OGH vom 11.09.2019, 3Ob124/19k

OGH vom 11.09.2019, 3Ob124/19k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Mag. Korn, Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin S***** AG, *****, vertreten durch Dr. Karl Schleinzer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin I***** GmbH, *****, wegen Beweissicherung, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 64 R 26/19z-9, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 24 Nc 2/19d-6, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung über den Beweissicherungsantrag unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin ist Beklagte im Verfahren des Handelsgerichts Wien zu 24 Cg 145/13a (Prozess). Dort wird sie von der Antragsgegnerin auf Zahlung restlichen Werklohns aus einem Vertrag über umfangreiche Elektroinstallationsarbeiten an einem Haus in Wien vom September 2007 in Anspruch genommen. Das Verfahren ist noch anhängig.

In ihrem am beim Erstgericht eingebrachten brachte die Antragstellerin vor, eine wesentliche Teilleistung des Werkvertrags 2007 sei die Fassadenbeleuchtung des Hauses gewesen; das Haus und die elektrischen Anlagen würden – soweit möglich – bereits seit 2009 genutzt. Die von der Antragsgegnerin installierten Leuchtmittel an der Hausfassade seien allerdings trotz mehrerer Behebungsversuche nach wie vor mangelhaft und die Antragstellerin sei nunmehr gezwungen, eine Ersatzvornahme durchzuführen. Um die Ersatzansprüche gegen die Antragsgegnerin für diese Kosten zu wahren, werde zur Sicherung der Beweisführung eine sachverständige Befundaufnahme zur Feststellung und Dokumentation des derzeitigen mangelhaften Zustands der Fassadenbeleuchtung beantragt. Der im Prozess erhobene Einwand des nicht ordnungsgemäß erfüllten Vertrags (§ 1052 ABGB) sei hinsichtlich der Teilleistung der Fassadenbeleuchtung ausdrücklich zurückgezogen worden. Die Antragstellerin beabsichtige, ihre Ansprüche aus der Ersatzvornahme in einem erst einzuleitenden Verfahren gegen die Antragsgegnerin durchzusetzen. Eine Gegenforderung für solche Kosten habe sie im Prozess bisher nie eingewendet.

Das wies den Beweissicherungsantrag zurück. Die Werklohnforderung der Antragsgegnerin sei auch hinsichtlich der Teilleistung Fassadenbeleuchtung beim Handelsgericht streitanhängig; Dringlichkeit im Sinn des § 384 Abs 3 ZPO habe die Antragstellerin nicht behauptet.

Das änderte den Beschluss dahin ab, dass es die Unzuständigkeit des Erstgerichts aussprach und den Antrag an das Handelsgericht Wien zum Prozess überwies. Grundsätzlich sei das Prozessgericht für die Beweisaufnahme zuständig; auf eine Dringlichkeit habe sich die Antragstellerin weder in ihrem Antrag noch im Rekurs berufen.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob das „Prozessgericht“ auch dann für einen Beweissicherungsantrag zuständig sei, wenn der dem Antrag zugrunde liegende Anspruch noch nicht prozessgegenständlich sei.

Rechtliche Beurteilung

Der ist zulässig und berechtigt.

1. Gemäß § 384 Abs 3 ZPO kann ein Antrag auf Sicherung von Beweisen nicht nur beim Prozessgericht, sondern in dringenden Fällen und wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, beim Bezirksgericht, in dessen Sprengel die Sache, welche in Augenschein zu nehmen ist oder die Grundlage des Sachverständigenbeweises zu bilden hat, angebracht werden. In der Praxis ist das selbständige Beweissicherungsverfahren, das Einleitung eines Hauptprozesses durchgeführt wird, der Hauptanwendungsfall. Es soll die Verwertung der Beweisergebnisse für den künftigen Rechtsstreit gesichert und dem Beweisverlust oder auch der erschwerten Benutzung eines Beweismittels vorgebeugt, aber auch der Prozessbeschleunigung oder überhaupt der Prozessvermeidung gedient werden (Rassi in Fasching/Konecny3§ 384 ZPO Rz 1 f).

2. Im vorliegenden Fall ist zwar der Prozess über eine von der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin erhobene (restliche) Werklohnforderung aus dem Vertrag, der auch den antragsgegenständlichen Leistungen zugrunde liegt, anhängig, in diesem hat die Antragstellerin (als dort Beklagte) allerdings – dem Antragsvorbringen entsprechend – ihre Einwände betreffend (behauptete) Mängel der Teilleistung Fassadenbeleuchtung zurückgezogen. Deshalb stellen diese Mängel keinen Gegenstand des Vorprozesses dar, zumal die Antragstellerin (als Beklagte des Prozesses) dort auch keine darauf gestützte Gegenforderung erhoben hat. Eine derartige Gegenforderung hätte darüber hinaus keine Streitanhängigkeit dieser Forderung zur Folge (RISJustiz RS0039174 [T5]; RS0109746 [T1]) und würde deshalb der beabsichtigten selbständigen Einklagung nicht entgegenstehen. Ein Rechtsstreit über eine Forderung der Antragstellerin auf Ersatz der Kosten einer Instandsetzung der Fassadenbeleuchtung ist daher – wie das Rekursgericht in seiner Zulassungsbegründung zutreffend erkannte – nicht anhängig. Damit gibt es aber für die in Aussicht genommene Klagsführung über die Kosten einer Ersatzvornahme für die Fassadenbeleuchtung (noch) kein Prozessgericht und der Zuständigkeit des Erstgerichts, in dessen Sprengel das Gebäude liegt, steht auch die fehlende Behauptung einer besonderen Dringlichkeit im Sinn des § 384 Abs 3 ZPO nicht entgegen.

3. Das Erstgericht wird daher – unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund – die weiteren Voraussetzungen für die beantragte Bewilligung der Sicherung der Beweisführung, insbesondere das rechtliche Interesse nach § 384 Abs 2 ZPO, zu prüfen haben.

4. Die Antragstellerin hat zutreffend keine Kosten verzeichnet (§ 388 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0030OB00124.19K.0911.000

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