OGH vom 17.07.2018, 7Ob141/18p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. E. Solé, Mag. Malesich, Mag. Painsi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache der Bewohnerin A***** H*****, vertreten durch die Mutter und Sachwalterin A***** H*****, und den Verein VertretungsNetz – Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Bewohnervertreterin Mag. M***** H*****), *****, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Einrichtungsleiterin Dr. K***** H*****, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 55 R 26/18d-10, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom , GZ 5 HA 2/18m-5, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben. Die – im Übrigen unberührt bleibenden – Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass deren Pkt. 1 wie folgt lautet:
„1. Die an der Bewohnerin A***** H***** in der Einrichtung ***** vorgenommene freiheitsbeschränkende Maßnahme durch Schließen des Gitters an der Bewegungsfläche war bis unzulässig, ab dem Folgetag zulässig und wird weiterhin bis für zulässig erklärt.“
Text
Begründung:
Die 30-jährige Bewohnerin lebt bei ihrer Mutter, hält sich jedoch von Montag bis Donnerstag von 8:30 bis 16:00 Uhr und am Freitag von 8:30 bis 14:00 Uhr in der Einrichtung auf und wird dort betreut.
Bei der Bewohnerin besteht nach einer Frühgeburt in der 26. Schwangerschaftswoche (Geburtsgewicht 850 g) und einer Hirnblutung ein ausgeprägter psycho-mental-motorischer Entwicklungs-rückstand, verbunden mit spastischer Tetraparese, posthämorrhagischem Hydrocephalus („Wasserkopf“), epileptischer Anfallsymptomatik und Rindenblindheit
(= vollständige Erblindung durch beidseitige Zerstörung der Sehzentren im Hinterhauptlappen des Gehirns). Es liegt eine schwerste geistige Behinderung bei ausgebliebener Sprachentwicklung und ungenügendem bzw fehlendem Sprachverständnis vor, Begriffs- und Vorstellungsquantum sind nicht vorhanden. Die Gesamtheit der intellektuell-kognitiven Prozesse, wie etwa Sprache, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, gedanklicher Ablauf, Merkfähigkeit und Gedächtnis ist kaum bis nicht vorhanden. Die Bewohnerin rollt sich bei einer gezielten Berührung ihrer Mutter oder ihrer Bezugsassistentin auf ihr Gesäß von der Rücken- in die Bauchlage. Sonst ist sie bei geringem Eigenantrieb unfähig, Aufforderungen und Anweisungen zu verstehen und sich danach zu richten. Die für die kognitive Entwicklung besonders wichtigen Fernsinne sind auf säuglingshafte Muster fixiert. Figur-Grund-Wahrnehmung, Raum-Lage-Konstanz, Störung der Schemata im Umgang mit Objekten, Wahrnehmung kausaler Zusammenhänge, Wahrnehmung von Mittel-Zweck-Verbindungen und Fixierung auf bestimmte sensorische Reize sind kaum bis nicht möglich. Die Bewohnerin ist vollständig hilflos, pflegebedürftig und inkontinent. Ihre geistigen Fähigkeiten entsprechen denen eines Säuglings im Alter von drei bis vier Monaten. Durch die ausgebliebene Sprachentwicklung und völlige Blindheit kann sie ausschließlich durch Körperkontakte geführt und gelenkt werden. Sie ist nicht in der Lage, ihre Körperpflege, Ausscheidungsfunktionen und allereinfachste Verrichtungen selbständig zu übernehmen. Ein sinnvolles, rational-zielgerichtetes Handeln ist ihr nicht möglich. Die von ihr ausgeführten Bewegungen beschränken sich darauf, dass sie sich von der Rücken- in die Bauchlage und umgekehrt bringen kann, von der Bauchlage in den Vierfußstand und in weiterer Folge sich auf ihre Füße setzt, wobei ihr in diesem Fall ein Polster hinter den Rücken gestellt wird, damit sie nicht nach hinten kippt. Aus dieser Position lässt sie sich unvermittelt und unkontrolliert nach vorne auf den Bauch fallen. Sie kann außerdem mit ihren Händen greifen.
Am Kopf der Bewohnerin wurden operativ Ventile eingesetzt, durch die zu viel produzierte Gehirnflüssigkeit über Leitungen in den Bauchraum geleitet wird, um einen Überdruck zu verhindern.
