorstandes nur unter der Bedingung angenommen, daß er nur einen beschränkten Aufgabenkreis zu erfüllen und mit kaufmännischen Angelegenheiten nichts zu tun habe. Damit seien die jeweiligen Jahreshauptversammlungen der Klägerin sowie die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einverstanden gewesen. Der Beklagte hafte daher auch nicht für den der Klägerin durch die Versäumnisse des Vorstandes in finanzieller Hinsicht entstandenen Schaden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es vertrat die Ansicht, daß die Vertretungsmacht des Vorstandes einer Genossenschaft nach außen hin unbeschränkbar sei. Im Innenverhältnis erfolgte Beschränkungen des Aufgabenkreises der einzelnen Vorstandsmitglieder seien jedoch zulässig und bewirken keine Änderung des Genossenschaftsvertrages, da hiedurch das Außenverhältnis der Genossenschaft gegenüber Dritten nicht berührt werde. Auch die vom Beklagten für seine jeweilige Wiederwahl gestellte Bedingung, daß er nur einen begrenzten Aufgabenkreis zu erfüllen habe, bewirke daher keine Änderung der Satzung und bedurfte weder der im § 9 Abs. 1 GenG vorgesehenen Schriftform, noch der Anmeldung beim Handelsgericht. Daß die Einberufung der jeweiligen Generalversammlungen nicht dem Gesetz (§ 30 GenG) entsprochen habe, hätte die Klägerin im Verfahren erster Instanz behaupten müssen. Ihr erstmaliges Vorbringen in ihrer Berufungsschrift stelle daher eine im Berufungsverfahren unzulässige Neuerung dar. Die vorgeschriebene Eintragung der Beschlüsse der Generalversammlung in ein Protokollbuch diene, soweit es sich um das Innenverhältnis betreffende Beschlüsse handle, nur Beweiszwecken und sei daher für deren Rechtswirksamkeit bedeutungslos. In dem ihm zugewiesenen Aufgabenkreis habe der Beklagte seine Pflichten voll und ganz erfüllt. Es könne ihm daher nicht als Verschulden angelastet werden, daß er sich um andere Aufgaben, die den übrigen Vorstandsmitgliedern zugewiesen worden sein, nicht gekümmert habe. Denn es gehe nicht an, jemandem nur einen beschränkten Aufgabenkreis zuzuweisen und ihn andererseits für einen Schaden verantwortlich zu machen, an dem ihn kein Verschulden treffe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revisionswerberin beharrt auf ihrem bereits im Berufungsverfahren vertretenen Standpunkt, daß die Beschränkung des Tätigkeitsbereiches des Beklagten als Obmann des Vorstandes nicht dessen "generellen" Haftungsausschluß zur Folge gehabt habe. Ein solcher Haftungsausschluß sei nämlich auch im Innenverhältnis zur Genossenschaft nicht möglich. Außerdem sei der Beklagte umfangreiche Verbindlichkeiten für die Revisionswerberin eingegangen. Wenn er tatsächlich nur einen beschränkten Wirkungskreis wahrnehmen sollte, so hätte er niemals die für die Revisionswerberin verhängnisvollen Verträge unterfertigen dürfen.

Die vorangehenden Ausführungen lassen erkennen, daß der Revisionswerberin der Unterschied zwischen der Vertretungsmacht des Vorstandes einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft und dessen Geschaftsführungsbefugnis (Hämmerle, Handelsrecht[2], II, 798) nicht geläufig ist. Die Unterfertigung der die Revisionswerberin verpflichtenden Schuld- und Pfandbestellungsurkunden durch den Beklagten erfolgte in Ausübung der ihm als Obmann des Vorstandes zustehenden Vertretungsmacht, die im Außenverhältnis (Dritten gegenüber) unbeschränkbar ist (Hämmerle, 798, Zahn, Handbuch für Genossenschaften [2"] 48). Auch im Innenverhältnis (Verhältnis zur Revisionswerberin) war die Vertretungsmacht des Beklagten nicht beschränkt, weil es zu seinem Aufgabenkreis gehörte, die Revisionswerberin nach außen zu vertreten und bei der Unterfertigung der vorgenannten Urkunden die Bestimmungen des § 21 Abs. 3 der Satzungen eingehalten wurden. Unzutreffend sind daher die Revisionsausführungen, daß der Beklagte durch die Unterfertigung dieser Urkunden, die ihm zugewiesenen Agenden überschritten habe. Außerdem ist der Schaden der Revisionswerberin nicht durch die Unterfertigung der sie verpflichtenden Vertragsurkunden, sondern durch die Nichterfüllung der in diesen gegenüber der Hypothekenbank des Landes übernommenen Rückzahlungsverpflichtungen entstanden.

Die den Vorstandsmitgliedern obliegende Geschäftsführung betrifft hingegen grundsätzlich das Innenverhältnis zur Genossenschaft und ist daher beschränkbar. Dies erkennt auch die Revisionswerberin, wenn sie eine Agendenverteilung, die im wesentlichen eine Beschränkung der einzelnen Vorstandsmitglieder auf bestimmte Sparten der Geschäftsführung darstellt, sogar für unerläßlich hält. Wurde aber einem Mitglied des Vorstandes einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft durch den Genossenschaftsvertrag oder durch Beschlüsse der Generalversammlung nur ein gewisser Aufgabenkreis übertragen, so hat dieses in der Regel nur in jenem Bereich die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes wahrzunehmen (Hämmerle, 798). Es haftet daher das einzelne Vorstandsmitglied auch nur für sein Verschulden bei der Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben. Die von der Revisionswerberin vertretene gegenteilige Auffassung würde den Grundsätzen von Treu und Glauben widersprechen.

