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OGH vom 16.12.2003, 4Ob226/03v

OGH vom 16.12.2003, 4Ob226/03v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Meyndt Ransmayr Schweiger & Partner Rechtsanwälte OEG in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. N*****gesellschaft mbH, ***** , vertreten durch Mag. Dr. Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in Wien, 2. Land Niederösterreich, *****, vertreten durch Urbanek, Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OEG in St. Pölten, wegen 427.597,29 EUR sA, über den Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 16 R 20/03h-20, mit dem der Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom , GZ 1 Cg 266/99t-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Klägerin ist schuldig, der Erstbeklagten und der Zweitbeklagten die mit je 4.995,64 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin je 832,61 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Im Jahre 1992 beschloss der Niederösterreichische Landtag, in St. Pölten einen Landhaus- und Kulturbezirk zu errichten. Mit der Durchführung des Bauvorhabens wurde die Erstbeklagte betraut. Ihre alleinige Gesellschafterin ist die NÖ HYPO Leasinggesellschaft mbH, kurz Hypo-Leasing, deren alleinige Gesellschafterin wiederum ist die Niederösterreichische Landesbank-Hypothekenbank Aktiengesellschaft, kurz Hypo-Bank. Hauptaktionärin der Hypo-Bank ist die Zweitbeklagte, das Land Niederösterreich.

Die Erstbeklagte bediente sich für die Organisation und den Ablauf des Bauvorhabens der NÖ Landeshauptstadt- und Planungsgesellschaft mbH, kurz NÖ Plan, an der die Zweitbeklagte mit 51 %, die Hypo-Leasing mit 36 % und die Stadt St. Pölten mit 10 % beteiligt ist. Die Aufträge wurden im Namen und auf Rechnung der Erstbeklagten vergeben. Abgewickelt und finanziert wurden die Aufträge auf der Grundlage eines zwischen der Zweitbeklagten, der Hypo-Bank und der Hypo-Leasing im Jahr 1993 abgeschlossenen Grundsatzübereinkommens. Danach oblag der Hypo-Leasing die Planung und Durchführung der baulichen Arbeiten, der Hypo-Bank die Finanzierung. Die Zweitbeklagte stimmte im Grundsatzübereinkommen der Übertragung der Aufgaben der Hypo-Leasing auf die NÖ Plan ausdrücklich zu. Sie nahm auch zur Kenntnis, dass die Erstbeklagte die NÖ Plan mit der Projekt- und Baubetreuung beauftragt hatte. Die Entscheidungen im Vergabeverfahren traf die NÖ Plan als Vertreterin der Erstbeklagten.

Durch vertragliche Regelungen wurde sichergestellt, dass die Entscheidungen im Zuge der Realisierung des Projekts über die gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten hinaus beeinflusst werden konnten. Bei allen Entscheidungen über die Auftragsvergabe und bei Kaufentscheidungen mussten die Empfehlungen eines Baubeirats und eines Vergabeausschusses befolgt werden. Sowohl im Baubeirat als auch im Vergabeausschuss kam Vertretern der Landesregierung der bestimmende Einfluss zu. Damit bestimmte die Zweitbeklagte durch ihre Vertreter den Inhalt der Empfehlungen und somit alle wichtigen Projekts- und Vergabeentscheidungen.

Die Klägerin wurde mit Schreiben vom von der NÖ Plan eingeladen, ein Anbot für „Möblierung-Arbeitsplatzsysteme" zu legen. Am legte die Klägerin ihr Anbot über 26,744.846 S; die Angebotseröffnung war am . Mit Schreiben vom teilte die NÖ Plan der Klägerin mit, dass sie den Zuschlag nicht erhalten habe. Die Klägerin hat kein Nachprüfungsverfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat eingeleitet.

