OGH vom 23.10.2003, 6Ob213/03x

OGH vom 23.10.2003, 6Ob213/03x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragsteller 1. Josef A*****, 2. Mag. Dr. Wilhelm R*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Leitner und Dr. Helmut Platzgummer, Rechtsanwälte in Wien, 3. Berthold B*****, 4. Leopold S 5. Christine O*****, 6. Franz O*****, 7. DI Gerhard O*****, 8. Christian G*****, sowie des gemeinsamen Vertreters Saxinger Chalupsky Weber & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wels, gegen die Antragsgegner 1. G***** GmbH & Co OHG, *****, 2. G***** GmbH, *****, 3. GE M***** GmbH, *****, alle vertreten durch Dorda Brugger & Jordis, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Überprüfung des Barabfindungsangebots gemäß §§ 225c ff AktG iVm § 2 UmwG, über den Revisionsrekurs des Zweitantragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom , GZ 6 R 79/03k-39, womit der Beschluss des Landesgerichtes Wels vom , GZ 29 Fr 2042/02k-33, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsrekursverfahrens vorläufig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Antragsteller waren Aktionäre der am im Firmenbuch gelöschten K***** AG. Anlass der Löschung war die Übertragung ihres Vermögens nach § 5 UmwG auf die gleichzeitig errichtete G***** GmbH & Co OHG (die Erstantragsgegnerin). Die Zweit- und Drittantragsgegner sind persönlich haftende Gesellschafter der Erstantragsgegnerin. Den im Zuge der Umwandlung ausscheidenden Minderheitsaktionären - darunter auch der Antragstellerin - wurde nach § 2 Abs 2 Z 3 UmwG eine Barabfindung von 17 EUR pro Aktie gewährt.

Die Antragsteller begehren die Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung gemäß §§ 225c ff AktG iVm § 2 Abs 3 UmwG und deren Erhöhung auf zumindest 34 EUR pro Aktie. Das Überprüfungsverfahren ist beim Erstgericht anhängig. Es beschloss, ein Gutachten des Gremiums zur Überprüfung des Barabfindungsangebots (im Folgenden: Gremium) einzuholen. Das Gremium trug daraufhin in dem vor ihm eingeleiteten Verfahren den Antragsgegnern unter Fristsetzung auf, nachstehende Urkunden vorzulegen: Protokoll der Hauptversammlung vom samt Umwandlungsbeschluss, Umwandlungsplan, Umwandlungsprüfungsbericht des Umwandlungsprüfers, Schlussbilanz vom der übertragenden Gesellschaft, Bewertungsgutachten des Umwandlungsprüfers, Wirtschaftsprüfungsberichte (Einzel- und Konzernabschluss der K***** AG für die Geschäftsjahre 2000/2001 und 1999/2000), Quartalsbericht der K***** AG 1/2001, Halbjahresbericht 2000/2001, 9-Monatsbericht 2001, Prognoserechnungen für die Jahre 2001/2002 bis 2009/2010 der K*****-Gruppe und die vom Aufsichtsrat genehmigte Planrechnung für die Geschäftsjahre 2002/2003 und 2003/2004.

Mit Schreiben vom teilte der Vorsitzende des Gremiums dem Vertreter des Zweitantragstellers, der Einsicht in die vorgelegten Urkunden begehrt hatte, mit, eine Einsichtnahme in die von den Antragsgegnern vorgelegten Urkunden sei vorerst nicht möglich, weil sie Geschäftsgeheimnisse enthielten und die Antragsgegner diese Urkunden mit dem Begehren, sie von der Akteneinsicht auszunehmen, vorgelegt hätten. Eine diesbezügliche Erörterung werde in der Verhandlung am erfolgen.

Der Zweitantragsteller brachte daraufhin am beim Erstgericht den Antrag ein, das Erstgericht wolle dem Gremium den Auftrag erteilen, ihm (dem Zweitantragsteller) uneingeschränkte Akteneinsicht in den beim Gremium erliegenden Akt, insbesondere in die von den Antragsgegnern vorgelegten Urkunden zu gewähren.

