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OGH vom 24.10.1951, 1Ob678/51

OGH vom 24.10.1951, 1Ob678/51

Norm

ABGB § 1325;

Strafprozeßordnung § 365 Abs 1;

Strafprozeßordnung § 369 Abs 1;

Strafprozeßordnung § 372;

ZPO § 411;

Kopf

SZ 24/281

Spruch

Der Entscheidung im Adhäsionsprozeß kommt nur insoweit Rechtskraftwirkung zu, als dem geltend gemachten Anspruch stattgegeben wird (SZ. XIX/33). Für einen über das im Adhäsionsverfahren geltend gemachte Ausmaß hinausgehenden Anspruch besteht keine Rechtskraftwirkung.

Die Einklagung eines Geldbetrages als Schmerzengeld hindert nicht die neuerliche Einklagung eines weiteren Betrages aus demselben Titel mit der alleinigen Begründung, daß ursprünglich nur ein Teilbetrag eingeklagt worden sei.

Entscheidung vom , 1 Ob 678/51.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Kläger begehrt vom Beklagten ein Schmerzengeld von 4000 S und Ersatz sonstiger Schäden in der Höhe von 399 S, weil er am vom Beklagten schwer verletzt worden sei. Vom Schmerzengeld sei ihm ein Teilbetrag von 1000 S mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom , 7 E c Vr 6808/49-10, rechtskräftig zugesprochen worden, so daß der Restbetrag von 3000 S noch offen sei.

Das Erstgericht schränkte die Verhandlung auf den Grund des Anspruches ein und erkannte, daß der Anspruch des Klägers auf Bezahlung eines Schmerzengeldes von 3000 S dem Gründe nach nicht zu Recht bestehe (Punkt 2.) und der restliche Schadenersatzanspruch aufrecht sei (Punkt 1.). Der Kläger habe seinen gesamten Schmerzengeldanspruch im Strafverfahren geltend gemacht und er sei ihm voll zuerkannt worden. Es handle sich bei der Entscheidung des Strafgerichtes im Adhäsionsverfahren nicht um einen bloß vorläufigen Zuspruch, sondern um einen endgültigen mit Rechtskraftwirkung. Im übrigen sei der Schadenersatzanspruch des Klägers gerechtfertigt.

Infolge Berufung des Klägers gegen Punkt 2. des erstgerichtlichen Zwischenurteils hob das Berufungsgericht diesen Teil des erstgerichtlichen Urteils auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Im Gegensatz zum Zivilurteil schaffe das Anschlußerkenntnis, wenn es in Rechtskraft erwachsen sei, res judicata nur insoweit, als es dem Anspruch des Privatbeteiligten stattgebe. Diese von Lohsing, Strafprozeßrecht 3, S. 432, überzeugend vertretene Meinung müsse im Hinblick auf § 372 StPO. noch dahin eingeschränkt werden, daß die Geltendmachung weitergehender Ansprüche des Geschädigten beim Zivilgericht auch durch eine rechtskräftige Entscheidung des Strafrichters nicht ausgeschlossen werde. Dies ergebe sich aus § 369 Abs. 1 StPO., wonach der als Schadloshaltung gebührende Betrag zuzuerkennen sei, wenn er mit Zuverlässigkeit bestimmt werden könne. Diese Möglichkeit sei jedoch bei einem Schmerzengeldanspruch schon im Hinblick auf das Fehlen eines kontradiktorischen Verfahrens im allgemeinen nicht gegeben, im vorliegenden Falle sei der Gegner überdies entgegen der Vorschrift des § 365 Abs. 1 StPO. über die Ansprüche nicht einmal vernommen worden. Eines ausdrücklichen Vorbehaltes weitergehender Ansprüche des Klägers habe es nicht bedurft. Da rechtskräftig entschiedene Rechtssache nicht angenommen werden könne, müsse das Erstgericht in die meritorische Prüfung der Sache eingehen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der beklagten Partei gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes Folge und trug diesem die neuerliche Entscheidung über die Berufung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Aus § 372 StPO. folgt, daß der Entscheidung des Strafrichters im Adhäsionsprozeß nur insoweit Rechtskraftwirkung zukommt, als er einem geltend gemachten Anspruch stattgibt und zu privatrechtlichen Leistungen verurteilt (SZ. XIX/33). § 372 StPO. denkt wohl zunächst nur an den Fall, daß einem weitergehenden Begehren nicht stattgegeben wurde; doch muß § 372 StPO. auch auf den Fall erstreckt werden, daß ein weitergehender Anspruch gar nicht geltend gemacht wurde. Denn nach den allgemeinen Rechtskraftgrundsätzen kann ein Anspruch oder Teilanspruch, der nie geltend gemacht wurde und über den daher überhaupt nicht erkannt wurde, niemals so behandelt werden, als ob er mit Rechtskraftwirkung aberkannt worden wäre. Die Rechtskraftwirkung ist eine Urteils(Entscheidungs)wirkung. Wenn kein Urteil (Entscheidung) ergangen ist, so gibt es auch keine Rechtskraft mit der Wirkung, daß ein weiteres Verfahren nicht eingeleitet werden könnte.

