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OGH vom 25.10.2017, 3Ob159/17d

OGH vom 25.10.2017, 3Ob159/17d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen H*****, geboren am ***** 2009, Vater H*****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart-Loinig, Rechtsanwältin in Wien, Mutter B*****, vertreten durch Mag. Daniela Anzböck, Rechtsanwältin in Tulln, wegen Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 293/17m-134, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Neulengbach vom , GZ 1 Ps 58/13t-125, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die im Übrigen unberührt bleiben, werden im Umfang der Entscheidung über das Kontaktrecht der Mutter aufgehoben und dem Erstgericht wird insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Der Minderjährige lebt seit Februar 2013 beim Vater, dem mittlerweile die alleinige Obsorge übertragen wurde.

In der Verhandlung vom einigten sich die Eltern auf ein vorläufiges begleitetes Kontaktrecht der Mutter (in einem näher bezeichneten Besuchscafe). Im Zeitraum 20. April bis fanden daraufhin insgesamt 14 Besuchskontakte im Besuchscafe statt. Der Minderjährige zeigte dabei oftmals geringes Interesse an der Mutter; bei sechs Terminen wollte er sich nicht vom Vater trennen. Die Mutter war bei den Kontakten sehr um den Minderjährigen bemüht und konnte gut auf seine Spielvorschläge eingehen. Der Vater wirkte ebenfalls bemüht und interessiert am Funktionieren der Kontakte und zeigte sich auch beim Zusammentreffen mit der Mutter kooperativ. Nach dem Kontakt vom wurden seitens des Besuchscafes keine Termine mehr vergeben, weil das für die Durchführung der Besuchsbegleitung erforderliche ausreichende Maß an psychischer Stabilität bei der Mutter derzeit nicht gegeben und eine Weiterführung der Besuchskontakte daher erst bei entsprechender psychischer Beständigkeit möglich sei.

Zu Weihnachten 2015 gab es einen Besuchskontakt zwischen dem Minderjährigen und der Mutter in Begleitung der Taufpatin des Kindes und des Kinderbeistands. Zwischen Juli 2016 und Februar 2017 besuchte der Minderjährige die Mutter jeweils 14-tägig am Sonntag von 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr. Diese Kontakte wurden überwiegend von einem Freund des Vaters und vereinzelt von der Taufpatin des Kindes begleitet. Der Freund des Vaters ist nicht mehr bereit, Kontakte zu begleiten. Seither gab es keine Kontakte mehr zwischen dem Kind und der Mutter.

Die Mutter ist aktuell aufgrund des ihr gegenüber massiv ablehnenden Verhaltens des Minderjährigen, das sich in aggressivem und destruktivem Verhalten äußert, nicht in der Lage, unbegleitete Besuchskontakte wahrzunehmen.

Aus neurologischer Sicht besteht bei der Mutter, bei unauffälligem Neurostatus, klinisch kein Hinweis auf eine entzündlich-tumoröse, degenerative Hirnerkrankung, cerebrale Durchblutungsstörungen oder eine Hirnblutung. Die bei der Mutter von mehreren Personen unabhängig voneinander beobachteten „Aussetzer“ (kurzzeitige Bewusstseinsstörungen und daran anschließende Erinnerungslücken im Bezug auf bestimmte Situationen und Inhalte) könnten – mangels vorliegender Vorbefunde – dissoziative Zustände im Rahmen einer psychiatrischen Grunderkrankung sein oder kleine cerebrale Anfälle („Petit Mal Anfälle“), also Anfälle mit kurzer Bewusstseinspause ohne Sturz, die zu einer kurzzeitigen Amnesie für das Ereignis führen, von Außenstehenden aber häufig als Unaufmerksamkeit ohne Krankheitswert interpretiert werden. Temporallappenanfälle (psychomotorische Epilepsie) äußern sich ebenfalls mit kurzem Bewusstseinsverlust bzw Bewusstseinstrübung, gefolgt von für Außenstehende oft unlogisch anmutenden Handlungen, aus denen der Betroffene schließlich ins Bewusstsein zurückfindet. Auch dabei kommt es nachträglich zu einer Amnesie für das Ereignis. Aus neurologischer Sicht wäre daher eine weitere Abklärung, insbesondere durch ein bildgebendes Verfahren, geboten.