Das Erstgericht wies den Antrag zurück. Der Firmenbuchrichter sei für die Erteilung der Einsicht in den beim Gremium geführten Akt nicht zuständig. Nach den im Verfahren außer Streitsachen sinngemäß anzuwendenden Regelungen des § 219 ZPO und des § 170 Geo stehe den Verfahrensbeteiligten grundsätzlich die Einsicht in den Akt des Firmenbuchgerichtes samt aller im Verfahren vorgelegter Beilagen zu. Das Verfahren zur Überprüfung des Barabfindungsangebots sei durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass das Kollegialorgan (Gremium) als Gutachterkommission, Schlichtungsstelle und ein mit fachkundigen Laienrichtern besetzter Gerichtssenat tätig werde. Es sei auch dazu berufen, auf eine gütliche Streitbeilegung durch Vergleich hinzuwirken. Es trete daher insofern mehr als Schlichtungsstelle denn als Sachverständiger auf. Der Firmenbuchrichter habe keinen unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung des Verfahrens vor dem Gremium. Aus den vom Gesetzgeber getroffenen Regelungen folge, dass das Verfahren vor dem Gremium ein eigenes - nach den analog anzuwendenden Grundsätzen des Verfahrens außer Streitsachen durchzuführendes - Verfahren sei. Seine Zielsetzung sei es, sollte ein Vergleich nicht zustande kommen, ein Gutachten über die angemessene Höhe der Barabfindung zu erstatten. Die Einhaltung der allgemeinen Verfahrensgrundsätze, so auch die Wahrung des Parteiengehörs obliege dem Gremium selbst. Es habe somit auch über die Einsicht über den bei ihm geführten Akt zu entscheiden. Dieser Akt werde auch nicht Bestandteil des Gerichtsaktes, das Gremium übermittle dem Gericht lediglich das von ihm erstellte Gutachten.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und wies den im Rekursverfahren gestellten Antrag des Zweitantragstellers, dem Gremium den Auftrag zu erteilen, auch allen übrigen Verfahrensparteien uneingeschränkte Akteneinsicht in dem beim Gremium erliegenden Akt und in die von den Antragsgegnern vorgelegten Urkunden zu gewähren, ebenso zurück wie den in der Rekursbeantwortung gestellten Antrag der Antragsgegner, den Antrag des Zweitantragstellers auf uneingeschränkte Akteneinsicht in Stattgebung des Rekurses des Zweitantragstellers nicht zurück-, sondern abzuweisen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs wegen Fehlens von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zulässig sei. Von der zutreffenden Begründung des Erstgerichts ganz abgesehen, habe der Vorsitzende des Gremiums dem Zweitantragsteller die Akteneinsicht bisher nicht verweigert, sondern die Entscheidung darüber einer Erörterung mit den Parteien vorbehalten. Für das erstmals im Rekurs gestellte Begehren, auch allen Verfahrensparteien Akteneinsicht zu gewähren, sei das Rekursgericht funktionell nicht zuständig, insoweit werde der Rekurs zurückgewiesen. Der in der Rekursbeantwortung der Antragsgegner gestellte Antrag, in Abänderung der Entscheidung erster Instanz das Begehren der Antragsteller abzuweisen, werde gleichfalls zurückgewiesen, weil die Rechtsmittelbeantwortung nicht dazu diene, eigene Abänderungsanträge zu stellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Zweitantragstellers ist zulässig, aber nicht berechtigt:

Als Ausgleich für den Verlust ihrer Anteilsrechte an der Kapitalgesellschaft sind die im Zuge einer Umwandlung ausscheidenden (Minderheits-)Gesellschafter bar abzufinden (§ 2 Abs 2 Z 3 UmwG). Die Angemessenheit der im Umwandlungsplan festgelegten Barabfindung kann - von der davor stattfindenden Umwandlungsprüfung abgesehen (dazu Zöchling, Die Prüfung von Umgründungen nach dem EU-GesRÄG, RWZ 1997, 154) - über Antrag von Minderheitsgesellschaftern gerichtlich überprüft werden (§ 2 Abs 3 UmwG iVm § 225c AktG). Das Überprüfungsverfahren dient der Kontrolle der für die Festlegung der Angemessenheit der Barabfindung notwendigen Unternehmensbewertung (Kalss in Kalss, Verschmelzung, Spaltung, Umwandlung, §§ 225b und c Rz 3). Nach § 225e AktG entscheidet das Gericht in einem Verfahren außer Streitsachen. Auf Verlangen einer Partei hat das Gericht ein Gutachten des sogenannten Gremiums zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses einzuholen (§ 225g Abs 1 AktG). Zusammensetzung, Verfahren und Beschlussfassung dieses Gremiums sind in § 225g AktG - allerdings nur ansatzweise - geregelt. Welches Verfahren das Gremium anzuwenden hat ist ebensowenig geregelt wie die Frage einer allfälligen Anfechtung von Beschlüssen des Gremiums. Im Schrifttum wird dazu die Auffassung vertreten, das Gremium habe das Verfahren außer Streitsachen analog anzuwenden (Szep in Jabornegg/Strasser AktG4 § 225g Rz 5; ebenso wohl Bachner in Kalss, Verschmelzung, Spaltung Umwandlung § 225g AktG Rz 5) und im Hinblick auf die Bedeutung seines Gutachtens für die Gerichtsentscheidung Parteiengehör zu gewähren (Bachner aaO Rz 6; Bachner, Bewertungskontrolle bei Fusionen, 94).

Nach § 225g Abs 7 AktG ist das Gremium befugt, von den an der Umgründungsmaßnahme beteiligten Gesellschaften Auskünfte zu verlangen. Es kann vor Erstattung seines Gutachtens erforderlichenfalls ihm nicht angehörende (externe) Sachverständige mit der Aufnahme von Befunden und der Erstattung von Gutachten beauftragen (§ 225g Abs 6 AktG). Eine Mitwirkung des zur Entscheidung über den Überprüfungsantrag berufenen Gerichts ist nur für den Fall eines Vergleichsabschlusses vor dem Gremium vorgesehen. Nach § 225h Abs 1 AktG hat das Gremium auf einen Vergleichsabschluss hinzuwirken und den zustande gekommenen Vergleich zu protokollieren. Die Urschrift des von den Gremiumsmitgliedern und den Parteien (ihren Vertretern) unterfertigten Vergleichs ist dem Gericht zur Genehmigung vorzulegen. Eine inhaltliche Prüfungskompetenz des Gerichts ist nicht vorgesehen. Das Gericht hat vielmehr einen nach den Formvorschriften des § 225h Abs 1 zustandegekommenen Vergleich zu genehmigen (§ 225h Abs 2 AktG; RV 32 BlgNR 98). Kommt kein Vergleich zustande, hat das Gremium - allenfalls nach Einholung eines externen Sachverständigengutachtens - sein Gutachten zu erstatteten und dem zur Entscheidung über den Überprüfungsantrag berufenen Gericht vorzulegen.

Nach der gesetzlichen Konzeption geht somit die Rechtsstellung des Gremiums über jene eines ihm gerichtlichen Auftrag tätig werdenden Sachverständigen hinaus (Szep in Jabornegg/Strasser AktG4 § 225g Rz 5): Um seiner Aufgabe, die für die Festlegung der Angemessenheit der Barabfindung erforderliche Unternehmensbewertung zu kontrollieren (Kalss aaO §§ 225b und c AktG Rz 3) nachkommen zu können, muss das Gremium materielle verfahrensleitende Schritte zur Stoffsammlung setzen. So muss es etwa beschließen, welche Urkunden vorzulegen sind, welche Auskünfte von den Beteiligten verlangt werden und ob die Beiziehung eines externen Sachverständigen erforderlich ist. Die für eine Unternehmensbewertung schließlich erforderlichen Feststellungen kann das Gremium nur unter Würdigung der ihm vorgelegten Beweismittel und nach Beurteilung von Rechtsfragen treffen (Szep aaO Rz 5; Bachner, Bewertungskontrolle aaO 93;Bachner in Kalss aaO § 225g Rz 2). Insoweit geht seine Rechtsstellung weit über jene eines Sachverständigen hinaus (zur [Un-]Zulässigkeit eigener Ermittlungshandlungen des Sachverständigen siehe Rüffler, Der Sachverständige im Zivilprozess 168 ff, 180 ff). Das Gremium ist nicht nur eine als Sachverständiger tätige Kommission, sondern zugleich auch ein mit Aufgaben eines Gerichts betrautes und mit fachkundigen "Laienrichtern" besetztes "Entscheidungsorgan", das nicht nur selbständig bestimmen kann, welche Urkunden die Parteien vorzulegen haben und welche Auskünfte ihnen abverlangt werden, sondern das zur Erfüllung seiner Aufgaben auch eine rechtliche Beurteilung vorzunehmen hat und dem im Zusammenhang mit der in § 225h Abs 1 AktG aufgetragenen Streitschlichtung auch Aufgaben einer Schlichtungsstelle übertragen sind (Bachner in Kalss aaO § 225g AktG Rz 2; Bachner, Bewertungskontrolle aaO 94).

