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OGH vom 12.01.2012, 6Ob1/12h

OGH vom 12.01.2012, 6Ob1/12h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Erlagssache des Erlegers Landesgericht für Strafsachen Wien, AZ 3 c Vr 9966/78, Hv 214/78, gegen die Erlagsgegner J***** S*****, unbekannten Aufenthalts, vertreten durch Dr. Wolfgang Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, und andere, über die Revisionsrekurse der Erlagsgegner G***** M*****, vertreten durch Dr. Helmut Krenn, Rechtsanwalt in Wien, und Dipl. Ing. L***** S*****, *****, vertreten durch Dr. Peter Armstark, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 408/11k, 43 R 409/11g, 43 R 410/11d-611, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 3 Nc 43/10s 590 und 594, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Beschluss des Erstgerichts vom , berichtigt mit Beschluss vom , wurde der vom Landesgericht für Strafsachen Wien in der Strafsache gegen J***** S***** vorgenommene Erlag eines Sparkassenbuchs mit dem Stand per von 983.616 S gemäß § 2 Abs 2 des Bundesgesetzes über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse BGBl 1963/281 in Verbindung mit § 1425 ABGB zu Gericht angenommen. Dabei wurde ausgesprochen, dass die Ausfolgung des Sparkassenbuchs nur über einverständlichen Antrag sämtlicher Erlagsgegner oder aufgrund einer rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheidung erfolge.

Das Erstgericht leitete mit Beschluss vom das Einziehungsverfahren ein und erließ das Edikt zur Geltendmachung von Ansprüchen. Daraufhin trugen mehr als 200 Personen eine Vielzahl von Ansprüchen an das Verwahrschaftsgericht heran. Kein Erlagsgegner kann die Erfüllung der Ausfolgungsbedingungen dartun.

Mit Beschlüssen vom , ON 590 und 594, wies das Erstgericht die Ausfolgungsanträge (gerichtet auf Beträge von 122.047,86 EUR bzw 2.906,91 EUR samt 4 % Zinsen seit ) der Revisionsrekurswerber ab.

Das Erstgericht zog mit weiterem Beschluss vom , ON 599, gemäß §§ 3, 4 des Bundesgesetzes über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse idF BGBl I 2006/8 das Sparkassenbuch zu Gunsten des Bundes ein.

Das Rekursgericht gab den Rekursen der nunmehrigen Rechtsmittelwerber gegen die Abweisung ihrer Ausfolgungsanträge nicht Folge. In Bezug auf die angefochtenen Beschlüsse bestünden keine Unterschiede zwischen der Rechtslage nach dem „alten“ und dem „neuen“ VerwEinzG. Die Rechtsmittelwerber hätten die Ausfolgungsbedingungen nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für die Anwendung des „alten Rechts“ scheinen erfüllt zu sein. Der Einziehungsbeschluss sei mit Ausnahme des Erlegers und der Finanzprokuratur keiner Partei zugestellt worden. Dies werde nachzuholen sein. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil im Hinblick auf die jüngste Rechtsänderung und die Vielzahl der Ansprüche von mehr als 200 Beteiligten diesbezüglich unterschieden sich die „beiden VerwEinzG“ - eine abschließende Klärung des anzuwendenden Rechts der Rechtssicherheit dienlich sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse sind entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts mangels Vorliegens einer im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG erheblichen Rechtsfrage unzulässig.

Das mit in Kraft getretene Verwahrungs und Einziehungsgesetz (VerwEinzG) ist im Anlassfall nicht anzuwenden, weil über die Ausfolgung in erster Instanz vor dem entschieden worden ist (§ 18 Abs 2 VerwEinzG).

Die Erstrevisionsrekurswerberin macht bloß geltend, die §§ 12 bis 16 des Bundesgesetzes über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse seien verfassungswidrig, wäre doch der Bund bereichert, wenn zu seinen Gunsten eingezogen würde, weil er über keinerlei Anspruchsgrundlage verfüge. Es genügt, dem entgegenzuhalten, dass § 3 Abs 1 die Einziehung geringwertiger und § 4 des zitierten Gesetzes die Einziehung von Verwahrnissen, die nicht geringwertig sind, für den Bund normieren.

Als Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens rügt der Zweitrevisionsrekurswerber, dass das Rekursgericht keinen Gesetzesprüfungsantrag in Bezug auf die „Bestimmungen des BGBl 1963/281 bzw des im Wesentlichen gleichlautenden BGBl I 2010/111“ gestellt habe. In der Verneinung verfassungsrechtlicher Bedenken durch das Gericht zweiter Instanz kann schon deshalb kein Verfahrensmangel gelegen sein, weil die Frage der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Bestimmungen ohnehin durch den Obersten Gerichtshof selbst zu prüfen ist (RIS Justiz RS0043201).

