OGH vom 19.09.2013, 1Ob159/13h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. J***** S*****, geboren am , über den Revisionsrekurs der Mutter G***** S*****, vertreten durch Mag. Martin M. Gregor, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 281/13m 50, mit dem über Rekurs der Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom , GZ 6 Pu 126/11d 45, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Minderjährigen aufgetragen.
Text
Begründung:
Die Minderjährige hält sich überwiegend beim Vater auf. Die Mutter hat sich im Scheidungsfolgenvergleich vom zur Zahlung eines Unterhalts von 380 EUR monatlich an die Minderjährige verpflichtet. Dieser Verpflichtung lag ein Einkommen der Mutter von 1.600 EUR monatlich (14 x jährlich) zugrunde.
Mit Antrag vom , den sie in weiterer Folge mehrfach präzisierte, begehrte die Mutter, ihre monatliche Unterhaltsverpflichtung beginnend mit auf (zuletzt) 20 EUR herabzusetzen. Am sei ihr Sohn N***** geboren, weswegen sie ab nur noch ein Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von 436 EUR monatlich beziehen werde.
Die Minderjährige, vertreten durch ihren Vater, sprach sich gegen diesen Antrag aus, weil es durchaus realistisch sei, dass die Mutter auch in ihrer Karenz in der Firma ihres Lebensgefährten weiter arbeiten könne.
Das Erstgericht stellte im zweiten Rechtsgang fest, dass der mj. N***** „nach Befragung der Mutter“ von niemandem anderen als seiner Mutter betreut werden könne, setzte den von der Mutter monatlich zu leistenden Unterhaltsbetrag ab mit 85 EUR fest und wies das Mehrbegehren ab. Die Unterhaltspflichtige verfüge derzeit lediglich über ein Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von ca 444 EUR monatlich. Ausgehend von ihrem tatsächlichen Einkommen habe sie angemessen zum Unterhalt ihrer Tochter beizutragen. Eine Erwerbstätigkeit zusätzlich zur Betreuung eines Kleinkindes könne einer Mutter bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs allgemein nicht zugemutet werden, weswegen eine Anspannung auf ein höheres Einkommen nicht in Betracht komme.
Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Minderjährigen Folge, ohne sich mit der darin enthaltenen Beweis und Mängelrüge auseinanderzusetzen. Es sei im Hinblick „auf die bis zur Karenz [gemeint wohl bis zum Beginn des Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs 1 MSchG] im Unternehmen ihres Lebensgefährten entfaltete berufliche Tätigkeit der Mutter und den Umstand, dass die Möglichkeit einer Ausgestaltung dieser Berufstätigkeit wohl im Einvernehmen mit dem Geschäftsführer dem Lebensgefährten auch unter Bedachtnahme auf die zu gewährleistende Betreuung des Kleinkindes nach der gegebenen Sachlage als realistisch eingeschätzt werden muss, mangels entgegenstehender Beweise davon auszugehen, dass der Mutter eine zumindest stundenweise Ausübung ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit im von ihrem Lebensgefährten weiterhin geführten Unternehmen möglich wäre, aus welcher Tätigkeit sich ein Einkommen in der Höhe eines Bezugs aus einer geringfügigen Beschäftigung erzielen ließe.“ Ausgehend von einer derart angenommenen finanziellen Leistungsfähigkeit der Mutter ging das Rekursgericht von einem aufrechten Unterhaltsanspruch von monatlich 380 EUR aus.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, „weil soweit für das Rekursgericht überblickbar keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Intensität der Bescheinigungslast einer geldunterhaltspflichtigen, in Bezug des Kinderbetreuungsgeldes stehenden Mutter in Ansehung des Betreuungsaufwandes des in ihrer Pflege und Erziehung stehenden Kleinkindes und des ihr nach Anspannungsgrundsätzen zurechenbaren Erwerbseinkommens vorliegt“.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, diesen dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Minderjährige beantragt, dass dem Rechtsmittel ihrer Mutter keine Folge gegeben werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, er ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Die Mutter begehrt die Herabsetzung ihrer Unterhaltsverpflichtung für die Zeit nach Beendigung des Beschäftigungsverbots nach Geburt ihres zweiten Kindes (§ 5 Abs 1 MSchG idF BGBl I 2004/123). Für die Zeit vom bis bezieht die Mutter ein Kinderbetreuungsgeld von 14,53 EUR täglich, somit nach den Feststellungen des Erstgerichts ca 444 EUR monatlich. Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter über ein darüberhinausgehendes Einkommen verfügt, lassen sich den Ausführungen des Erstgerichts nicht entnehmen.
