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OGH vom 10.08.2010, 1Ob124/10g

OGH vom 10.08.2010, 1Ob124/10g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache des Antragstellers Nikolaus E*****, vertreten durch Haslinger/Nagele Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Ausfolgung des beweglichen Nachlasses der am ***** verstorbenen Sonja Susanne W***** (Streitwert: 303.669,11 EUR), über den Revisionsrekurs der Republik Österreich (Bundesministerium für Finanzen), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 54 R 4/10z 17, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom , GZ 3 A 208/09w 14, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsteller hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Erblasserin war deutsche Staatsangehörige mit Aufenthalt in München. Sie hatte bei einer österreichischen Bank ein Girokonto und ein Wertpapierdepot. Das Amtsgericht München bestellte am den Antragsteller zum Nachlasspfleger für unbekannte Erben.

Das Erstgericht wies den am gestellten Antrag des Nachlasspflegers auf Ausfolgung der österreichischen Bankguthaben zurück, leitete das Verlassenschaftsverfahren ein und bestimmte einen Verlassenschaftskurator zur Vertretung und Verwaltung des in Österreich gelegenen ruhenden Nachlasses. Es bejahte die inländische Gerichtsbarkeit iSd § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN. Ein deutsches Gericht wäre zur Abhandlung des in Österreich vorhandenen beweglichen Vermögens nur zuständig, wenn ein deutscher Staatsangehöriger ohne letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland Erben hinterlassen hätte. Das gelte jedoch nicht bei einem wie hier erblosen Nachlass, weil ansonsten der Republik Österreich die Durchsetzung ihres Heimfallsrechts in einem vor einem deutschen Gericht über einen erblosen Nachlass geführten Verfahren unmöglich gemacht werde.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers Folge, hob den angefochtenen Beschluss ersatzlos auf und trug dem Erstgericht die Durchführung des beantragten Ausfolgungsverfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit über 30.000 EUR und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Mangels einer staatsvertraglichen Regelung über die internationale Zuständigkeit zur Verlassenschaftsabhandlung im Verhältnis Österreich zu Deutschland sei die Zuständigkeit der österreichischen Verlassenschaftsgerichte nach § 106 Abs 1 JN in der Fassung des AußStrG BegleitG, BGBl 2003/112, zu beurteilen. Nach § 106 Abs 1 Z 2 JN sei im Inland gelegenes bewegliches Vermögen in Österreich abzuhandeln, wenn der Verstorbene zuletzt entweder österreichischer Staatsbürger war (lit a) oder seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt hatte (lit b) oder wenn die Durchsetzung aus dem Erbrecht, Pflichtteilsrecht oder einer letztwilligen Erklärung abgeleiteter Rechte im für die Durchsetzung sonst in Frage kommenden Ausland unmöglich ist (lit c). Die Gesetzesmaterialien würden keine Auskunft geben, was unter lit c zu subsumieren sei. Allerdings werde zu dem im Ausland gelegenen beweglichen Vermögen (§ 106 Abs 1 Z 3 lit b JN) ausgeführt, dass die Abhandlungsgerichtsbarkeit Österreichs möglichst eingeschränkt sein sollte, weil eine Abhandlung über ausländische Fahrnisse und Forderungen große praktische Probleme bereite und in aller Regel nicht so gut geeignet sei, Interessen der Erben und sonstigen Beteiligten wahrzunehmen, wie eine Abhandlung im Lagestaat. Das lasse den Schluss zu, dass es nur in besonderen Ausnahmefällen zu einer Abhandlung in Österreich kommen solle, weshalb bei der Beurteilung, ob die Durchsetzung des Erbrechts im Ausland unmöglich sei, ein strenger Maßstab anzulegen sei. Wegen des identischen Wortlauts von § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN müsse für die dort geregelte Konstellation eines inländischen beweglichen Vermögens eines Ausländers ohne letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland dasselbe gelten. Eine solche Unmöglichkeit der Rechtsdurchsetzung könne entweder auf rechtliche (vor allem auf eine mangelnde internationale Zuständigkeit) oder faktische Umstände (zB Untätigkeit der zuständigen Behörde) zurückzuführen sein. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs erfülle eine zu erwartende Ab bzw Zurückweisung eines Anspruchs durch ein ausländisches Gericht aus materiellen Gründen nicht den Tatbestand der (vergleichbaren) Bestimmung des § 28 Abs 1 Z 2 JN. Insbesondere dürfe die Ordination nicht dazu dienen, dass der Antragsteller eine bestimmte materielle Rechtslage vermeiden könne, die er subjektiv als Härte oder als ungerecht empfinde. Vielmehr müsse ein unabweisbares Bedürfnis für die Gewährung gerade inländischen Rechtsschutzes bestehen. Das sei zu bejahen, wenn das zuständige Gericht im Ausland aller Voraussicht nach das Begehren aus Gründen zurück oder abweisen werde, die gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts verstoßen würden. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Die Durchsetzung der Rechte aus dem Erbrecht/Pflichtteilsrecht oder aus einer letztwilligen Erklärung im Ausland sei keinesfalls unmöglich, sei doch über den Nachlass vor dem Amtsgericht München ein Nachlassverfahren eingeleitet und ein Nachlasspfleger zur Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie Ermittlung der Erben bestellt worden. Selbst wenn die Verlassenschaft tatsächlich erblos sein sollte (was im jetzigen Zeitpunkt noch nicht feststehe) und die Republik Österreich Kaduzierungsansprüche auf das bewegliche Vermögen der Erblasserin in Österreich erheben würde, widerspreche die Geltendmachung des Heimfallsrechts des österreichischen Staats vor einem deutschen Abhandlungsgericht keinesfalls dem österreichischen ordre public.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Republik Österreich ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Zur Rechtsmittellegitimation:

Nach § 184 Abs 1 AußStrG ist eine erblos (§ 760 ABGB) verbliebene Verlassenschaft nach Ablauf der nach § 157 Abs 2 leg cit gesetzten Frist zur Errichtung des Inventars auf Antrag der Finanzprokuratur der Republik Österreich zu übergeben. Die Finanzprokuratur bzw die Republik Österreich, der das Heimfallsrecht ja letztlich zusteht, erlangt zwar grundsätzlich erst Parteistellung, wenn sich innerhalb der genannten Frist kein Erbe gefunden hat. Allerdings kann auch die Finanzprokuratur nach § 160 AußStrG eine Erbantrittserklärung bestreiten ( Fucik/Kloiber AußStrG § 184 Rz 4). Hier hat die Finanzprokuratur bereits die Ausübung des Heimfallsrechts angekündigt (ON 11), konnte dies aber klarerweise noch nicht umsetzen, weil bis jetzt nur eine Todfallsaufnahme errichtet wurde und sich das Verfahren noch nicht im Stadium der Errichtung eines Inventars befindet. In dieser Situation ist es sachgerecht, der Republik Österreich/der Finanzprokuratur ein Rechtsmittelrecht zuzubilligen, was die höchstgerichtliche Judikatur im ähnlichen Fall von Anerben, welche Beschlüsse im Zusammenhang über die Feststellung der Erbhofeigenschaft vor Abgabe ihrer (jetzt) Erbantrittserklärung bekämpften, bejaht hat (RIS Justiz RS0006398 [T7 und T 10]). Auch einem berufenen Erben, der bereits sein Interesse am Erbantritt erklärt hat, soll ja die Rechtsmittellegitimation dann nicht verwehrt werden, wenn die Erb( antritt )serklärung aus nicht seiner Sphäre zuzurechenden Gründen unterblieben ist (RIS-Justiz RS0006398 [T8]).

Zur inländischen Gerichtsbarkeit nach § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN:

Der erkennende Senat hält die Begründung des Rekursgerichts für zutreffend (§ 71 Abs 3 Satz 2 AußStrG). Es soll eben nur in besonderen Ausnahmefällen zu einer Abhandlung in Österreich kommen, was dafür spricht, bei der Beurteilung, ob die Durchsetzung des Erbrechts im Ausland unmöglich ist, einen strengen Maßstab anzulegen, und zwar auch in der hier vorliegenden Konstellation eines inländischen beweglichen Vermögens eines Ausländers ohne letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (10 Ob 17/06g = RIS Justiz RS0120641).

Es ist zwar richtig, dass bei Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung in Deutschland nach deutschem Recht ein Antrag der Republik Österreich auf Übergabe eines (angeblich) erblosen Nachlasses erfolglos wäre, wenn nach dem materiellen deutschen Recht nur ein Heimfallsrecht des deutschen Staats gegeben ist. Ein derartiges Ergebnis widerspricht zweifellos den Interessen des österreichichen Staats, verstößt allerdings nicht schon deshalb gegen den österreichischen ordre public. Nach § 29 IPRG tritt zwar an die Stelle des Rechts des Personalstatuts des Erblassers (§ 28 Abs 1 IPRG) das Recht des Staats, in dem sich Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes befindet, wenn der Nachlass nach dem im § 28 Abs 1 IPRG bezeichneten Recht erblos ist, oder er einer Gebietskörperschaft als gesetzlichem Erben zukommen würde. Das Argument der Revisionsrekurswerberin, das Ergebnis des Rekursgerichts würde die Anwendung des § 29 IPRG im Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich ausschließen, übersieht, dass die innerstaatlichen Regelungen über die internationale Zuständigkeit in Verlassenschaftssachen durch das AußStrG BegleitG grundlegend reformiert wurden. Der Gesetzgeber hat sich eben zu einer Lösung entschlossen, nur in besonderen Ausnahmefällen die inländische Gerichtsbarkeit zur Abhandlung eines beweglichen Nachlasses ausländischer Staatsangehöriger zuzulassen. Nach dem Gesetzestext sollen auch nur diejenigen vor der Unmöglichkeit einer Rechtsdurchsetzung im Ausland geschützt werden, die ihre Rechte aus dem Erbrecht, Pflichtteilsrecht oder einer letztwilligen Erklärung ableiten. Damit zählen eindeutig gesetzliche oder testamentarische Erben, Pflichtteilsberechtigte oder Legatare zu dem geschützten Personenkreis. Wäre es tatsächlich Intention des Gesetzgebers gewesen, derartige Konstellationen (konkurrierende, also je nach Abhandlungsstaat einander ausschließende Heimfallsrechte zweier Staaten) im Hinblick auf § 29 IPRG zu vermeiden, wäre eine entsprechende Sonderregelung zu Gunsten des österreichischen Fiskus zu erwarten gewesen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 185 AußStrG, der in Verlassenschaftsverfahren abweichend von der allgemeinen Regel des § 78 AußStrG den Ersatz von Vertretungskosten ausdrücklich ausschließt. Die in der zuerst genannten Bestimmung zitierte Ausnahme das Verfahren über das Erbrecht (aufgrund einander widersprechender Erbantrittserklärungen) ist hier nicht gegeben.