OGH vom 01.10.2008, 6Ob190/08x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Jochen S*****, vertreten durch Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei u***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Anton Cuber, Rechtsanwalt in Graz, wegen 14.582,06 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom , GZ 17 R 172/07z-29, womit das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom , GZ 3 C 825/06m-21, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 976,68 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 162,78 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Beide Streitteile sowie drei weitere physische Personen waren Gesellschafter einer mittlerweile liquidierten GmbH, die Software entwickelte.
Der Kläger und der Geschäftsführer der Beklagten, die gleichfalls Software entwickelt, gründeten seinerzeit die GmbH, um für die Beklagte Programmiertätigkeiten zu übernehmen. Der Geschäftsführer der Beklagten war auch eine Zeit lang Geschäftsführer der GmbH, legte diese Funktion aber nach Schwierigkeiten bei der Abwicklung eines Großauftrags zurück. Ab diesem Zeitpunkt hatte er in die finanziellen Angelegenheiten der GmbH nur mehr insoweit Einblick, als ihm die Gesellschafter und Geschäftsführer Informationen erteilten. Angesichts der wirtschaftlich schlechten Lage der GmbH besprachen alle Gesellschafter mit ihren Beratern deren weiteres Schicksal. Die Beklagte schlug vor, die GmbH zu liquidieren, und erklärte sich bereit, hiezu einen finanziellen Beitrag zu leisten. Die Steuerberatung der GmbH ermittelte per ein negatives Betriebsergebnis von 12.000 EUR, dem eine Korrektur der Bilanz 2001 zugrunde lag, weil Rückstellungen für allfällige Nachbesserungsarbeiten aus dem Großauftrag und für Rechts- und Beratungskosten sowie allfällige Mitarbeiteransprüche aufgenommen werden mussten. Die Beklagte erhielt diesen Zwischenstatus. Auf dieser Basis besprachen die Organe der GmbH und der Beklagten, wie die Liquidation konkret abgewickelt werden solle. Gegenstand der Gespräche war insbesondere auch ein Verzicht der Gesellschafter auf offene Entgeltansprüche gegenüber der GmbH.
Der Kläger und die Geschäftsführer der GmbH besprachen mit ihren Beratern in diesem Zusammenhang, wie ihre Entgeltansprüche möglichst steuerschonend befriedigt werden könnten. Danach sollten sie auf ihre Entgeltansprüche verzichten, was einen Gewinn der GmbH zur Folge gehabt hätte; diesen sollten sie dann im Rahmen der Liquidation erhalten. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Geschäftsführer der Beklagten über diese Variante der „Gehaltsauszahlung" ausdrücklich informiert und in die dann getroffene Vereinbarung vom eingebunden war, wonach lediglich die „natürlichen" Gesellschafter, nicht jedoch die Beklagte am Liquidationserlös beteiligt werden sollten, um eine solche „Gehaltsauszahlung" zu ermöglichen. Der Geschäftsführer der Beklagten hatte im Oktober 2002 zwei Liquidationspläne erhalten, in denen der Entgeltverzicht des Klägers und der beiden Geschäftsführer der GmbH (mit und ohne Überstunden) beziffert war. Der Geschäftsführer der Beklagten sah sich diese Liquidationspläne nicht im Detail an. In einem vom Klagevertreter an den Beklagtenvertreter gerichteten Schreiben vom war enthalten, dass aufgrund des beiliegenden Liquidationsplans die Verbindlichkeiten der GmbH im Wesentlichen auf Null reduziert würden. Weiters enthielt das Schreiben den Hinweis, dass die „natürlichen" Gesellschafter Entgeltansprüche von etwa 63.000 EUR hätten und die GmbH daher in diesem Umfang belasten würden. Der „Sanierungsbeitrag" dieser Gesellschafter der GmbH betrage daher 63.000 EUR.
