OGH vom 24.01.1989, 4Ob117/88
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl B*** jun., Transportunternehmer, Wien 3., Wassergasse 12, vertreten durch Dr. Manfred Schwindl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Alfred G***, Pensionist, Wien 10., Laubeplatz 6/26, vertreten durch Dr. Felix Weigert, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 280.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 2 R 105/88-37, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom , GZ 37 Cg 182/87-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 9.631,05 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 875,55 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, im geschäftlichen Verkehr beim Handel mit Altpapier das Entnehmen und Verbringen von Altpapier aus Sammelbehältern zu unterlassen, die auf Veranlassung des A*** R*** V*** zur Sammlung und Verwertung von Altstoffen in Österreich (im folgenden kurz: Verein) aufgestellt worden sind und deren Entsorgung den von diesem Verein beauftragten Frächtern übertragen ist. Zur Planung und Durchführung von Maßnahmen zum Zweck des Recyclings und zur Förderung des Absatzes österreichischer Produkte, die aus Altstoffen hergestellt werden, hätten interessierte Unternehmer den genannten Verein gegründet, der sich unter anderem mit der Entsorgung von Altpapier befasse und zu diesem Zweck in ganz Österreich von ihm angemietete Spezial-Sammelbehälter aufstelle. Gestützt durch ein wachsendes Umweltbewußtsein, beschicke die Bevölkerung diese Behälter mit Altpapier, das so einer Wiederverwertung zugeführt werde. Auf Grund bestehender Vereinbarungen mit dem Verein seien verschiedene Frächter - darunter der Kläger - beauftragt, die Altpapiersammlung nach einem bestimmten Entsorgungs-Konzept zu organisieren und durchzuführen. Der Kläger sei berechtigt und verpflichtet, die Systembehälter in den Wiener Bezirken 1, 3, 4, 5, 8, 9 und 11 sowie in Schwechat aufzustellen, sie in regelmäßigen Intervallen zu entleeren und das gesammelte Papier mit eigens dafür angeschafften Spezialfahrzeugen an die vorgegebene Abladestelle zu führen. Er werde nach dem Gewicht der bei der Sammelstelle abgelieferten Altpapiermenge zu vereinbarten Sätzen entlohnt. Der Beklagte stehe weder mit dem Verein noch mit einem von diesem Beauftragten in einer Geschäftsbeziehung und sei auch nicht in die geschilderte Recycling-Aktion eingebunden. Dessenungeachtet fahre er seit mehr als 5 Jahren täglich mit einem Fahrzeug kreuz und quer durch Wien und entleere, wenn er sich unbeobachtet fühle, Altpapier-Behälter, um das daraus gestohlene Altpapier auf eigene Rechnung zu verkaufen; er sei sogar in der Lage, Hilfskräfte bei seinen Touren zu verwenden. Durch diese illegale Tätigkeit des Beklagten - welcher sich dadurch des Diebstahls im Sinne des § 127 StGB schuldig mache - verliere der Verein, der von seinen Abnehmern mit S 1,-- je kg Altpapier entlohnt werde, rund S 3.000 bis S 5.000 täglich; noch gravierender seien die Einbußen der einzelnen Pächter, also auch des Klägers. Das ständige gewerbsmäßige Eindringen des Beklagten in einen vertraglich geschaffenen und gesicherten Organisationsablauf verstoße (auch) gegen § 1 UWG. Der Beklagte stehe in einem Wettbewerbsverhältnis zum Kläger.
Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Aus der Klage selbst ergebe sich, daß das Altpapier weder dem Kläger noch dem Verein zustehe, vielmehr offenbar derelinquiert sei. Der Beklagte sei auch nicht Mitbewerber im Sinne des UWG (S.32). Er habe tatsächlich Behälter des Vereins entleert, besitze aber auch eigene Behälter, die immer wieder von anderen Personen entleert würden, wodurch er einen Schaden erleide; auch werde er dadurch geschädigt, daß andere Leute dort Behälter aufstellten, wo seine Behälter stünden. Deshalb entleere er auch andere Container (S.82 f). Der Erstrichter gab dem Klagebegehren, ohne Feststellungen zu treffen, statt. Der auf Grund des übereinstimmenden Parteienvorbringens unstrittige Sachverhalt sei rechtlich dahin zu beurteilen, daß die Streitteile Mitbewerber im Sinne des § 14 UWG seien. Bei dem in einem Sammelbehälter des Vereins deponierten Altpapier handle es sich nicht um derelinquierte Sachen; vielmehr sei das Papier in die Machtsphäre des Vereins übergegangen. Die Personen, die das Papier in die Sammelbehälter gegeben haben, hätten nicht den Willen, die Sache herrenlos werden zu lassen, sondern den Wunsch, das Papier einer Wiederverwertung zuzuführen. Das ständige gewerbsmäßige Eindringen des Beklagten in den vertraglich geschaffenen und gesicherten Organisationsablauf sei sittenwidrig im Sinn des § 1 UWG.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60.000 S, nicht jedoch 300.000 S, übersteige und die Revision zulässig sei. Nach den abfallrechtlichen Vorschriften sei das Wegwerfen von Müll - wozu auch das Altpapier gehöre - untersagt. Der Verein bzw. der Kläger hätten durch das Aufstellen der mit der Bezeichnung des Vereins versehenen Sammelbehälter an unbestimmte Personen das Angebot gerichtet, das in die Behälter gelangende Papier zu entsorgen und zu verwerten. Das Angebot der Entsorgung berechtige den Besitzer von Altpapier, dieses in die Behälter zu geben, könne er doch davon ausgehen, daß damit das Papier einer geordneten Verwertung zugeführt werde. Die Aufgabe des Eigentums durch Dereliktion setze hingegen voraus, daß der Eigentümer den Besitz aufgebe, ohne ihn einem anderen zu übertragen; solches dürfe im Zweifel nicht angenommen werden (§ 388 ABGB). Auch der zum Abholen bereitgestellte Müll sei nicht als preisgegeben anzusehen; eine solche Willenserklärung wäre - nach den abfallrechtlichen Vorschriften - auch gesetzwidrig. Auf Grund des beschriebenen Systems sei davon auszugehen, daß der Abgeber von Altpapier damit rechne, daß das Altpapier in den Besitz der für das Aufstellen der Sammelbehälter verantwortlichen Rechtsträger übergehe. Ein Vertragsabschluß setze nicht voraus, daß die Angebote an bestimmte Personen gerichtet seien. Mit dem Einbringen in die Sammelbehälter sei das Altpapier nach der Verkehrsauffassung in die Macht des - wenn auch
abwesenden - Übernehmers gelangt; damit sei es bereits körperlich übergeben worden. Das Erstreben wettbewerbsrechtlicher Vorteile durch Rechtsbruch unter Ausnützung der Gesetzestreue der Mitbewerber sei sittenwidrig; das gelte auch für das eigenmächtige und rechtswidrige Entnehmen und Verbringen von Altpapier. Das für den Kläger und sonstige Frächter bestimmte Altpapier in den vom Verein gemieteten Sammelbehältern sei ein schutzwürdiges Leistungsergebnis, das seine Grundlage in der aufwendigen Organisation und Durchführung eines Entsorgungskonzeptes habe. Dieses Leistungsergebnis eigne sich der Beklagte im geschäftlichen Verkehr eigenmächtig an, weil er es auf eigene Rechnung verwerte und eine damit auf Verwertung gerichtete Tätigkeit ausübe. Da beide Parteien den gleichen Abnehmer- und Lieferantenkreis hätten, bestehe zwischen ihnen ein Wettbewerbsverhältnis; die Wettbewerbsabsicht sei daher zu vermuten. Damit stehe dem Kläger ein Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG zu. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Nach Ansicht des Beklagten wolle der ordentliche und gesetzestreue Mensch zwar seine Abfälle nicht einfach willkürlich wegwerfen, sondern in dafür vorgesehene Behälter geben; er wolle sich aber nur vom Abfall befreien und damit nichts mehr zu tun haben, ihn also derelinquieren. Keineswegs habe der ordentliche Mensch das Bedürfnis, sein Altpapier oder sonstige Abfälle einer bestimmten Person oder einem bestimmten Unternehmen zukommen zu lassen; er habe auch nicht das Bestreben - und sei es auch nur konkludent - , einen Vertrag abzuschließen. Dem kann nicht gefolgt werden:
Wer sein Altpapier in einen dafür vorgesehenen Sammelbehälter legt, gibt damit nicht seinen Besitz in der Absicht auf, das Papier zum Gegenstand der Aneignung durch jedermann (§ 382 ABGB) zu machen; er übergibt es vielmehr in den Besitz dessen, der den Behälter aufgestellt hat und über ihn verfügungsberechtigt ist. Von einer Preisgabe im Sinne des § 386 ABGB kann somit keine Rede sein. Daß es dem Abgeber des Papiers immer nur darum ginge, den Abfall loszuwerden, trifft nicht zu. Käme es nur darauf an, dann wäre es in vielen Fällen bequemer, das Altpapier in eine - allenfalls in größerer Nähe aufgestellte - Mülltonne statt in den Altpapiercontainer zu legen. Diese Behälter werden in aller Regel bewußt benützt, um das Altpapier im Interesse des Umweltschutzes und der Volkswirtschaft einer Wiederverwertung zuzuführen. Mit dem Ablegen des Papiers in einem solchen Behälter wird dieses in eine Lage gebracht, in der es nach der Verkehrsauffassung in der Macht des zwar abwesenden, aber zustimmenden Übernehmers - im vorliegenden Fall also des Vereins - ist (Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 427 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Ob sich die Abgeber des Papiers darüber im klaren sind, welchem konkreten Rechtssubjekt dieses zugute kommt, ist unerheblich; sie sind sich jedenfalls dessen bewußt, daß das Papier damit in die Verfügungsgewalt des Aufstellers des Behälters gelangt, der es einer Verwertung zuführen wird.
Da es sich sohin bei dem in solchen Behältern gelagerten Altpapier nicht um herrenlose Sachen handelt, begeht derjenige, der sie unbefugterweise mit dem Vorsatz wegnimmt, sich damit unrechtmäßig zu bereichern, einen Diebstahl (§ 127 StGB; Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB, Rz 8 und 9 zu § 127 StGB). Daß sich der Beklagte das Papier aus Behältern des Vereins angeeignet hat, um es zu veräußern - also mit Bereicherungsvorsatz - , ergibt sich aus seinem eigenen Vorbringen, wonach er damit den Schaden ausgleichen wollte, den er durch Diebstähle aus seinen Behältern erlitten habe (S.83). Damit hat aber der Beklagte gleichzeitig in der Absicht gehandelt, sich gegenüber seinen gesetzestreuen Mitbewerbern, die nur unter finanziellem Aufwand - durch Aufstellen eigener Behälter oder durch Zahlung eines Entgelts an fremde Aufsteller - zu Altpapier kommen, einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen; er hat somit gegen die guten Sitten im Wettbewerb verstoßen (§ 1 UWG; Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht15, 857 f Rz 570 zu § 1 dUWG).
Die Behauptung des Klägers, daß er als vom Verein bestellter Frächter berechtigt und verpflichtet sei, in bestimmten Bezirken die Systembehälter aufzustellen, zu entleeren und das Papier gegen Entlohnung zu bestimmten Abladestellen zu führen, muß im Hinblick auf das Vorbringen des Beklagten - der diese Tatsachen nicht konkret bestritten, sondern nur geltend gemacht hat, daß das Papier niemandem gehöre und er selbst kein Mitbewerber sei - als zugestanden angesehen werden (§ 267 Abs 1 ZPO). Da sich aber der Beklagte nach seinen eigenen Behauptungen damit befaßt, Papierbehälter aufzustellen und Altpapier zu sammeln sowie zu veräußern, ist der Kläger sein Mitbewerber und sohin zur Klageführung berechtigt (§ 14 UWG).
Die Revision mußte mithin erfolglos bleiben.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.