OGH vom 19.12.2012, 6Ob211/12s

OGH vom 19.12.2012, 6Ob211/12s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** Z*****, vertreten durch Dr. Berthold Garstenauer, Rechtsanwalt in Salzburg als Verfahrenshelfer, der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Partnerschaft von Rechtsanwälten in Wien, gegen die beklagte Partei S***** H*****, vertreten durch Dr. Klaus Plätzer, Rechtsanwalt in Salzburg als Verfahrenshelfer, wegen Ausstellung von Rechnungen (Streitwert 35.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei und den Rekurs der beklagten Partei gegen das Urteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 89/12x 61, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 10 Cg 1/08t 51, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision und der Rekurs werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisions und des Rekursverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Begründung:

Gegen beide Streitteile wurde beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein zwischenzeitig rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren geführt. Nach den Ergebnissen dieses Verfahrens war die Beklagte seit Herbst 1999 bei der C*****, die im Jahr 2002 mit der Nebenintervenientin verschmolzen wurde, angestellt. Dort hatte sie Buchungen vorzunehmen sowie Rechnungen und Gutschriften auszustellen. Die Führungskräfte der Nebenintervenientin vertrauten ihr blind. Dieses Vertrauen und die ihr rechtsgeschäftlich eingeräumte Befugnis missbrauchte die Beklagte ab Dezember 2001 bis Anfang November 2005. In dieser Zeit bestellte sie im Namen und auf Rechnung der Nebenintervenientin bei den Zulieferern Hardwareprodukte, die sie an sich selbst liefern ließ und mittels Fehlbuchungen der Nebenintervenientin zur Zahlung anlastete. Dadurch fügte sie der Nebenintervenientin einen Schaden von zumindest 7.600.000 EUR zu. Die Hardwareprodukte veräußerte sie privat weiter, und zwar anfänglich über eine Internet Auktions Plattform. Im Frühjahr 2003 wurde der Kläger, der bereits länger im Verkauf von Hardwareprodukten tätig war, auf sie aufmerksam. In der Folge kam es zu einer bis November 2005 dauernden Geschäftsbeziehung zwischen den Streitteilen. Dabei bestimmte zunehmend der Kläger, welche Produkte in welcher Anzahl er von der Beklagten wünschte und wie hoch der Preis dieser Produkte sein durfte. Die beiden handelten jeweils einen wesentlich unter dem üblichen Marktpreis liegenden Preis aus. Der Kläger wusste, dass die Beklagte ihre Arbeitgeberin rechtsgeschäftlich berechtigen und verpflichten konnte. Ihm war auch bewusst, dass die über die Nebenintervenientin bestellten und bezahlten Hardwareprodukte für den privaten Verkauf der Beklagten bestimmt waren, keine betriebliche Ursache hatten und nicht im Interesse der Nebenintervenientin lagen. Er wusste, dass die Beklagte durch die beschriebenen Bestellungen ihre rechtsgeschäftlich eingeräumte Befugnis, über das Vermögen ihrer Arbeitgeberin zu verfügen und diese zu verpflichten, wissentlich missbrauchte.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger gestützt auf § 11 Abs 1 UStG die Beklagte zu verpflichten, ihm für die Lieferungen im Zeitraum vom bis Rechnungen mit den in § 11 Abs 1 Z 1 bis 6 UStG vorgeschriebenen Angaben auszustellen. Die Beklagte habe das aufgelistete EDV Zubehör und die PCs verkauft; sie sei insoweit als Unternehmerin iSd § 2 UStG tätig gewesen. Um den Vorsteuerabzug geltend zu machen, benötige der Kläger Umsatzsteuerrechnungen. Von den „Machenschaften“ der Beklagten habe der Kläger bis zur Beendigung der Geschäftsbeziehung nichts gewusst.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie sei nie als Unternehmerin tätig gewesen. Die Klage sei mutwillig. Der Kläger habe von den den Geschäften zugrundeliegenden strafbaren Handlungen ebenso gewusst, wie davon, dass die Beklagte keine Umsatzsteuer entrichtete.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Für die Umsatzsteuerpflicht sei unerheblich, ob das Rechtsgeschäft zivilrechtlich gültig oder anfechtbar sei. Daraus folge aber gemäß § 11 Abs 1 UStG die Verpflichtung der Beklagten, Rechnungen auszustellen.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren für die das Jahr 2005 betreffenden Rechnungen ab; im Übrigen hob es das Urteil des Erstgerichts auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Zwar sei der Kläger als Unternehmer zu beurteilen. Der zivilrechtliche Anspruch des Leistungsempfängers auf Ausstellung einer Rechnung iSd § 11 UStG erfordere allerdings ein Rechtsschutzinteresse. Nach den Ergebnissen des Strafverfahrens habe der Kläger gewusst, dass es sich um Schwarzgeschäfte der Beklagten handle, denen strafgesetzwidrige Handlungen vorangegangen seien. Dem Kläger habe daher auch klar sein müssen, dass ihm die Beklagte für die einzelnen Geschäfte keine Umsatzsteuer aufschlagen und eine solche gar nicht verrechnen habe können, weil andernfalls ihre Taten spätestens bei der nächsten Steuerprüfung entdeckt worden wären. Es wäre daher ein Rechtsmissbrauch, wollte der Kläger nun einen Vorsteuerabzug für eine gar nicht verrechnete Umsatzsteuer geltend machen. Dem Kläger fehle daher für diesen Zeitraum das Rechtsschutzbedürfnis.

Hingegen seien die Streitteile nur für im Jahr 2005 begangene Handlungen verurteilt worden. Für den davor liegenden Zeitraum reiche die bloße Wiedergabe der Feststellungen des Strafgerichts nicht aus. Rechtlich entscheidend sei die Gutgläubigkeit im Zeitpunkt des Leistungsbezugs. Eine nach dem Leistungszeitpunkt eingetretene Schlechtgläubigkeit schließe den Vorsteuerabzug nicht aus. Daher sei im weiteren Verfahren hinsichtlich des Zeitraums vom bis Dezember 2004 zu klären, wie die Streitteile ihre Geschäftsbeziehung abwickelten und ob sowie gegebenenfalls was der Kläger von den strafgesetzwidrigen Handlungen der Beklagten wusste.

Die ordentliche Revision und der Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO seien zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle, ob trotz des Prinzips der Wertneutralität im Umsatzsteuerrecht der Anspruch auf Ausstellung einer Rechnung iSd § 11 UStG wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses zu versagen sei, wenn der Abnehmer von der durch eine strafgesetzlich verpönte Handlung unterbrochenen Leistungskette und vom Schwarzgeschäft wusste oder wissen musste.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision und der Rekurs sind entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Zwar hat das Gericht in einem Rechtsstreit über die zivilrechtliche Verpflichtung zur Ausstellung einer Rechnung iSd § 11 UStG die dort auftretenden strittigen steuerrechtlichen Vorfragen zu lösen. Der Oberste Gerichtshof ist allerdings mangels einer Leitfunktion in Steuersachen nur dann zur Lösung dieser Fragen berufen, wenn den Vorinstanzen eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen ist (2 Ob 115/07m; vgl Zechner in Fasching/Konecny ² § 502 ZPO Rz 34 mwN).

2. Durch § 11 UStG 1972 wurde ein zivilrechtlicher Anspruch des Leistungsempfängers, die gesonderte Ausweisung der Steuer zu verlangen, eingeführt (RIS Justiz RS0037913). Die sich aus § 11 Abs 1 UStG für den liefernden Unternehmer ergebende Verpflichtung zur Ausstellung einer Rechnung hat zivilrechtlichen Charakter. Die Frage aber, ob eine „steuerpflichtige Leistung“ ausgeführt wird und wer „Lieferant“ und wer „Empfänger“ der Lieferung ist, muss ausschließlich nach steuerrechtlichen Gesichtspunkten unter Beachtung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise (§ 21 BAO) beantwortet werden. Die Prüfung und Entscheidung der Frage, ob ein Vorsteuerabzug vorgenommen werden darf, fällt grundsätzlich in die Zuständigkeit der Abgabenbehörden (RIS Justiz RS0045702).

3.1. Jeder Unternehmer, der Umsätze nach § 1 Abs 1 Z 1 UStG, das heißt Lieferungen und sonstige Leistungen, im Rahmen seines Unternehmens im Inland gegen Entgelt ausführt, ist berechtigt, Rechnungen auszustellen. Anspruch auf Ausstellung einer Rechnung iSd § 11 UStG durch den leistenden Unternehmer haben Leistungsempfänger, sofern sie selbst Unternehmer sind und die Leistung für ihr Unternehmen ausgeführt wurde, sowie juristische Personen, die Nichtunternehmer sind, für Leistungen, die an sie erbracht wurden ( Bürgler in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig , UStG ON 2.02 UStG § 11 Rz 2, 3).