Die Bewohnerin leidet als Folge ihrer Behinderung an einer ausgeprägten Immunschwäche, wobei es nach Kontakt schon durch relativ banale Infektionserreger zu schwerwiegenden Komplikationen kommen kann. Eine Lagerung der Bewohnerin am Boden oder in Bodennähe ist vor diesem Hintergrund schlechter geeignet als eine Lagerung auf Hüfthöhe, weil die Keimdichte am Boden deutlich höher ist. Die immunologische Abwehrlage hat sich in den letzten Jahren zusehends verschlechtert.
Für die Bewohnerin ist der Kontakt zu anderen Menschen wichtig, weshalb sie trotz ihrer schwachen Immunabwehr nicht von den anderen Bewohnern isoliert werden soll. Sie reagiert mit starker Irritation, wenn eine Kontaktaufnahme zu ihr von oben kommt, das heißt, wenn von oben auf sie hinabgesprochen wird und sich andere zu ihr hinabbeugen. Demgegenüber fühlt sie sich bei einem Kontakt auf Augenhöhe wohl.
Bis vor etwa sechs Jahren wurde die Bewohnerin auf einer Matratze samt Lattenrost am Boden liegend betreut. Dies führte dazu, dass andere Bewohner sich zu ihr auf die Matratze setzten oder legten, teilweise auch fallen ließen, sodass einerseits wiederum mehr Keime an sie herangetragen wurden und sie häufiger Infekte bekam, andererseits immer die Gefahr bestand, dass sich jemand auf sie legt und sie dabei allenfalls verletzt. Teilweise kam es auch vor, dass andere Bewohner über die Matratze stolperten.
Die Einrichtung leitete deshalb vor rund sieben Jahren intern einen Prozess mit dem Namen „Begleitung im Dialog“ ein, im Rahmen dessen eine Möglichkeit erarbeitet wurde, der Bewohnerin einerseits möglichst hohen Schutz vor Verletzung und Infektion, gleichzeitig die größtmögliche Bewegungsfreiheit zu verschaffen. In diesen Prozess wurden unter anderem eine Fachkraft aus dem Bereich Pädagogik, die Mutter und Sachwalterin sowie ein als Sprachrohr für die Bewohnerin agierender Mitarbeiter eingebunden. Als Ergebnis dieses Prozesses wurde 2012 die folgende Maßnahme, die von allen Beteiligten als „Bewegungsfläche“ bezeichnet wird, von der Einrichtungsleitung angeordnet und durch die einrichtungseigene Tischlerei hergestellt:
Das Gitter an der Bewegungsfläche wird geschlossen, wenn sich gerade keine Betreuungspersonen oder Therapeuten konkret mit der Bewohnerin befassen; diese beschäftigt sich dann mit verschiedensten „Greiflingen“. Die Mutter hatte bereits zuvor zu Hause eine solche – etwas kleinere – Bewegungsfläche für die Betreuung der Bewohnerin errichten lassen. Davor war sie zu Hause in einem normal großen Bett mit Seitengitter und Pölstern rund um das Bett gelagert und von ihrer Mutter immer wieder auf eine am Boden liegende Therapiematte herausgelegt worden.
Die Bewohnerin ist aufgrund ihrer Behinderung aus medizinischer Sicht nicht in der Lage, die Begrenzung der Bewegungsfläche als Einschränkung zu empfinden, vielmehr gibt ihr die räumliche Begrenzung ein Gefühl der Sicherheit. Ohne Begrenzung besteht die Gefahr, dass sie panisch wird. Sie fühlt sich in der Bewegungsfläche wohl. Die Bewegungsfläche samt Gitter entspricht fachlichen Standards. Eine Selbstgefährdung am Gitter der Bewegungsfläche wird dadurch vermieden, dass ein Polster daran gelegt wird und sich jeweils eine Betreuungsperson im Raum befindet.
Die Bewohnerin ist nicht in der Lage zu erkennen, wo das Ende der Bewegungsfläche ist; ohne Abgrenzung besteht die Gefahr, dass sie sich über das Ende der Bewegungsfläche hinaus „rollt“. Ein Sturz birgt über die allgemeine Verletzungsgefahr hinaus die Gefahr der Beschädigung der am Kopf befindlichen Ventile sowie der Leitungen, die die Gehirnflüssigkeit abtransportieren. Dies hätte wiederum zur Folge, dass die Bewohnerin eine weitere Operation bräuchte; sie wurde in ihrem Leben bereits 35-mal operiert.
