OGH 25.06.1996, 1Ob622/95
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
RS0105546 | Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß bei einer verbücherten Wegeservitut der in der Natur auf dem belasteten Grundstück vorhandene Weg der Servitutsweg ist, die Identität ist demnach keine rechtsbegründende Tatsache, für die der Kläger beweispflichtig ist. Es ist vielmehr Sache des Störers, darzutun, daß der Servitutsberechtigte gerade kein Recht zur Benützung dieses in der Natur vorhandenen Wegs hat, soweit er über Grundstücke verläuft, die mit der verbücherten Servitut belastet sind. Wenn ein Teil des Wegs derzeit außerhalb der mit der Servitut belasteten Grundstücke verläuft, ist es dagegen insoweit Sache des Klägers, die Identität darzutun. |
Norm | ABGB §472ff |
RS0105549 | Die Grundsätze von Treu und Glauben gelten auch im Dienstbarkeitsrecht. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Harald K*****, und 2. Yvonne K*****, beide vertreten durch Dr.Josef List, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1. Alois Z*****, und 2. Alois Josef Z*****, beide vertreten durch Dr.Alfred Lind und Dr.Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen Entfernung eines Zauns (Streitwert 50.000 S) infolge Rekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 217/95-30, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 4 C 2777/91-23, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , GZ 4 C 2777/91-26, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die beiden Kläger sind zu je 1/26stel Miteigentümer einer Liegenschaft mit dem unbehausten Grundstück 11/10, das die Liegenschaften der „Holzhaussiedlung“ umschließt, und in dieser „Enklave“ zufolge Kaufvertrags vom je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft samt Haus. Die Beklagten sind je zur Hälfte Eigentümer einer daran angrenzenden landwirtschaftlich genutzten Liegenschaft, die seit 1899 mit der aufgrund eines Kaufvertrags vom 16.Februar 1899 verbücherten Servitut des Fahrrechts über die zu ihrem Gutsbestand gehörenden Grundstücke 56/2, 49/2, 11/5, 14/2 und 11/4 zugunsten mehrerer Liegenschaften einschließlich der Liegenschaften der Kläger als herrschendes Gut belastet ist. Nach den bisherigen Verfahrensergebnissen bestehen in der Natur derzeit die in einem bestimmten Punkt zusammenstoßenden (vom Sachverständigen so bezeichneten) Servitutswege 1 und 2. Ersterer verläuft von der Einmündung ins öffentliche Gut entlang des Baches über die Grundstücke 11/4, 14/2 und 11/5, wogegen von letzterem neben dem Grundstück 11/4 auch nicht belastete Grundstücke betroffen sind. Eine von den Beklagten angelegte Bohnenkultur behindert die derzeit bestehenden Servitutswege 1 und 2 nicht.
Die Kläger begehrten von den Beklagten die Entfernung a) des an der Ostgrenze des Grundstücks 14/2 errichteten Drahtmaschenzauns im Bereich des in der Natur ersichtlichen Servitutswegs (bei dessen Einbindung ins öffentliche Gut) sowie b) der (30 m westlich davon) auf dem Servitutsweg im Bereich des Grundstücks 14/2 abgestellten und hinderlichen landwirtschaftlichen Geräte. Dazu brachten sie im wesentlichen vor, der Servitutsweg sei in der Natur ersichtlich und seit Menschengedenken, jedenfalls mehr als 30 Jahre lang, als Gehweg benützt worden. Im Osten münde der Weg ins öffentliche Gut (Weg 908) ein. Der störende Drahtmaschenzaun sei von den Beklagten etwa um die Jahreswende 1990/1991 bei der Einmündung ins öffentliche Gut errichtet worden. Der Absperrung habe zunächst ausgewichen werden können, die Beklagten hätten in der Folge aber auch das verhindert.