2. Unabhängig davon, ob die seinerzeitige Unterhaltsfestsetzung durch gerichtlichen Vergleich oder gerichtliche Entscheidung erfolgte, kann eine Änderung der Unterhaltsbemessung für die Vergangenheit immer dann erfolgen, wenn wegen Änderung der Verhältnisse die seinerzeitige Unterhaltsbemessung wegen der ihr innewohnenden Umstandsklausel nicht mehr bindend ist (RIS Justiz RS0053297). Mit der Geburt ihres zweiten Kindes beruft sich die Mutter auf in diesem Sinn geänderte Umstände.
3. Zur Unterhaltsbemessungsgrundlage zählen alle tatsächlich erzielten Einnahmen des Unterhaltspflichtigen in Geld oder geldwerten Leistungen, über die er verfügen kann (RIS Justiz RS0107262). Das vom unterhaltspflichtigen Elternteil bezogene Kinderbetreuungsgeld ist nach diesen Grundsätzen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen (4 Ob 133/09a; 10 Ob 76/09p je mwN). Eine Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen darf nur erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, dass er keine Erwerbstätigkeit ausübt (RIS Justiz RS0047495). Dabei sind auch im Bereich des vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahrens außer Streitsachen subjektive Behauptungslastregeln und Beweislastregeln zu beachten. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs trägt die durch den Anspannungsgrundsatz begünstigte Partei die Behauptungs- und Beweislast für ein zumutbarerweise erzielbares höheres Einkommen (zuletzt RIS Justiz RS0006261 [T5]; 2 Ob 141/11s). Die Argumentation des Rekusgerichts, das aus der Tätigkeit der Mutter vor Beginn des Beschäftigungsverbots auf ein zumutbarerweise erzielbares Einkommen ab Ende des Beschäftigungsverbots nach § 5 Abs 1 MSchG schließt, beruht auf einer Verkennung dieser Grundsätze.
4. Unterhaltsansprüche von Kindern (nunmehr nach § 231 ABGB idF KindRÄG 2013) sind grundsätzlich gleichrangig, weswegen der zum Geldunterhalt verpflichtete Elternteil, der ein Kind im eigenen Haushalt vollständig betreut, seine Lebensverhältnisse derart zu gestalten hat, dass er auch seiner Geldalimentationspflicht gegenüber den anderen Kindern, die nicht in seinem Haushalt betreut werden, angemessen nachkommen kann (RIS Justiz RS0047337). Ein ohne Rücksichtnahme auf bestehende Unterhaltspflichten getroffener Entschluss, wegen der Geburt eines im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindes Karenzurlaub in Anspruch zu nehmen, kann so zwar zu einer Anspannung des Unterhaltspflichtigen führen (RIS Justiz RS0047612). Das bedeutet aber nicht, dass die Einengung der Erwerbsmöglichkeiten durch die Betreuungspflichten für Kleinkinder unberücksichtigt zu bleiben hätte (vgl RIS Justiz RS0047633).
5. Mit Rücksicht auf die Geburt ihres zweiten Kindes wäre der Revisionsrekurswerberin nach Beendigung der Schutzfrist die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit als Voraussetzung für die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes nur dann zumutbar, wenn die Versorgung ihres Kindes sichergestellt wäre. Einer solchen Annahme steht aber schon die Feststellung des Erstgerichts entgegen, wonach das zweitgeborene Kind von niemand anderem betreut werden kann, als von der Revisionsrekurswerberin. Die Minderjährige hat diese Feststellung in ihrem Rekurs bekämpft, wobei sich das Rekursgericht mit deren Beweisrüge nicht auseinandergesetzt hat. Bereits dieser Umstand begründet eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens, die zur Aufhebung der Rekursentscheidung führen muss. Die Feststellung des Erstgerichts legt nämlich nahe, dass der Mutter ab Beendigung ihres Beschäftigungsverbots bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Aufnahme einer Beschäftigung weder zumutbar noch möglich gewesen wäre. Sollte diese Feststellung zutreffen, ist für die Anwendung von Beweislastregeln kein Raum (RIS Justiz RS0039904, RS0039872 [T1, T 2].
