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OGH vom 05.12.1996, 6Ob2285/96i

OGH vom 05.12.1996, 6Ob2285/96i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Otto S*****, vertreten durch Dr.Lukas Purtscher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Fritz J*****, vertreten durch Dr.Werner Fuchs, Rechtsanwalt in Landeck, wegen 200.000 S und Feststellung (Streitwert 60.000 S), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom , GZ 3 R 50/96-55, womit der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom , GZ 13 Cg 48/95m-40, ersatzlos aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 17.852,40 S (darin 2.975,40 S Umsatzsteuer) bestimmten Rekurskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte aufgrund eines Schiunfalles vom Beklagten Schmerzengeld und Verdienstentgang. In der Tagsatzung vom schlossen die Parteien einen Vergleich. Das Verhandlungsprotokoll wurde gemäß § 212a Abs 1 ZPO mittels Schallträgers abgefaßt. Die Parteien erklärten ihr Einverständnis, daß die Aufnahme auf dem Schallträger nach Ablauf der Widerspruchsfrist des § 212 Abs 5 ZPO gelöscht wird. Sie verzichteten ausdrücklich auf die Einhaltung der einmonatigen Frist des § 212a Abs 3 ZPO. Die Rechtsvertreter der Parteien fertigten das Protokoll "gemäß §§ 212a Abs 2, 212 Abs 1 ZPO nach Verzicht auf Wiedergabe der Aufnahme" (S 1 in ON 39). Der in der Folge vom Schallträger übertragene Protokollteil enthält nach der Wiedergabe der Vorgänge in der Verhandlung den Vergleichstext, dessen letzter Satz lautet: "Dieser Vergleich wird rechtswirksam, wenn er nicht von einer der beiden Streitteile bis zum widerrufen wird" (S 2 zu ON 39). Danach enthält der übertragene Protokollteil zwei Beschlüsse des Erstgerichtes (eine Ergänzung des Beweisbeschlusses und den Schluß der Verhandlung gemäß § 193 ZPO jeweils für den Fall des Widerrufs des Vergleichs). Das in Vollschrift übertragene Protokoll weist die Unterschriften der Erstrichterin und der Schreibkraft, welche die Protokollübertragung vorgenommen hatte, auf. Die Parteien hatten in der Tagsatzung keine Protokollabschrift beantragt.

Am langte beim Erstgericht ein am zur Post gegebener Schriftsatz des Klägers ein, womit dieser den Vergleich widerrief (ON 40).

Mit Beschluß vom (ON 40) wies das Erstgericht den Vergleichswideruf wegen Verspätung zurück.

Nachdem der Klagevertreter am beim Erstgericht eine Protokollabschrift des in Vollschrift übertragenen Teiles des Verhandlungsprotokolls vom behoben hatte, beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom die Berichtigung des Tagsatzungsprotokolls dahin, daß nach dem Inhalt des abgeschlossenen Vergleichs dieser rechtswirksam sein sollte, wenn nicht ein Widerruf seitens einer der Parteien bis spätestens zur Post gegeben wurde (ON 41). Dieser Protokollberichtigungsantrag wurde vom Erstgericht mit Beschluß vom abgewiesen (ON 43). Mit einem am überreichten Schriftsatz beantragte der Kläger für den Fall, daß seinem Protokollberichtigungsantrag nicht stattgegeben werde, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für den Vergleichswiderruf und die Fortsetzung des Verfahrens (ON 42). Das Erstgericht wies auch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens ab. Mit Schriftsatz vom erhob der Kläger Widerspruch gegen das Streitverhandlungsprotokoll vom und rügte abermals die Unvollständigkeit des Protokolls (ON 48). Der Protokollwiderspruch wurde vom Erstgericht als verspätet zurückgewiesen (ON 49).

Gegen die Beschlüsse ON 40 und ON 49 richteten sich fristgerechte Rekurse des Klägers.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs gegen den Beschluß ON 40 Folge, hob diesen Beschluß ersatzlos auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf. Die beiden anderen Rekurse wies das Rekursgericht wegen Wegfalls der Beschwer zurück. Das Rekursgericht vertrat die Auffassung, daß mangels einer Antragstellung auf Protokollabschrift der Vergleich gemäß § 212 Abs 6 ZPO in Vollschrift abgefaßt hätte werden müssen. Dies hätte nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes (SZ 59/170) nur unterbleiben können, wenn die Parteien Protokollabschriften beantragt hätten. Da der Vergleich weder in Vollschrift protokolliert worden, noch dem Kläger eine Protokollabschrift vor Ablauf der Widerrufsfrist zugestellt worden sei, fehle es an der für die Wirksamkeit des Vergleichs erforderlichen Schriftform. Aufgrund der Entscheidung des Rekursgerichtes sei der Kläger durch die weiters bekämpften Beschlüsse des Erstgerichtes nicht mehr beschwert. Diese Rekurse seien ohne inhaltliche Prüfung zurückzuweisen gewesen.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs wegen Fehlens einer oberstgerichtlichen Judikatur zulässig sei.

Die Zurückweisung der Rekurse gegen die Beschlüsse ON 43 und 49 erwuchs in Rechtskraft.