Die Beklagten wendeten im wesentlichen ein, der Servitutsweg habe, soweit er über die Grundstücke 11/3 (erkennbar gemeint 11/5), 49/2 und 56/2 geführt habe, als Fahrweg für jene Liegenschaftseigentümer gedient, deren Liegenschaften im Westen an das Areal der Beklagten angegrenzt hätten, um von ihren Liegenschaften in den Ortskern zu gelangen. Die nördlich der Liegenschaften der Beklagten gelegenen Grundstücke seien mit dem Ortskern durch den Fahrweg verbunden, der über die Grundstücke 14/2 und 11/4 geführt habe; dieser Fahrweg über die Grundstücke 11/4 und 14/2 habe sodann in den nach Westen führenden Fahrweg gemündet. Offensichtlich im Zuge des Ausbaus der aus Richtung Norden heranführenden Landesstraße sei der Weg über die Grundstücke 11/4 und 14/2 nicht mehr benützt worden. Jedenfalls sei der Weg seit Jahrzehnten nicht mehr existent und in der Natur auch nicht mehr ersichtlich. Die Beklagten betrieben bereits seit Jahrzehnten auf den Grundstücken 11/4 und 10 eine Bohnenzucht, deren Anlagen den seinerzeit vorhandenen Weg unterbrochen hätten. Die einverleibte Servitut sei somit durch die infolge der errichteten Anlagen seit Jahrzehnten bestehende Unbenützbarkeit des Wegs erloschen. Tatsächlich hätten die Rechtsvorgänger der Kläger auch zufolge der Möglichkeit, über die Landesstraße in den Ortskern zu gelangen, nie ein Servitutsrecht für sich in Anspruch genommen. Deshalb hätten die Kläger die Grundstücke 11/4 und 14/2 des seinerzeitigen Servitutswegs nicht begehen können, sondern hätten die nicht mit einer Wegeservitut belasteten Grundstücke 11/8 und 14/1 benützt, um auf die Grundstücke 49/2 und 11/5 zu gelangen. Auf die Grundstücke 11/8 und 11/3 habe sich der Servitutsweg aber nie bezogen. Der bücherlich einverleibte Servitutsweg sei erstmals durch die Kläger und die weiteren Miteigentümer der Liegenschaft (seit 1987) wieder in Anspruch genommen worden. Beim Rechtserwerb durch die Kläger sei die grundbücherlich einverleibte Servitut bereits seit Jahrzehnten erloschen gewesen.
Die Kläger replizierten im wesentlichen, das Servitutsrecht sei nicht erloschen. Sollte die Wegeservitut seinerzeit dort verlaufen sein, wo die Beklagten ein Bohnenfeld bewirtschafteten, sei er hiedurch nur unterbrochen, nicht aber beseitigt worden; es handle sich insofern nur um eine allfällige Verlegung des Servitutswegs, der stets innerhalb der Grundgrenzen der belasteten Liegenschaft der Beklagten verlaufen und verblieben sei. Bei der Begründung der Servitut sei auch kein Plan (über einen bestimmten Verlauf) errichtet worden. Die Beklagten behaupteten nicht einmal, der Servitutsweg sei nicht fortwährend benützt worden. Der Servitutsweg sei weiterhin als einzig taugliche Verbindung für Fußgänger zum unteren Ortsteil erforderlich.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, bei dem aufgrund des Kaufvertrags vom 16.Februar 1899 und des dazugehörigen Teilungsplans vom 28.Jänner 1899 begründeten Servitutsweg „müßte es sich ungefähr um jenen Servitutsweg handeln, der auch heute noch bis zum öffentlichen Gut führt“. Der von den Beklagten angegebene Servitutsweg auf den Grundstücken 56/2, 49/2 und 11/5 könne hier nicht geendet haben, sondern müsse über die Grundstücke 14/2 und 11/4 weitergeführt haben, weil sonst kein Anschluß zum öffentlichen Gut vorhanden gewesen wäre. Aus dem Kaufvertrag gehe nicht hervor, ob es einen zweiten Weg über die Grundstücke 14/2 und 11/4 oder nur über das Grundstück 11/4 gegeben habe. Das im Teilungsplan vom 28.Jänner 1899 neu entstandene Grundstück 11/8 sei für den Servitutsweg nicht miteinbezogen worden. Um von der Liegenschaft mit dem Grundstück 11/10 zum Servitutsweg (Servitutsweg 1) zu gelangen, werde der Servitutsweg 2 benützt. Dieser Servitutsweg 2 hätte aber vor der letzten Benützungsarterhebung auch das Grundstück 11/8 betroffen. Diese Wegeservitut sei aber auch im Teilungsvertrag vom nicht erweitert bzw berichtigt, sondern es seien nur die alten Wegerechte übernommen worden.