In der Folge schlossen die Beklagte und die GmbH die Vereinbarung vom mit einem Verzicht jener auf allfällige Liquidationserlöse sowie Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche und der Zusage einer Abschlagszahlung, um der GmbH die vorzeitige Auflösung ihres Mietvertrags zu ermöglichen. Die Beklagte hatte in diese Vereinbarung deshalb eingewilligt, weil ihr Geschäftsführer angesichts der schlechten Geschäftsergebnisse der GmbH angenommen hatte, dass die Liquidation kein positives Ergebnis erbringen würde. Schließlich beschlossen die Gesellschafter einstimmig die Liquidation der GmbH. Die bisherigen Geschäftsführer fungierten als Liquidatoren. Am erhielt die Beklagte die Jahresbilanz der GmbH für 2002, die ein positives Eigenkapital von 46.311,90 EUR aufwies, obwohl die GmbH in den letzten drei Monaten 2002 keinen Gewinn erwirtschaftet hatte. Die Differenz zwischen der positiven Jahresbilanz 2002 und dem Status zum ergab sich aus der Rücklagenauflösung (teilweiser Honorarverzicht von Beratern, Entgeltverzicht des Klägers und der Geschäftsführer) sowie aus geringen Verlusten im Zug der Veräußerung des Anlagevermögens. Diese positive Entwicklung der GmbH in den letzten drei Monaten 2002 war für den Geschäftsführer der Beklagten nicht nachvollziehbar, weshalb er den Verdacht hegte, aufgrund unrichtiger Informationen zum Verzicht auf einen Liquidationserlös verleitet worden zu sein. Er wandte sich an den Rechtsbeistand seiner Gesellschaft, der einen Buchsachverständigen beizog, um (vermeintliche) Ungereimtheiten aufzuklären. Der Sachverständige bestätigte die Bedenken. Hätte der Geschäftsführer der Beklagten Kenntnis über den Gehaltsverzicht der Gesellschafter nach dem maßgebenden Liquiditätsplan über 63.500 EUR gehabt, hätte er die Lage anders eingeschätzt, weil dieser Verzicht das positive Ergebnis eher erklären hätte können.
Die Strafanzeige der Beklagten vom (Sachverhaltsdarstellung) gegen den Kläger und die Geschäftsführer der GmbH wurde von der Staatsanwaltschaft nach Vorerhebungen (Beschlagnahme der Buchhaltungsunterlagen der GmbH und Einholung eines Sachverständigengutachtens) gemäß § 90 StPO (aF) zurückgelegt. Auch das im Zusammenhang mit dieser Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachts der Verleumdung „gegen die Verantwortlichen der Beklagten" eingeleitete Verfahren wurde letztlich gemäß § 90 StPO (aF) beendet. Der Kläger begehrte den Zuspruch der ihm sowie den Geschäftsführern der GmbH im Zusammenhang mit dem Strafverfahren aufgelaufenen Kosten von 14.582,06 EUR sA. Die Beklagte habe den Kläger und seine Mitgesellschafter in ihrer Sachverhaltsdarstellung wissentlich unrichtig einer strafbaren Handlung bezichtigt und der dadurch verursachten strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt. Hätte sie den Sachverhalt vollständig dargestellt und der Staatsanwaltschaft alle ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen übermittelt, so wäre es niemals zur Einleitung eines Verfahrens gekommen. Die Geschäftsführer der GmbH hätten ihre Schadenersatzansprüche gegenüber der Beklagten dem Kläger abgetreten. Die Beklagte habe mit ihrer Strafanzeige auch gegen die sie als Gesellschafterin der GmbH treffende Treuepflicht verstoßen.