Aus gesundheits- und krankenpflegerischer Sicht stellt die Bewegungsfläche keine Einschränkung der Bewegungsfreiheit dar; eine andere, schonendere Alternative im Sinne eines Wegfalls der Begrenzung der Fläche ist aus fachlicher Sicht nicht geeignet, weil diesfalls eine Bodenpflege zur Anwendung kommen müsste, bei der die dargelegten Gefahren bestehen und diese Art der Pflege allenfalls zur Isolierung der Bewohnerin von anderen Bewohnern führen müsste, um das Infektionsrisiko hintanzuhalten.
Die Einrichtung erstattete am erstmals eine Meldung nach § 7 Abs 2 HeimAufG.
Der Verein stellte gemäß § 11 HeimAufG den Antrag auf Überprüfung der die Bewohnerin betreffenden Freiheitsbeschränkung durch Schließen des an der „Bewegungsfläche“ angebrachten Gitters.
Das Erstgericht erklärte mit dem am Schluss der Erstanhörung am mündlich verkündeten Beschluss die Freiheitsbeschränkung vorläufig für zulässig. In der folgenden Verhandlung am erörterte die Erstrichterin, dass nun die Entscheidung mündlich zu verkünden sei und das Ergebnis entweder sein werde, dass eine Freiheitsbeschränkung zu bejahen, deren Zulässigkeit aber gegeben sei, oder aber die Maßnahme nicht als Freiheitseinschränkung zu qualifizieren sei. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsfrage behalte die Erstrichterin die Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vor, insbesondere weil „der vorläufige Beschluss vom aufrecht“ sei.
Am fasste das Erstgericht schriftlich den Beschluss, dass die freiheitsbeschränkende Maßnahme durch Schließen des Gitters an der Bewegungsfläche für die Dauer von sechs Monaten für zulässig erklärt werde (Pkt 1.); die Anträge des Vereins auf Einholung von Befund und Gutachten aus dem Bereich Heilpädagogik sowie Medizinprodukte/Hilfsmittel/Heilbehelfe wies es ab (Pkt 2.). Die Zustellung dieses Beschlusses erfolgte am .
Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass sich die Bewohnerin im weitesten Sinne willensgesteuert bewege und nicht bloß unwillkürliche Umlagerungsbewegungen zeige. Da ihre Fortbewegungsfähigkeit gegeben sei, bilde das verschlossene Seitengitter der „Bewegungsfläche“ eine Freiheitsbeschränkung iSd § 3 HeimAufG. Aufgrund ihrer geistigen Behinderung und ihrer Vollblindheit könne die Bewohnerin nicht erkennen, dass sie aus der Bewegungsfläche stürze, wenn sie sich über das Ende der Bettkante hinausrolle, und könne auch nicht nach dieser Erkenntnis handeln. Durch einen Sturz wäre ihre Gesundheit massiv gefährdet. Weiters leide die Bewohnerin als Ausfluss ihrer geistigen Behinderung an einer stark eingeschränkten immunologischen Abwehrfähigkeit, weshalb eine Keimbelastung so niedrig wie möglich gehalten werden müsse. Eine Lagerung auf dem Boden und wenn sich andere Bewohner zu ihr legten, führe zu einer erhöhten Keimbelastung. Die erhöhte Bewegungsfläche stelle daher die optimale Vorrichtung für die Betreuung dar. Das Schließen des Gitters sei zur Abwehr der genannten Gefahren unerlässlich und geeignet sowie im Verhältnis zur Gefahr angemessen; andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen, seien nicht geeignet, diese Gefahr abzuwenden. Dass das zur Überprüfung gelangende Gitter die Bewegungsfläche weder zu einem Netz- noch zu einem Käfigbett mache, erhelle aus den Lichtbildern.
Die Frage, ob die zu überprüfende Maßnahme dem Medizinproduktegesetz (MPG) entspreche, sei nicht ausschlaggebend im Hinblick auf die Prüfung, ob ein fachgemäßer Standard im Sinne des § 5 Abs 3 HeimAufG vorliege.
Über den Rekurs des Vereins änderte das Rekursgericht diesen Beschluss in seinem Pkt 1. dahin ab, dass es die Maßnahme bis für unzulässig, ab dem Folgetag und weiterhin für die Dauer von sechs Monaten jedoch für zulässig erklärte.