Rechtlich folgerte der Erstrichter, gemäß den §§ 524 ff ABGB könnten Servituten nur unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben werden. Das bloße Verwuchern eines Wegs mit Gras stelle keinen der im Gesetz angeführten Fälle dar. Dem Einwand, daß der ursprüngliche Verlauf des Servitutswegs infolge der Bohnenkultur geändert worden ist, sei zu entgegnen, daß der Belastete berechtigt sei, einen über sein Grundstück führenden Weg auch ohne Zustimmung des Berechtigten an eine andere Stelle zu verlegen, wenn auch der neue Weg dem Zweck der Servitut vollkommen entspreche und die Verlegung nicht auf ein anderes als das belastete Grundstück erfolge. Da eine Verlegung auf ein anderes als das ursprünglich belastete Grundstück nicht erfolgt sei, könne davon ausgegangen werden, daß der Weg dem Zweck der Servitut vollkommen entspreche.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands S 50.000,- übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht vermißte die zweite Instanz Feststellungen dazu, ob und inwieweit der von den Klägern behauptete, nun in der Natur ersichtliche Weg (der vom Sachverständigen mit der Bezeichnung Servitutsweg 1 und Servitutsweg 2 umschrieben sei) mit dem 1899 vertraglich begründeten Servitutsweg identisch sei. Das Erstgericht erwähne nur, daß es sich um jenen Weg handeln „müsse“, auf dem man von der Liegenschaft der Kläger zum Servitutsweg 1 gelange, und daß der Servitutsweg 2 benützt werde. Es fehlten Feststellungen über die Dauer und den Inhalt der Benützung sowie auch zur Frage der fortbestehenden Utilität der behaupteten Servitut. Die Kläger beriefen sich auf die 1899 vertraglich begründete Wegeservitut, deren Inhalt und Umfang durch den Kaufvertrag vom 16.Februar 1899 und die damaligen Benützungsverhältnisse bestimmt werde; sie hätten die herrschenden Liegenschaften 1986 mit den damit verbundenen Rechten einschließlich der zugunsten dieser Liegenschaften einverleibten Servitut erworben, jedoch nur in der Art und in dem Umfang, wie sie beim Erwerb ihrer Liegenschaften bestanden haben (§ 442 ABGB). Hätte damals die einverleibte Servitut zugunsten der von den Klägern erworbenen Liegenschaften nicht oder nicht mehr bestanden oder sich die vertraglich begründete Servitut auf die erworbenen Liegenschaften von vornherein nicht bezogen, würde den entsprechenden Grundbuchseintragungen die titelmäßige Grundlage fehlen. Es müßten daher die Verhältnisse im Jahre 1986 festgestellt werden. Die Beweislast, daß der heute in der Natur ersichtliche Weg mit dem im Kaufvertrag vom 16.Februar 1899 begründeten Servitutsweg identisch sei, treffe die Kläger und nicht die Beklagten, weil die Grundbuchseintragungen im hier vorliegenden, besonders gelagerten Fall dies nicht in diesem Sinn vermuten ließen; vielmehr sei die Rechtslage