OGH vom 27.11.2019, 7Ob135/19g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Stolz Rechtsanwalts-GmbH in Radstadt, gegen die beklagte Partei A*****Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 57/19t-31, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 34 Cg 54/18z-26, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.323,44 EUR (darin enthalten 387,24 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin betreibt ein Holzsägewerk. Sie erteilte am der R***** GmbH (im Folgenden: Versicherungsmaklerin) folgende Vollmacht:
„Vollmacht, mit welcher ich (wir) ... Vollmacht erteile(n) und Sie überdies ermächtige(n), für mich (uns) verbindliche Erklärungen abzugeben, bei Versicherungsgesellschaften Auskünfte aller Art einzuholen, Akteneinsicht zu nehmen, Ablichtungen von Aktenstücken anfertigen zu lassen, sowie Geld und Geldeswert in Empfang zu nehmen. Darüber hinaus bevollmächtige(n) ich (wir) Sie, alle Personen von mir (uns) gegenüber bestehenden Verschwiegenheitspflichten zu entbinden.
[...]
Zudem genehmige(n) ich (wir) alle gemäß dieser Vollmacht bereits abgegebenen Erklärungen und Handlungen des Bevollmächtigten.
[...].“
Die Versicherungsmaklerin schloss in Vertretung der Klägerin bei der Beklagten eine All Risk Versicherung in den Sparten Feuer, F-Zusatzgefahren, Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung, FBU-Zusatzgefahren ab. Der Versicherungsvertrag enthält die individuell ausgehandelte Bestimmung:
„Es gilt ein jährliches Kündigungsrecht, jeweils per 1. 4. j. J., erstmals per .“
Mit E-Mail ersuchte die Versicherungsmaklerin die Beklagte um Polizzierung und Zusendung der Polizze an sie. Sie nahm weiters laufend Informationen, mitunter auch Polizzen, für die Klägerin entgegen. Dies war der Klägerin bekannt.
Die Beklagte führte regelmäßig Begehungen des Betriebsgeländes der Klägerin durch. Bei der letzten Begehung im Jahr 2017 forderte einer ihrer Mitarbeiter weitere Brandschutzmaßnahmen durch die Klägerin. Die Versicherungsmaklerin führte sodann für die Klägerin die weiteren Gespräche mit dem Mitarbeiter der Beklagten betreffend die Verschärfung der brandschutztechnischen Sicherheit des Betriebs. Die Beklagte stellte sich den Einbau einer Sprinkleranlage im Werksbereich vor, was aber von der Klägerin abgelehnt wurde.
Mit Einschreiben vom , gerichtet an die Versicherungsmaklerin, erklärte die Beklagte die Kündigung des Vertrags zum , weil die notwendigen Verbesserungsmaßnahmen nicht umgesetzt wurden. Der Geschäftsführer der Versicherungsmaklerin versuchte mit der Beklagten eine Lösung zu finden, weshalb er die Klägerin zunächst nicht über die Kündigung informierte. Am erhielt die Versicherungsmaklerin die Stornoinformation für die Klägerin zugesandt. Auch diese leitete sie zunächst nicht an die Klägerin weiter. Letztlich übermittelte die Versicherungsmaklerin das Kündigungsschreiben sowie die Stornopolizze mit E-Mail vom an die Klägerin.
Die Klägerin verfügt seit über einen entsprechenden Versicherungsschutz bei einem anderen Versicherer, wobei die Versicherungsprämie weitaus höher ist.
Mit ihrer Klage vom begehrt die Klägerin mit Wirkung zwischen ihr und der Beklagten festzustellen, dass aufgrund und im Umfang der zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Versicherung jedenfalls zumindest bis entsprechend den darin abgeschlossenen Versicherungsbedingungen aufrechter Versicherungsschutz zugunsten der Klägerin bestehe. Ihr sei erstmals aufgrund der E-Mail vom die von der Beklagten angestrebte Beendigung des Versicherungsvertrags bekannt geworden. Das Kündigungsrecht könne erstmals per ausgeübt und unter Einhaltung der Kündigungsfrist erst mit Wirksamkeit zum ausgesprochen werden. Die Versicherungsmaklerin sei nicht bevollmächtigt gewesen, Kündigungsschreiben für die Klägerin entgegenzunehmen. Die Klägerin habe ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, weil bei Neuabschluss einer Versicherung deutlich höhere Prämien anfielen und ein Bedürfnis nach einer aufrechten Betriebsversicherung, insbesondere gegen Feuer bestehe.
Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Die mit Schreiben vom ausgesprochene, der Versicherungsmaklerin zugegangene Kündigung sei wirksam zum erklärt worden. Die Versicherungsmaklerin sei zur Entgegennahme des Kündigungsschreibens bevollmächtigt gewesen. Der Vermittlungsauftrag umfasse auch eine Empfangsvollmacht für den Versicherungsmakler. Ein Feststellungsinteresse liege nicht vor, weil die Klägerin bereits eine gleichwertige Versicherung abgeschlossen habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach der zwischen den Streitteilen individuell vereinbarten Auflösungsmöglichkeit sei eine erstmalige Auflösung zum möglich. Die Versicherungsmaklerin sei auch zur Entgegennahme des Kündigungsschreibens bevollmächtigt gewesen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Da die Klägerin bereits seit über einen entsprechenden Versicherungsschutz bei einem anderen Versicherer verfüge, könne auch das bloße Bedürfnis am Bestehen einer aufrechten Versicherung gegen Feuer kein Feststellungsinteresse begründen. Weshalb sich ihre Rechtsposition bei Verweisung auf einen derzeit mangels aktuellen Anlass gar nicht absehbaren, späteren Leistungsprozess bei einem allfälligen bis zum eintretenden Schadensfall verschlechtern sollte, vermöge sie daher nicht darzutun. Ihr wäre es – in Anbetracht des bereits abgeschlossenen neuen Versicherungsvertrags – auch ohne weiteres möglich gewesen, einen, durch die behauptete unrechtmäßige Kündigung der Beklagten verursachten Schaden in Form höherer Versicherungsprämien mit Leistungsklage geltend zu machen. Da insoweit der gleiche Rechtsschutzeffekt gegeben wäre, komme eine Feststellungsklage nicht in Betracht.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
1.1 Voraussetzung für die Begründetheit des Feststellungsanspruchs ist ein Feststellungsinteresse (RS0039177, RS0037977). Das rechtliche Interesse ist anhand der Behauptungen im Zusammenhang mit der Klagserzählung zu prüfen, wobei es auf den erkennbaren wahren Sinn des Begehrens ankommt (RS0039202 [T4]). Das Fehlen des rechtlichen Interesses ist zwar in jeder Lage des Verfahrens – auch noch im Rechtsmittelverfahren – von Amts wegen wahrzunehmen (RS0039123). Dabei ist allerdings die Prüfung des rechtlichen Interesses, das zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz vorliegen muss (RS0039085, RS0039204), auch bezogen auf diesen Zeitpunkt vorzunehmen (4 Ob 191/11h mwN).
1.2 Ein rechtliches Interesse an einer Feststellungsklage ist zu bejahen, wenn das Feststellungsbegehren geeignet ist, über die Rechtsbeziehungen der Parteien ein für alle Mal Klarheit zu schaffen und einen künftigen Leistungsanspruch abzuschneiden (RS0038908). Ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung eines Rechts liegt auch dann vor, wenn infolge Verhaltens der Beklagten eine erhebliche objektive Ungewissheit über den Bestand des Rechts entstanden ist und diese Ungewissheit durch die Rechtskraftwirkung des Feststellungsurteils beseitigt werden kann (RS0039202). Eine solche Ungewissheit besteht insbesondere, wenn der Beklagte das Recht des Klägers beharrlich bestreitet (RS0039202 [T7]). Auch der Streit über die Auslegung der Befugnisse einer Partei aus einem Vertrag kann ein Feststellungsinteresse begründen (RS0102433). Der Versicherungsnehmer hat ein über die bloße Vorfragenprüfung für sein Leistungsbegehren hinausgehendes Interesse an der Klärung des Bestehens des Versicherungsvertrags (7 Ob 21/18s).
1.3 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das rechtliche Interesse der Klägerin an der vorliegenden Feststellungsklage sei zu verneinen, wird nicht geteilt. Die Klägerin begehrt die Feststellung des aufrechten Versicherungsschutzes aus ihrem Versicherungsverhältnis zur Beklagten bis zum . Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz am wäre der Eintritt eines Versicherungsfalls aus dem von der Klägerin behauptetermaßen noch bestehenden Versicherungsverhältnisses noch möglich gewesen. Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an der Klärung, ob im Verhältnis zu ihrer Vertragspartnerin für den Fall des Eintritts des Versicherungsfalls bis zu dem von ihr angenommenen Zeitpunkt der Beendigung des Vertragsverhältnisses noch Versicherungsschutz besteht, liegt auf der Hand. Aus welchen Gründen dieses Rechtsschutzbedürfnis allein deshalb wegfallen soll, weil die Klägerin einen weiteren Feuerversicherungsvertrag geschlossen hat, ist nicht nachvollziehbar, schließt doch dieser Umstand allein die Haftung der Beklagten nach Maßgabe des mit ihr geschlossenen Vertrags nicht aus.