Die Beklagte wendete ein, die Anzeige nicht wissentlich falsch erstattet zu haben. Auf eine Treuepflicht unter den Gesellschaftern könne sich der Kläger nicht mehr berufen, weil sich die GmbH bereits in Liquidation befunden habe und die Gesellschafter in diesem Stadium nur noch Auseinandersetzungsansprüche hätten. Zur Überprüfung dieser Ansprüche seien Maßnahmen zur Durchsetzung und/oder Überprüfung derselben immer zulässig.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es verwies auf die allgemeine Anzeigeermächtigung nach § 86 Abs 1 StPO aF. In einer Strafanzeige enthaltene, objektiv unrichtige Anschuldigungen seien, sofern sie den Rahmen eines sachdienlichen Vorbringens nicht überschritten, wegen des staatlichen Rechtsverfolgungsinteresses nur dann rechtswidrig, wenn sie wider besseres Wissen erhoben worden seien. Dies sei hier nicht erwiesen. Die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander bewirke keinen „Verzicht auf das in § 86 StPO normierte Recht".
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle, ob die Treuebindung der Gesellschafter untereinander das bei einer Anzeigeerstattung gebotene Sorgfaltsmaß erhöhe. Eine wissentlich falsche Anzeige sei nicht erwiesen. Eine besondere Sorgfaltspflicht des Anzeigers in der Richtung, die vorliegenden Verdachtsgründe auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, bestehe nicht. Eine solche könne dem Anzeiger auch im Rahmen der Treuebindung unter Gesellschaftern nicht auferlegt werden, weil dies dem öffentlichen Interesse, den Behörden Kenntnis von strafbaren Handlungen zu verschaffen, widerspräche. Da Straf- und Disziplinaranzeigen an die zuständigen Stellen, wenn sie nicht wider besseres Wissen erhoben worden seien, grundsätzlich gerechtfertigt seien, blieben sie zivilrechtlich ohne Haftungsfolgen. Es habe daher auch keiner Feststellung zur Frage bedurft, ob dem Geschäftsführer der Beklagten die Möglichkeit zur Rücksprache mit der steuerlichen Vertretung der GmbH eingeräumt worden sei oder nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Der Kläger stützt den von ihm erhobenen Schadenersatzanspruch gegen die beklagte Mitgesellschafterin in dritter Instanz im Wesentlichen auf die seiner Ansicht nach verletzte, die Beklagte als Mitgesellschafterin der GmbH treffende Treuepflicht, welche die Strafanzeige/Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft rechtswidrig gemacht habe. Nur noch am Rande nimmt er auf eine Haftung nach § 1330 Abs 2 ABGB Bezug.
2. Der Gesellschaftsvertrag führt zu einer engen persönlichen Verbundenheit der Beteiligten. Die durch die Gesellschaft begründete Rechtsgemeinschaft beruht auf einem wechselseitigen Vertrauensverhältnis der Gesellschafter. Sie wird von einer Treuepflicht beherrscht, die auf den Grundsätzen des redlichen Verkehrs und auf Treu und Glauben beruht (7 Ob 607/82 = SZ 55/78 ua; RIS-Justiz RS0061585, Krejci in Krejci RK UGB § 108 Rz 19 mwN). Der allgemeine Treuegedanke beherrscht nicht nur die Beziehungen des Gesellschafters zur Gesellschaft, sondern auch jene der Gesellschafter untereinander; er fordert, dass jeder Gesellschafter auf die Interessen der anderen möglichst Rücksicht nimmt (8 Ob 580/82 = HS XIV/XV/2; 6 Ob 695/87 = SZ 60/285). Auch der Gesellschafter einer GmbH unterliegt daher der Treuepflicht, und zwar nicht nur der Gesellschaft, sondern auch den Mitgesellschaftern gegenüber (5 Ob 626/88 = JBl 1989, 254; RIS-Justiz RS0026106). Ob die gesellschaftliche Treuepflicht eine bestimmte Handlungsweise gebietet, kann im Einzelfall nur aufgrund einer Interessensabwägung ermittelt werden (6 Ob 26/97k = SZ 70/43 mwN). Der Inhalt der Treuebindung unter den Gesellschaftern besteht darin, dass auf gesellschaftliche Interessen anderer Mitbeteiligter Rücksicht genommen werden muss (Koppensteiner/Rüffler3 § 61 GmbHG Rz 20; U. Torggler, Treuepflichten im faktischen GmbH-Konzern 129, je mwN). Die Verletzung von Treuepflichten durch Gesellschafter im Liquidationsstadium einer Gesellschaft hat indessen nicht mehr das gleiche Gewicht wie während der Geschäftstätigkeit einer werbenden Gesellschaft (RIS-Justiz RS0061745, RS0107912).