Es vertrat die Rechtsansicht, dass eine Freiheitsbeschränkung vorliege, welche bis zur Verständigung der Bewohnervertretung nach § 7 Abs 2 HeimAufG unzulässig gewesen, danach aber zulässig sei. Nach § 5 Abs 3 HeimAufG dürfe zwar eine Freiheitsbeschränkung nur unter Einhaltung fachgemäßer Standards und unter möglichster Schonung des Bewohners durchgeführt werden, was dahin zu verstehen sei, dass die Maßnahme nach der Angemessenheit in medizinischer, pflegerischer und betreuerischer Hinsicht zu betrachten sei. Dies bedeute aber nicht, dass die Maßnahme in jede nur denkbare Richtung hin zu überprüfen sei, sodass es dahingestellt bleiben könne, ob die Bewegungsfläche als Medizinprodukt zu qualifizieren sei oder dem MPG entspreche. Bei der Prüfung der Maßnahme sei jedenfalls mitzubedenken, dass die Bewohnerin durch die Konstruktion und Wirkweise der Maßnahme keinen anderen als unbedingt notwendigen Gefahren ausgesetzt werde. Dies sei durch das vorliegende Gutachten abschließend beurteilt worden: Es stehe fest, dass die Freiheitsentziehung an der Bewohnerin durch Schließen des Gitters an der Bewegungsfläche den fachlichen Standards entspreche, die geeignete Maßnahme darstelle und gelindere Mittel nicht verfügbar seien. Klar sei auch die sorgsame Bauweise und gepolsterte Ausstattung zu erkennen.
Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vereins mit einem Abänderungsantrag dahin, die Maßnahme auch nach dem für unzulässig zu erklären; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und teilweise auch berechtigt.
1. Der Rechtsmittelwerber sieht in der Unterlassung der mündlichen Verkündung des Beschlusses eine Nichtigkeit. Das Verfahren sei im Hinblick darauf, dass in die Grundrechte nach Art 6 Abs 1 PersFrSchG und Art 5 Abs 4 EMRK eingegriffen werde, rasch und effizient durchzuführen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht im Fall mündlicher Beschlussverkündung anders entschieden hätte. Der Bewohnerin sei „zumindest theoretisch“ die Möglichkeit einer sofortigen Aufhebung der Freiheitsbeschränkung genommen und das Gebot der Mündlichkeit verletzt worden.
1.1. Nach § 15 Abs 1 HeimAufG hat das Gericht am Schluss der mündlichen Verhandlung über die Zulässigkeit der Freiheitsbeschränkung zu entscheiden. Der Beschluss ist in der mündlichen Verhandlung zu verkünden, zu begründen und dem Bewohner in geeigneter, seinem Zustand entsprechender Weise zu erläutern; erklärt das Gericht die Freiheitsbeschränkung für zulässig, so hat es nach Abs 2 hierfür im Beschluss eine bestimmte, sechs Monate nicht übersteigende Frist zu setzen. Nach Abs 4 hat das Gericht, wenn die Freiheitsbeschränkung noch andauert, den Beschluss innerhalb von sieben Tagen schriftlich auszufertigen und unverzüglich dem Bewohner, seinem Vertreter, seiner Vertrauensperson sowie dem Leiter der Einrichtung zuzustellen.
1.2. Den Materialien ist hierzu zu entnehmen, dass der Beschluss mündlich zu verkünden, zu begründen, zu protokollieren und dem Bewohner allenfalls mit Hilfe der sonst anwesenden Personen zu erläutern und „bereits mit seiner mündlichen Verkündung 'außenwirksam' erlassen ist“ (ErläutRV 353 BlgNR 22. GP 15).
1.3. Im Schrifttum wird darauf hingewiesen, dass der Beschluss nicht der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten werden darf (Barth/Engel, Heimrecht [2004] § 15 HeimAufG Anm 3) und dass die Frist nach § 15 Abs 2 HeimAufG ab der Verkündung des Beschlusses zu berechnen ist (Barth/Engel, Heimrecht [2004] § 15 HeimAufG Anm 7 und § 19 HeimAufG Anm 18; ebenso Barth, Spezielle Fragen zum Gerichtsverfahren nach HeimAufG, RZ 2006, 1 [11]; Zierl/Wall/Zeinhofer, Heimrecht I³ [2011] 212; Bürger/Halmich, HeimAufG [2015] § 15 Anm 3; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II [2017] § 15 HeimAufG Rz 11 und § 19 HeimAufG Rz 9).
