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OGH vom 16.07.2009, 2Ob253/08g

OGH vom 16.07.2009, 2Ob253/08g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Lena S*****, geboren am , und des mj Lukas S*****, geboren am , wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch Dr. Johann Bruckner, Rechtsanwalt in Schärding, gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis als Rekursgericht vom , GZ 6 R 159/08m-U12, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Schärding vom , GZ 1 P 67/07m-U8, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antrag des Vaters Wolfgang S***** auf Ersatz der Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Die Minderjährigen Lena und Lukas sind die ehelichen Kinder der Claudia S***** und des Wolfgang S*****. Die Ehe der Eltern wurde am einvernehmlich geschieden. Im pflegschaftsgerichtlich genehmigten Scheidungsvergleich wurde vereinbart, dass die Kinder ihren hauptsächlichen Aufenthalt bei der Mutter haben und die Obsorge beiden Eltern zukommen soll. Der Vater verpflichtete sich zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeiträge in Höhe von 280 EUR für Lena und von 220 EUR für Lukas jeweils ab . Dieser Unterhaltsbemessung wurde ein durchschnittliches Einkommen des Vaters von 2.500 EUR zugrunde gelegt. In einem weiteren Vergleichspunkt verpflichtete sich der Vater, seiner geschiedenen Ehefrau (der Mutter der beiden Minderjährigen) von März 2007 bis Februar 2008 monatlich 500 EUR und von März 2008 bis August 2011 monatlich 250 EUR an Unterhalt zu bezahlen. Für den Zeitraum danach erklärte die Mutter, auf Unterhaltsansprüche, welcher Art auch immer, zu verzichten. Des weiteren wurde (nur) zu diesem Vergleichspunkt festgehalten, dass beide Parteien auf die Geltendmachung der Umstandsklausel verzichten würden und es sich um frei vereinbarte Fixbeträge handle. Am stellten die hiebei durch ihre Mutter vertretenen Minderjährigen den Antrag, den Vater zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 500 EUR für Lena und 430 EUR für Lukas zu verpflichten. Sie begründeten diesen Antrag im Wesentlichen mit der bevorstehenden Herabsetzung der Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber ihrer Mutter, dem mittlerweile vollendeten zehnten Lebensjahr Lenas, sowie damit, dass der Vater nun ein monatliches Nettoeinkommen inklusive Provisionen von zumindest 2.800 EUR 14 mal jährlich erziele.

Der Vater sprach sich gegen die beantragte Unterhaltserhöhung aus. Seine Einkommensverhältnisse und die Bedürfnisse der Kinder hätten sich nicht in relevantem Ausmaß verändert. Es sei bei Vergleichsabschluss der Parteiwille gewesen, die im Vergleich zum Ausdruck kommenden Bemessungskriterien auch weiteren Unterhaltsfestsetzungen zugrunde zu legen.

Das Erstgericht gab dem Antrag der Kinder teilweise statt und verpflichtete den Vater zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 454 EUR für Lena und 378 EUR für Lukas ab . Das Mehrbegehren von 46 EUR (Lena) und 52 EUR (Lukas) wurde abgewiesen. Das Erstgericht ermittelte anhand des vom Vater im Jahr 2007 bezogenen Nettoeinkommens die Unterhaltsbemessungsgrundlage mit monatlich 3.010,47 EUR und ging in rechtlicher Hinsicht vom Erfordernis einer Neubemessung des Unterhalts aus. Durch die altersbedingte Erhöhung der Bedürfnisse von Lena und die Minderung der Sorgepflicht für die geschiedene Ehefrau seien relevante Umstandsänderungen eingetreten. Das vom Vater angerufene Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die im Scheidungsvergleich vom festgelegte monatliche Unterhaltspflicht des Vaters ab auf (lediglich) 330 EUR für Lena und 270 EUR für Lukas erhöhte. Es folgte dem Standpunkt des Vaters, wonach der Unterhaltsvereinbarung im Scheidungsvergleich in Wahrheit eine Bemessungsgrundlage von rund

2.917 EUR (2.500 EUR 14 mal jährlich) zugrunde gelegt worden sei. Der Unterhalt der Kinder sei mit deutlich geringeren Beträgen festgesetzt worden, als dies der Prozentwertmethode entsprochen hätte (9,6 % für Lena und 7,5 % für Lukas statt jeweils 14 % vom Einkommen des Vaters). Im Hinblick auf die ab um 250 EUR verringerte Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau erscheine zwar eine Neubemessung des Kindesunterhalts angebracht, diese sei jedoch unter Bedachtnahme auf die vergleichsweise Regelung und der in ihr zum Ausdruck gebrachten Relation zwischen Einkommens- und Unterhaltshöhe vorzunehmen. Das Ergebnis entspräche im Wesentlichen auch jenen Anteilen, mit denen die Kinder am freigewordenen Einkommen des Vaters partizipieren würden. Ebenso bleibe das Verhältnis der Unterhaltsleistungen für beide Kinder gewahrt.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zu der Frage, ob im Fall einer Änderung der Verhältnisse wie im vorliegenden Fall der Kindesunterhalt unter Bindung an die in der vorangegangenen Unterhaltsvereinbarung festgelegten Relationen zwischen Bemessungsgrundlage und Unterhaltsleistung oder losgelöst davon neu zu bemessen sei, keine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Minderjährigen gegen die Rekursentscheidung erhobene Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig. Eine solche wird weder in der Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs noch im Rechtsmittel dargetan.