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat jemand, der eine Strafanzeige erstattet, keine besondere Sorgfaltspflicht, die vorliegenden Verdachtsgründe auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen und deren Für und Wider selbst abzuwägen. Eine solche Pflicht widerspräche dem öffentlichen Interesse, den Behörden Kenntnis von strafbaren Handlungen zu verschaffen. Als Rechtfertigung einer Strafanzeige genügt daher das Vorliegen von - nicht bereits offenkundig widerlegten - Verdachtsgründen. Schon dann ist nicht anzunehmen, eine Strafanzeige sei wider besseres Wissen erstattet worden (2 Ob 615/85 = SZ 59/190; RIS-Justiz RS0031957).
3.1. Hier sind die mitgliedschaftlichen Interessen der Gesellschafter einer bereits in Liquidation befindlichen GmbH abzuwägen, die nicht mehr auf den Unternehmenserfolg einer (werbenden) Gesellschaft gerichtet sind, sondern nur noch auf die - nach der Befriedigung von Gläubigeransprüchen - korrekte Aufteilung des restlichen Gesellschaftsvermögens unter den Gesellschaftern.
Infolge abgeschwächter Treuepflichten im Liquidationsstadium einer Gesellschaft (oben 2.) ist aus der allgemeinen Treuepflicht unter Gesellschaftern jedenfalls nicht abzuleiten, diese müssten im Interesse der übrigen Gesellschafter eine besondere Sorgfalt und Rücksichtnahme bei der Verfolgung ihrer Anteile am Liquidationserlös walten lassen.
3.2. Nach allen bisherigen Erwägungen mangelt es daher an einer Grundlage dafür, einem Gesellschafter bei Erstattung einer Strafanzeige gegen einen oder mehrere Mitgesellschafter im Liquidationsstadium der Gesellschaft besondere, über allgemeine Anforderungen hinausgehende Sorgfaltsanforderungen aufzuerlegen, wenn der Anzeiger aufgrund bestehender Verdachtsgründe eine strafgesetzwidrige Verkürzung seines Anspruchs auf Beteiligung am Liquidationserlös befürchtet.
3.3. Aus den voranstehenden Gründen folgt somit allgemein:
Aus der - im Liquidationsstadium der Gesellschaft abgeschwächten - allgemeinen Treuepflicht unter Gesellschaftern ist nicht abzuleiten, diese müssten im Interesse der übrigen Gesellschafter besondere Sorgfalt und Rücksichtnahme bei der Verfolgung ihres Anteils am Liquidationserlös walten lassen. Demzufolge hat ein Gesellschafter vor Erstattung einer Strafanzeige gegen einen oder mehrere Mitgesellschafter im Liquidationsstadium der Gesellschaft keiner besonderen, über allgemeine Anforderungen hinausgehenden Sorgfaltspflicht zu entsprechen, wenn er aufgrund bestehender Verdachtsgründe eine strafgesetzwidrige Verkürzung seines Anspruchs auf Beteiligung am Liquidationserlös befürchtet.
3.4. Da bei Erstattung der Anzeige gegen den Kläger und andere physische Personen als Gesellschafter keine wissentlich falsche Verdächtigung ins Treffen geführt wurde, war diese Anzeige nicht rechtswidrig (§ 1330 Abs 2 letzter Satz ABGB). Angesichts dessen hat die Beklagte die im Laufe des Strafverfahrens zur Verteidigung der Verdächtigen aufgewendeten Vertretungskosten nicht zu ersetzen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO.