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OGH vom 18.10.2005, 1Ob163/05k

OGH vom 18.10.2005, 1Ob163/05k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, Türkei, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte OEG in Wien, wider die beklagte Partei E*****, Italien, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 193.463 sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 239/04k-36, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 33 Cg 190/02v-32, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 11.577,64 EUR (darin 867,77 EUR Umsatzsteuer und 6.371 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe :

Die Streitteile schlossen im Jahr 2000 einen „Rahmenvertrag", der den Vertrieb der von der türkischen Klägerin hergestellten Produkte durch die italienische Beklagte zum Gegenstand hatte. Für allfällige Rechtsstreitigkeiten wurde die Zuständigkeit österreichischer Gerichte vereinbart, ohne dass auf das anzuwendende Recht Bezug genommen wurde.

Mit ihrer im Dezember 2002 bei Gericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin EUR 193.463 samt gestaffelten Zinsen an offenem Kaufpreis für im Rahmen dieses Vertriebsvertrags, aber aufgrund von insgesamt 20 Einzelverträgen, gelieferte Maschinen und Container. Mangels Rechtswahl sei italienisches Recht anzuwenden. Dies gestand die Beklagte zu (ON 8), wendete aber ein, die gelieferten Waren seien mangel- und fehlerhaft gewesen. Ihr Schaden an Verbesserungs- und Reparaturaufwand betrage EUR 239.497,88 und werde der Klagsforderung kompensando entgegen gehalten. Die Fehler bzw Vertragswidrigkeiten habe sie angezeigt und gerügt.

Im weiteren Verfahren gingen die Streitteile übereinstimmend von der Anwendung italienischen Rechts als Sachrecht sowie daraus folgend von der Anwendbarkeit der Bestimmungen des UN-Kaufrechts aus. Dass (ausdrücklich oder schlüssig) eine Rechtswahl getroffen worden wäre, wurde von keiner der Parteien vorgebracht.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung mit EUR 193.463 sA als zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung von EUR 239.479,88 als nicht zu Recht bestehend, und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von EUR 193.463 sA. Auf die der Klagsforderung zu Grunde liegenden Kaufverträge seien die Bestimmungen des UN-Kaufrechts anzuwenden. Die Beklagte habe den sie treffenden Beweis rechtzeitiger Mängelrügen nicht erbracht, weshalb sie alle ansonsten nach allgemeinem Zivilrecht wegen der Leistung mangelhafter Ware zustehenden Rechte verloren habe.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung der Beklagten, in welcher als Berufungsgrund allein jener der Mangelhaftigkeit des Verfahrens genannt und auch ausgeführt ist. Eine Rechtsrüge wurde nicht erhoben. Auch unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sind keine Ausführungen enthalten, die inhaltlich eine Rechtsrüge darstellten. Auf die Frage des anzuwendenden Rechts fehlt jegliche Bezugnahme.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens infolge Unterbleibens der Einvernahme bestimmter Zeugen sei zu verneinen, ebenso jene infolge einer angeblich unvollständig gebliebenen Parteienvernehmung des Geschäftsführers der Beklagten. Allerdings hätten die Parteien und das Erstgericht unzutreffend die Anwendbarkeit italienischen Rechts und daraus folgend des UN-Kaufrechts zu Grunde gelegt. Wohl unterstehe der Vertragshändlervertrag (Rahmenvertrag) dem Recht am Sitz des Vertragshändlers; die einzelnen Kaufverträge würden aber unverändert dem Recht am Sitz des Verkäufers unterliegen, hier also der türkischen Rechtsordnung. Da die Türkei kein Vertragsstaat des UN-Kaufrechtsübereinkommens sei, scheide die autonome Anwendung des UN-Kaufrechts aus. Die sogenannte „Vorschaltung" der Regeln des internationalen Privatrechts führe nach Art 1 Abs 1 lit b UN-Kaufrecht führe zur Anwendbarkeit italienischen Rechts, sollten die Regeln des internationalen Privatrechts auf dieses Recht verweisen. Diese Regeln würden aber im gegenständlichen Fall hinsichtlich der einzelnen Kaufverträge nicht auf das Recht des Käufers, sondern des Verkäufers der Waren, also auf türkisches Recht verweisen. Damit seien die Mängelrüge-Erfordernisse und gegebenenfalls der Verlust von Schadenersatzansprüchen aus mangelhafter Lieferung nach türkischem Recht zu beurteilen. Eine schlüssige Rechtswahl sei vor Klagseinbringung nicht erfolgt. Wenn auch die Parteien im Verfahren übereinstimmend die Rechtsmeinung vertraten, es sei italienisches Sachrecht anzuwenden, stehe dem § 11 Abs 2 IPRG entgegen, wonach eine in einem anhängigen Verfahren bloß schlüssig getroffene Rechtswahl jedenfalls unbeachtlich sei. Entgegen den §§ 3 und 4 IPRG sei die Ermittlung türkischen Rechts unterblieben. Da die Frage, ob der geltend gemachte Verfahrensmangel abstrakt geeignet sei, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu verhindern, untrennbar mit der Frage verknüpft sei, ob auch bei Anwendung türkischen Rechts die aufgrund verspäteter bzw unzureichender Mängelrüge erhobene Gegenforderung der Beklagten erfolglos geblieben wäre, sei die Unterlassung der Prüfung des anzuwendenden ausländischen Rechts vom Berufungsgericht aufzugreifen. Dass eine Rechtsrüge nicht erhoben wurde, sei nicht maßgeblich. Jedenfalls dann, wenn ohne Ermittlung des heranzuziehenden Sachrechts nicht beurteilt werden könne, ob der geltend gemachte Verfahrensmangel wesentlich im Sinne des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO gewesen sei, sei die unterbliebene Ermittlung des anzuwendenden ausländischen Sachrechts auch dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens „mit zu unterstellen". Das Erstgericht habe daher zunächst eine Klarstellung dahin vorzunehmen, ob tatsächlich eine Rechtswahl unterblieben sei; bejahendenfalls bedürfe es umfangreicher Erhebungen, welche Kriterien nach türkischem Recht auf die Erfordernisse einer Mängelrüge anzulegen seien.

