zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 21.09.2017, 7Ob136/17a

OGH vom 21.09.2017, 7Ob136/17a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Unterbringungssache der Kranken J***** G*****, geboren am *****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz – Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Patientenanwälte MMag. T***** S***** und Mag. B***** R*****), *****, diese vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Abteilungsleiter Prim. Dr. M***** E*****, pA *****, wegen Beschränkung sonstiger Rechte gemäß § 34a UbG, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 643/16s-27, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom , GZ 28 Ub 66/16a-21, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss wie folgt zu lauten hat:

„Die Beschränkung eines sonstigen Rechts der Kranken J***** G*****, nämlich der Entzug der Privatkleidung im Beisein männlicher Securitymitarbeiter am , wird für unzulässig erklärt.“

Text

Begründung:

Die Kranke war am und dann vom bis in der psychiatrischen Abteilung ohne Verlangen stationär untergebracht. Im Vorfeld hatte ein Konflikt mit den Adoptiveltern stattgefunden, bei dem die Kranke fremdaggressiv gewesen war und Suizidabsichten geäußert hatte. Die Aufnahme erfolgte aufgrund einer nicht auszuschließenden Eigen- und Fremdgefährdung. Bei der Aufnahme war die Kranke aggressiv, es bestand ein akuter Erregungszustand bei Borderline-Persönlichkeitsstörung, eine schwere Depression ohne psychotische Symptome sowie Cannabisabusus, Verlust der Impulskontrolle und Steuerungsfähigkeit samt Aufhebung der Urteils- und Kritikfähigkeit. Der Krankheitszustand bewirkte eine ernstliche und erhebliche Gefährung von Leben und Gesundheit der Kranken oder von Leben und Gesundheit anderer Personen.

Am musste bei der Kranken eine 4-Punkt-Fixierung vorgenommen werden, weil sie in einen raptusartigen Zustand verfallen war. Am brach die Kranke den Kleiderkasten auf und zog sich ihre Privatkleidung an, um die Station zu verlassen, woran sie aber vom Stationspersonal gehindert wurde. Da die Kranke nicht paktfähig war und mit einem neuerlichen Auftreten eines raptusartigen Zustands zu rechnen war, wurden zwei männliche Securitymitarbeiter bei der Abnahme der Privatkleidung zugezogen. Der Kleidungstausch erfolgte in einem gesonderten Raum, in dem das Pflegepersonal und zu dessen Schutz die beiden männlichen Securitymitarbeiter anwesend waren. Wegen des drohenden Kontrollverlustes der Kranken war kein gelinderes Mittel als der Privatkleiderentzug unter Beisein des Pflegepersonals und der Securitymitarbeiter möglich.

Das Erstgericht erklärte den Privatkleiderentzug im Beisein männlicher Securitymitarbeiter für zulässig, weil deren Anwesenheit im Hinblick auf den bedrohlichen Zustand der Kranken zum Schutz des Pflegepersonals notwendig gewesen sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vereins nicht Folge. Es war der Rechtsansicht, dass das Sicherheitspersonal keine Pflegemaßnahme gesetzt habe, sondern lediglich zum Schutz des ärztlichen und pflegerischen Personals der Station für den Fall des notwendigen Einschreitens beigezogen worden sei. Dies sei im Hinblick auf das Verhalten der Kranken notwendig gewesen. Im Übrigen bestehe im gesamten Krankenhaus- und Pflegebereich ganz allgemein kein Anspruch auf eine Betreuung durch ein auf das Geschlecht des Patienten abgestelltes Personal, weil andernfalls in weiten Bereichen keine ausreichende Pflege und Betreuung sowie ärztliche Versorgung möglich wäre. Eine freiheitsbeschränkende Maßnahme bzw eine Unzulässigkeit des Privatkleiderentzugs in Anwesenheit zweier (männlicher) Securitymitarbeiter sei daher im konkreten Fall weder faktisch noch in rechtlicher Sicht zu erkennen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es existiere keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Zulässigkeit der bloßen Anwesenheit männlicher Securitymitarbeiter im Fall eines Kleiderwechsels einer zu betreuenden Patientin.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vereins wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass der Privatkleiderentzug im Beisein männlicher Securitymitarbeiter für unzulässig erklärt werde.

Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

1. Nach § 34a UbG sind Beschränkungen sonstiger Rechte des Kranken während der Unterbringung, insbesondere Beschränkungen der Rechte auf Tragen von Privatkleidung, Gebrauch persönlicher Gegenstände und Ausgang ins Freie, soweit nicht besondere Vorschriften bestehen, nur insoweit zulässig, als sie zur Abwehr einer Gefahr iSd § 3 Z 1 UbG oder zum Schutz der Rechte anderer Personen in der psychiatrischen Abteilung unerlässlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen. Auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht unverzüglich über die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung zu entscheiden. Ein solcher Überprüfungsantrag ist Gegenstand dieses Verfahrens.

2. Klarzustellen ist, dass im Revisionsrekurs des Vereins die bei der Kranken vorgenommene Abnahme der Privatkleidung nicht mehr generell für unzulässig erachtet, sondern nur mehr unter dem Aspekt aufgegriffen wird, dass diese in Anwesenheit von zwei männlichen Securitymitarbeitern erfolgte. Damit wird die Prüfungsbefugnis des Gerichts nach § 34a UbG zutreffend so verstanden, dass diese nicht nur die Überprüfung der Zulässigkeit des Rechtseingriffs als solche, sondern auch der Umstände umfasst, unter denen dieser stattfindet. Die Entscheidung hat sich damit aber auf die Frage zu beschränken, ob bei der Kleiderabnahme die Anwesenheit männlicher Securitymitarbeiter zulässig war.

3. Art 1 Abs 4 PersFrG nennt ausdrücklich das Recht auf „Achtung der Menschenwürde“. Nach § 1 Abs 1 UbG sind die Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker, die in eine Krankenanstalt aufgenommen werden, besonders zu schützen. Die Menschenwürde psychisch Kranker ist unter allen Umständen zu achten und zu wahren. Teil der Menschenwürde ist die – auch von Art 8 EMRK erfasste (vgl 4 Ob 200/11g; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 282 Rz 7, 296 Rz 27; Kneihs, Schutz von Leib und Leben, in Merten/Papier [Hrsg], Handbuch der Grundrechte² 355 f Rn 69 f) – Intimsphäre einer Person (vgl 9 ObA 109/06d).

4. So enthält etwa auch das Strafvollzugsgesetz Regeln über die „Sicherung der Ordnung in der Anstalt“. Dabei sieht § 102 Abs 2 Satz 4 StVG vor, dass Durchsuchungen möglichst schonend, Personsdurchsuchungen von Bediensteten des Geschlechts des Strafgefangenen durchzuführen sind. Dies gilt nach § 101 Abs 4 und 5 StVG auch für den Fall der Durchsuchung von Personen, die nicht in der Anstalt beschäftigt sind. Nach § 102 Abs 2 Satz 6 StVG ist die mit einer Entblößung verbundene körperliche Durchsuchung in Anwesenheit zweier Bediensteter des Geschlechts des Strafgefangenen und in Abwesenheit von Mitgefangenen und Personen des anderen Geschlechts durchzuführen. Es ist anerkannt, dass die Regeln über die Ordnung in der Anstalt dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechen müssen (vgl VwGH 99/20/0261; Drexler³ § 102 StVG Rz 3; vgl zur Menschenwürde auch § 22 Abs 1, § 26 Abs 1, § 102a Satz 2 StVG).

5. Die aus den zuvor genannten Regelungen ableitbaren Anforderungen müssen auch hier gelten, ist doch der erzwungene, mit einer Entblößung verbundene Kleidertausch unter dem Gesichtspunkt des damit verbundenen Eingriffs in die Intimsphäre der betroffenen Personen einer Durchsuchung iSd § 102 Abs 2 StVG nicht unähnlich. Auch ein solcher Kleidertausch ist daher jedenfalls schon deshalb ein die Menschenwürde verletzender Vorgang und daher unzulässig, wenn er in Anwesenheit von dritten, nicht zum Pflegepersonal gehörenden (vgl 7 Ob 119/14x) Personen (Securitymitarbeitern) vorgenommen wird, die nicht dem Geschlecht der kranken Person angehören. Für die Annahme einer Nothilfesituation (vgl 7 Ob 119/14x) bietet der Sachverhalt keine Grundlage. Der Revisionsrekurs erweist sich daher als berechtigt und muss zur Unzulässigerklärung der Maßnahme führen, worauf in Stattgebung des Revisionsrekurses zu erkennen war.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00136.17A.0921.000
Schlagworte:
1 Generalabonnement,19 (zivilrechtl.)Entscheidungen

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.