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OGH 23.11.2004, 1Ob167/04x

OGH 23.11.2004, 1Ob167/04x

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Philip N*****, geboren am *****, infolge der Revisionsrekurse a) des Minderjährigen, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie - Rechtsfürsorge Bezirk 10, als gesetzlichen Vertreter gemäß § 212 Abs 2 ABGB, und b) des Vaters Christian N*****, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 48 R 34/04m-43, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom , GZ 28 P 6/01w-38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Beide Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Der Antrag des Vaters auf Anberaumung einer mündlichen Revisionsrekursverhandlung wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Vater war ursprünglich - aufgrund eines Vergleichs vom  - zu einer monatlichen Unterhaltsleistung für sein Kind im Betrag von 218,02 EUR verpflichtet. Am begehrte der Minderjährige die Erhöhung der vom Vater zu erbringenden monatlichen Unterhaltsleistung ab auf 400 EUR, wobei dieses Begehren in der Folge mehrfach (am 8. und , siehe ON 32 und 33) sowohl der Höhe wie auch den Zeiträumen nach modifiziert wurde. Am stellte er überdies den Antrag, den Vater zur Zahlung eines Sonderbedarfs von 391,05 EUR für eine kieferorthopädische Behandlung zu verpflichten.

Der Vater wendete ein, er habe im Zuge der Ehescheidung einen Kredit übernommen, den PKW seiner geschiedenen Gattin überlassen, Kosten für die eigene Wohnraumschaffung zu tragen, erbringe im Zuge der Besuche seines Kindes ausgedehnte Betreuungsleistungen, und die von der Mutter bezogene Familienbeihilfe sei auf seinen Unterhalt anzurechnen.

Das Erstgericht erhöhte den vom Vater zu zahlenden monatlichen Unterhalt für die Zeit vom  bis auf 335 EUR, vom 1. 1. bis auf 350 EUR, für die Zeit vom 1. 10. bis auf 395 EUR, vom bis auf 460 EUR, und schließlich ab  auf 410 EUR. Den darüber hinausgehenden Antrag des Minderjährigen wies es ebenso ab wie dessen Antrag auf Auferlegung der Sonderbedarfskosten.

Das Rekursgericht bestätigte diese - in der Abweisung des Antrags auf Verpflichtung des Vaters zur Zahlung des Sonderbedarfs nicht in Beschwerde gezogene - Entscheidung und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Es ging davon aus, dass selbst die Berücksichtigung der vom Vater behaupteten Wohnraumbeschaffungskosten keine für den Vater relevante Änderung seiner Unterhaltsverpflichtung zur Folge hätte; Gleiches gelte für die der ständigen Rechtsprechung entsprechende Nichtberücksichtigung der Krankenscheingebühr und der Gewerkschaftsbeiträge. Die Kosten für die Anschaffung eines PKWs könnten deshalb keine Berücksichtigung finden, weil dem Vater eine Fahrzeit von eineinhalb Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchaus zumutbar sei. Die sogenannte "Prozentsatzjudikatur" stelle nur eine Orientierungshilfe für die Unterhaltsbemessung dar, und deren Anwendung sei nicht zu beanstanden. Jedenfalls widerspreche der Zuspruch des bloßen "Regelbedarfs" dem Gesetz. Die Berechnung des Unterhalts unter Bedachtnahme auf die vom Erstgericht wegen der gebotenen steuerlichen Entlastung des Vaters berücksichtigten "Transferleistungen" sei richtig erfolgt. Dies gelte auch für den Zeitpunkt, ab welchem eine solche Anrechnung zu erfolgen habe, nämlich erst ab , weil dies der geltenden Rechtslage aufgrund des Art 140 Abs 7 B-VG entspreche. Die unterhaltsrechtliche Berücksichtigung der Transferleistungen habe nicht erst ab Leistung des Geldunterhalts durch den geldunterhaltspflichtigen Elternteil stattzufinden, sondern bereits ab der Auszahlung dieser Transferleistung an den anderen Elternteil.