Die Mutter wirkt generell leicht manipulierbar und suggestibel. Es fehlt ihr jede Krankheitseinsicht und Motivation, sich durch eine Außenanamnese zu informieren oder entsprechende Untersuchungen durchführen zu lassen. Es fehlt ihr auch die Fähigkeit, eigenes Handeln zu hinterfragen, Fehler einzusehen und Defizite zu erkennen. Aus diesem Grund wäre auch eine allfällige Psychotherapie mit großer Wahrscheinlichkeit schwierig und der Erfolg fraglich. Es besteht der Verdacht, dass die Mutter an einer Schizophrenia simplex leidet, die meist im frühen Erwachsenenalter beginnt und sich durch formale Denkstörungen, Affektverflachung, eigenartiges verschrobenes Verhalten, aber ohne Halluzinationen manifestiert. Zusätzlich könnte eine intellektuelle Grenzbegabung bis leichte Minderbegabung bestehen, auch dissoziative Symptome könnten dabei auftreten. Diese sollten differenzialdiagnostisch auch aus neurologischer Sicht abgeklärt werden.

Im Hinblick auf die psychiatrische Erkrankung sind die Therapiemöglichkeiten beschränkt. Die Erkrankung ist nicht heilbar, eine Linderung der Symptome kann durch entsprechende medikamentöse Behandlung erfolgen, auch eine Psychotherapie könnte zur Stärkung der Ich-Funktionen, Persönlichkeitsentwicklung und generell Krankheits-bewältigung beitragen.

Der Vater beantragte mit Schriftsatz vom die Aussetzung des Kontaktrechts der Mutter. Der Besuchskontakt vom sei derart eskaliert, dass das Kind danach irritiert und verängstigt gewesen sei und mehrfach den Wunsch geäußert habe, nicht mehr zur Mutter fahren zu müssen. An diesem Tag sei die psychische Krankheit der Mutter deutlich geworden und habe sich auch massiv auf den Kontakt ausgewirkt. Bereits beim Eintreffen des Kindes um 14:00 Uhr habe die Stimmungslage der Mutter auffallend zwischen einem freundlichen und einem sehr aggressiven Ton geschwankt. Schon dieses Verhalten sei für den Minderjährigen sehr irritierend gewesen. Bei einem Spaziergang sei der Minderjährige mit seinem Skateboard auf einer Straße mit unübersichtlichen Kurven gefahren, ohne dass die Mutter ihn davon abgehalten hätte. In der Folge habe die Mutter die Idee gehabt, mit dem Auto einen Ausflug zu einer Waldkapelle zu machen, obwohl der dorthin führende Hohlweg durch Schneeschmelze und Regen komplett verschlammt gewesen sei; dies habe dazu geführt, dass sie mit dem Auto auf dem Weg stecken geblieben sei. Der Minderjährige sei daraufhin mit seiner ebenfalls mitgefahrenen Halbschwester zu Fuß zum Haus der Mutter zurückgekehrt, während der als Besuchsbegleiter fungierende Freund des Vaters der Mutter geholfen habe, das Auto wieder fahrtüchtig zu machen. Seit diesem Besuchskontakt sei der Besuchsbegleiter nicht mehr bereit, Kontakte zwischen der Mutter und dem Kind zu begleiten, weil für ihn das Verhalten der Mutter nicht mehr einschätzbar sei. Auch der Minderjährige sei nach dem Kontakt irritiert und verängstigt gewesen und habe mehrfach den Wunsch geäußert, nicht mehr zur Mutter fahren zu müssen. Zurzeit scheine die Mutter psychisch wieder extrem belastet, weshalb dem Minderjährigen derzeit kein weiterer Kontakt zumutbar sei. Bevor es wieder begleitete Kontakte gebe, müsse sich die Mutter dringend in psychiatrische Behandlung begeben.

Die Mutter sprach sich gegen eine Aussetzung ihres Kontaktrechts aus und beantragte im Gegenteil (ua) dessen Ausweitung.

Der Kinder- und Jugendhilfeträger führte in seiner Stellungnahme vom aus, dass sich die Mutter offenbar noch nicht in fachärztliche Behandlung begeben habe. Nach wie vor scheine es zu desorientiertem Denken und „eigenartigem“, nicht logisch nachvollziehbarem Handeln zu kommen. Diese Verhaltensweisen seien für den Minderjährigen extrem verunsichernd. Aus diesem Gründen werde dringend die Aussetzung der Besuchskontakte angeregt. Deren Fortführung ohne vorherige fachärztliche Behandlung der Mutter sei aus Sicht des Kinder- und Jugendhilfeträgers nicht weiter verantwortbar.