Die Klägerin begehrt 427.597,29 EUR sA. Gemäß § 1 Abs 8 der damals geltenden Stammfassung des NÖ Vergabegesetzes sei dessen Geltung für die gegenständliche Vergabe ausgeschlossen gewesen. Die Rechtsschutzbestimmungen dieses Gesetzes seien daher nicht anzuwenden. Der Unabhängige Verwaltungssenat sei im Übrigen nicht dafür zuständig, einen Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns zu prüfen. Die Klägerin stütze ihren Anspruch auf § 27 NÖ VergG. Die Beklagten hätten den der Klägerin entgangenen Gewinn zu ersetzen, weil der Zuschlag nicht der Klägerin erteilt wurde, obwohl sie Bestbieterin gewesen sei. Damit hätten die Beklagten gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Bei Verletzung vorvertraglicher Sorgfaltspflichten sei das Erfüllungsinteresse zu ersetzen; es erreichten aber auch die der Klägerin erwachsenen Kosten der Ausschreibung und sonstiger Aufwendungen den Klagebetrag. Der Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs sei sittenwidrig, weil die Zweitbeklagte die Ausnahmebestimmung selbst geschaffen hätte und sich daher weder diese noch die von ihr beherrschte Erstbeklagte auf deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht berufen könnten.

Die Beklagten wandten die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein. Das NÖ Vergabegesetz sei in der Stammfassung vom anwendbar, da der Ausschluss der Anwendung des EG-Vergaberechts auf das Bauvorhaben "NÖ Landhaus" dem Gemeinschaftsrecht widerspreche. Gemäß § 18 Abs 1 NÖ VergG obliege es dem Unabhängigen Verwaltungssenat in einem Nachprüfungsverfahren festzustellen, ob der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei. Gemäß § 24 Abs 1 NÖ VergG habe der Bieter Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen sonstigen Kosten, wenn das Gesetz schuldhaft verletzt werde. Die Geltendmachung eines Schadenersatzes setze aber eine Feststellung des Unabhängigen Verwaltungssenats nach § 18 NÖ VergG voraus. Das gelte auch für die Geltendmachung entgangenen Gewinns, weil der in § 24 Abs 1 NÖ VergG enthaltene Ausschluss des Ersatzes von entgangenem Gewinn ebenfalls gemeinschaftsrechtswidrig gewesen sei.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Mit dem NÖ Vergabegesetz sei die Richtlinie 93/36/EWG nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden. Die Richtlinie sei unmittelbar anwendbar, weil sie unbedingt und bestimmt Verfahrensvorschriften zum Schutz der Bewerber und Bieter bei öffentlichen Vergaben normiere. Als unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht genieße sie Vorrang vor innerstaatlichem Recht. Die dem Gemeinschaftsrecht widersprechende Ausschlussbestimmung des § 1 Abs 8 NÖ VergG sei demnach nicht anzuwenden, so dass die gegenständliche Vergabe nach dem NÖ Vergabegesetz zu beurteilen sei. Dass dies zur Anwendung der Bestimmungen über den Rechtsweg führe, mache die Richtlinie nicht für den Einzelnen nachteilig. Der sich für die Klägerin daraus ergebende Nachteil, dass sie nicht den im NÖ Vergabegesetz vorgesehenen Rechtsschutz in Anspruch genommen habe, ergebe sich nicht unmittelbar aus der Richtlinie, sondern sei mittelbare Folge des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes des Vorrangs unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht. Der im NÖ Vergabegesetz vorgesehene Rechtsschutz sei richtlinienkonform. Nach § 18 Abs 3 iVm § 21 Abs 3 NÖ VergG sei der Unabhängige Verwaltungssenat berufen festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Gesetz oder die hierzu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. Nach § 24 leg cit habe ein übergangener Bewerber oder Bieter bei schuldhafter Verletzung dieses Gesetzes Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen sonstigen Kosten. Der Ersatz entgangenen Gewinns sei ausdrücklich ausgeschlossen. Dieser Ausschluss widerspreche dem Gemeinschaftsrecht und sei daher nicht zu berücksichtigen. Nach § 24 Abs 2 NÖ VergG sei eine Schadenersatzklage nur zulässig, wenn zuvor eine Feststellung des Unabhängigen Verwaltungssenats nach § 18 Abs 3 NÖ VergG erfolgt sei. Das Bundesvergabegesetz enthalte für seinen Anwendungsbereich im Wesentlichen gleichlautende Bestimmungen, wobei für die Feststellung, dass der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde, das Bundesvergabeamt zuständig sei. Diese Feststellung sei auch nach dem Bundesvergabegesetz Voraussetzung für die Zulässigkeit der klageweisen Geltendmachung. Schadenersatzklagen wegen Verletzung von Vergabevorschriften seien daher in der Regel nur zulässig, wenn zuvor der Unabhängige Verwaltungssenat die Vergabewidrigkeit sowie deren Einfluss auf die Vergabeentscheidung mit Bescheid festgestellt habe. Da die Klägerin den Unabhängigen Verwaltungssenat nicht angerufen habe, sei der Rechtsweg unzulässig. Der Einwand der Arglist sei nicht berechtigt, weil auch die Klägerin schon früh davon ausgegangen sei, dass das NÖ Vergabegesetz dem Gemeinschaftsrecht widerspreche. Es wäre ihr daher zuzumuten gewesen, den Unabhängigen Verwaltungssenat anzurufen.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluss auf und trug dem Erstgericht auf, das gesetzmäßige Verfahren über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten. Nach dem NÖ Vergabegesetz seien Schadenersatzklagen nur zulässig, wenn zuvor der Unabhängige Verwaltungssenat angerufen wurde. Ein Antrag an den Unabhängigen Verwaltungssenat sei wiederum nur zulässig, wenn in derselben Sache ein Schlichtungsverfahren vor der beim Amt der NÖ Landesregierung eingerichteten „NÖ Schlichtungsstelle für öffentliche Aufträge" durchgeführt und in diesem Verfahren keine gütliche Einigung erzielt worden sei. Bei Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens nach erfolgtem Zuschlag sei ein Antrag „auch überdies nur" zulässig, wenn er spätestens vier Wochen ab dem Zeitpunkt der Kenntnis des Zuschlags gestellt werde. Nach Ablauf von sechs Monaten ab erfolgtem Zuschlag sei ein Antrag keinesfalls mehr zulässig. Mit diesen Regelungen sei entgegen den Vorgaben der Richtlinie 89/665/EWG der Rechtsschutz des Bieters nicht erweitert, sondern eingeschränkt worden. Die Durchsetzung von auch bloß auf Geldersatz gerichteten Schadenersatzansprüchen sei durch eine besondere Prozessvoraussetzung beschränkt, wobei für die Anrufung des Unabhängigen Verwaltungssenats lediglich eine vierwöchige Frist eingeräumt worden sei. Innerhalb dieser Frist sei auch das für die Anrufung des Unabhängigen Verwaltungssenats zwingend vorausgesetzte Schlichtungsverfahren durchzuführen. Angesichts der für Schadenersatzansprüche nach österreichischem Recht normierten Verjährungsfristen und des Umstands, dass bei der Durchsetzung von Geldersatz bereits ergangene Vergabeentscheidungen nicht mehr beseitigt werden sollen, sondern nur Ausgleichsansprüche verfolgt werden, erscheine die Kürze der zeitlichen Beschränkung sachlich nicht gerechtfertigt. Damit stehe die Regelung im Widerspruch zur Richtlinie 89/665/EWG, wonach die erforderlichen Befugnisse vorzusehen seien, damit denjenigen, die durch einen Rechtsverstoß geschädigt worden sind, Schadenersatzansprüche zuerkannt werden können. Somit sei letztlich die vom Erstgericht als Grund der Zurückweisung herangezogene Bestimmung des § 28 Abs 2 NÖ VergG keine ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie. Die Bestimmung sei somit auf die vorliegende Schadenersatzklage nicht anzuwenden.