anhand der vorliegenden Urkunden und Pläne fraglich. Unter Heranziehung der historischen Mappe hätte nämlich das 1899 vereinbarte Fahrrecht ua auch über die damaligen - indes im Kaufvertrag (vom 16.Februar 1899) nicht angeführten - Grundstücke 11/3 und 11/8 verlaufen müssen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Anführung dieser Grundstücke etwa übersehen worden sei. Vielmehr seien die Angaben im Kaufvertrag als richtig anzusehen, solange nichts anderes bewiesen werde. Deshalb treffe hier die Beweislast für die Identität und den Bestand des Servitutswegs die Kläger. Der Inhalt des Kaufvertrags vom 16.Februar 1899 spreche dafür, daß der damalige Verkäufer mit einem Servitutsweg, der über die im Kaufvertrag angeführten fünf Grundstücke geführt habe, das Auslangen habe finden wollen. Die Diktion im Kaufvertrag lege dagegen nicht nahe, daß im östlichen Bereich, etwa bloß über die Grundstücke 14/2 und 11/4, ein zusätzlicher, direkter Servitutsweg angelegt und vereinbart worden sei. Sofern das beiderseitige Vorbringen nicht präzisiert werde, wäre davon auszugehen, daß 1899 nur ein einheitlicher und zusammenhängender Servitutsweg begründet worden und nur die Tatfrage zu klären sei, ob und inwieweit der nun in der Natur ersichtliche Servitutsweg mit jenem Weg identisch sei. Allfällige Verlegungen im Detail könnten für sein Fortbestehen unerheblich sein. Es könne vermutet werden, daß sich der (damalige) Verkäufer „für den ihm verbliebenen Liegenschaftskomplex (bloß) den vom Sachverständigen als Servitutsweg 1 umschriebenen Weg als Servitutsweg vorbehalten und damit das Auslangen gefunden“ habe. Für die Annahme, daß sich die Servitutsvereinbarung auch auf den Bereich, der heute in der Natur als Servitutsweg 2 aufscheine, bezogen habe, böten die angeführten Urkunden keine Grundlage. Die Frage des Umfangs und des Inhalts des vereinbarten Servitutswegs werde daher, ausgehend von den Verhältnissen in den Jahren 1899 und 1986, Gegenstand des weiteren und zu ergänzenden Beweisverfahrens sein. Im fortgesetzten Verfahren werde mit den Klägern auch zu erörtern sein, inwieweit ihre Behauptung, die Servitutswege 1 und 2 seien seit Menschengedenken, jedoch jedenfalls mehr als 30 Jahre hindurch als Gehweg benützt worden, als Behauptung der Ersitzung eines neuen eigenen Rechts zu verstehen sei. Gegenstand der Klage sei nicht bloß das östliche Ende des Servitutswegs mit den Behinderungen durch den Drahtmaschenzaun und die Abstellung von Maschinen: Vorfrage sei das Bestehen des Servitutswegs als Ganzes. Der Drahtmaschenzaun sei - ausgehend von der Informationsskizze des Sachverständigen - nicht am östlichen Ende des Grundstück 14/2 errichtet worden. Möglicherweise würden auch die Maschinen nicht dort abgestellt, wo der Servitutsweg über das Grundstück 14/2 verlaufe.