Die dargestellten Aufgaben des Gremiums, seine einem selbständigen Entscheidunsorgan angenäherte Stellung und die fehlende Möglichkeit des Gerichts, auf sein Verfahren Einfluss zu nehmen, machen deutlich, dass das Verfahren vor dem Gremium nach der Konzeption des Gesetzgebers nicht Teil des Gerichtsverfahrens ist. Es ist vielmehr ein selbständiges, der Überprüfung der Unternehmensbewertung dienendes und der Einflussnahme des Gerichts nicht unterliegendes Verfahren eigener Art, das primär der Streitbeilegung und sekundär der Gutachtenserstattung über die Angemessenheit der Barabfindung dient.

Wenngleich Vorschriften über die (Partei-)Öffentlichkeit des Verfahrens vor dem Gremium fehlen, ist dem Revisionsrekurswerber darin zuzustimmen, dass im Hinblick auf die Bedeutung der Verfahrensergebnisse für die angestrebte Streitschlichtung oder die erforderlich werdende Gerichtsentscheidung die Gewährung von Parteigehör im Verfahren vor dem Gremium zu fordern ist (vgl Bachner in Kalss aaO § 225g Rz 6). Die Entscheidung, in welchem Umfang den Parteien Einsicht in die dem Gremium vorgelegten Urkunden gewährt wird, insbesondere ob Urkunden, deren Offenlegung nach objektivem Maßstab geeignet ist, der Gesellschaft einen erheblichen Nachteil zuzufügen, von der Parteieinsicht ausgeschlossen werden dürfen, obliegt angesichts der Selbständigkeit dieses Verfahrens und der fehlenden Einflussnahmemöglichkeit des Gerichts auf Ablauf, Inhalte und Verfahrensergebnisse dem Gremium selbst. Diesem wurden die Urkunden, in die der Zweitantragsteller Einsicht nehmen will, auch vorgelegt (zu diesem Problemkreis siehe auch Krieger in Lutter, dUmwG § 307 Rz 13; Kallmeyer, dUmwG § 307 Rz 16; Schmitt/Hörtnagl/Stratz, dUmwG3 § 307 Rz 9; OLG Frankfurt/M DB 1989, 471).

Über das Einsichtsbegehren des Zweitantragstellers wird daher das Gremium zu entscheiden haben. Das Gericht ist nicht dazu berufen, dem Gremium die Gestattung der Akteneinsicht aufzutragen. Dass die Entscheidung des Gremiums über das Einsichtsbegehren während des laufenden Verfahrens vor dem Gremium nicht abgesondert anfechtbar ist, führt entgegen der Auffassung des Revisionsrekurswerbers zu keinem Rechtsschutzdefizit: Das Gutachten des Gremiums ist (nach Abschluss seines Verfahrens) dem Gericht zu übermitteln, welches seinerseits eine Zustellung an die Verfahrensbeteiligten zur Äußerung zu veranlassen hat. Sollte das Gremium einen Verfahrensbeteiligten tatsächlich zu Unrecht von der Einsichtnahme in vorgelegte Urkunden ausgeschlossen haben, kann der Betroffene die Verletzung des Gehörs im Zusammenhang mit seinen Einwendungen gegen das Gutachten geltend machen. Erst darüber wird das Gericht zu entscheiden und gegebenenfalls dem Gremium eine entsprechende Ergänzung aufzutragen haben. Die Entscheidung des Gerichts ist durch Rechtsmittel bekämpfbar.

Die Vorinstanzen haben daher die Zuständigkeit des Firmenbuchgerichts zur Erteilung eines Auftrages an das Gremium, Akteneinsicht in den dort geführten Akt zu gewähren, zu Recht verneint. Dem unberechtigten Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 225 l AktG.