3.2. Nach § 2 Abs 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Die Unternehmereigenschaft der Beklagten im Sinne dieser Bestimmung ist in dritter Instanz nicht mehr strittig.

3.3. Auch vertragswidriges Verhalten, ja selbst verbotenes, strafbares und sittenwidriges Handeln, kann eine Leistung sein. Gemäß § 23 Abs 2 BAO wird die Erhebung einer Abgabe nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Verhalten (Handeln oder Unterlassen), das den abgabepflichtigen Tatbestand erfüllt oder einen Teil des abgabepflichtigen Tatbestands bildet, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. Abweichende Grundsätze iSd § 23 Abs 5 BAO enthält das UStG nicht. Deshalb erbringt beispielsweise ein bei einem Elektrodiscounter Beschäftigter, der in seiner Freizeit von sämtlichen im Geschäft befindlichen Computerspielen illegale Kopien anfertigt und über das Internet verkauft, umsatzsteuerrechtlich relevante Umsätze (vgl Wieland in Berger/Bürgler/Kanduth Kristen/Wakounig , UStG ON 2.02 UStG § 1 Rz 21).

4.1. Nach herrschender Auffassung setzt § 11 Abs 1 UStG allerdings ein Rechtsschutzinteresse des Klägers voraus ( Ruppe/Achatz , UStG 4 § 11 Rz 14; 4 Ob 510/79; 5 Ob 28/82; 1 Ob 22/86). Das Vorliegen eines derartigen rechtlichen Interesses wurde bejaht, wenn durch die Ausstellung einer Rechnung die Frage des Vorliegens der Urkunden zum Zweck der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs zugunsten der klagenden Partei geklärt und einem Streit darüber vor den Finanzbehörden vorgebeugt werden kann (4 Ob 510/79). Dabei reicht bereits aus, dass ein Vorsteuerabzug nicht gänzlich ausgeschlossen ist (1 Ob 22/86). Das Rechtsschutzinteresse kann auch darin bestehen, dass der Leistungsempfänger einen Rechtsstreit über die Berechtigung zum Vorsteuerabzug führen will ( Ruppe/Achatz , UStG 4 § 11 Rz 14). Auch nach Arnold (Zivilrechtliche Überlegungen zum Vorsteuerabzug, GesRZ 1990, 22 [23]) setzt § 11 UStG ein entsprechendes Rechtsschutzinteresse voraus.

4.2. Gemäß § 12 Abs 1 Z 1 UStG entfällt das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn die Lieferung oder die sonstige Leistung an einen Unternehmer ausgeführt wurde, der wusste oder wissen musste, dass der betreffende Umsatz im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen oder sonstigen, die Umsatzsteuer betreffenden Finanzvergehen steht.

5. Soweit der Kläger seine Gutgläubigkeit behauptet, ist dies jedenfalls für das Jahr 2005 durch das bindende Strafurteil widerlegt. In der Beurteilung des Berufungsgerichts, dass aus den bindenden Feststellungen des Strafverfahrens abzuleiten ist, dass der Kläger im Tatzeitraum zumindest wissen musste, dass auch eine Hinterziehung der Umsatzsteuer bzw ein die Umsatzsteuer betreffendes Finanzvergehen vorliegt, ist keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Damit ist aber ein Vorsteuerabzug des Klägers von vornherein ausgeschlossen, sodass auch für einen Anspruch auf Ausstellung einer Rechnung iSd § 11 UStG kein Raum besteht (1 Ob 22/86).

6. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass für die Beurteilung der Gutgläubigkeit des Klägers auf den Zeitpunkt des Leistungsbezugs und nicht auf denjenigen der Rechnungsausstellung abzustellen ist, entspricht der herrschenden Auffassung im Schrifttum ( Ruppe/Achatz , UStG 4 § 12 Rz 95; Wisiak , Welcher Umsatz steht im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen oder sonstigen die USt betreffenden Finanzvergehen? SWK 2008, 618 [619]).

7. Damit bringen die Parteien aber keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass die Revision und der Rekurs spruchgemäß zurückzuweisen waren.

8. Die Entscheidung über die Kosten des Revisions und des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Da die Kosten für die Revisionsbeantwortung und für die Rekursbeantwortung gleich hoch waren, war mit Kostenaufhebung vorzugehen.