Die Revisionsrekurse des Minderjährigen und des Vaters sind unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

I. Zum Rechtsmittel des Vaters:

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , G 7/02, ausgesprochen, dass die von ihm aufgehobene Wortfolge des § 12a FamLAG nicht mehr anzuwenden sei und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten. Bei jeder diesem Erkenntnis nachfolgenden Gerichtsentscheidung ist daher die neue Rechtslage anzuwenden. Unbestrittenermaßen können noch nicht verjährte Unterhaltsansprüche auch für die Vergangenheit rückwirkend auf drei Jahre geltend gemacht werden. Eine rückwirkende Neufestsetzung der Unterhaltspflicht ist grundsätzlich auch im Wege einer Unterhaltsherabsetzung oder Unterhaltseinstellung zulässig. Die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs geschaffene neue Rechtslage kann auch zurückwirken; sie gilt jedenfalls für jene Unterhaltsverfahren, die bereits vor der Kundmachung des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs anhängig waren (EvBl 2004/10; 1 Ob 242/03z uva).

Der Vater meint nun, die "Transferleistungen" müssten auch für die Zeiträume Berücksichtigung finden, die vor dem Tag der Kundmachung des zitierten Erkenntnisses vom (am ) lägen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden:

Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die rückwirkende Herabsetzung des Kindesunterhalts wegen der gebotenen steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen nur stattfinden könne, wenn das Verfahren darüber zum Zeitpunkt der Kundmachung des Verfassungsgerichtshofserkenntnisses über die Aufhebung von Teilen des § 12a FamLAG schon anhängig gewesen sei. Herabsetzungsanträge, die nach diesem Zeitpunkt gestellt werden, könnten dagegen nicht zur rückwirkenden Herabsetzung führen (ecolex 2004, 532 = 8 Ob 139/03d; 10 Ob 55/03s). Im Wesentlichen wurde diese Rechtsansicht damit begründet, dass sich aus dem Verfassungsgerichtshofserkenntnis eine generelle Rückwirkungsanordnung für sämtliche Sachverhalte, deren Verwirklichung noch vor Kundmachung des Aufhebungserkenntnisses abgeschlossen wurde, nicht ableiten ließe; demnach sei im Unterschied zu den im Aufhebungszeitpunkt bereits anhängigen Verfahren in jenen Verfahren, die erst nach Kundmachung des Erkenntnisses anhängig gemacht wurden, die neue Rechtslage erst ab ihrem Inkrafttreten anzuwenden. Gleiches muss auch für den Fall gelten, in dem nicht ein formeller Herabsetzungsantrag gestellt wird, sondern vom Unterhaltsschuldner in einem Verfahren über einen Unterhaltserhöhungsantrag die Berücksichtigung der "Transferleistungen" gefordert wird. Gegenteilige Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs liegen nicht vor. Die vom Revisionsrekurswerber zitierte Abhandlung Gitschthalers in ÖA 2003, 158 [164 f] behandelt ebensowenig wie die dort zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs die hier entscheidungswesentliche Frage; Gleiches gilt für die Ausführungen dieses Autors in ÖJZ 2003, 821 [834 ff]. Von einer divergenten Judikatur kann daher nicht die Rede sein.

Die Ausführungen des Vaters zu Art 13 EMRK sind nicht geeignet, die Richtigkeit der zuvor zitierten und zum entscheidungswesentlichen Sachverhalt ergangenen OGH-Entscheidungen in Zweifel zu ziehen. Durch die Anwendung von Art 140 Abs 7 B-VG werden keine in der EMRK festgelegten Rechte und Freiheiten (des Vaters) verletzt, derentwegen er "eine wirksame Beschwerde bei der nationalen Instanz" einlegen könnte. Abgesehen davon, dass ihm das Recht, ein Rechtsmittel gegen die von ihm angefochtene Entscheidung zu erheben, nicht genommen wurde, liegt keine Rechtsverletzung vor; vielmehr wurde durch das zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs eine neue Rechtslage geschaffen, der Rechnung zu tragen ist (vgl ecolex 2004, 532; 10 Ob 55/03s; EvBl 2004/101 Ob 242/03z; 4 Ob 185/03i1 Ob 135/02p; Gitschthaler aaO). Für alle Arten von Anträgen auf Festsetzung des Unterhalts, sei es auf Erstfestsetzung, sei es auf Erhöhung oder Herabsetzung, gilt für alle daran Beteiligten das Gleiche: Die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs geschaffene neue Rechtslage ist erst ab Kundmachung dieses Erkenntnisses anzuwenden. Eine Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts des Unterhaltsschuldners ist somit nicht zu erkennen, insbesondere auch kein Verstoß gegen Art 6 EMRK bzw gegen Art 83 Abs 2 B-VG.