Der Rekurs der Beklagten ist jedenfalls im Ergebnis nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Das Recht des Fahrwegs (via) berechtigt als umfassendste Wegeservitut zur Ausübung des Fahrrechts für alle wirtschaftlichen Zwecke des herrschenden Grundstücks und enthält im gleichen Umfang (Zweck) auch das Gehrecht (SZ 60/205; Petrasch in Rummel2, §§ 491, 492 ABGB Rz 1; Pimmer in Schwimann, § 484 ABGB Rz 19). Grunddienstbarkeiten müssen sich nicht immer auf ganze Grundbuchskörper beziehen, sondern können auch auf bestimmte räumliche Grenzen beschränkt sein (§ 12 Abs 2 GBG). Hier ist die nun den Beklagten gehörige Liegenschaft nur mit den zu ihrem Gutsbestand gehörenden Grundstücken 56/2, 49/2 (beide hier nicht unmittelbar relevant), 11/5, 14/2 und 11/4, somit einem bestimmten räumlich abgegrenzten Teil eines Grundbuchkörpers belastet. Die Kläger streben mit ihrer Servitutenklage (actio confessoria) nach § 523 ABGB zulässigerweise (SZ 41/86 = JBl 1970, 91 = EvBl 1969/2; Pimmer aaO § 523 ABGB Rz 13) in Durchsetzung ihrer grundbücherlich eingetragenen Wegeservitut des Fahrwegs über die Liegenschaft der Beklagten als absolutes Recht die Beseitigung der ihrer Rechtsausübung entgegenstehenden Hindernisse (Errichtung eines Zauns und Abstellen von Maschinen durch die Beklagten) an zwei Stellen des Weges an. Klagegrund der Servitutenklage ist jede Störung des Servitutsrechts, selbst wenn sie nur geringfügig ist, aber dauernd wirkt, oder wenn Wiederholung droht (Petrasch aaO § 523 ABGB Rz 8; Pimmer aaO § 523 ABGB Rz 1). Neben der hier unbestrittenen Störung oder Bestreitung hat bei der actio negatoria der Kläger den Erwerb der Servitut (Übergabe, Einverleibung bei dem Eintragungszwang unterliegenden Servituten [§ 481 ABGB], beim derivativen Erwerb auch das Recht des Vormanns), bei Grunddienstbarkeiten überdies sein Eigentum am herrschenden Grund darzutun (Petrasch aaO § 523 ABGB Rz 10; Koziol/Welser, Grundriß10 II 169), wozu regelmäßig die Berufung auf den Bucheintrag genügt (Klang in Klang2 II 600). Dieser Beweis wurde bereits erbracht, die Aktivlegitimation der Kläger ist auch nicht in Zweifel gezogen.
Jedenfalls bei vertraglich begründeten, verbücherten Wegeservituten - und nur ein solcher Fall ist hier zu beurteilen - kann der Eigentümer des dienenden Guts und Störer der actio negatoria des Servitutsberechtigten sowohl den Einwand entgegensetzen, die ausgeübte Servitut entspreche nicht den Regelungen des Servitutsbestellungsvertrags, als auch, die Servitut sei erloschen, es bestehe ungeachtet der Verbücherung eine Belastung des dienenden Guts nicht mehr und er müsse deshalb die Servitut nicht mehr beachten. Beide Einwände haben die Beklagten in der Sache erhoben. Sollte sich die einverleibte Wegeservitut nach den Regelungen des Servitutsbestellungsvertrags auf die jetzt durch Benützung der Servitutswege 1 und 2 ausgeübte Servitut gar nicht beziehen oder sollte sie bereits beim Erwerb der Liegenschaften (Liegenschaftsanteile) durch die Kläger erloschen gewesen oder in der Folge erloschen sein, entbehrte die actio negatoria ungeachtet des Buchsstands der materiellrechtlichen Grundlagen und müßte sie der Abweisung verfallen, ohne daß es zuvor einer erfolgreichen Eigentumsfreiheitsklage (actio negatoria) des Liegenschaftseigentümers bedürfte.
