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OGH vom 12.08.2020, 5Ob118/20v

OGH vom 12.08.2020, 5Ob118/20v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*****, vertreten durch die Preslmayr Rechtsanwälte OG, Wien, gegen die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch Mag. Dr. Christian Gepart, Rechtsanwalt in Wien, wegen 183.930,60 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 13 R 21/20h-34, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Beklagte beschäftigte von Oktober 2012 bis Dezember 2014 laufend Arbeitskräfte, die ihr von einer Kommanditgesellschaft (Überlasserin) bereitgestellt worden waren. Eine im Jahr 2015 erfolgte Prüfung der lohnabhängigen Abgaben durch die Klägerin ergab, dass das Ausmaß der tatsächlichen Beschäftigung der überlassenen Arbeitskräfte nicht den Meldungen zur Sozialversicherung durch die Überlasserin entsprach.

Die Klägerin begehrte den von ihr unter Zugrundelegung der von der Beklagten geführten Arbeitsaufzeichnungen und des Kollektivvertrags für ungelernte Arbeitnehmer errechneten Fehlbetrag an Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von 183.930,60 EUR und stützte sich dazu auf die in § 14 AÜG angeordnete Bürgenhaftung des Beschäftigers.

Das Berufungsgericht bestätigte das der Klage stattgebende Urteil des Erstgerichts. Da die Überlasserin (als Hauptschuldnerin) im Firmenbuch gelöscht worden sei und – wollte man eine gegenüber der Beklagten bevorrangte Haftung von deren persönlich haftenden Gesellschaftern bejahen – ihnen gegenüber gesetzte Eintreibungsmaßnahmen nicht erfolgversprechend gewesen wären, lägen die Voraussetzungen einer Ausfallsbürgschaft vor.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, die keine Rechtsfragen von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO anspricht:

1. § 14 Abs 1 AÜG normiert die Haftung des Beschäftigers für die gesamten der überlassenen Arbeitskraft für die Beschäftigung in seinem Betrieb zustehenden Entgeltansprüche und die entsprechenden Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung als Bürge (§ 1355 ABGB). Nach Abs 2 dieser Bestimmung haftet der Beschäftiger nur mehr als Ausfallsbürge im Sinn des § 1356 ABGB, wenn er seine Verpflichtungen aus der Überlassung dem Überlasser nachweislich erfüllt hat. Diese Bestimmung soll nach den Gesetzesmaterialien die finanziellen Ansprüche der überlassenen Arbeitskräfte sichern und eine gewisse Präventivfunktion erfüllen, weil sie den Beschäftiger zu einer sorgfältigen Auswahl des Überlassers anregen soll (ErläutRV 450 BlgNR 17. GP 20 f). Die Rechtsprechung sieht in § 14 AÜG eine Schutznorm zugunsten der überlassenen Arbeitskräfte, aber auch der Sozialversicherungsträger (2 Ob 304/04a; 2 Ob 261/07g je mwN). Die von der Beklagten gegen diese Bestimmung vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken hat der Verfassungsgerichtshof nicht geteilt ( G 6/2020).

2.1 Nicht strittig ist, dass die Beklagte als Beschäftigerin ihre Verpflichtungen aus der Überlassung dem Überlasser gegenüber erfüllt hat, sodass § 14 Abs 2 AÜG zum Tragen kommt. Der Begriff des Ausfallsbürgen ist nicht gesetzlich definiert; dieser Bürgschaftstyp ist im ABGB auch nicht allgemein geregelt (RIS-Justiz RS0081756). § 1356 ABGB schränkt die Bürgschaft aber auf den Fall der Uneinbringlichkeit der Hauptschuld ein. Der Gläubiger kann erst dann auf den Bürgen greifen, wenn er gegen den Hauptschuldner geklagt und vergeblich Exekution geführt hat, sofern eine solche nicht von vorne herein aussichtslos wäre, es sei denn, über das Vermögen des Hauptschuldners (hier: des Überlassers) wurde das Insolvenzverfahren eröffnet oder er ist unbekannten Aufenthalts (vgl RS0120351; Schindler in Neumayr/Reissner, ZellKomm3§ 14 AÜG Rz 2 f). In beiden Fällen darf sich der Gläubiger keine Nachlässigkeit zu schulden kommen lassen haben (vgl 3 Ob 203/12t mwN). Für die Ausfallsbürgschaft gelten sonst die allgemeinen Regeln über die Bürgschaft (3 Ob 58/05h).