Der Anregung des Vaters, ein Verfahren zur Prüfung des Art 140 Abs 7 B-VG einzuleiten, ist schon deshalb nicht näherzutreten, weil diese Norm (zur Regelung der "Ergreiferprämie") selbst im Verfassungsrang steht und nicht gegen ein Baugesetz der Bundesverfassung verstößt.

Auch der Höhe nach entsprechen die Entscheidungen der Vorinstanzen der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs. Wie schon das Rekursgericht richtig ausgeführt hat, stellt die sogenannte "Prozentsatzjudikatur" lediglich eine Orientierungshilfe dar, die für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen heranzuziehen ist: Soll ein Kind - wie sich eindeutig aus § 140 Abs 1 ABGB ergibt - an den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen angemessen teilhaben dann ist auch nicht nur der "Regelbedarf" zuzuerkennen, sondern - von einer nicht mehr vertretbaren Überalimentierung des Kindes abgesehen - ein entsprechend höherer Unterhalt zu bestimmen. Auch insofern zeigt der Vater keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.

Eine mündliche Verhandlung über einen Revisionsrekurs ist sowohl der Zivilprozessordnung wie auch dem Außerstreitgesetz fremd. Der Antrag des Vaters auf Anberaumung einer mündlichen Revisionsrekursverhandlung ist aber schon mangels eines prozessualen Antragsrechts zurückzuweisen (vgl 1 Ob 188/00d uva).

II. Zum Revisionsrekurs des Minderjährigen:

Der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen vertritt die Ansicht, die "Transferleistungen" seien erst dann zu berücksichtigen, wenn der Unterhaltspflichtige die ihm auferlegte Geldleistung tatsächlich erbringe. Dem kann nicht gefolgt werden. Nach ständiger Rechtsprechung sind - sofern der dem Unterhaltspflichtigen gewährte Unterhaltsabsetzbetrag nicht ausreicht - die dem das Kind betreuenden Elternteil zufließenden Transferleistungen (Kinderabsetzbetrag und Familienbeihilfe) derart heranzuziehen, dass der Unterhaltsbeitrag entsprechend gekürzt wird (JBl 2004, 306 uva). Demgemäß gebührt dem Unterhaltsberechtigten nur jener Unterhalt, der ihm aufgrund des nach der gebotenen steuerlichen Entlastung verbleibenden Einkommens des Unterhaltspflichtigen zuzubilligen ist. Ein höherer Unterhaltsbetrag steht dem Unterhaltspflichtigen also von vornherein nicht zu. Der Geldunterhaltspflichtige hat daher in jedem Fall Anspruch darauf, durch entsprechende Berücksichtigung der Transferzahlungen steuerlich entlastet zu werden (vgl EvBl 2003/45), es sei denn, es lägen die sonstigen Voraussetzungen für die Anrechnung der Transferleistungen nicht vor, insbesondere, wenn dem Unterhaltspflichtigen sein Einkommen ohnehin frei von jeglicher steuerlicher Belastung verbliebe (vgl 6 Ob 108/02d).

Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung macht auch der Minderjährige in seinem Revisionsrekurs nicht geltend.

Beide Revisionsrekurse sind demnach zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2004:0010OB00167.04X.1123.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
KAAAD-41465