1. Zur Vertretungsbefugnis der Mutter:

1.1 Vorauszuschicken ist, dass gegen die Befugnis der Mutter, die Minderjährigen im Unterhaltsverfahren gegen den gleichfalls obsorgeberechtigten Vater (§ 177 Abs 1 ABGB) zu vertreten, unter den gegebenen Umständen keine Bedenken bestehen. Der Oberste Gerichtshof hat in vergleichbaren Fällen wiederholt die Ansicht vertreten, dass der Antrag des nicht allein obsorgeberechtigten, das Kind in seinem Haushalt betreuenden Elternteils, eine durch den anderen Elternteil zu erbringende Geldunterhaltsleistung für das Kind festzusetzen, das Begehren auf Bestellung zum „besonderen Sachwalter" umfasst, und dass einem solchen Antrag durch eine in der Sache gefällte Unterhaltsentscheidung konkludent stattgegeben werden kann (5 Ob 117/04y; 2 Ob 174/08i; vgl ferner 1 Ob 253/08z; RIS-Justiz RS0034795; auch Gitschthaler, Unterhaltsrecht2 Rz 434/3).

1.2 Aus dem Akteninhalt ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Interessenkollision im Sinne des § 271 ABGB, die zur Bestellung eines Kollisionskurators führen müsste. Eine solche Bestellung setzt ua eine Kollision im materiellen Sinn voraus, die dann vorliegt, wenn aufgrund eines objektiven Sachverhalts eine gesetzmäßige Vertretung des Kindes wegen eines zu befürchtenden Widerstreits an Interessen nicht zu erwarten ist (1 Ob 253/08z; RIS-Justiz RS0058177 [T2], RS0049196 [T7]). In der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurde eine Gefährdung der Interessen Minderjähriger etwa dann bejaht, wenn die in die Unterhaltsvereinbarung involvierte Mutter nicht mehr in der Lage wäre, ihre dieser Vereinbarung entspringenden eigenen Unterhaltspflichten zu erfüllen (1 Ob 571/95 = SZ 68/146), oder wenn sich der betreuende Elternteil in einer Vereinbarung mit dem anderen Elternteil („Entlastungsvertrag") zur Tragung des gesamten Unterhalts verpflichtet hat (4 Ob 71/08g). Für die Annahme eines derartigen Sachverhalts fehlt es hier aber an jeglicher Grundlage. Es ist vielmehr, wie dies gemäß § 271 Abs 2 ABGB im Allgemeinen (ua) in Verfahren zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen durch den betreuenden Elternteil vertretener Kinder gilt, davon auszugehen, dass die Interessen der Kinder vom Gericht ausreichend wahrgenommen werden können und es der Bestellung eines Kollisionskurators nicht bedarf.

2. Zur Sache:

2.1 Gesetzliche Unterhaltsansprüche unterliegen der Umstandsklausel. Der Anspruch kann daher im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu festgelegt werden (4 Ob 203/07t mwN; RIS-Justiz RS0007161). Wurde der Unterhalt in einem Vergleich festgesetzt, soll nach nunmehr ständiger Rechtsprechung die Neubemessung nicht völlig losgelöst von der vergleichsweisen Regelung und der in ihr zum Ausdruck kommenden Konkretisierung der Bemessungsgrundsätze erfolgen (7 Ob 241/00t; 10 Ob 59/06h je mwN; RIS-Justiz RS0047471), solange dadurch das gesetzliche Gesamtausmaß des Kindesunterhalts nicht geschmälert wird (2 Ob 33/99p). Haben sich nur die Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen geändert, ist in der Regel davon auszugehen, dass die seinerzeitige Relation zwischen Einkommenshöhe und Unterhaltshöhe gewahrt bleiben soll (4 Ob 203/07m; RIS-Justiz RS0019018).

Eine abweichende Auffassung wird in der Rechtsprechung zumeist dann vertreten, wenn sich nicht nur die Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen, sondern auch weitere für die Unterhaltsbemessung maßgebliche Umstände, wie etwa die Anzahl der Sorgepflichten oder die Bedürfnisse des Obsorgeberechtigten erheblich geändert haben. Ändern sich mehrere Bemessungsparameter, ist regelmäßig mit einer von den Vergleichsrelationen losgelösten Neubemessung des Unterhalts vorzugehen (1 Ob 123/98i; 6 Ob 207/98d; 7 Ob 241/00t; 5 Ob 258/05k; 10 Ob 8/06h; RIS-Justiz RS0047471, RS0105944).