Mit seinem gegen die stattgebende Rekursentscheidung gerichteten Revisionsrekurs beantragt der Beklagte die Abänderung, daß dem Rekurs des Klägers nicht Folge gegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Kläger, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Zu beurteilen sind die prozessualen Voraussetzungen eines gerichtlichen Vergleiches (§ 204 ZPO). Ein gerichtlicher Vergleich kann zwar als materiellrechtliches Rechtsgeschäft wirksam, prozessual aber unwirksam sein (SZ 56/98).

Zu den Formerfordernissen eines prozeßbeendenden gerichtlichen Vergleichs hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom , 3 Ob 600/86 (SZ 59/170) in teilweiser Abkehr von einer in SZ 58/151 vertretenen Rechtsmeinung die Ansicht vertreten, daß ein in einer Tagsatzung abgeschlossener gerichtlicher Vergleich dann nicht in Vollschrift zu protokollieren ist, wenn das Tagsatzungsprotokoll im Einverständnis mit den Parteien mittels Schallträgers aufgenommen wurde (§ 212a Abs 1 ZPO). Es sei von dem auf Schallträger aufgenommenen Teil des Protokolls eine Übertragung in Vollschrift anzufertigen, die jedenfalls vom Richter zu unterschreiben und dem Protokoll als Beilage anzufügen sei (§ 212 Abs 5 iVm § 212a Abs 2 ZPO). Die im § 212 Abs 5 ZPO vorgeschriebene Übertragung in Vollschrift entfalle, wenn die Rechtssache durch Vergleich bei der Tagsatzung erledigt und keine Protokollabschrift begehrt werde. Der Vergleich sei in einem solchen Fall in Vollschrift zu protokollieren (§ 212 Abs 6 iVm § 212a Abs 2 ZPO). Aus der Formulierung "in solchem Falle" ergebe sich eindeutig, daß durch den zweiten Satz die Protokollierung in Vollschrift nur angeordnet sei, falls keine Protokollabschrift begehrt worden sei; andernfalls wären die genannten Worte sinnlos bzw hätte der Gesetzgeber die Formulierung "in jedem Falle" verwenden müssen. Nur wenn die Übertragung in Vollschrift entfalle, sei somit der Vergleich in Vollschrift zu protokollieren. Diese Rechtsansicht vertrat der Oberste Gerichtshof in der Folge mehrfach (EFSlg XXIII/5; 6 Ob 649/87; 3 Ob 64-67/90 ua). Auch der erkennende Senat hat sich in seiner Entscheidung 6 Ob 546/94 dieser Meinung angeschlossen und ausgeführt, daß die gemäß § 212 Abs 5 ZPO vorgeschriebene Übertragung in Vollschrift entfalle, wenn die Rechtssache durch Vergleich bei der Tagsatzung erledigt und keine Protokollabschrift begehrt worden sei. § 212 Abs 6 ZPO normiere die Protokollierung eines Vergleichs in Vollschrift unter zwei Voraussetzungen: 1. die Rechtssache müsse bei dieser Tagsatzung durch den Vergleich erledigt werden, und 2. die Parteien begehrten keine Protokollabschrift.

An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Die Protokollierung des Vergleichs in Vollschrift war hier schon deshalb nicht erforderlich, weil der Vergleich nur bedingt abgeschlossen wurde. Vergleiche, die unter der aufschiebenden Bedingung des Nichtwiderrufs während bestimmter Frist geschlossen werden, werden erst mit dem ungenützten Ablauf der Widerrufsfrist wirksam. Ihre prozeßbeendende Wirkung tritt erst in diesem Zeitpunkt ein (SZ 59/170 mwN). Die Parteien haben sich hier überdies vor Abschluß des Vergleichs in der Tagsatzung ausdrücklich mit der Protokollierung (des Vergleichs) mittels Tonbandes einverstanden erklärt (S 2 zu ON 39). Die Protokollierung in Vollschrift ist hier keine Voraussetzung für die Wirksamkeit des Vergleichs. Es ist daher die Frage der Rechtzeitkeit des Widerrufs des Vergleichs durch den Kläger zu prüfen. Der Widerruf wurde am letzten Tag der vereinbarten Widerrufsfrist zur Post gegeben und langte erst fünf Tage nach Ablauf der Frist beim Erstgericht ein. Die Vereinbarung eines bestimmten Endtermins für den Widerruf eines bedingt abgeschlossenen Vergleichs hat rechtsgeschäftlichen Charakter, weshalb weder die Anwendung des § 126 ZPO noch die des § 89 Abs 1 GOG in Betracht kommt (Spr. 46 neu = SZ 29/31; SZ 42/26; JBl 1977, 428; 6 Ob 1697/93 uva; Gitschthaler in Rechberger, ZPO Rz 7 zu § 206). Der Widerruf des Vergleichs hätte deshalb am letzten Tag der vereinbarten Frist beim Erstgericht einlangen müssen. Die Zurückweisung des verspäteten Vergleichswiderrufs durch das Erstgericht erfolgte daher zu Recht. Seine Entscheidung ist wiederherzustellen.

Dem in einem Zwischenstreit obsiegenden Rekurswerber sind die Rechtsmittelkosten zu ersetzen (§§ 41, 50 ZPO).