Der Rekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zu Recht rügt die Klägerin, dass das Berufungsgericht die Frage des anzuwendenden Rechts von sich aus aufgegriffen hat, ohne dass der Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht worden war. Dazu ist auszuführen:

Nach ständiger Rechtsprechung hat das Berufungsgericht die Entscheidung der ersten Instanz nur innerhalb der Grenzen der Berufungsanträge und unter Bindung an die geltend gemachten Berufungsgründe zu überprüfen (Kodek in Rechberger ZPO2 § 462 Rz 2 mwN). Nur Nichtigkeitsgründe sind von Amts wegen wahrzunehmen (§ 471 Z 7 ZPO). Ansonsten ist das Gericht im Rahmen seiner im Rechtsmittelverfahren beschränkten Dispositionsbefugnisse an die Rechtsmittelanträge, Rechtsmittelerklärungen und Rechtsmittelgründe gebunden (Fasching in Fasching2 IV/1, Einleitung Rz 26).

Nun ist zwar richtig, dass in Fällen, in denen fremdes Recht maßgeblich ist, dieses von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden ist (§ 3 IPRG). Dieser Anordnung der amtswegigen Anwendung des fremden Rechts liegt zu Grunde, dass fremdes Recht auch im Inland „Recht" ist und daher seine Anwendung eine Rechtsfrage darstellt. Seine fehlerhafte Anwendung bildet den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und ist somit auch revisibel (Verschraegen in Rummel ABGB3, § 3 IPRG Rz 1). Wenngleich die §§ 2 bis 4 IPRG für Gerichtsbarkeit und Verwaltung die volle Amtswegigkeit der gesamten kollisionsrechtlichen Beurteilung anordnen, hängt im Rechtsmittelverfahren die amtswegige Prüfung der Rechtsanwendungsfrage dennoch von der Erhebung der Rechtsrüge ab (IPRE 1/104; 2/3; ZfRV 1988, 223; Verschraegen aaO, § 2 IPRG Rz 1). Die Regel, dass das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung nur innerhalb der Grenzen der gestellten Anträge überprüft, geht vor und lässt keinen Raum für die Prüfung nicht geltend gemachter Berufungs- bzw Revisionsgründe (siehe Kralik in Festschrift Fasching 1988, Das fremde Recht vor dem Obersten Gerichtshof, 305). In der Berufung der Beklagten fehlt nicht nur eine Rechtsrüge, auch im Rahmen der Mängelrüge wird die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob unter der fiktiven Annahme der Geltung türkischen Rechts dem gerügten Verfahrensmangel Relevanz zukäme, nicht angeschnitten. Selbst wenn man die Nichtbefolgung der Ermittlungspflicht durch den Richter als „Verfahrensmangel eigener Art" ansieht (SZ 46/83; Verschraegen aaO, § 4 IPRG Rz 3 mwN), darf ein solcher, nicht geltend gemachter Verfahrensmangel vom Berufungsgericht nicht aufgegriffen werden. Nur dann hätte sich das Berufungsgericht mit der Frage des anzuwendenden Rechts befassen dürfen, wenn die unrichtige Lösung kollisionsrechtlicher Probleme im Rahmen der rechtlichen Beurteilung von der Berufungswerberin wahrgenommen worden oder - wenngleich auch nur inhaltlich - diese als „Verfahrensmangel eigener Art" geltend gemacht worden wäre. Beides ist jedoch nicht geschehen, sodass das Berufungsgericht die seiner Ansicht nach unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache nicht aufgreifen und verbessern durfte.

Das Vorliegen der von der Beklagten gerügten Verfahrensmängel hat bereits das Berufungsgericht verneint, weshalb dem Obersten Gerichtshof ein Eingehen auf die Verfahrensrüge verwehrt ist. Sonstige Rechtsmittelgründe wurden nicht releviert. Demnach bedarf es keiner Verfahrensergänzung und ist dem gegen die Aufhebung und Zurückverweisung gerichteten Rekurs Folge zu geben. Zufolge Spruchreife kann sogleich in der Sache selbst im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils erkannt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.