Die gegen diesen Beschluss gerichteten Revisionsrekurse der Beklagten sind zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Land Niederösterreich hat im Zuge der EU-Rechtsanpassung das NÖ Vergabegesetz, NÖ LGBl 1995/84, erlassen. Das Gesetz ist am in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz sollte (ua) die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (RechtsmittelRL) umgesetzt werden.

Die Klägerin hat sich nach Inkrafttreten des NÖ Vergabegesetzes und vor dessen erster Novellierung an der von der NÖ Plan durchgeführten Ausschreibung beteiligt. Nach § 1 Abs 8 leg cit sollte das Gesetz jedoch auf im Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits ausgeschriebene Leistungen sowie auf Vorhaben, bei denen vor dem auf Grundlage der damals geltenden Rechtslage die Durchführung von den zuständigen Organen des öffentlichen Auftraggebers konkret beschlossen und die Finanzierung sichergestellt war, nicht anwendbar sein ("Lex St. Pölten"; s Griller, Qualifizierte Verstöße gegen das Vergaberecht, ecolex 2000, 4); § 24 Abs 1 letzter Satz schloss den - von der Klägerin im vorliegenden Verfahren geforderten - Ersatz entgangenen Gewinns aus.

Es ist daher zuerst zu prüfen, ob der Anspruch der Klägerin nach dem NÖ Vergabegesetz zu beurteilen ist. Die Klägerin leitet die Unanwendbarkeit des NÖ Vergabegesetzes aus den oben wiedergegebenen Ausschlussbestimmungen ab. Beide Ausschlussbestimmungen verstoßen aber - worauf die Klägerin im Zusammenhang mit § 1 Abs 8 NÖ VergG auch selbst hinweist - gegen das Gemeinschaftsrecht. Der EuGH hat in einem von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen die Republik Österreich eingeleiteten Vertragsverletzungs- verfahren mit Urteil vom , Rs C-328/96, festgestellt, dass die Republik Österreich mit der - bereits durch die erste Novelle zum NÖ Vergabegesetz, NÖ LGBl 1996/45, ersatzlos beseitigten - Beschränkung des Anwendungsbereichs des NÖ Vergabegesetzes gegen ihre Verpflichtungen aus (ua) der RechtsmittelRL verstoßen hat. Auch der - mit der zweiten Novelle zum NÖ Vergabegesetz, NÖ LGBl 1998/120, ersatzlos beseitigte - Ausschluss des Ersatzes entgangenen Gewinns widersprach dem Gemeinschaftsrecht (zur inhaltsgleichen Bestimmung des Bundesvergabegesetzes 1993 7 Ob 92/99a = SZ 73/62; zur Rechtsprechung des EuGH zum Umfang des zu gewährenden Schadenersatzes s Fruhmann, Aus der Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Union, ÖJZ 1996, 401).

Der EuGH hat schon wiederholt ausgesprochen, dass das nationale Gericht das anzuwendende nationale Recht so weit wie möglich in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auslegen muss. Ist eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nicht möglich, so ist das nationale Gericht verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, indem es notfalls jede Bestimmung unangewendet lässt, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem gemeinschaftsrechtswidrigen Ergebnis führen würde (EuGH C-327/00 = RPA 2003, 60 [Pock] mwN).

Das NÖ Vergabegesetz setzt, wenn auch mangelhaft, das Gemeinschaftsrecht zur Kontrolle von Vergabeentscheidungen um. Seine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dazu führen, es überhaupt nicht anzuwenden, weil damit auch das damit umgesetzte Gemeinschaftsrecht unangewendet bliebe. Bei gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung haben vielmehr jene Bestimmungen außer Betracht zu bleiben, die dem Gemeinschaftsrecht widersprechen. Es ist dies in erster Linie § 1 Abs 8 NÖ VergG aF, so dass das NÖ Vergabegesetz auch auf die verfahrensgegenständliche Ausschreibung anzuwenden ist.

Nicht anzuwenden ist auch § 24 Abs 1 letzter Satz NÖ VergG aF. Damit ist bei gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung des § 24 Abs 1 NÖ VergG davon auszugehen, dass der Ersatzanspruch des übergangenen Bewerbers oder Bieters nicht auf den dort genannten Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen sonstigen Kosten beschränkt ist (zur inhaltsgleichen Bestimmung des Bundesvergabegesetzes 1993 s 7 Ob 92/99a = SZ 73/62).

Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses auf die von ihr behauptete Verletzung des Bestbieterprinzips. Das Bestbieterprinzip ist gemäß § 12 Abs 1 NÖ VergG iVm § 40 BVergG 1993 auch für die Erteilung des Zuschlags in den dem NÖ VergG unterliegenden Ausschreibungsverfahren maßgebend; nach § 40 BVergG 1993 ist der Zuschlag dem "technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot gemäß den in der Ausschreibung festgelegten Kriterien zu erteilen (Bestbieterprinzip)".

Die Klägerin stützt ihren Anspruch damit auf die Verletzung einer im NÖ Vergabegesetz normierten Pflicht des Auftraggebers; die schuldhafte Verletzung des Gesetzes verpflichtet gemäß § 24 Abs 1 NÖ VergG zum Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen sonstigen Kosten. Diese Bestimmung ist - wie oben dargelegt - gemeinschaftsrechtskonform dahin auszulegen, dass sie den Ersatz des entgangenen Gewinns nicht ausschließt.