Es könnte in einem solchen Fall höchstens angenommen werden, daß ein weiterer Zuspruch über den im Adhäsionsprozeß zuerkannten Betrag nicht erfolgen könnte, weil der Kläger durch Beschränkung seines Anspruches auf einen bestimmten Betrag zu erkennen gegeben hat, daß er auf das Verlangen, mehr zu fordern, verzichte.

Es ist nun richtig, daß der Oberste Gerichtshof, insbesondere in GlUNF. 3684, eine ähnliche Auffassung vertreten hat und aus dem Charakter des Schmerzengeldes als einer einmaligen Abfertigung für den ganzen Komplex von schmerzhaften Empfindungen geschlossen hat, daß ein Schmerzengeld ein einheitliches Ganzes bildet und daher nicht ratenweise verlangt werden könne. Dieser Gedanke der Einheit des Schadenersatzprozesses ist aber in keiner gesetzlichen Bestimmung verankert. So wie bei jedem anderen Anspruch kann sich der Kläger zunächst damit begnügen, nur einen Teil eines Schadenersatz- oder Schmerzengeldanspruches einzuklagen, ohne daß er damit weitergehende, ihm etwa zustehende Ansprüche verliert. Das muß umsomehr im Adhäsionsverfahren gelten, in dem sich vielfach die Kläger mit Rücksicht auf die Möglichkeit, ein Feststellungsbegehren zu stellen, damit begnügen, durch Erwirkung der Verurteilung zu einem nummus unus die grundsätzliche Anerkennung ihres Schadenersatzanspruches zu erzielen.

Das Berufungsgericht hat daher mit vollem Recht die Rechtskraftwirkung des Adhäsionsurteiles gegen die Geltendmachung weiterer Beträge vermeint und anerkannt, daß grundsätzlich keine Bedenken bestehen, dem Kläger auch einen Betrag über das Adhäsionsurteil hinaus zuzuerkennen.

Damit ist aber noch nicht die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles gerechtfertigt. Dieses hat den Anspruch dem Gründe nach verneint, d. h., das Berufungsgericht darf dieses Urteil nur dann abändern, wenn es zur Überzeugung gelangt, daß Kläger Anspruch auf ein größeres Schmerzengeld als 1000 S hat. Nur dann kann der Anspruch dem Gründe nach zu Recht bestehen, wenn irgendein weiterer Betrag gebührt.

Bevor das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil aufhob, hätte es zunächst zu der Frage Stellung nehmen müssen, ob der im Strafverfahren zuerkannte Betrag, insbesondere mit Rücksicht auf die Umstände, unter denen die Tat begangen wurde, nicht als Ersatz für die erlittenen Schmerzen zureicht, zumal das Berufungsgericht jede Begründung für die Behauptung unterläßt, daß die erstrichterlichen Feststellungen nicht hinreichen, insbesondere, da der Kläger in erster Instanz keine Behauptungen über Intensität und Dauer der Schmerzen aufgestellt hat. Eine Aufhebung zur Feststellung der Absichten des Klägers bei Stellung das Begehrens im Strafverfahren ist entbehrlich, weil nach dem oben Dargelegten der Kläger aus Rechtsgrunden nicht gehindert ist, im Zivilverfahren über den im Strafverfahren verlangten Betrag hinaus weitere Beträge zu verlangen, sofern er nicht ausdrücklich auf Mehrforderungen verzichtet hat, was diesmal gar nicht behauptet wird.

Das Berufungsgericht wird daher vorerst neuerlich den Sachverhalt unter Bindung an diese Auffassung des Obersten Gerichtshofes zu überprüfen haben und nur, wenn es zum Ergebnis kommt, daß dem Kläger nach den erstinstanzlich vorliegenden Tatsachenbehauptungen ein weiterer Betrag gebührt, das erstgenannte Urteil neuerlich aufheben dürfen, andernfalls wird es das erstrichterliche Urteil bestätigen müssen.