Strafgerichtliche Verwahrnisse, die nach Wegfall des Rechtsgrundes für die gerichtliche Verwahrung nicht ausgefolgt werden können, hat das Strafgericht nach § 1425 ABGB zu hinterlegen; für solche Verwahrnisse gelten dann die Vorschriften des Bundesgesetzes über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse BGBl 1963/281 (§ 2 Abs 2 dieses Gesetzes). Auf diese Weise ist vor allem vorzugehen, wenn es mehrere Eigentumsansprecher gibt oder die Berechtigung des einzigen Eigentumsansprechers infolge Erklärungen des Beschuldigten oder aus anderen Gründen zweifelhaft ist, aber auch, wenn dem Strafgericht im Bemühen zur Wiedergutmachung des verursachten Schadens Bargeld oder Wertpapiere als Befriedigungsfonds für die Schadenersatzansprüche der Geschädigten gegen den Angeklagten (Verurteilten) wegen der angeklagten Taten übergeben wurden (5 Ob 32/00t, SZ 73/48 mwN; vgl 1 Ob 376/98w).

Auf einen Erlag nach § 2 Abs 2 des Bundesgesetzes über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse ist die Regelung des § 1425 ABGB mit der Modifikation anzuwenden, dass an Stelle des Schuldners das Strafgericht als Erleger agiert (5 Ob 32/00t). Dieses Gesetz normiert nicht, an wen auszufolgen ist. Neben diesem Gesetz sind wie schon wiederholt für die im Anlassfall maßgebliche Rechtslage ausgesprochen auf einen gerichtlichen Erlag nach § 1425 ABGB die Bestimmungen der §§ 284 ff Geo über das Gerichtserlagswesen anzuwenden (1 Ob 376/98w). Das Erlagsverfahren nach § 1425 ABGB ist ein außerstreitiges Verfahren (RIS Justiz RS0033469), dessen nähere Ausgestaltung bis ausschließlich in §§ 285 ff Geo (Hinterlegungsverfahren) und §§ 314 ff Geo (Ausfolgungsverfahren) geregelt war (4 Ob 119/11w).

Dem Erlagsgegner ist das Hinterlegte durch Beschluss auszufolgen. Im Fall einer Mehrheit von Erlagsgegnern müssen alle der Ausfolgung an einen zustimmen, außer es liegt eine rechtskräftige Entscheidung vor (3 Ob 129/03x), die das bessere Recht an der erlegten oder auf die erlegte Sache feststellt (2 Ob 16/05z). Eine rechtliche Untersuchung im Außerstreitverfahren über die Ausfolgungsfrage findet nicht statt (RIS Justiz RS0006638; vgl auch RS0033517; RS0033648). Die Zustimmung des Erlegers ist nicht mehr erforderlich (8 Ob 176/99m ua). Diese Voraussetzungen einer Ausfolgung, die jenen im Annahmebeschluss entsprechen, haben die Revisionsrekurswerber unstrittig nicht erfüllt.

Die der referierten Rechtsprechung gegenteilige Auffassung des Zweitrevisionsrekurswerbers, das Bundesgesetz über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse sei dahin zu interpretieren, dass die Ansprüche der Rechtsmittelwerber als einzig verbliebene Anspruchsteller zur Gänze befriedigt werden, weil die anderen Verfahrensbeteiligten durch ihre Nichtbeteiligung bzw nicht weitere Beteiligung am Verfahren auf ihre Anspruchstellung verzichtet hätten, ist offenkundig unzutreffend. Das genannte Gesetz normiert nicht, an wen unter welchen Voraussetzungen das Erlegte auszufolgen ist. Die Ausfolgung eines Erlags nach § 2 Abs 2 des zitierten Gesetzes unterliegt den Regeln der Ausfolgung eines Erlags nach § 1425 ABGB. Eine Gesetzeslücke, die geschlossen werden müsste, liegt daher nicht vor. Dass die anzuwendenden Bestimmungen in Fällen mit einer großen Anzahl von Forderungsprätendenten die Durchsetzung von Ausfolgungsansprüchen erschweren können, vermag daran nichts zu ändern. Es ist nicht Sache der Rechtsprechung, die als unbefriedigend empfundene Gesetzeslage zu ändern.

Der Zweitrevisionsrekurswerber sieht durch „die Bestimmungen des BGBl 1963/281 bzw des im Wesentlichen gleichlautenden BGBl I 2010/111“ das Grundrecht der Unverletzlichkeit des Eigentums (Art 5 StGG; Art 1 des 1. ZP EMRK) verletzt, weil er durch den Privatbeteiligtenzuspruch ein Recht erworben habe, der Bund aber in „keinster Weise“ berechtigt sei. Würden daher die von den offenbar nur drei Forderungsprätendenten, die auch Rekurse verfasst hätten, gestellten Forderungen zugunsten des Bundes eingezogen, so seien diese in ihrem Eigentumsrecht verletzt.

Auch damit wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt. Dem Vorbringen ist zu erwidern, dass keine Forderungen der Erlagsgegner zugunsten des Bundes eingezogen werden.