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 92/99a (= SZ 73/62) ausgesprochen, dass der mit § 24 Abs 1 NÖ VergG inhaltsgleiche § 98 Abs 1 BVergG 1993 den Ersatz des Erfüllungsinteresses nicht hindert. Auch die zu § 122 Abs 1 BVergG 1997 ergangene Entscheidung 7 Ob 200/00p (= JBl 2002, 117 [Rummel] = ZVB 2002/5 [Öhler/Schramm]) bejaht einen Anspruch des übergangenen Bieters auf Ersatz des Erfüllungsinteresses, obwohl § 122 Abs 1 BVergG 1997 bei schuldhafter Verletzung der Vergabevorschriften ebenfalls nur einen Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen Kosten vorsieht. Prozessuale Voraussetzung der Zulässigkeit der klageweisen Geltendmachung auch dieses Schadenersatzanspruchs sei die Feststellung des Bundesvergabeamts, ob wegen eines Verstoßes gegen die Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. Das ergebe sich aus § 125 Abs 2 BVergG, der "jeden Schadenersatzanspruch" erfasse.

Öhler/Schramm (aaO) weisen in ihrer Entscheidungsanmerkung darauf hin, dass gegen diese Auslegung des Begriffs der Schadenersatzklage in § 125 Abs 2 BVergG systematische Erwägungen ins Treffen geführt werden könnten, weil bloß die im § 122 BVergG genannten Kostenersatzansprüche als "Schadenersatzpflichten des Auftraggebers" bezeichnet würden und § 125 Abs 1 BVergG lediglich auf diese Schadenersatzansprüche Bezug nehme. § 125 Abs 2 BVergG spreche freilich ganz allgemein von einer Schadenersatzklage. Die Absicht des Gesetzgebers, ganz generell einer Gerichtsüberlastung vorzubeugen, stütze die Interpretation des OGH. Darüber hinaus bliebe es schwer zu begreifen, warum die zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Vergabeverfahrens berufene Behörde davon abhängig sein solle, ob der Geschädigte aus dem Vergaberechtsverstoß einen Anspruch auf das negative oder auf das positive Interesse herleite. Auch nach Wilhelm (Rechtsfortbildung im BVergG: Anspruch aufs Erfüllungsinteresse, ecolex 2000, 493) wäre es ein Systemfehler, "wenn das Bundesvergabeamt an der Entscheidung zwar dort mitzuwirken hätte, wo nur die dem Schutzzweck der verletzten Norm ganz inadäquate Haftungsfolge des Vertrauensinteresses zur Frage steht, aber nicht in Betreff der gleichheitskonform ergänzten Haftungsfolge des Erfüllungsinteresses, wo der Streitwert besonders nach Sachkunde ruft". Es sei daher sachgemäß, dass der diskriminierte Bieter, auch wenn er, gestützt auf den Gleichheitssatz, verlange, was nicht im Bundesvergabegesetz stehe, doch auch in analoger Anwendung des § 125 BVergG zuerst einmal einen Bescheid des Bundesvergabeamts erwirke (für die Notwendigkeit eines Feststellungsverfahrens bei Geltendmachung des Erfüllungsinteresses auch Diregger, Gibt es nach Bundesvergaberecht eine "echte Chance" auf Schadenersatz?, wbl 2000, 442; aM Spunda, Vergaberechtlicher Feststellungsbescheid nur eingeschränkt nötig, ecolex 2000, 99, der sich jedoch mit dem Zweck des Feststellungsverfahrens nicht weiter auseinandersetzt; zu der durch § 184 Abs 2 Satz 2 BVergG 2002 erfolgten Klarstellung, dass auch die Geltendmachung von über den Kostenersatz hinausgehenden Schadenersatzansprüchen ein Feststellungsverfahren vor der jeweils zuständigen Vergabekontrollbehörde voraussetzt, s Holly, Verfahren und Rechtsschutz nach dem neuen Vergaberecht, immolex 2002, 309).

Nicht mit der analogen Anwendung des § 125 Abs 2 BVergG 1997, sondern mit der unmittelbaren Anwendung dieser Norm begründen die jüngst ergangenen Entscheidungen 9 Ob 132/03g und 6 Ob 279/03b die Notwendigkeit eines Feststellungsverfahrens auch bei Ansprüchen auf Ersatz des Erfüllungsinteresses. Begründet wird diese Auffassung damit, dass das Verfahren zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen vergaberechtswidrigen Zuschlags sowohl nach dem Sinn des Gesetzes als auch nach dem Willen des historischen Gesetzgebers ohne Rücksicht auf den Inhalt des jeweiligen Ersatzanspruchs im gleichen Sinn auszugestalten sei.

Ebenso wie § 125 Abs 2 BVergG 1997 lautet auch § 28 Abs 2 NÖ VergG dahin, dass "eine Schadenersatzklage" nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Auch in diesem Fall spricht der Zweck des Feststellungsverfahrens dafür, diese Bestimmung auch auf Schadenersatzklagen zu beziehen, in denen über den Kostenersatz hinausgehende Ansprüche geltend gemacht werden, obwohl das Vergabegesetz dem übergangenen Bieter (nur) einen Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen sonstigen Kosten zuerkennt (§ 24 Abs 1 NÖ VergG; § 122 Abs 1 BVergG 1997). Der in § 24 Abs 1 letzter Satz NÖ VergG festgesetzte Ausschluss des Ersatzes entgangenen Gewinns widerspricht - wie oben dargelegt - dem Gemeinschaftsrecht und ist daher unbeachtlich; er hat damit auch bei der Auslegung des Begriffs „eine Schadenersatzklage" in § 28 Abs 2 NÖ VergG unberücksichtigt zu bleiben.

Gegen eine Anwendung der Bestimmungen über das Feststellungsverfahren auch auf den Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses spricht nicht, dass sowohl nach dem NÖ Vergabegesetz als auch nach dem Bundesvergabegesetz 1997 die nach anderen Rechtsvorschriften bestehenden Ersatzansprüche unberührt bleiben (§ 27 NÖ VergG; § 124 BVergG). Daraus kann nämlich nicht abgeleitet werden, dass ein Feststellungsverfahren über die dem Anspruch zugrunde gelegte Verletzung des Bestbieterprinzips ausgeschlossen wäre, soweit Ansprüche nicht unmittelbar aus dem Vergabegesetz abgeleitet werden können, sondern sich durch Anwendung übergeordneter Grundsätze, wie des Gleichheitssatzes, mittelbar daraus ergeben (zur Begründung des Anspruchs auf das Erfüllungsinteresse s insbes Diregger, wbl 2000, 442; Wilhelm, ecolex 2000, 493). Andernfalls käme es zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung gleich zu wertender Sachverhalte, weil die Zuständigkeit zur Feststellung der Verletzung des Bestbieterprinzips davon abhinge, ob der Ersatz des negativen oder des positiven Vertragsinteresses verlangt wird.

Nach § 28 Abs 2 NÖ VergG ist eine Schadenersatzklage nur zulässig, wenn zuvor eine Feststellung des Unabhängigen Verwaltungssenats gemäß § 18 Abs 3 NÖ VergG erfolgt ist. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen das NÖ Vergabegesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde (§ 18 Abs 3 Satz 1 NÖ VergG). Ein Antrag auf Einleitung des Nachprüfungsverfahrens ist nur zulässig, wenn in derselben Sache ein Schlichtungsverfahren durchgeführt wurde und in diesem Schlichtungsverfahren keine gütliche Einigung erzielt wurde (§ 19 Abs 2 NÖ VergG). Der Antrag muss überdies spätestens vier Wochen ab dem Zeitpunkt der Kenntnis des Zuschlags gestellt werden. Nach Ablauf von sechs Monaten ab erfolgtem Zuschlag ist ein Antrag keinesfalls mehr zulässig (§ 19 Abs 3 NÖ VergG).

Zweck des Feststellungsverfahrens ist es, die ordentlichen Gerichte zu entlasten und die einheitliche Auslegung des Vergaberechts zu gewährleisten (s 4 Ob 62/03a = EvBl 2003/165 mwN; 9 Ob 132/03g; 6 Ob 279/03b). Dieser Zweck kommt unabhängig davon zum Tragen, ob wegen der Verletzung des Bestbieterprinzips der Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstehenden sonstigen Kosten oder der Ersatz des entgangenen Gewinns gefordert wird. Das übersieht Spunda (aaO), wenn er sich dafür ausspricht, den Ersatz entgangenen Gewinns im Anwendungsbereich eines Vergabegesetzes auch bei Verletzung vergabetypischer Pflichten nicht vom Vorliegen eines Feststellungsbescheids abhängig zu machen. Ein Feststellungsverfahren erübrigt sich nur dann, wenn, wie zB im Fall der Entscheidungen 2 Ob 2/97a (= wbl 2000/114) und 4 Ob 62/03a (= EvBl 2003/165), das Vergabeverfahren zwar einem Vergabegesetz unterliegt, die Ausschreibung aber widerrufen und kein Zuschlag erteilt wurde, oder wenn die für die Anwendung der Vergabevorschriften geltenden Schwellenwerte nicht erreicht werden (ua 1 Ob 239/02g).

