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OGH vom 06.04.2006, 2Ob304/04a

OGH vom 06.04.2006, 2Ob304/04a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Kalivoda und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. D***** KG, und 2. F***** Gesellschaft mbH, *****, beide vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 48.053,48 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom , GZ 16 R 187/04v-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 15 Cg 141/03w-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin nimmt die Erstbeklagte als Bürgin im Sinne des § 14 AÜG in Anspruch; die Zweitbeklagte sei persönlich haftende Gesellschafterin der Erstbeklagten und hafte gemäß § 128 HGB. Die P***** KEG habe der Erstbeklagten im Zeitraum August 2001 bis Jänner 2002 regelmäßig Arbeitskräfte für diverse Aushilfstätigkeiten überlassen. Diese Arbeitskräfte seien im fraglichen Zeitraum zum Großteil, wenn nicht sogar zur Gänze, nicht bei der Klägerin zur Sozialversicherung gemeldet gewesen. Aufgrund einer Aufforderung gemäß § 20 AÜG zur Überlassung von Unterlagen betreffend die Arbeitskräfteüberlassung habe die Erstbeklagte näher genannte und fortlaufend nummerierte Rechnungen übermittelt. Es sei durch ein Verwaltungsstrafverfahren gegen die Geschäftsführer der Erstbeklagten gesichert, dass es sich dabei um überlassene Arbeitskräfte gehandelt habe. Die Sozialversicherungsbeiträge für alle Arbeitnehmer der Profi A***** KEG, die der Erstbeklagten überlassen worden seien, seien uneinbringlich, weil ein Konkursantrag der Klägerin gegen die P***** KEG mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen worden sei. Der persönlich haftende Gesellschafter der KEG sei flüchtig. Die Erstbeklagte hafte daher gemäß § 14 AÜG für die Dienstgeberbeiträge der ihr überlassenen Arbeitskräfte. Die Höhe des Entgeltes sei mangels Auskunftspersonen nicht mehr eruierbar, weshalb die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge ausgehend von den von der P***** KEG netto in Rechnung gestellten Beträgen zu beziffern sei, weil diese ihren Arbeitnehmern ausschließlich Nettoentgelte bezahlt habe. Ausgehend von den von der Erstbeklagten übermittelten Rechnungen und Arbeitsstundenaufzeichnungen errechneten sich unberichtigt aushaftende Dienstgeberbeiträge von EUR 48.053,48. Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die P***** KEG sei nur auf Werkvertragsbasis für die Beklagten tätig gewesen. Eine Feststellung der Löhne und der Sozialversicherungsbeiträge sei nicht möglich, weil beiden Streitteilen nicht bekannt sei, welche Arbeiter, wann und in welcher Anzahl Arbeitsstunden geleistet hätten.

Nach Erörterung der Schlüssigkeit des Klagebegehrens brachte der Klagevertreter vor, aufgrund mangelnder Informationen das Klagebegehren nicht weiter konkretisieren zu können. Das Erstgericht hat das Klagebegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens - mit Ausnahme der Verlesung von Urkunden - abgewiesen.

Es führte rechtlich aus, das Klagebegehren sei bereits deshalb unschlüssig, weil die Klägerin nicht aufgeschlüsselt habe, ob und welche Beiträge für die überlassenen Arbeitnehmer bezahlt worden seien oder uneinbringlich seien. Die Klägerin habe auch kein Vorbringen dazu erstattet, welche Arbeitnehmer in welchem Ausmaß oder Verhältnis den beklagten Parteien als Arbeitskräfte überlassen worden seien. Der von der Klägerin zur Berechnung des Klagebegehrens vorgenommene Weg der Rückrechnung aus den Rechnungen der P***** KEG sei deshalb nicht zulässig, weil es sich dabei nur um Mutmaßungen handle und das Vorbringen in sich unschlüssig sei. Einerseits werde vorgebracht, die Arbeitnehmer seien zum Großteil nicht bei der Klägerin zur Sozialversicherung gemeldet gewesen, andererseits werde eine Berechnung ausgehend von den Nettobeträgen mit dem Argument unterstellt, die Arbeitnehmer hätten die Beträge ohnedies „brutto für netto" bekommen. Diese Argumentation treffe jedenfalls für die zur Sozialversicherung gemeldeten betroffenen Arbeitnehmer nicht zu. Jedenfalls für diese hätte die Klägerin eine nähere Aufschlüsselung vornehmen können. Bei einer solchen Aufschlüsselung wäre zumindest ein Teil der Klageforderung nachvollziehbar.

Eine Anwendung des § 273 ZPO scheide aus, weil auch der Grund des Anspruchs fraglich sei.

Die Beklagten hätten auch ihrer Auskunftspflicht entsprochen, weil sie nach dem Vorbringen der Klägerin dieser Verpflichtung entsprechend ihrem Informationsstand nachgekommen seien. Das von der klagenden Partei angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es teilte die Rechtsmeinung des Erstgerichtes über die Unschlüssigkeit des erhobenen Klagebegehrens.

Die dem Grunde und der Höhe nach exakte Inanspruchnahme des Beschäftigers im Sinne des § 14 AÜG setze voraus, dass die Sozialversicherungsträger nicht nur das zwischen Mitarbeiter und Überlasser vereinbarte Entgelt kennen, sondern auch den jeweiligen Beschäftiger, den Beschäftigungsort und die Dauer des jeweiligen Einsatzes jedes einzelnen Mitarbeiters. Das ASVG setze nämlich in seinen Bestimmungen über die Pflichtversicherung, das Melde- und Beitragswesen und das Leistungsrecht die Kenntnis der Identität des betroffenen Arbeitnehmers ebenso voraus wie die des exakten Zeitraumes der Beschäftigung und des Entgeltes. Eine Einhebung von Beiträgen für „anonyme" Arbeitnehmer sei dem ASVG fremd. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage des notwendigen Ausmaßes der Konkretisierung des Klagevorbringens bei Inanspruchnahme der Beschäftigerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 14 AÜG nicht bestehe. Die klagende Partei beantragt in ihrem Rechtsmittel gegen diese Entscheidung, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur weiteren Verhandlung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die beklagten Parteien beantragen, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Wenngleich im Allgemeinen der Frage der Schlüssigkeit einer Klage keine erhebliche Bedeutung zukommt, ist die Revision doch aus den vom Berufungsgericht dargestellten Gründen zulässig, weil Rechtsprechung zu den Erfordernissen der Geltendmachung der Beschäftigerhaftung fehlt. Sie ist auch berechtigt.

Die Klägerin nimmt die beklagten Parteien als Bürgen im Sinne des § 14 Abs 1 AÜG in Anspruch. Diese Bestimmung normiert die Haftung des Beschäftigers für die gesamten der überlassenen Arbeitskraft für die Beschäftigung in seinem Betrieb zustehenden Entgeltsansprüche und die entsprechenden Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung als Bürge (§ 1355 ABGB).

Zweck dieser Regelung ist einmal die „Sicherung der finanziellen Ansprüche der überlassenen Arbeitskräfte". Darüber hinaus soll sie auch „den Beschäftiger zu einer sorgfältigen Auswahl des Überlassers anregen" (Geppert, Arbeitskräfteüberlassungsgesetz, 180; Leutner/B. Schwarz/Ziniel, Arbeitskräfteüberlassungsgesetz, 130). Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung die Hoffnung verknüpft, dass die Beschäftiger letztlich nur mit jenen Überlassern kontrahieren werden, bei denen die Gewähr auf Einhaltung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften gegeben ist (Geppert aaO). Bei dieser Bestimmung handelt es sich daher letztlich um eine Schutzbestimmung (auch) zugunsten der zuständigen Sozialversicherungsträger (Resch, Arbeitskräfteüberlassung und Sozialrecht, DRdA 2001, 399 [403]).

Die von der Klägerin angestellte Berechnung unterstellt, dass sich bei korrekter Beitragsverrechnung unter Zugrundelegung aller tatsächlichen Rechnungen und Arbeitsstundenaufzeichnungen die klagegegenständlichen Dienstgeberbeiträge rechnerisch ergeben hätten. Das Vorbringen über die Beitragsnachverrechnung ist mit Rücksicht auf den oben dargestellten Gesetzeszweck ausreichend (vgl auch Reckenzaun, Die Einbringung von Außenständen im Konkursverfahren von Personalbereitstellungsunternehmen, Überlegungen zur Anwendung von § 14 AÜG, ZIK 1999, 148 f). Das Klagebegehren ist daher in diesem Fall schlüssig begründet; ob es sich auch als berechtigt erweist, ist in diesem Verfahrensstadium nicht zu prüfen.

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zu treffen haben, ob die Erstbeklagte Arbeitskräfte iSd AÜG beschäftigt hat. Sollte dies der Fall sein, wird es - allenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen bzw unter Anwendung des § 273 ZPO - die Höhe der aushaftenden Dienstgeberbeiträge zu ermitteln haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.