Es wurde aber auch in solchen Fällen im Wege der (ergänzenden) Vertragsauslegung schon das Ergebnis erzielt, dass die im Vergleich festgelegte Relation zwischen Einkommen und Unterhaltshöhe nicht vernachlässigt werden soll (vgl 3 Ob 69/91; 3 Ob 115/00h).

2.2 Der Oberste Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen bereits klargestellt, dass scheinbare Divergenzen in dieser Rechtsprechung weniger auf unterschiedlichen Rechtsauffassungen, als auf unterschiedlichen Tatsachengrundlagen beruhen. Im Einzelfall ist daher entscheidend, was die Parteien mit ihrem Unterhaltsvergleich für die Zukunft regeln wollten. Nur daraus kann erschlossen werden, ob die Relation zwischen Einkommen und Unterhaltshöhe trotz der eingetretenen Änderungen beibehalten werden soll (vgl 6 Ob 207/98d; 2 Ob 33/99p; 7 Ob 241/00t).

2.3 Bei der Auslegung von Vergleichen kommt es auf die allgemeinen Vertragsauslegungsgrundsätze der §§ 914 f ABGB an. Maßgeblich ist der übereinstimmend erklärte Parteiwille, worunter der dem Erklärungsgegner erkennbare, redlicherweise zu unterstellende Geschäftszweck zu verstehen ist (2 Ob 237/06a mwN; vgl auch 6 Ob 207/98d; 2 Ob 33/99p; 9 Ob 73/07m). Ob nach Abschluss eines Unterhaltsvergleichs bei Änderung der Verhältnisse die im Vergleich festgelegte Relation zwischen Einkommenshöhe und Unterhaltshöhe beibehalten werden soll, oder ob die Neubemessung völlig losgelöst von der vergleichsweisen Regelung erfolgen soll, hängt somit primär von der nach den Auslegungskriterien des § 914 ABGB zu ermittelnden Absicht der Parteien ab (2 Ob 237/06a mwN). Diese Auslegung richtet sich aber stets nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und wirft - von einer krassen Fehlbeurteilung abgesehen - keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

2.4 Im vorliegenden Fall hat das Rekursgericht (nur) in der Verringerung der Sorgepflicht des Vaters für die geschiedene Ehefrau eine die neuerliche Unterhaltsfestsetzung für die Kinder erfordernde wesentliche Änderung der Verhältnisse erblickt. Es hat ferner die Absicht der Parteien bei Abschluss des Scheidungsvergleichs erkennbar dahin ausgelegt, dass auch für diesen Fall die im Vergleich festgelegte Relation zwischen dem damaligen, (im Revisionsrekurs unwidersprochen) mit monatlich 2.917 EUR angenommenen, Durchschnittseinkommen des Vaters und der festgelegten Unterhaltshöhe gewahrt bleiben soll. Ein unvertretbares Auslegungsergebnis ist darin nicht zu erblicken. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Eintritt der Umstandsänderung von den Eltern geplant und im Scheidungsvergleich ausdrücklich festgelegt worden war, ohne auch eine entsprechende Erhöhung des Kindesunterhalts vorzusehen. Dies lässt darauf schließen, dass dem die Unterhaltspflichten regelnden Teil des Scheidungsvergleichs ein längerfristiges Konzept der gemeinsam obsorgeberechtigten Eltern zugrunde lag. Diesem Auslegungsergebnis hat das Rekursgericht angemessen Rechnung getragen. Dass bei Lena mit dem Wechsel der Altersgruppe eine relevante Bedürfnissteigerung verbunden gewesen wäre, geht aus den Verfahrensergebnissen nicht hervor (vgl 7 Ob 247/05g; RIS-Justiz RS0106742).

2.5 Umstände, aufgrund deren die Gefährdung des Gesamtunterhalts der Minderjährigen zu besorgen wäre, wurden weder vorgebracht, noch sind sie im Verfahren hervorgekommen. Die verhältnismäßig geringe Unterschreitung des Regelbedarfs bei Lukas stellt für sich allein keine ausreichende Grundlage für eine solche Annahme dar (vgl 10 Ob 8/06h). Unter diesen Voraussetzungen bindet aber die zwischen den Eltern in Kenntnis der beiderseitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse geschlossene und pflegschaftsgerichtlich genehmigte Vereinbarung über den Unterhalt auch die antragstellenden Kinder (vgl 1 Ob 571/95; 4 Ob 344/98m; 4 Ob 37/06d; 10 Ob 8/06h; 2 Ob 234/07m; RIS-Justiz RS0047513).

3. Ergebnis:

Die Entscheidung des Rekursgerichts hält sich insgesamt im Rahmen der zitierten Rechtsprechung und lässt keine Fehlbeurteilung erkennen, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs daher als unzulässig zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs 2 AußStrG.