1.4. In § 66 AußStrG 2005 sind die Revisionsrekursgründe taxativ aufgezählt (RIS-Justiz RS0120213 [T3]). Das – gesetzwidrige – Unterlassen der mündlichen Verkündung des erstgerichtlichen Beschlusses als solches verwirklicht hier keinen der in § 66 Abs 1 Z 1 bis 3 AußStrG genannten Revisionsrekursgründe. Es war aber im Ergebnis Anlass einer für die Bewohnerin nachteiligen unrichtigen rechtlichen Beurteilung bei der Ausmittlung der Frist des § 15 Abs 2 HeimAufG:
Die Vorinstanzen haben die Zulässigkeit der Maßnahme mit der Höchstfrist von sechs Monaten festgelegt. Wirksam wurde dieser Ausspruch jedoch – mangels mündlicher Verkündung des erstgerichtlichen Beschlusses – erst mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung dieses Beschlusses. Aus der gesetzlichen Regelung ist aber abzuleiten, dass die (Höchst-)Dauer der Maßnahme mit sechs Monaten ab der gesetzlich angeordneten mündlichen Verkündung des Beschlusses zu berechnen ist (oben Pkt 1.3.). Durch das Unterbleiben der mündlichen Beschlussverkündung ist der Bewohnerin daher insofern ein Nachteil erwachsen, als die längstmögliche Frist, für welche die Maßnahme zulässig und binnen welcher eine Überprüfung im Sinne des § 19 HeimAufG vorzunehmen ist, später als bei gesetzeskonformer Vorgangsweise enden würde. Dem Revisionsrekurs ist daher insofern Folge zu geben, als die Dauer der Zulässigkeit der Maßnahme mit sechs Monaten ab dem Datum der mündlichen Verhandlung, in welcher der Beschluss zu verkünden gewesen wäre (), zu begrenzen ist. Dies war zweckmäßigerweise durch Angabe des bestimmten Datums zum Ausdruck zu bringen (vgl Bürger/Halmich, HeimAufG [2015] § 15 Anm 3).
1.5. Hingegen ist ein darüber hinausgehender Nachteil der Bewohnerin aus dem Unterbleiben der mündlichen Beschlussverkündung nicht zu erkennen und wird auch vom Rechtsmittelwerber mit seinen theoretischen Überlegungen, ob bei sofortiger Verkündung ein anderer Beschluss gefasst worden wäre, nicht aufgezeigt.
2.1. Nach § 5 Abs 3 HeimAufG darf eine Freiheitsbeschränkung nur unter Einhaltung fachgemäßer Standards und unter möglichster Schonung des Bewohners durchgeführt werden. Nach den Materialien ist die Freiheitsbeschränkung unter Einhaltung der „fachlich (medizinisch, pflegerisch und betreuerisch) fachgemäßen Standards“ vorzunehmen (ErläutRV 353 BlgNR 22. GP 12).
2.2. Soweit der Rechtsmittelwerber vor diesem Hintergrund das Unterbleiben von Beweisaufnahmen in Ansehung der Übereinstimmung der Bewegungsfläche mit dem MPG bemängelt, ist er zunächst darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich weder eine behauptete Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, die von der zweiten Instanz verneint wurde, noch eine Unrichtigkeit der vom Rekursgericht geprüften und übernommenen erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen in dritter Instanz geltend gemacht werden können (vgl RISJustiz RS0007236; RS0108449; RS0050037 [T7]; RS0042963 [T49, T 61]).
2.3. Der Rechtsmittelwerber zeigt aber in diesem Zusammenhang auch inhaltlich nicht auf, warum die konkret zu überprüfende Freiheitsbeschränkung nach welchen spezifischen medizinischen, pflegerischen und betreuerischen Anforderungen unzulässig, insbesondere warum sie für die Bewohnerin vermeintlich gesundheitsgefährdend sein sollte; dafür fehlen nach der Aktenlage auch jegliche Anhaltspunkte. Wenn daher die Vorinstanzen bei dieser Sachlage nicht mehr weiter der Frage nachgegangen sind, ob die Bewegungsfläche ein dem MPG entsprechendes Medizinprodukt ist, liegt darin weder ein aufzugreifender Verfahrensmangel noch eine rechtliche Fehlbeurteilung.
2.4. Auf die im Rekurs vertretene und bereits vom Rekursgericht zu Recht verworfene Auffassung, bei der Bewegungsfläche handle es um ein „käfigähnliches Bett“, kommt der Revisionsrekurs zutreffend nicht mehr zurück.
3. Zusammengefasst ist festzuhalten, dass die Frist des § 15 Abs 2 HeimAufG ab dem Zeitpunkt zu berechnen ist, zu dem der Beschluss über die Zulässigerklärung der Freiheitsbeschränkung mündlich zu verkünden ist.
Im vorliegenden Fall folgt daraus, dass der Revisionsrekurs (nur) insofern berechtigt ist, als die Höchstdauer der Frist nach § 15 Abs 2 HeimAufG ausgehend von einer gesetzeskonformen mündlichen Beschlussverkündung auszumitteln war.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00141.18P.0717.000 |
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