TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 24.09.2008, 7Ob135/08s

OGH vom 24.09.2008, 7Ob135/08s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am ***** verstorbenen Franz R*****, zuletzt wohnhaft in *****, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin Ursula S*****, vertreten durch Dr. Stefan Rieder, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 532/07t-23, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Oberndorf vom , GZ 1 A 100/06t-15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben und ihm die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Antragstellerin und Ines R***** haben ihre Kosten des Revisionsrekursverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Nachlass von Franz R***** mit Nachlassaktiva von 598,11 EUR wurde seiner Witwe, die er im Testament vom als seine Alleinerbin eingesetzt hat, auf teilweisen Abschlag ihrer Forderung an bezahlten Todfallskosten in der Höhe von 1.931,80 EUR gemäß § 154 AußStrG an Zahlungsstatt überlassen.

Am stellte die Tochter des Erblassers den Antrag auf Einleitung einer „Nachtragsabhandlung", Ergänzung der Vermögensübersicht im Bereich der Aktiva um die Darlehensforderung von 130.811,10 EUR gegen die Witwe des Erblassers sowie auf Eintreibung dieser Darlehensforderung durch die Verlassenschaft gegenüber der Darlehensschuldnerin. Die Forderung setze sich zusammen aus der Gewährung zweier Darlehen seitens des Erblassers an die nunmehrige Witwe, und zwar von 87.207,40 EUR zur Anschaffung eines mit Wohnungseigentum verbundenen Liegenschaftsanteils rund vier Jahre vor Eheschließung und von 43.603,70 EUR zur Finanzierung der Geschäftseinrichtung bei Eröffnung eines Einzelhandelsunternehmens und Abdeckung der Verbindlichkeiten bei Betriebsaufgabe anlässlich des Pensionsantritts zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens.

Das Erstgericht übermittelte den Akt dem Gerichtskommissär zur allfälligen Durchführung der Verlassenschaft.

Der Gerichtskommissär hielt am eine Tagsatzung ab, in der das Bestehen der behaupteten Nachlassforderung erörtert und Urkunden vorgelegt wurden.