Das Erstgericht räumte (ua) der Mutter bis auf Weiteres ein Kontaktrecht (nur) einmal im Monat im Ausmaß von zwei Stunden, begleitet in einem Besuchscafe, ein und wies die von diesem Kontaktrecht abweichenden Anträge der Eltern ab. Aufgrund der psychischen Instabilität der Mutter sei derzeit kein unbegleiteter Kontakt möglich, weil ein solcher erst angedacht werden könne, wenn sie die notwendigen fachärztlichen Abklärungen und Behandlungen durchführe. Der vom Vater angestrebte gänzliche Kontaktabbruch entspräche allerdings nicht dem Kindeswohl, sodass ein monatlicher Kontakt in einem Besuchscafe anzuordnen sei. Zwar sei es schon einmal zum Abbruch begleiteter Kontakte seitens eines Besuchscafes gekommen, dennoch sei, insbesondere mangels tauglicher Alternative, ein neuerlicher Versuch in Angriff zu nehmen, um einen vollständigen Kontaktabbruch zu verhindern.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters, mit dem dieser die gänzliche Aussetzung des Besuchsrechts der Mutter anstrebte, nicht Folge. Die Entziehung oder Aussetzung des Kontaktrechts setze nach der Rechtsprechung eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls durch unbegleitete Kontakte und fehlende Verfügbarkeit sonstiger Mittel zum ausreichenden Schutz des Kindes voraus. Das Verfahren habe keine Hinweise für eine nachteilige Ausübung der persönlichen Kontakte durch die Mutter ergeben, die einen Grund für eine Entziehung oder Aussetzung der Kontakte darstellen könnten. Selbst eine psychische Erkrankung des besuchsberechtigten Elternteils könne nur unter besonderen Begleitumständen ein Grund für die Aussetzung der Kontakte sein. Der Vater stelle zwar immer wieder einen Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung der Mutter und der Ablehnung oder dem mangelnden Interesse des Minderjährigen an Kontakten her, dabei handle es sich aber nur um Mutmaßungen. Insbesondere die Beobachtungen aus den begleiteten Besuchskontakten im Jahr 2015 erlaubten es nicht, einen solchen Zusammenhang herzustellen, weil dort zwar Auffälligkeiten in den Reaktionen und Handlungen der Mutter beschrieben würden, jedoch kein Konnex zwischen diesen Handlungen und dem Verhalten des Kindes hergestellt werde. Gerade der letzte Besuchskontakt im Besuchscafe am zeige, dass dem Kind in Abwesenheit des Vaters durchaus ein harmonischer Kontakt zur Mutter möglich gewesen sei. Aggressives und destruktives Verhalten zeige der Minderjährige, wie sich aus dem eingeholten Sachverständigengutachten ergebe, nicht nur der Mutter gegenüber, auch wenn der Vater dies anders darzustellen versuche. Da die Erkrankung der Mutter grundsätzlich nicht heilbar sei und die Therapiemöglichkeiten beschränkt seien, käme die Empfehlung des Kinder- und Jugendhilfeträgers, die Kontakte bis zur Durchführung einer entsprechenden Therapie auszusetzen, mit hoher Wahrscheinlichkeit einem dauerhaften Ausschluss von Kontakten gleich. Eine professionelle Besuchsbegleitung biete im Hinblick darauf, dass der bisherige Besuchsbegleiter für begleitete Kontakte nicht mehr zur Verfügung stehe, noch die bestmögliche Garantie dafür, dass allfällige, durch die Erkrankung der Mutter gegebene Defizite professionell abgefangen würden und keine Gefahr für das Kind bestehe. Auch durch die Einschränkung des zeitlichen Ausmaßes und der Häufigkeit der Kontakte sei Gewähr dafür geleistet, dass allfällige Irritationen so gering wie möglich gehalten würden.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs macht der Vater im Wesentlichen geltend, dass sich das Rekursgericht in seiner Begründung umfassend auf ein vom Erstgericht eingeholtes Sachverständigengutachten stütze, obwohl dieses nicht lege artis erstellt worden sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wieso das Rekursgericht ausführlich auf die Kontakte des Jahres 2015 eingehe, nicht aber auf die wesentlich aktuelleren Kontakte zwischen Juli 2016 und Februar 2017. Es ignoriere auch die Stellungnahme des Kinder- und Jugendhilfeträgers vom , der die Aussetzung der Besuchskontakte dringend angeregt habe. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts bestehe sehr wohl ein Zusammenhang zwischen der massiven Ablehnung des Kindes gegenüber der Mutter und deren Verhalten.