a) Im vorliegenden Fall stellt sich vorerst die Frage nach der Identität der 1899 vertraglich begründeten Wegeservitut des Fahrrechts mit der nun von den Klägern ausgeübten Wegeservitut des Gehrechts. Die Rechtsprechung hat zur Identität des Rechtsobjekts im Servitutenrecht bisher überwiegend unter dem Gesichtspunkt der Verlegbarkeit von Servitutswegen durch den Belasteten Stellung genommen und hiezu die Ansicht vertreten, eine in mäßigen und zumutbaren Grenzen gehaltene Veränderung des Verlaufs eines Servitutswegs auf einer Liegenschaft berühre die Identität des Rechtsobjekts als solches nicht (SZ 59/50 = JBl 1986, 644; MietSlg 34.056; SZ 49/33 mit zust Anm von Pfersmann in ÖJZ 1979, 562 ua; Petrasch aaO § 484 ABGB Rz 5). Aus § 484 ABGB folgt die Berechtigung des Belasteten, den über sein Grundstück führenden Weg auch ohne Zustimmung des Berechtigten auf eine andere Stelle zu verlegen, wenn der neue Weg dem Zweck der Servitut vollkommen entspricht (MietSlg 34.057; SZ 38/162; 6 Ob 547/91 ua). Die Verlegung eines Wegs darf allerdings nicht auf ein anderes als das belastete Grundstück erfolgen, selbst wenn jenes mit dem belasteten eine wirtschaftliche Einheit bildet. Diese Einschränkung dient dem Schutz des Berechtigten, damit dieser nicht ohne Änderung der Eintragung im Grundbuch seines dinglichen Rechts verlustig geht (SZ 59/50; 1 Ob 775/78 = EvBl 1979/166; 6 Ob 603/89; Klang aaO II 565). Keineswegs könnten sich aber die Beklagten, wenn sie die Benutzung des neuen Wegs über andere Grundstücke duldet und damit den Servitutsberechtigten zu erkennen gegeben haben sollten, daß sie auf diese Weise das Fahrrecht verlegen wollten, darauf berufen, daß den Klägern als Servitutsberechtigten nur deswegen nun überhaupt keine Servitut mehr zustehe. Ein solches Verhalten verstieße eindeutig gegen die Grundsätze von Treu und Glauben, die auch im Dienstbarkeitsrecht zu gelten haben (EvBl 1979/166). Daß der begründete Servitutsweg einvernehmlich oder durch einseitige Erklärung der Verpflichteten verlegt worden wäre, steht noch nicht fest.
Das noch nicht festgestellte Ausmaß der 1899 begründeten Wegeservitut, somit der Umfang der dem Berechtigten zustehenden Befugnisse richtet sich nach dem Inhalt des Titels, insbesondere dem vorhersehbaren Zweck der Servitut (MietSlg 38.034 mwN, 35.047; SZ 56/60 = JBl 1983, 645 ua; Klang aaO II 564; Welser, Vertragsauslegung, Gutglaubenserwerb und Freiheitsersitzung bei der Wegeservitut in JBl 1983, 4 ff, 4). Im Streitfall muß der Titel ausgelegt werden. Ist Art und Ausmaß der Servitut durch den Titel unzweifelhaft konkret bestimmt, dann spricht man von einer „gemessenen“, sonst aber von einer „ungemessenen“ Servitut (4 Ob 527/93). Das Recht, auf dem Weg zu gehen, mit Fahrzeugen aller Art fahren und Vieh trieben zu dürfen, ist eine ungemessene Wegedienstbarkeit, weil deren Ausmaß und der Umfang der dem Berechtigten zustehenden Befugnisse im Titel nicht eindeutig begrenzt sind (1 Ob 597/90). Während bei gemessenen Servitut eine Erweiterung unzulässig ist (Klang aaO 564; Welser aaO 8 f), sind bei ungemessenen Servituten im Rahmen der ursprünglichen oder der vorhersehbaren Art der Bewirtschaftung die jeweiligen Bedürfnisse des Berechtigten maßgebend (JBl 1990, 584; SZ 56/60, SZ 52/99 ua). Schon nach allgemeinen servitutsrechtlichen Grundsätzen orientiert sich der Inhalt einer „ungemessenen“ Servitut zwar am jeweiligen Bedürfnis des herrschenden Guts, ein solches Recht findet aber seine Grenzen in dessen ursprünglichem Bestand und dessen ursprünglicher Bewirtschaftungsart: Die Servitut soll zwar der fortschreitenden technischen Entwicklung angepaßt, nicht aber wegen Vergrößerung des herrschenden Guts oder wegen Änderung der Betriebsart ausgedehnt werden. Ungemessene Servituten sind demnach auf den Zweck ihrer Bestellung einzuschränken (JBl 1979, 429 = EvBl 1978/165 uva; Petrasch aaO § 480 und § 484 ABGB, je Rz 1). Diese Grundsätze sind bei der Vertragsauslegung zu berücksichtigen. Bedeutung kommt dabei auch der Frage zu, ob die verbücherte Wegeservitut einen Weg oder in Wahrheit zwei Wege betraf, die ein unterschiedliches Schicksal haben können.