1.4 Ausgehend von der unzutreffenden Rechtsansicht, dass das rechtliche Interesse der Klägerin zu verneinen sei, unterließ das Berufungsgericht die weitere Behandlung der Rechtsrüge der Klägerin.
2. Unstrittig ist die individuelle Vereinbarung der Bestimmung:
„Es gilt ein jährliches Kündigungsrecht, jeweils per HF 1. 4. j.J., erstmals per “.
2.1 Bei Auslegung der Willenserklärung nach den § 914 ff ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen und die Willenserklärung letztlich so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind (RS0017915). Abzustellen ist auf den objektiven Erklärungswert der Willensäußerung (RS0014160), der (erst) dann seine Bedeutung verliert, wenn der natürliche Konsens der Parteien damit nicht übereinstimmt (RS0014160 [T22]; RS0014005).
2.2 Die Bedeutung der Präposition „per“ ist gleichbedeutend mit der Präposition „zum“. Nach dem damit insoweit völlig eindeutigen Wortlaut der Bestimmung kann die Kündigung erstmals zum erfolgen, worauf das Erstgericht bereits zutreffend hinwies.
3.1 Auch wenn der Versicherungsmakler regelmäßig als Doppelmakler tätig ist, ist er als Hilfsperson des Versicherungsnehmers dessen Sphäre zuzurechnen und hat primär als „Bundesgenosse“ des Versicherten dessen Interessen zu wahren (7 Ob 176/09x; RS0114041).
3.2 Aufgabe des Maklers ist die Vermittlung von Geschäften. Er hat als solcher von niemandem Vertretungsmacht. Er ist daher in der Regel auch nicht befugt, für den Auftraggeber Erklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen. Ihm kommt gemäß § 2 Abs 1 MaklerG aus diesem Grund keine gesetzliche Abschlussvollmacht zu. Die Norm räumt jedoch auch die Möglichkeit zur rechtsgeschäftlichen Vollmachtserteilung ein (2 Ob 131/13y mwN).
3.3 Die Tätigkeit als Empfangsbote setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass der Bote der Sphäre des Erklärungsempfängers angehört und er von diesem zur Entgegennahme von Erklärungen ermächtigt war (RS0013946). Es bedarf also im Innenverhältnis einer „Botenermächtigung“ (RS0019465). Im Außenverhältnis ist entscheidend, ob der potentielle Erklärungsempfänger nach der Verkehrsauffassung gegenüber seinem Vertragspartner den Eindruck erweckt, er habe einen Dritten ermächtigt, für ihn Erklärungen entgegenzunehmen (2 Ob 131/13y mwN). Ist die Erklärung gegenüber einem Boten des Empfängers abgegeben worden, so ist sie damit schon dem Empfänger zugegangen (RS0014068). Ob ein entsprechender Rechtsschein erweckt wurde, ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (RS0019609 [T9]).
3.4 Die Versicherungsmaklerin gehört hier unstrittig der Sphäre der Klägerin an. Sie war nicht nur bevollmächtigt, für diese verbindliche Erklärungen abzugeben, Auskünfte aller Art einzuholen, Akteneinsicht zu nehmen, Ablichtungen von Aktenstücken anfertigen zu lassen, sowie Geld und Geldeswert in Empfang zu nehmen, sondern sie nahm mit Kenntnis der Klägerin darüber hinaus auch tatsächlich laufend Erklärungen der Beklagten wie Polizzen und sonstige Informationen entgegen. Innerhalb der Beweiswürdigung des Erstgerichts ist dazu verdeutlichend festgestellt, dass dies mit Einverständnis der Klägerin erfolgte und die Versicherungsmaklerin an sich befugt war, für die Klägerin die Versicherungsangelegenheiten zu regeln, so insbesondere auch Schriftstücke entgegenzunehmen.
3.5 Dahingestellt bleiben kann, ob nicht ohnedies eine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung zur Empfangnahme von Erklärungen durch die Versicherungsmaklerin gegeben war. Nach den Feststellungen lag jedenfalls eine Botenermächtigung durch die Klägerin vor, die auch im Verhältnis zu der Beklagten den Eindruck erweckte, die Versicherungsmaklerin sei ermächtigt, für sie Erklärungen entgegenzunehmen.
3.6 Zusammengefasst folgt, dass durch die Entgegennahme der Kündigung der Beklagten durch die Versicherungsmaklerin innerhalb der Kündigungsfrist, diese der Klägerin auch fristgerecht zuging. Die Kündigung ist somit wirksam.
4. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet auf die § 41, 50 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00135.19G.1127.000 |
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