Der Beklagte machte jeweils seine Wahl zum Obmann des Vorstandes der Revisionswerberin davon abhängig, daß sein Aufgabenkreis (Geschäftsführungsbefugnis) in dem eben erwähnten Umfange beschränkt werde. Nach Kenntnisnahme dieser Bedingung durch die Generalversammlung, den Aufsichtsrat und die übrigen Mitglieder des Vorstandes wurde der Beklagte jeweils zum Obmann des Vorstandes gewählt bzw. wiedergewählt. Da der Genossenschaftsvertrag eine derartige Beschränkung des Aufgabenkreises einzelner Vorstandsmitglieder nicht ausschließt, beinhalten die vorgenannten Beschlüsse der Generalversammlung keine Satzungsänderung. Für ihre Rechtswirksamkeit war daher weder Schriftlichkeit noch Eintragung in das Genossenschaftsregister erforderlich (§ 9 GenG). Auch die unterlassene Eintragung in das Protokollbuch (§ 34 Abs. 2 GenG) ist für das gültige Zustandekommen der Beschlüsse ohne Bedeutung, weil diese bei derartigen Beschlüssen nur Beweiszwecken dient. Die finanziellen und kaufmännischen Angelegenheiten der Revisionswerberin fielen nicht in den Aufgabenbereich des Beklagten, sondern waren jeweils vom Kassier Hugo G und vom Buchführer, die ebenfalls dem Vorstand angehörten, wahrzunehmen. Die Vernachlässigung dieser Angelegenheiten war aber die Ursache für den der Klägerin entstandenen Schaden. Mit Recht lehnten daher die Unterinstanzen die Haftung des Beklagten für die der Revisionswerberin durch die Verzögerung in der Darlehenstilgung erwachsenen Verzugszinsen ab. Außerdem wurde der Beklagte erstmalig im Sommer 1967 von der schwierigen finanziellen Situation der Revisionswerberin unterrichtet, zu welchem Zeitpunkt ein Großteil des Schadens bereits eingetreten war und der restliche Schaden vom Beklagten kaum mehr hätte abgewendet werden können.

Die weiteren Ausführungen der Revisionswerberin, daß die Generalversammlungsbeschlüsse über die Beschränkung des Aufgabenkreises des Beklagten wegen Verletzung der zwingenden Vorschrift des § 30 Abs. 2 GenG nicht wirksam zustandegekommen seien, beinhalten eine im Revisionsverfahren unzulässige Neuerung (§ 504

Abs. 2 ZPO). Die Revisionswerberin hat nämlich im Verfahren erster Instanz nicht behauptet, daß die Einberufung der jeweiligen Generalversammlungen nicht dem Gesetz entsprochen habe, sondern nur bestritten, daß eine Beschlußfassung über "einen Haftungsausschluß" des Beklagten erfolgt sei. Wenn daher die Revisionswerberin nunmehr behauptet, daß derartige von der Generalversammlung gefaßte Beschlüsse nicht rechtswirksam seien, so liegt hierin nicht ein neuer rechtlicher Gesichtspunkt sondern eine unzulässige Neuerung.

Richtig ist, daß in der Jahreshauptversammlung 1964 nach der Wiederwahl des Beklagten zum Obmann des Vorstandes die Geschäftsanweisung des Vorstandes beschlossen wurde, nach deren § 3 Abs. 2 sich die Vorstandsmitglieder über alle Angelegenheiten der Genossenschaft unterrichtet zu halten und gemeinsam über sie zu beraten haben. Die Revisionswerberin übersieht jedoch, daß der Beklagte in der Generalversammlung ausdrücklich erklärte, diesem Auftrag des Zentralverbandes sei zu entsprechen, um Schwierigkeiten zu vermeiden, daß jedoch "alles beim alten bleibe," was von der Generalversammlung zustimmend zur Kenntnis genommen wurde. Diese Äußerung des Beklagten kann nur dahin verstanden werden, daß eine Änderung in dem den einzelnen Vorstandsmitgliedern zugewiesenen Aufgabenkreis nicht einzutreten habe. Die vorgenannte im § 3 Abs. 2 der Geschäftsanweisung für den Vorstand festgelegte Verpflichtung der Vorstandsmitglieder wurde daher durch Beschluß der Generalversammlung sofort wieder außer Kraft gesetzt. Wenn auch dieser Beschluß der Generalversammlung nicht schriftlich festgehalten wurde, so war dies für seine Rechtswirksamkeit ohne Bedeutung, weil die Eintragung derartiger Beschlüsse in das Protokollbuch - wie bereits erwähnt - nur Beweiszwecken dient. Die Beschlüsse der Generalversammlung werden nämlich schon durch ihr gesetzmäßiges Zustandekommen und soweit sie registrierungspflichtig sind, durch Eintragung in das Genossenschaftsregister wirksam (Zahn, Handbuch für Genossenschaften, 74). Daß die Generalversammlung (Jahreshauptversammlung 1964) nicht beschlußfähig gewesen sei, wurde von der Revisionswerberin nicht behauptet.