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OGH vom 30.06.2022, 4Ob114/22a

OGH vom 30.06.2022, 4Ob114/22a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny und Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des Betroffenen R* F*, über den Revisionsrekurs des bestellten Rechtsbeistands und einstweiligen Erwachsenenvertreters Mag. H*, gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom , GZ 2 R 37/22z-35, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die bestellten den Revisionsrekurswerber zum Rechtsbeistand sowie zum einstweiligen Erwachsenenvertreter für die Vertretung in behördlichen und Schuldenangelegenheiten, die Verwaltung von Einkünften und die Vertretung bei Verträgen zur Deckung des Pflege- und Betreuungsbedarfs sowie im Zusammenhang mit der Nutzung des gemieteten Wohnraums.

[2] Der dagegen erhobene des einstweiligen Erwachsenenvertreters ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Rechtsanwälte müssen auch nach § 275 ABGB idF des 2. ErwSchG (BGBl I 2017/59) gerichtliche Erwachsenenvertretungen grundsätzlich übernehmen, sofern nicht ein in dieser Bestimmung genannter Ablehnungsgrund vorliegt (6 Ob 143/19a; RS0123440 [T12]). Dazu gehört gemäß Z 3 auch, dass dem Rechtsanwalt die Bestellung zum Erwachsenenvertreter unter Berücksichtigung seiner persönlichen, familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnisse nicht zugemutet werden kann. Dies wird bei mehr als fünf gerichtlichen Erwachsenenvertretungen (widerleglich) vermutet.

[4] Ob die vom Rechtsanwalt behaupteten Umstände die Übernahme der konkreten Erwachsenenvertretung tatsächlich unzumutbar machen, wirft grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage nach § 62 Abs 1 AußStrG auf (RS0123440 [T9]). Der Rechtszug an den Obersten Gerichtshof ist daher nur dann eröffnet, wenn die zweite Instanz bei Beurteilung dieses Einzelfalls von den allgemeinen Grundsätzen abgewichen ist und so ihren Ermessensspielraum überschritten hat, oder wenn ihr in anderer Weise eine krass fehlerhafte Ermessensübung unterlaufen ist, die im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf (vgl RS0108756 [T2]).

2. Nach der Rechtsprechung begründet nur eine konkret geltend zu machende, individuelle und extreme berufliche Belastung eine Unzumutbarkeit iSd § 275 Z 3 ABGB (RS0123440 [T6, T8]). Dabei setzt sie die Latte sehr hoch an, um den Gesetzeszweck einer raschen Fürsorge für die Betroffenen zu gewährleisten (3 Ob 20/12f; 3 Ob 19/08b).

[6] So wurde etwa bei folgenden Belastungsszenarien die Bestellung zum Erwachsenenvertreter noch als zumutbar angesehen: wenn der Rechtsanwalt schon zwei Sachwalterschaften und „zahlreiche“ Verfahrenshilfen übernommen hat (3 Ob 19/08b); wenn ein Familienvater 10 bis 12 Stunden täglich als Rechtsanwalt arbeitet und zum Erwachsenenvertreter einer „höchst gefährlichen Person“ bestellt werden soll (3 Ob 55/16h); wenn der Rechtsanwalt bereits drei aufwändige Sachwalterschaften übernommen hat und auch in den Abendstunden und am Wochenende arbeitet, wobei eine private Hausverwaltung 50 % seiner Arbeitszeit in Anspruch nimmt (3 Ob 124/16f); wenn der Erwachsenenvertreter die Rechtsanwaltschaft allein und ohne Sekretariat ausübt (3 Ob 20/12f); oder wenn der Rechtsanwalt bereits das Alter überschritten hat, bis zu dessen Erreichung Arbeitspflicht im Lichte der Altersversorgung nach § 50 RAO besteht (5 Ob 70/12y).

[7] Im Lichte dieser Rechtsprechung wird im Rechtsmittel keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung aufgezeigt, wenn die Vorinstanzen die Bestellung des Rechtsmittelwerbers zum Erwachsenenvertreter für zumutbar hielten, obwohl zwei langjährige Mitarbeiterinnen aus seiner Kanzlei ausgeschieden seien; er als geschäftsführender Gemeinderat in seiner Heimatgemeinde tätig sei; und er derzeit eine seit Anfang 2022 bestehende Sprechstelle aufbaue.

3. Richtig zeigt der Revisionsrekurswerber auf, dass auch eine große Entfernung zwischen der ausgewählten und der vertretenen Person (und daraus etwa resultierende hohe Kosten oder besondere Beschwernisse in der Ausübung der Vertretung) die Unzumutbarkeit begründen kann (RV 1420 BlgNR 22. GP 13; Weitzenboeck in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 [2018] § 275 Rz 5).

[9] Jedoch ist in der Annahme der Zumutbarkeit trotz rund 45 Autominuten Wegzeit je Fahrtrichtung im ländlichen Raum noch keine krass fehlerhafte Ermessensübung der Vorinstanzen zu erblicken, zumal die Vertretung in finanziellen, behördlichen und rechtsgeschäftlichen Belangen – etwa mit einem Nachsendeauftrag an die Adresse des Erwachsenenvertreters – voraussichtlich auch ohne häufiges Aufsuchen des Hauses des dementen Betroffenen bewerkstelligt werden kann.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00114.22A.0630.000

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