Die Mutter hat trotz Freistellung durch den Obersten Gerichtshof keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Für die Regelung des Kontaktrechts ist allein das Wohl des Kindes ausschlaggebend (RIS-Justiz RS0047958). Die Aufrechterhaltung des Kontakts zu beiden Elternteilen ist grundsätzlich für eine gedeihliche Entwicklung des Kindes erforderlich und liegt daher im wohlverstandenen Interesse des Kindes (RIS-Justiz RS0048072). Eine Unterbindung der persönlichen Kontakte ist nur in Ausnahmefällen und nur aus besonders schwerwiegenden Gründen zulässig, etwa wenn die Ausübung des Rechts das Wohl des Kindes gefährdet (RIS-Justiz RS0047754).

2. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts kann hier nicht primär auf das Verhalten der Eltern und des Kindes im Rahmen der begleiteten Besuchskontakte im Jahr 2015 abgestellt werden. Feststellungen zum Verlauf der darauffolgenden, „privat“ begleiteten Kontakte, insbesondere im Zeitraum Juli 2016 bis Februar 2017, zur Eskalation am und dazu, aus welchem konkreten Grund der bisherige Besuchsbegleiter seither nicht mehr für diese Funktion zur Verfügung steht, fehlen allerdings.

3. In diesem Zusammenhang ist freilich schon jetzt festzuhalten, dass die vom Vater hinsichtlich des vorerst letzten Besuchskontakts erhobenen Vorwürfe (die Mutter habe einerseits das Kind auf der Straße nicht ausreichend beaufsichtigt und andererseits mit dem Auto eine ungeeignete Straße befahren, weshalb sie steckengeblieben sei) von vornherein nicht geeignet sind, eine völlige Aussetzung des Kontaktrechts der Mutter zu begründen; kann doch im Rahmen begleiteter Kontakte in einem Besuchscafe eine allfällige Unaufmerksamkeit der Mutter gar keine Gefährdung der körperlichen Sicherheit des Kindes nach sich ziehen.

4. Der Vater hat allerdings auch ins Treffen geführt, dass der Minderjährige durch das Verhalten der Mutter am irritiert und verängstigt gewesen sei. Dem Rekursgericht ist somit zwar grundsätzlich dahin zuzustimmen, dass eine psychische Erkrankung der Mutter, mag diese auch schwer oder gar nicht behandelbar sein, nicht zu einer dauerhaften Unterbindung von Kontakten zwischen Mutter und Kind führen kann. Umgekehrt ist aber gerade im Hinblick auf die letzte (aktuelle) Stellungnahme des Kinder- und Jugendhilfeträgers – ohne nähere Prüfung der konkreten Situation – eine derzeit gegebene Gefährdung des Kindeswohls durch das für den Minderjährigen irritierende Verhalten der Mutter keineswegs ausgeschlossen.

5. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren durch Einholung eines (weiteren) kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens – wobei es angesichts des zwischen dem Vater und der bisherigen Sachverständigen anhängigen Schadenersatzprozesses angezeigt erscheint, eine(n) andere(n) Sachverständige(n) zu bestellen – zu klären haben, welche Ursachen die massive Ablehnung des Kindes gegenüber der Mutter hat und ob im Hinblick darauf das Wohl des Minderjährigen (derzeit) durch die Fortsetzung von (begleiteten) Besuchskontakten gefährdet wäre; wenn ja, auf welche Weise die Mutter (oder auch der Vater) allenfalls Abhilfe schaffen könnte, wenn nein, in welchem Ausmaß und unter welchen Rahmenbedingungen ein Kontaktrecht der Mutter dem Kindeswohl am besten entspricht.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00159.17D.1025.000

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