2.2 Die Hauptschuldnerin wurde im Firmenbuch gelöscht. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass damit der zweite Ausnahmetatbestand des § 1356 ABGB objektiv erfüllt war, stellt die Beklagte nicht in Frage. Damit oblag ihr die Behauptungs- und Beweislast für eine objektive Nachlässigkeit des Gläubigers im Sinn dieser Gesetzesbestimmung (8 Ob 41/17p; 8 Ob 127/17k; P. Bydlinski, KBB6§ 1356 ABGB Rz 4 je mwN). Nach den Feststellungen wurde die Überlasserin von der Klägerin etwa alle drei Jahre geprüft. Dass sie damit die gesetzlichen Vorgaben bei Prüfung der Überlasserin nicht eingehalten hätte, behauptet selbst die Beklagte nicht. Mit ihrer Ausführung, diese Regelung (Anm: § 14 AÜG) lasse keinesfalls einen Spielraum zu, etwaige Betriebsprüfungen nur durchzuführen, wenn entsprechende Intervalle zweckmäßig und wirtschaftlich seien, vermag die Beklagte eine Nachlässigkeit der Klägerin daher nicht nachvollziehbar darzulegen.

2.3 Komplementäre einer KG haften nach § 128 UGB iVm § 161 Abs 2 UGB für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern unmittelbar und unbeschränkbar (10 Ob 58/05k; vgl auch Koppensteiner/Auer in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4§ 128 Rz 9), weswegen ihre Haftung mit der eines Bürgen und Zahlers verglichen wird (Eckert in U. Torggler, UGB3§ 128 Rz 9). In der Literatur wird vertreten, dass der Ausfallsbürge erst belangt werden kann, wenn feststeht, dass der Gläubiger infolge Versagens der sonstigen Sicherheiten einen Verlust erleidet (dazu W. Faber in Schwimann/Kodek, ABGB4§ 1356 Rz 6; Gamerith in Rummel, ABGB³ § 1356 Rz 3 je mwN). Der Entscheidung zu 8 Ob 135/66 (SZ 39/122) lag zugrunde, dass die Parteien vereinbart hatten, die Bürgschaftsschuld des (dortigen) Beklagten darauf zu beschränken, dass alle anderen Sicherungsmittel versagten. Ob darunter auch die Haftung eines früheren Gesellschafters als Mitschuldner fallen sollte, war im fortgesetzten Verfahren zu klären. Mit ihren Ausführungen zur persönlichen Haftung der Komplementäre der Überlasserin zielt die Beklagte der Sache nach erkennbar darauf ab, dass die von § 1356 ABGB geforderte Subsidiarität nicht eingetreten sei und die in § 14 AÜG angeordnete Ausfallsbürgschaft ihr gegenüber daher nicht schlagend habe werden können, weil die Klägerin nicht zuvor auf die persönlich haftenden Gesellschafter gegriffen habe. Damit kann sie aber schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigen, weil die Anforderungen an die Subsidiarität ihrer Haftung selbst bei Zutreffen dieser Ansicht nicht anders gesehen werden könnten als im Verhältnis zur Hauptschuldnerin. Dazu steht aber fest, dass über das Vermögen des einen Komplementärs das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet worden war und die zweite Komplementärin vermögenslos ist, sodass eine Exekution von vorne herein aussichtslos gewesen wäre. Gegenteiliges behauptet die Revisionswerberin auch gar nicht, sodass die Ansicht der Vorinstanzen, die Voraussetzungen für die Haftung der Beklagten als Ausfallsbürgin iSd § 14 Abs 2 AÜG lägen vor, auch nicht zu beanstanden ist. Warum es von Bedeutung sein soll, dass die Klägerin ihre Forderung im Schuldenregulierungsverfahren des einen Komplementärs verspätet anmeldete, ist schon deshalb nicht zu erkennen, weil dem Gläubiger eine relevante Nachlässigkeit bei der Verfolgung seines Anspruchs nur dann schadet, wenn sie sich auf Umstände bezieht, die vor Verwirklichung eines Tatbestands, der die Haftung des Bürgen gemäß § 1356 ABGB auslöst, eingetreten sind (8 Ob 41/17p; 8 Ob 127/17k; P. BydlinskiaaO § 1356 ABGB Rz 4 mwN).

3. Die Beklagte sieht einen möglichen Widerspruch der Bestimmung des § 14 AÜG zu Art 16 und Art 17 der EU-Grundrechte-Charta (GRC). Diese gilt gemäß ihrem Art 51 Abs 1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung – dh im Anwendungsbereich – des Unionsrechts (RS0127506; 6 Ob 193/12v mwN; mwN; vgl Obwexer, Die Rechtsstellung Einzelner in der Union nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, ÖJZ 2010/13, 101 [104]). Einen Bezug ihrer Rechtssache zum Gemeinschaftsrecht hat die Revisionswerberin weder behauptet noch ist er sonst ersichtlich. Ihre

Anregung zur Einholung einer Vorabentscheidung beim Europäischen Gerichtshof ist daher nicht aufzugreifen.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00118.20V.0812.000

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