Die Auffassung der zweiten Instanz, die Kläger hätten im speziellen vorliegenden Fall auch den Beweis des Fortbestands des Servitutsrechts - gemeint ist hier die Identität des Rechtsobjekts der Servitut - zu führen, kann in dieser Allgemeinheit nicht geteilt werden. Der berufungsgerichtliche Hinweis auf die Entscheidung MGA ABGB34 § 523 E 16 ist deshalb nicht zielführend, weil danach der Servitutsberechtigte die (derzeitige) Ausübung der Servitut zu beweisen hat, die aber hier von den Beklagten ohnehin zugestanden wurde. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß bei einer verbücherten Wegeservitut der in der Natur vorhandene Weg auf dem belasteten Grundstück der Servitutsweg ist, die Identität ist demnach keine rechtsbegründende Tatsache, für die der Kläger beweispflichtig ist. Es ist vielmehr Sache des Störers, darzutun, daß der Servitutsberechtigte gerade kein Recht zur Benützung des in der Natur vorhandenen Wegs hat, soweit er über Grundstücke verläuft, die mit der verbücherten Servitut belastet sind. Denn auch hier trifft den Anspruchsgegner jedenfalls die Beweislast für rechtsvernichtende und rechtshemmende Umstände gemäß den allgemeinen Beweislastregeln, daß jede Partei die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen hat (NZ 1986, 188 mwN; 1 Ob 15, 16/94 ua; Fasching III 234). Wenn ein Teil des Wegs derzeit außerhalb der mit der Servitut bücherlich belasteten Grundstücke verläuft, ist es dagegen insoweit Sache des Klägers, die Identität dahin darzutun, daß eine derartige Verlegung zumindest die stillschweigende Billigung durch die Eigentümer des betroffenen Grundstücks fand. Den weiteren Ausführungen der zweiten Instanz zur Tatfrage der Identität des jetzt bestehenden mit dem vertraglich begründeten Servitutsweg - freilich unter der rechtlichen Prämisse, daß dabei die soeben erörterte Beweislastverteilung zu beachten ist, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten. Auf die entsprechenden Rekursausführungen der Kläger ist demnach gar nicht erst einzugehen. Eine Stellungnahme zur Vertragsauslegung im konkreten Fall wäre verfrüht.
b) Dienstbarkeiten erlöschen nicht schon dann, wenn der Nutzen für das herrschende Grundstück auch auf andere Weise erreicht werden kann, sondern erst bei völliger Zwecklosigkeit (SZ 66/53 = EvBl 1993/175; EvBl 1980/22; EvBl 1979/69 ua; Koziol/Welser aaO II 170; Petrasch aaO § 524 ABGB Rz 4).
