OGH vom 28.09.2011, 7Ob166/11d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen Mag. R***** M*****, vertreten durch Dr. Johannes Buchmayr, Rechtsanwalt in Linz, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 15 R 256/10p 13, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom , GZ 6 P 246/10p 5, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Gegen die Betroffene ist zu 6 C 44/09h des Bezirksgerichts Linz eine Klage des geschiedenen Ehemanns auf Herabsetzung der Verpflichtung zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts anhängig. Die zuständige Richterin des Bezirksgerichts fasste in der ersten mündlichen Streitverhandlung am den Beschluss auf Verfahrensunterbrechung zur Einleitung eines Sachwalterschaftsverfahrens gemäß § 6a ZPO. Anschließend führte die auch für das Sachwalterschaftsverfahren zuständige Erstrichterin eine Erstanhörung der Betroffenen durch. Diese brachte laut dem betreffenden Protokoll dabei zum Ausdruck, dass sie die Richterin, die sie im Unterhaltsherabsetzungsverfahren bereits erfolglos als befangen abgelehnt hatte, für befangen halte. Dann entfernte sie sich und leistete damit der Aufforderung der Richterin, zu bleiben, damit ihre Angaben zum Protokoll genommen werden könnten, keine Folge. Die Erstrichterin bestellte mit Beschluss vom den Rechtsanwalt Dr. K***** F***** zum Verfahrenssachwalter und zum einstweiligen Sachwalter für die dringende Angelegenheit der Vertretung im Unterhaltsherabsetzungsverfahren. Mit Beschluss vom selben Tag beauftragte sie einen medizinischen Sachverständigen mit der Erstattung von Befund und Gutachten darüber, ob bei der Betroffenen eine psychische Erkrankung oder geistige Behinderung vorliege. Die Erstrichterin führte dazu im Wesentlichen aus, die Betroffene scheine nach dem Ergebnis der Erstanhörung vom nicht in der Lage, alle ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Das Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters geprüft werde, sei daher fortzusetzen. Das hochgradig irrationale Verhalten der Betroffenen in der ersten mündlichen Streitverhandlung führe zu ernsthaften Zweifeln an ihrer Prozessfähigkeit. Sie sei nicht in der Lage, sich vernünftig zu vertreten. Der zum einstweiligen Sachwalter bestellte Rechtsanwalt habe die Betroffene schon mehrmals erfolgreich vertreten.
Das von der damals noch unvertretenen Betroffenen angerufene Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Die Bestellung des Verfahrenssachwalters gemäß § 119 AußStrG sei entgegen der Ansicht der Betroffenen, der zweieinhalb Wochen Zeit gegeben worden sei, einen eigenen Vertreter zu bestellen, weder vorschnell noch gegen deren Wohl erfolgt. Es seien Anzeichen einer psychischen Beeinträchtigung der Betroffenen vorhanden, die sie hindere, ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen. Die Betroffene habe sich insofern irrational verhalten, als sie auf ihren Standpunkten beharrt und sich teilweise in nicht nachvollziehbarer Art und Weise geweigert habe, gerichtliche Entscheidungen anzunehmen. So habe sie in anderen Verfahren in zwei schriftlichen Eingaben darauf bestanden, dass eine Rekursentscheidung zu unterfertigen sei, obwohl ihr schriftlich mitgeteilt worden sei, dass eine handschriftliche Unterfertigung aufgrund der neuen gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr in jedem Fall notwendig sei. In einem anderen Rekursverfahren habe sie trotz anderslautender Entscheidung des Rekursgerichts nicht einsehen wollen, dass sie die Kosten ihrer Vertretung nunmehr übernehmen müsse. Diese Haltung zeige die Betroffene auch durch den vorliegenden Rekurs, in dem sie auf bereits abgeschlossene, zurückliegende Verfahren wie das die Erstrichterin betreffende Ablehnungsverfahren eingehe. Es lägen somit ausreichende Gründe vor, das Verfahren zur Überprüfung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung fortzusetzen. Dabei sei zwingend für eine Vertretung der Betroffenen im Verfahren zu sorgen. Deren Ausführungen, sie halte den zum Verfahrenssachwalter bestellten Rechtsanwalt für „ablehnungwürdig“, seien als Umbestellungsantrag zu werten, mit dem sich das Erstgericht noch auseinanderzusetzen haben werde.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfragen im Sinn des § 62 AußStrG zu lösen gewesen seien.
Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen, die Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, den angefochtenen Beschluss des Rekursgerichts dahin abzuändern, dass das Verfahren über die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters gemäß § 122 AußStrG eingestellt werde.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig und im Sinn des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung darf das Verfahren zur Prüfung, ob für eine Person ein Sachwalter zu bestellen ist, nur eingeleitet werden, wenn begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung zur Wahrung der Belange des Betroffenen vorliegen (3 Ob 39/09w mwN ua). Die bloße Behauptung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung ist für die Einleitung des Verfahrens nicht hinreichend; die Anhaltspunkte müssen konkret und begründet sein. Sie haben sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz der betreffenden Person zu beziehen. Fehlen solche Anhaltspunkte, darf das Verfahren nicht eingeleitet werden (RIS Justiz RS0008526). Zwar dürfen die Konkretisierungserfordernisse für solche Anhaltspunkte im Zusammenhang mit der Entscheidung des Gerichts, das eingeleitete Sachwalterbestellungsverfahren fortzuführen und für den Betroffenen einen Verfahrenssachwalter und einen einstweiligen Sachwalter zu bestellen, nicht überspannt werden; für die Fortsetzung des Verfahrens genügt schon die bloße Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters kommen kann (RIS Justiz RS0008542). Es ist aber doch ein Mindestmaß an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat zu fordern und zumindest konkret festzustellen, in welchem Zusammenhang sich der Betroffene in der Vergangenheit in einer seinen eigenen Interessen objektiv zuwiderlaufenden Weise verhalten hat und/oder aufgrund welcher (konkreten) Umstände die Befürchtung nahe liegt, er werde sich (auch) in Hinkunft selbst Schaden zufügen (1 Ob 110/09x ua).
Ausreichende Feststellungen, die diesbezüglich eine Beurteilung erlaubten, hat die Erstrichterin nicht getroffen. Sie hat der Betroffenen, ohne dies näher zu begründen, „hochgradig irrationales“ Verhalten bei der ersten mündlichen Streitverhandlung im Unterhaltsherabsetzungsverfahren attestiert und daraus ernsthafte Zweifel an der Prozessfähigkeit der Betroffenen abgeleitet. Ein „hochgradig irrationales“ Verhalten der Betroffenen lässt sich allerdings dem betreffenden Verhandlungsprotokoll nicht entnehmen. Danach hat die unvertretene - Betroffene einer Unterhaltsherabsetzung im Wesentlichen mit folgenden Argumenten widersprochen: Der Kläger habe die Verringerung seines Einkommens mutwillig herbeigeführt. Einkommen aus einer eventuellen Nebenbeschäftigung des Klägers sei auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage anzurechnen, ebenso eine Erbschaft. Auch eine vom Kläger bezogene Abfertigung sei bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen, sollte der Kläger nicht ohnehin auf sein bisheriges Einkommen anzuspannen sein. Schließlich habe der Kläger einen Unterhaltsanspruch gegenüber seiner nunmehrigen Ehefrau, der ebenfalls zu berücksichtigen sei. Aus diesen zur Widerlegung des Klagebegehrens grundsätzlich tauglichen, zielgerichteten Einwendungen der (damals noch) unvertretenen Betroffenen kann ein irrationales Verhalten keineswegs abgeleitet werden. Die Erstrichterin hat weiter protokolliert, dass sich die Verhandlungsführung „wegen ständigem Abgleiten der Beklagten vom Thema, von den von der Richterin gestellten Fragen, Unterbrechungen des Vortrags der Richterin und ihrer Protokollierung, Überhäufen des Richtertischs mit Dokumenten auch nach mehrmaligen Ermahnungen“ äußerst schwierig gestalte. Dies deutet auf ein undiszipliniertes und unhöfliches Verhalten der Betroffenen hin, die im Revisionsrekurs als „streitbare Person“ bezeichnet wird. Zunächst ist dabei wohl eher an sitzungspolizeiliche Maßnahmen (§ 22 AußStrG) zu denken; eine besondere Schutzbedürftigkeit aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung lässt sich allein daraus nicht herleiten. Auch die vom Rekursgericht im Zusammenhang mit dem behaupteten irrationalen Verhalten der Betroffenen „nachgelieferte“ Begründung, diese beharre auf ihren Standpunkten und weigere sich „teilweise in nicht nachvollziehbarer Art und Weise“, gerichtliche Entscheidungen anzunehmen, stellen noch kein taugliches Tatsachensubstrat für die Annahme einer geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung dar und erlauben noch keine Rückschlüsse auf eine allfällige Schutzbedürftigkeit der Betroffenen.
Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren daher Feststellungen zu treffen haben, nach denen beurteilt werden kann, ob tatsächlich Anlass zur Befürchtung besteht, die Betroffene könnte sich aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen Behinderung selbst Nachteile zufügen. Erst dann wird die Ansicht des Erstgerichts, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Betroffene im Unterhaltsherabsetzungsverfahren die Hilfestellung eines einstweiligen Sachwalters benötige, einer Überprüfung im Rechtsmittelweg zugänglich sein. Erst dann kann auch beurteilt werden, ob die Fortführung des Sachwalterbestellungsverfahrens durch Einholung eines medizinischen Gutachtens erforderlich ist.