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OGH vom 20.11.2012, 5Ob123/12t

OGH vom 20.11.2012, 5Ob123/12t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer und die Hofrätin Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein *****, vertreten durch huber ebmer Partner Rechtsanwälte-GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Bichler Zrzavy Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 8.421.514,78 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 249/11s 21, womit über Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO des Handelsgerichts Wien vom , GZ 19 Cg 223/10f 17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 13.720,86 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 2.286,81 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist ein Verein, dessen Zweck Schutz, Aufklärung und Abwehr von Kartellrechtsverstößen ist. 299 Unternehmer haben dem Kläger Schadenersatzforderungen in unterschiedlicher Höhe zum Inkasso abgetreten.

Der Kläger begehrt mit seiner am überreichten Klage 8.421.514,78 EUR sA. Die Beklagte habe mit Unternehmen, die Bankomatkassen als Service für ihre Kunden bereitstellten, Verträge geschlossen. Das Kartellgericht habe in einem gegen die Beklagte geführten Feststellungsverfahren entschieden, dass zwischen der Beklagten und ihren Gesellschaftern in Bezug auf die Vereinbarung in Punkt 15a des Bankomatvertrags ein Absichtskartell bestanden habe. Die Beklagte habe ihre marktbeherrschende Stellung dadurch missbraucht, dass sie im Rahmen des Bankomatvertrags mit ihren Gesellschaftern (Kreditinstituten) vereinbart habe, dass diese sich lediglich mit Zustimmung der Beklagten an anderen Unternehmen, die Systeme für die unbare Zahlungsabwicklung betreiben und damit Mitbewerber der Beklagten sind, beteiligen dürften. Die Beklagte habe mit ihren Gesellschaftern die Preise vereinbart, die diese von Mitbewerbern der Beklagten zu verlangen hatte.

Der Oberste Gerichtshof habe mit Beschluss vom (16 Ok 4/07) den Beschluss des Kartellgerichts und damit die diesem Beschluss zugrunde liegenden Feststellungen bestätigt.

In der Klage namentlich angeführte Unternehmen seien durch Zahlung überhöhter Disagio und Transaktionsgebühren geschädigt worden. Diese Unternehmen hätten ihre in der Klage näher aufgeschlüsselten Schadenersatzansprüche, die insgesamt in einem Umfang von 80 % der jeweiligen Einzelschäden geltend gemacht würden, abgetreten.

Die Beklagte wandte ua Verjährung ein, wobei sie auf Medienberichte und Bekanntmachungen der Bundeswettbewerbsbehörde auf ihrer Website verwies. Jene beinahe ausschließlich aus dem Handel kommenden Vertragsunternehmen, die ihre Forderungen an den Kläger zedierten, hätten spätestens Anfang 2004 Kenntnis vom Schaden und einem allfälligen „Schädiger“ haben müssen, weil die Veröffentlichungen der Bundeswettbewerbsbehörde und die Medienberichte Erkundigungspflichten ausgelöst hätten.

Das Erstgericht fällte ein Zwischenurteil zur Verjährung gemäß § 393a ZPO und sprach aus, dass der Einwand der Verjährung nicht berechtigt sei.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision hinsichtlich der 5.000 EUR übersteigenden Ansprüche zulässig sei; soweit Ansprüche 5.000 EUR nicht überstiegen, sei die Revision jedenfalls unzulässig.

Diesen Zulässigkeitsausspruch begründete das Berufungsgericht damit, dass der Umfang der Informationsverpflichtung der Bundeswettbewerbsbehörde nach § 10b WettbG gegenüber an Kartellrechtsverfahren Unbeteiligten und das Ausmaß von Erkundigungsobliegenheiten der durch ein Kartell Geschädigten zur Vermeidung der Verjährung ihrer Ansprüche von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung sei.

Für Ansprüche, die 5.000 EUR nicht überstiegen, sei die Revision allerdings im Hinblick auf § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

Die Beklagte strebt mit ihrer gegen das Berufungsurteil aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Revision eine gänzliche Abweisung des Klagebegehrens an. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist, soweit zedierte Forderungen in einer 5.000 EUR nicht übersteigenden Höhe betroffen sind, absolut unzulässig.

Im Übrigen ist die Revision ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Zu Einzelschäden in 5.000 EUR nicht übersteigender Höhe

1.1 Der Kläger macht geltend, dass ihm Schadenersatzansprüche einzelner Unternehmen zediert worden seien. Unzweifelhaft handelt es sich beim Kläger nicht um einen in § 29 KSchG genannten Verband, dem Ansprüche zur klageweisen Geltendmachung iSd § 502 Abs 5 Z 3 ZPO abgetreten wurden.

1.2 Durch eine Zession ändert sich der Schuldinhalt nicht (§ 1394 ABGB). Auch für Belange des Prozesses tritt dadurch keine Änderung ein (vgl 3 Ob 2/11g mwN).

1.3 Der Kläger stellt im konkreten Fall nicht ein Schadenersatzbegehren, sondern macht zahlreiche einzelne Begehren in einer Klage geltend. Er macht sich § 227 Abs 1 ZPO zunutze; diese Bestimmung gestattet unter bestimmten Voraussetzungen die Geltendmachung mehrerer Ansprüche des Klägers in einer Klage, selbst wenn sie nicht zusammenzurechnen sind (eingehend dazu 4 Ob 116/05wecolex 2005/359, 744 [ Klauser ] = ÖBA 2005/1306, 802 [ Madl ]). Damit wird aber keineswegs die Entscheidung über die Berufungs und Revisionszulässigkeit vorweggenommen; diese ist für jeden Anspruch gesondert zu beurteilen ( G. Kodek , Die „Sammelklage“ nach österreichischem Recht, ÖBA 2004, 615 [621]; 3 Ob 2/11g mwN).

1.4 Nach § 55 Abs 1 JN sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn sie entweder in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen oder wenn sie von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhoben werden, die materielle Streitgenossen (§ 11 Z 1 ZPO) sind.

1.5 Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche stehen nach den Klagevorbringen nicht in einem tatsächlichen Zusammenhang, weil sie nicht zur Gänze aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können (RIS Justiz RS0042766; 3 Ob 2/11g). Der bloße Umstand, dass es sich um gleichartige Forderungen verschiedener Gläubiger handelt, die im Einzelnen abgetreten wurden, führt nicht zur Zusammenrechnung (RIS Justiz RS0042882).

1.6 Daraus folgt aber, dass wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte die Revision der Beklagten in Ansehung jener Forderungen, die an den Kläger zediert wurden und die 5.000 EUR nicht übersteigen, absolut unzulässig ist.

2. Zum Verjährungseinwand

2.1 Vorauszuschicken ist, dass beim durch das BudgetbegleitG 2011 BGBl I 2010/111 (Art 38 Z 11) neu geschaffenen Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO zur (verneinten) Verjährung nur die allfällige Verjährung des Klageanspruchs beurteilt und selbständig im Instanzenzug überprüfbar wird, bevor ein unter Umständen umfangreiches Beweisverfahren über die übrigen Anspruchsgrundlagen des Klageanspruchs durchgeführt werden muss (2 Ob 63/12x = RIS Justiz RS0127852; vgl auch RV 981 BlgNR 24. GP, 86).

2.2 Die Vorinstanzen haben den Verjährungseinwand übereinstimmend mit der Begründung verneint, dass erst mit dem Beschluss des Kartellobergerichts das kartellgesetzwidrige Verhalten der Beklagten festgestanden sei. Dass den Händlern ein Schaden entstanden sei, ergebe sich (erst) aus den veröffentlichten Feststellungen der Entscheidung des Kartellobergerichts.

2.3 Diese auf den immer maßgeblichen Umständen des konkreten Einzelfalls (RIS Justiz RS0034524 [T10, T 23, T 32, T 41]) beruhende Auffassung steht im Einklang mit den allgemeinen Leitlinien der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Verjährung von Schadenersatzansprüchen und im Einklang mit der jüngst ergangenen Entscheidung 4 Ob 46/12m, die sich auch mit der Frage der Verjährung von Schadenersatzansprüchen wegen Kartellrechtsverstößen befasste und die sich auf das auch diesem Verfahren zugrunde liegende Kartell bezog:

2.3.1 Eine spezifische Verjährungsvorschrift für einen Schadenersatzanspruch bei Verstößen gegen innerstaatliches oder gemeinschaftsrechtliches Wettbewerbsrecht besteht de lege lata nicht (vgl aber § 37a Abs 4 KartG des Entwurfs einer Kartellgesetz Novelle 2012, 349/ME 24. GP). Es gelten daher uneingeschränkt § 1489 ABGB und die dazu ergangene Rechtsprechung.

2.3.2 Der Beginn der Verjährungsfrist setzt die Kenntnis des Verletzten von dem Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen voraus, die durch die verschuldete Unkenntnis nicht ersetzt wird. Die Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen muss soweit reichen, dass der Geschädigte aufgrund des ihm bekannt gewordenen Materials eine Klage gegen den Schädiger mit Erfolg zu begründen in der Lage ist (RIS Justiz RS0034686).

2.3.3 Auch die Kenntnis des Sachverhalts, der den Grund des Entschädigungsanspruchs darstellt, beginnt erst, wenn dem Geschädigten der Sachverhalt soweit bekannt wurde, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg anstellen hätte können (RIS Justiz RS0034524). Es muss dabei hinreichende Gewissheit über den Kausalzusammenhang bestehen (RIS Justiz RS0034387 [T1]) oder der Kausalzusammenhang zumindest erkennbar sein (RIS-Justiz RS0034366).

2.3.4 In der bereits erwähnten Entscheidung 4 Ob 46/12m hielt der Oberste Gerichtshof den dort ebenfalls erhobenen Verjährungseinwand mit der Begründung für unberechtigt, dass die Klägerin (dort: eine Mitbewerberin der hier Beklagten) weder Einsicht in die Kostenstruktur der Netzbetreiberin und der Banken hatte noch an dem Kartellverfahren beteiligt war. Unter diesen Umständen könne eine ausreichende Kenntnis der Klägerin vom schadensbegründenden Sachverhalt und der Person des Schädigers nicht vor der Veröffentlichung einer einschlägigen rechtskräftigen Entscheidung in einem der Kartellverfahren angenommen werden. Dabei hob der Oberste Gerichtshof hervor, dass als solche Entscheidung nur die Entscheidung des Kartellobergerichts im Bußgeldverfahren (16 Ok 4/07 vom ) in Betracht komme, weil das zuvor eingeleitete Feststellungsverfahren nach Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Antragsrückziehung durch die Mitbewerberin von der Bundeswettbewerbsbehörde nicht weiter verfolgt wurde. Im Übrigen betonte der Oberste Gerichtshof, dass die über das laufende Kartellverfahren veröffentlichten Zeitungsberichte kein ausreichendes objektives Substrat für eine mit Erfolg anzustrengende Schadenersatzklage bildeten. Erkundigungspflichten des Geschädigten dürfen nicht überspannt werden (RIS Justiz RS0034327). Objektive und für eine aussichtsreiche Klageführung ausreichende Informationen waren der Klägerin vor der genannten Entscheidung nicht zugänglich, zumal zur Schadenshöhe das Gutachten im Kartellverfahren notwendig gewesen wäre. Die Amtsparteien also auch die Bundeswettbewerbsbehörde, deren Informationspflichten die nunmehrige Revisionswerberin für ihren Standpunkt ins Treffen führt - waren nach den für sie geltenden gesetzlichen Bestimmungen nicht zur Auskunftserteilung an Dritte verpflichtet; beim Kartellgericht wäre ein Antrag auf Akteneinsicht jedenfalls ab wegen § 39 KartG nicht mehr erfolgreich gewesen.

2.3.5 Sämtliche der in der genannten Entscheidung angestellten Überlegungen, die wie bereits ausgeführt das hier zu beurteilende Kartell betrafen, sind uneingeschränkt auch für den vorliegenden Fall maßgeblich: Auch die Unternehmer, die dem Kläger ihre Schadenersatzansprüche abtraten, waren am kartellgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt. Auch für sie muss daher gelten, dass sie erst ab der Entscheidung des Kartellobergerichts in die Lage versetzt wurden, den relevanten Sachverhalt, der den Grund auch ihres Schadenersatzanspruchs darstellt, zu erfassen. Im Hinblick darauf, dass die Entscheidung des Kartellobergerichts am erging und die Klage am erhoben wurde, hat das Berufungsgericht somit in Einklang mit den Leitlinien der oberstgerichtlichen Rechtsprechung den Verjährungseinwand für unberechtigt erachtet.

2.3.6 Da die Revision der Beklagten in Ansehung der 5.000 EUR übersteigenden Einzelansprüche somit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufwirft, ist sie zurückzuweisen.

3. Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (vgl 2 Ob 63/12x; RIS Justiz RS0123222 [T10]) und auch bezüglich der 5.000 EUR nicht übersteigenden Einzelansprüche zutreffend auf die absolute Unzulässigkeit der Revision verwiesen.