Neben den besonderen, hier nicht in Frage kommenden Erlöschungsgründen, wie der Untergang des dienstbaren oder herrschenden Grundes (§ 525 ABGB), die Vereinigung (§ 526 ABGB) oder der Zeitablauf (§ 527 ABGB) ua (vgl dazu Petrasch aaO § 524 ABGB Rz 1 ff), erlöschen gemäß § 524 ABGB Servituten im allgemeinen auf diejenigen Arten, wodurch nach dem dritten oder vierten Hauptstücke des dritten Teils Rechte und Verbindlichkeiten überhaupt aufgehoben werden. Inhaltlich machen die Beklagten noch erkennbar den auch für Dienstbarkeiten bestehenden Erlöschungsgrund der Verjährung geltend. Verjähren können Dienstbarkeiten in zweifacher Weise. Es kann einerseits schlichter Nichtgebrauch vorliegen; dann beginnt die Verjährung, wenn die an sich mögliche Rechtausübung unterbleibt und innerhalb von 30 oder 40 Jahren auch nicht wieder einsetzt. Andererseits verjährt gemäß § 1488 ABGB das Recht der Dienstbarkeit auch durch den Nichtgebrauch, wenn sich der verpflichtete Teil bei Ausübung der Servitut widersetzt und der Berechtigte durch drei aufeinanderfolgende Jahre sein Recht nicht geltend gemacht hat (sogenannte Freiheitsersitzung oder usucapio libertatis). Wird ein Hindernis errichtet, das die Ausübung der Servitut nur beschränkt, so führt die usucapio libertatis nach § 1488 ABGB zu einer Einschränkung der Dienstbarkeit (SZ 48/74; 2 Ob 529/90; zuletzt 1 Ob 15, 16/94; Schubert in Rummel2, § 1488 ABGB Rz 2; Mader in Schwimann, § 1488 ABGB Rz 4; Klang aaO VI 632). Es ist daher denkbar, daß das Fahrrecht auf ein Gehrecht eingeschränkt wird. Den Anspruchsgegner trifft jedenfalls die Beweislast für rechtsvernichtende und rechtshemmende Umstände gemäß den allgemeinen Beweislastregeln, daß jede Partei die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen hat (NZ 1986, 188 mwN; 1 Ob 15, 16/94 ua; Fasching III 234). Daher müssen die Beklagten alle Voraussetzungen für eine Verjährung der Servitut behaupten und beweisen (MietSlg 38.246; Schubert aaO § 1488 ABGB Rz 1).
c) Der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, bei einer allfälligen Verjährung der Dienstbarkeit könnten die Kläger bzw ihre Rechtsvorgänger die Servitut des Fahrwegs außerbücherlich ersessen haben, ist zutreffend. Denkbar ist, daß bloß ein Gehrecht, das einen gebahnten Weg nicht voraussetzt (SZ 60/205; SZ 51/77 ua), neu begründet wurde.
Unter diesen Aspekten hat der Erstrichter den Sachverhalt mit den Parteien zu erörtern und dann die notwendigen Feststellungen zu treffen. Lassen sich solche nicht treffen, kommen die aufgezeigten Beweislastregeln zum Tragen. Aus diesen Erwägungen ist der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichts zu bestätigen.
Der Kostenvorbehalt fußt auf dem § 52 Abs 1 ZPO.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Harald K*****, und 2.Yvonne K*****, beide vertreten durch Dr.Josef List, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1. Alois Z*****, und 2. Alois Josef Z*****, beide vertreten durch Dr.Alfred Lind und Dr.Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen Entfernung eines Zauns (Streitwert 50.000 S) folgenden
Beschluß
gefaßt:
Rechtliche Beurteilung
Im Beschluß vom , AZ 1 Ob 622/95, wird der offenkundige Schreibfehler dahingehend berichtigt, daß in der Begründung (in der nicht anonymisierten Beschlußausfertigung Seite zehn, achte und
22. Zeile von oben sowie Seite elf, vierte Zeile von oben = in der anonymisierten Beschlußausfertigung Seite zehn, erste und 15.Zeile von oben, dritte Zeile von unten) der Ausdruck "actio negatoria" durch "actio confessoria" zu ersetzen ist (§ 419 ZPO).
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:1996:0010OB00622.95.0625.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
QAAAD-35709