6. Darüber hinaus übersieht das Rekursgericht, dass eine Unterhaltspflicht der Mutter in der bisherigen Höhe auch für die Zeit nach Beendigung des Beschäftigungsverbots nur dann gegeben sein kann, wenn ihr eine Beschäftigung mit einem Einkommen in der Höhe der im Scheidungsfolgenvergleich zugrunde gelegten Bemessungsgrundlage (1.600 EUR monatlich, 14 x jährlich) möglich und zumutbar wäre. Obwohl das Rekursgericht ganz offensichtlich selbst nicht davon ausgeht, dass es der Mutter bei Berücksichtigung der Betreuungspflichten gegenüber ihrem zuletzt geborenen Kind tatsächlich möglich wäre, einer solchen Tätigkeit nachzugehen, hat es ihren Herabsetzungsantrag zur Gänze abgewiesen. Nach den Ausführungen des Rekursgerichts sei nämlich „mangels entgegenstehender Beweise davon auszugehen, dass der Mutter zumindest eine stundenweise Ausübung ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit im Unternehmen ihres Lebensgefährten möglich sei, woraus sie ein Einkommen in der Höhe eines Bezugs aus einer geringfügigen Beschäftigung erzielen könnte“. Die Anspannung der Revisionsrekurswerberin auf ein Einkommen, wie es aus einer geringfügigen Beschäftigung erzielt werden könnte, zöge aber keine Unterhaltsverpflichtung der Mutter in einer Höhe von monatlich 380 EUR nach sich. Gemäß § 5 Abs 2 Z 2 ASVG gilt ein Beschäftigungsverhältnis als geringfügig, wenn es für mindestens einen Kalendermonat oder auf unbestimmte Zeit vereinbart ist und im Kalendermonat kein höheres Entgelt als 386,80 EUR gebührt. Damit würden selbst die Annahmen des Rekursgerichts zu einer Unterhaltsbemessungsgrundlage führen, die eine Herabsetzung der monatlichen Unterhaltsverpflichtung gerechtfertigt erscheinen ließe.
7. Das Rekursgericht wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit der Beweis und Mängelrüge im Rekurs des Kindes auseinanderzusetzen und dabei insbesondere Stellung zu der von diesem bekämpften Feststellung, wonach eine Betreuung des zweitgeborenen Kindes nur durch die Mutter möglich sei, zu nehmen haben. Sollte das Rekursgericht Zweifel an dieser Feststellung um eine solche handelt es sich doch wohl, auch wenn das Erstgericht darauf verweist, dass sie auf der Aussage der Mutter basiert haben und zu einem Ergebnis gelangen, das zur Anspannung der Mutter führt, wird es in nachvollziehbarer Weise darzulegen haben, aufgrund welcher Unterhaltsbemessungsgrundlage die Mutter zur monatlichen Leistung von Unterhalt gegenüber ihrem erstgeborenen Kind verpflichtet ist. Auch wenn man im Regelfall davon ausgehen können wird, dass eine Versorgung von Kleinkindern durch Dritte bis zum Alter von drei Jahren einer Mutter weder möglich noch zumutbar ist (vgl die Judikaturnachweise in Gitschthaler , Unterhaltsrecht², Rz 184), kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine zumindest stundenweise Fremdbetreuung, sei es in einer Kindertagesstätte bzw einer ähnlichen Einrichtung oder durch Verwandte, im Einzelfall nicht doch möglich wäre. In jedem Fall wird aber zu berücksichtigen sein, dass die Möglichkeiten einer solchen Fremdbetreuung bei einem drei Monate alten Kleinkind in aller Regel eingeschränkter sein werden, als es dann mit zunehmenden Alter des Kindes der Fall ist. Da die Antragstellerin die Herabsetzung ihrer Unterhaltspflicht rückwirkend ab dem begehrt, bedarf es bei Bejahung einer Anspannung jedenfalls einer differenzierenden Betrachtung nach dem jeweiligen Alter des am geborenen Sohnes der Antragstellerin.
8. Dem Rekurs ist damit Folge zu geben und die angefochtene Rekursentscheidung aufzuheben.