Die Tochter beantragte in dieser Tagsatzung die Bestellung eines Verlassenschaftskurators zur Durchsetzung der Nachlassforderung gegen die Witwe des Erblassers.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Aufgrund der Angaben der Witwe erscheine glaubwürdig, dass die Ansprüche der Verlassenschaft nicht bestünden, sodass eine weitere Überprüfung dem Verlassenschaftsgericht nicht zustehe. Das tatsächliche Bestehen der Forderung sei im zivilgerichtlichen Verfahren festzustellen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs im Ergebnis keine Folge. Gemäß § 183 Abs 3 AußStrG sei bei Änderung der Abhandlungsgrundlagen durch Hervorkommen von Vermögenswerten auf Grundlage der nunmehr ergänzten Gesamtwerte im Sinne der §§ 153 ff AußStrG zu entscheiden. Begrifflich handle es sich im vorliegenden Fall daher nicht um eine Nachtragsabhandlung, sondern habe das Erstgericht zu entscheiden, ob nunmehr, da bisher Verlassenschaftsabhandlung und Einantwortung unterblieben seien, das Abhandlungsverfahren einzuleiten sei. Dies setze voraus, dass ein bisher nicht bekanntes Verlassenschaftsvermögen aufgefunden werde, was der Fall sei, wenn der Antragsteller bestimmte Umstände bescheinige, aus denen sich ergebe, dass ein bisher nicht berücksichtigter Anspruch wahrscheinlich vorliege. Welche Bescheinigungsmittel dazu ausreichten, habe das Abhandlungsgericht in dem von Amts wegen einzuleitenden Verfahren zu bestimmen, wobei dieses Verfahren vom Grundsatz der Amtswegigkeit beherrscht sei. Komme erhebliches Vermögen hervor, so sei darüber ein Abhandlungsverfahren durchzuführen und insbesondere die Bestimmung des § 166 Abs 2 AußStrG zu beachten. Gegenstand des erstgerichtlichen Beschlusses sei allerdings nur die Entscheidung über den Antrag auf Bestellung eines Verlassenschaftskurators als Vermögensverwalter des ruhenden Nachlasses. Voraussetzung dafür sei das Vorhandensein eines der Verwaltung bedürftigen Nachlassvermögens. Im Ergebnis zu Recht habe das Erstgericht den Antrag auf Bestellung eines Verlassenschaftskurators abgewiesen, weil derzeit die Rechtsnatur allfälliger Ansprüche der Verlassenschaft gegen die Witwe des Erblassers gar nicht feststünden, sodass im derzeitigen Verfahrensstadium eine Bestellung eines Verlassenschaftskurators noch nicht in Betracht komme. Soweit das Erstgericht in der Begründung davon ausgehe, dass die Rekurswerberin Ansprüche der Verlassenschaft gegen die Witwe nicht bescheinigen habe können, sei die Begründung des Erstgerichts überschießend, weil die Bestellung eines Verlassenschaftskurators derzeit (noch) nicht in Betracht komme und mit dem angefochtenen Beschluss, dessen Rechtskraftwirkung durch seinen Spruch bestimmt werde, über die Frage, ob das Abhandlungsverfahren fortzusetzen sei, noch nicht abschließend entschieden worden sei. Die Ausführungen des Erstgerichts dazu seien daher nicht als tragende Begründung des angefochtenen Beschlusses anzusehen. Die Begründung als solche sei jedoch mangels Rechtsschutzinteresses nicht bekämpfbar, sodass das Rekursgericht die Frage, inwieweit die Tochter den von ihr behaupteten Anspruch der Verlassenschaft bescheinigen habe können, nicht zu prüfen habe.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Beschwerdegegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil insbesondere zur Frage, wie weit das Verlassenschaftsgericht bei seiner Entscheidung nach § 183 Abs 3 AußStrG amtswegige Schritte zur Erforschung des (neu hervorgekommenen) Verlassenschaftsvermögens im Sinne des § 531 ABGB zu setzen habe, höchstgerichtliche Judikatur fehle.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Tochter mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Witwe des Erblassers beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Der Nachlass wurde gemäß § 154 AußStrG an Zahlungs statt der Witwe des Erblassers überlassen. Ändern sich die Abhandlungsgrundlagen, so ist nach § 183 AußStrG vorzugehen. Werden Vermögenswerte erst nach Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens bekannt, so hat der Gerichtskommissär die Parteien, denen dies noch nicht bekannt ist, davon zu verständigen (§ 183 Abs 1 AußStrG). Ist bisher eine Verlassenschaftsabhandlung unterblieben - so wie hier -, so ist neuerlich auf Grundlage der nunmehr ergänzten Gesamtwerte im Sinn der §§ 153 ff AußStrG zu entscheiden. Wird aufgrund der ergänzten Gesamtwerte die bisherige Wertgrenze überschritten, so kann es jetzt erstmals zu einer Abhandlung kommen (Fucik/Kloiber, AußStrG, § 183 Rz 3; Bittner in Rechberger, AußStrG, § 183 Rz 3).

Das AußStrG 2005 lässt ebenso wie schon das AußStrG 1854 offen, welche Voraussetzungen konkret vorliegen müssen, damit neue Vermögenswerte als „bekannt geworden" zu gelten haben. Zu § 179 Abs 2 AußStrG aF sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass dem Verlassenschaftsgericht bescheinigt werden müsse, dass ein bisher nicht berücksichtigter Anspruch der Verlassenschaft wahrscheinlich bestehe, damit die bisher mangels Vermögens unterbliebene Verlassenschaftsabhandlung eingeleitet werden könne. Ein von einem nach dem Gesetz zum Erben Berufenen behaupteter Anfechtungsanspruch bilde ein Nachlassvermögen (RIS-Justiz RS0115929). Beim Antrag auf Durchführung einer Nachtragsabhandlung sei es Sache des Antragstellers zu bescheinigen, dass der strittige Gegenstand Nachlassvermögen sei (RIS-Justiz RS0008416). Die Tatsache, dass die Forderung schon zur Zeit der Abhandlung dem Erben bekannt gewesen sei, schließe die Einleitung der nachträglichen Abhandlung nicht aus (RIS-Justiz RS0008414). Das Verlassenschaftsgericht sei jederzeit berufen, das zur Ordnung der Sache Erforderliche von Amts wegen vorzukehren (RIS-Justiz RS0007581).

Diese bereits zum AußStrG 1854 ausgesprochenen Grundsätze sind mangels konkreterer gesetzlicher Vorgaben (auch die Erläuternden Bemerkungen geben darüber keine Auskunft) auch auf das nunmehr in Geltung stehende AußStrG 2005 anzuwenden.

Es obliegt also der Tochter des Erblassers als Antragstellerin, konkrete Umstände zu bescheinigen, die eine Änderung der Abhandlungsgrundlagen im Sinn des § 183 AußStrG wahrscheinlich machen. Das Verlassenschaftsgericht hat die angebotenen Bescheinigungsmittel anzunehmen und die beteiligten Personen zu vernehmen. Kommt es in dem amtswegig durchzuführenden Verfahren zu dem Ergebnis, dass eine Änderung der Abhandlungsgrundlagen nicht eingetreten ist, so hat es die auf Einleitung der Verlassenschaftsabhandlung abzielenden Anträge abzuweisen. Werden aber Umstände bescheinigt, die ein Bestehen der Forderung wahrscheinlich machen, dann hat es im Sinn des § 183 Abs 3 AußStrG neuerlich gemäß den §§ 153 ff AußStrG vorzugehen, das heißt zu prüfen, ob eine Verlassenschaftsabhandlung einzuleiten ist oder nicht. Ist die Verlassenschaftsabhandlung einzuleiten, hat es nach § 156 AußStrG über den Antrag auf Bestellung eines Kurators (mangels Vertretung des Nachlasses und wegen der vorliegenden Interessenkollision zwischen den Beteiligten) zu entscheiden. Die Kuratorbestellung nach § 156 AußStrG fällt nämlich schon in das Abhandlungsverfahren im engeren Sinn; sie erfolgt nur dann, wenn geklärt ist, dass das Verlassenschaftsverfahren nicht ohne Abhandlung enden kann (RV in Fucik/Kloiber aaO zu § 156).

Das Rekursgericht, das die Grundsätze, wie bei der Behauptung einer nachträglichen Änderung der Abhandlungsgrundlagen vorzugehen ist, richtig dargelegt hat, meint nun offensichtlich, der Antrag auf Bestellung eines Kurators sei hier „zu früh" erfolgt, nämlich in einem Stadium, in dem noch nicht geklärt worden ist, ob überhaupt die Voraussetzungen des § 183 AußStrG vorliegen. Schon deshalb sei der Antrag abzuweisen, ohne dass - mangels Entscheidung des Erstgerichts im Spruch - auf die aus der Begründung hervorgehende Ablehnung der Einleitung des Abhandlungsverfahrens eingegangen werden könnte.

Dem kann nicht gefolgt werden.

Eine gesonderte Beschlussfassung über die Aufnahme des Verlassenschaftsverfahrens sieht das Gesetz nicht vor. Das Verlassenschaftsgericht hat von Amts wegen das Abhandlungsverfahren einzuleiten, wenn die Voraussetzungen nach §§ 183 Abs 3 iVm 153 ff AußStrG vorliegen. Die Entscheidung über die Bestellung eines Verlassenschaftskurators setzt - wie dargelegt - die Einleitung des Verlassenschaftsverfahrens voraus. Weist das Verlassenschaftsgericht nun den Antrag mit der Begründung ab, es erachte die Voraussetzungen des § 183 Abs 3 AußStrG für nicht gegeben, so bedarf es bei dieser Entscheidung der Prüfung, ob die Einleitung des Verlassenschaftsverfahrens zu Recht abgelehnt wird. Der Antrag auf Kuratorbestellung ist eindeutig im Zusammenhang mit den im Schriftsatz vom gestellten Anträgen der pflichtteilsberechtigten Tochter zu sehen. Er zielt nur auf die Kuatorbestellung im Fall der Einleitung des Verlassenschaftsverfahrens ab. Der Antrag auf Bestellung eines Kurators kann mit dem Antrag auf Einleitung des Abhandlungsverfahrens verbunden werden. Für eine Abweisung des Antrags nur aus dem vom Rekursgericht gebrauchten Grund besteht keine Veranlassung.

Das Rekursgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren die ausdrücklich von ihm nicht vorgenommene Prüfung der behaupteten Verlassenschaftsforderung nachtragen und sich damit auseinandersetzen müssen, ob es die Beweiswürdigung des Erstgerichts, dass der Tochter die Bescheinigung der Nachlassforderung nicht gelungen sei, aufrecht hält.

Gemäß § 185 AußStrG findet im Verlassenschaftsverfahren - außer im Verfahren über das Erbrecht - kein Ersatz von Vertretungskosten statt. Die am Revisionsrekursverfahren Beteiligten haben daher die jeweils in ihren Schriftsätzen verzeichneten Kosten jedenfalls selbst zu tragen.