Die Klägerin hat weder das in § 28 Abs 2 NÖ VergG vorgesehene Feststellungsverfahren noch das vor Einleitung eines Feststellungsverfahrens durchzuführende Schlichtungsverfahren durchgeführt. § 19 Abs 2 NÖ VergG schreibt das Schlichtungsverfahren zwingend vor. Ein obligatorisches Schlichtungsverfahren widerspricht, wie der EuGH in der Entscheidung C-410/01, ausgesprochen hat, dem Gemeinschaftsrecht; § 19 Abs 2 NÖ VergG wird somit vom Gemeinschaftsrecht verdrängt und ist nicht anzuwenden (s dazu Jaeger, Richtlinienwidrigkeit obligatorischer Schlichtungsverfahren, ZVB 2003/92).

Mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist hingegen das in § 18 geregelte Nachprüfungsverfahren. Der EuGH hat in der zur Vereinbarkeit des Wiener Landesvergabegesetzes mit dem Gemeinschaftsrecht ergangenen Entscheidung C-470/99 (= Slg 2002 I-11617) ausgesprochen, dass die RechtsmittelRL einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die Nachprüfung einer Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers binnen einer bestimmten Frist beantragt werden muss, wobei sämtliche Mängel des Vergabeverfahrens, auf die der Antrag gestützt wird, innerhalb dieser Ausschlussfrist gerügt werden müssen, so dass bei Versäumnis der Frist im weiteren Verlauf des Verfahrens weder die betreffende Entscheidung angefochten noch ein solcher Mangel geltend gemacht werden kann, sofern die fragliche Frist angemessen ist. Der EuGH hat die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Fristregelung (§ 98 WLVerG: zwei Wochen) als angemessen beurteilt (Rn 77). Damit können auch gegen die im vorliegenden Fall zu beachtende Frist von vier Wochen (§ 19 Abs 3 NÖ VergG) keine Bedenken bestehen.

Nach der Rechtsprechung des EuGH (C-327/00 = RPA 2003, 60) kann jedoch auch eine an sich angemessene Fristregelung dem Gemeinschaftsrecht widersprechen, wenn dass wechselhafte Verhalten des öffentlichen Auftraggebers angesichts des Bestehens einer Ausschlussfrist so bewertet werden muss, dass es dem geschädigten Bieter die Ausübung der Rechte, die ihm die Gemeinschaftsrechtsordnung verleiht, übermäßig erschwert hat. Dass derartige Umstände im vorliegenden Fall gegeben wären, hat die Klägerin nicht behauptet. Sie hat sich in diesem Zusammenhang nur auf ihre Rechtsmeinung berufen, keinen Anspruch nach dem NÖ Vergabegesetz geltend zu machen.

Dieser Auffassung ist - wie oben dargelegt - nicht zu folgen. Unterliegt aber der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns wegen Verletzung des Bestbieterprinzips den Rechtswegvorschriften des NÖ Vergabegesetzes, so könnte die Klägerin den von ihr behaupteten Schaden nur im Rechtsweg geltend machen, wenn sie zuvor fristgerecht einen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gestellt hätte. Da dies unterblieben ist, ist der Rechtsweg unzulässig.

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, einem "beachtlichen Rechtsirrtum" unterlegen zu sein. Die Anwendbarkeit eines Gesetzes wird nicht dadurch gehindert, dass der Normunterworfene auf Grund unrichtiger Anwendung des Gemeinschaftsrechts irrtümlich annimmt, das Gesetz gelte für den von ihm erhobenen Anspruch nicht. Auch das behauptete arglistige Vorgehen der Beklagten kann die Anwendbarkeit des Gesetzes nicht ausschließen. Ob es - hier nicht geltend gemachte - Ansprüche aus Staatshaftung begründen könnte, ist nicht weiter zu untersuchen.

Dem Revisionsrekurs war dahin Folge zu geben, dass der Beschluss des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Tarifansatz für die Revisionsrekursbeantwortung beträgt 1.261,75 EUR.