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OGH vom 24.08.2022, 7Ob121/22b

OGH vom 24.08.2022, 7Ob121/22b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei M* L*, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Gegner der gefährdeten Partei L* J*, vertreten durch Linsinger & Partner Rechtsanwälte OG in St. Johann/Pongau, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung, über den Rekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 4/22t-9, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Zell am See vom , GZ 25 C 40/21h-5, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Die gefährdete Partei (in Hinkunft Antragstellerin) beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhalts, dem Gegner der gefährdeten Partei (in Hinkunft Antragsgegner) 1. den Aufenthalt an ihrer gesamten – näher bezeichneten – Liegenschaft sowie 2. sich ihr auf weniger als 10 m zu nähern, zu verbieten. Am , habe der Antragsgegner mit einer Spitzhacke den – über ihr Grundstück verlaufenden – Weg beschädigt. Als sie ihn zur Rede gestellt habe, sei er plötzlich mit erhobener Spitzhacke auf sie losgegangen. Durch den Angriff habe sie Distorsionen im Halswirbel, Schulter und Kniebereich erlitten. Der Vorfall sei – durch ein mit ihrem Mobiltelefon aufgenommenes Video – dokumentiert. Anlass für die begehrte einstweilige Verfügung seien der körperliche Angriff des Antragsgegners sowie dessen massive Beschimpfungen und Bedrohungen. Diese würden eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität darstellen. Da der Antragsgegner konsequent das Ziel verfolge, sie einzuschüchtern und keine Gelegenheit auslasse, ihr das Leben schwer zu machen, könne sie ihre Liegenschaften nicht so nutzen, wie sie es gerne würde und sei daher in ihrer Privatsphäre und Lebensführung eingeschränkt. Es bestehe Gefahr in Verzug, zumal nicht vorhersehbar sei, ob und wann der Antragsgegner sie erneuert körperlich attackiere.

[2] Als Bescheinigungsmittel berief sich die Antragstellerin unter anderem auf das „TatVideo“ und daraus hergestellte Standbilder (Beilage ./B).

[3] Der Antragsgegner beantragte die Abweisung der einstweiligen Verfügung. Nicht er mache der Antragstellerin, sondern vielmehr sie ihm das Leben so schwer wie möglich und sei stets auf Konfrontationskurs. Am habe er Wegarbeiten zur Oberflächenentwässerung des – ihm zugehörigen – Servitutswegs mittels Spitzhacke ausgeführt. Während er mit der Grabenziehung beschäftigt gewesen sei, sei ihm plötzlich von hinten mit der Faust auf den Rücken geschlagen worden. Als er sich umgedreht habe und dabei einige Schritte talwärts gegangen sei, sei die Antragstellerin mit dem Handy filmend hinter ihm gestanden, habe eine Besitzstörung behauptet und eine Anzeige aufgrund der von ihm durchgeführten Instandhaltungsarbeiten angekündigt. Er habe darauf geantwortet, dass dies sein Servitutsweg sei und er daher die Entwässerung durchführen dürfe. Weiters habe er der Antragstellerin gesagt, dass sie nicht fotografieren brauche und Richtung talwärts verschwinden solle. In der Folge habe es eine verbale Auseinandersetzung in der Dauer von weniger als fünf Minuten gegeben, bei welcher die Streitparteien sich mit einem Abstand von einem Meter gegenübergestanden seien und er die Spitzhacke weiterhin in den Händen gehalten habe. Danach habe er sich wieder umgedreht, um sich weiter um die Wegentwässerung zu kümmern.

[4] Der Antragsgegner begehrte die Standbilder des TatVideos zurückzuweisen, weil diese gemäß § 12 DSG rechtswidrig erstellt worden und daher unzulässig seien; der Tatbestand gemäß § 13 DSG sei nicht erfüllt. Gegen die Vorlage des USBSticks mit dem „Tatvideo“ sprach sich der Antragsgegner ebenfalls aus. Die Antragstellerin habe sich zu Beginn der Anfertigung der Videoaufnahme in keinerlei Beweisnot befunden, weil laut ihren eigenen Angaben noch keine Rechtsverletzungen ersichtlich gewesen seien.

[5] Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung einer einstweilige Verfügung ab, traf zu den Vorgängen am eine Negativfeststellung und führte aus, dass weder die Beilage ./B (Standbilder) noch der USBStick mit einer Videoaufzeichnung bewertet werden könnten, weil der Antragsgegner als gefilmte Person in die Verarbeitung der personenbezogenen Daten nicht aktiv eingewilligt habe. Die Antragstellerin habe den von ihr behaupteten Angriff des Antragsgegners daher nicht bescheinigen können.

[6] Das Rekursgericht hob den erstgerichtlichen Beschluss auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Für das Bescheinigungsverfahren gelte § 274 ZPO (§§ 78, 402 Abs 4 EO). Nach dessen Abs 2 sei eine Beweisaufnahme zur Glaubhaftmachung eines Umstands nicht an besondere für das Beweisverfahren bestehende Vorschriften gebunden; das Gericht sei auch nicht auf die in der ZPO ausdrücklich aufgezählten Beweismittel beschränkt. Die Antragstellerin habe zur Bescheinigung ihrer Behauptung, dass der Antragsgegner mit erhobener Spitzhacke auf sie losgegangen sei, die Beilage ./B (Standbilder des „TatVideos“) und einen USBStick mit dem „TatVideo“ angeboten. Diese Bescheinigungsmittel könnten als Augenscheinsgegenstände und grundsätzlich auch als geeignete Beweismittel qualifiziert werden. Die rechtswidrige Erlangung eines Beweismittels habe keine Auswirkungen auf die Verwertbarkeit im Prozess. Die Ablehnung der Verwertung bzw Aufnahme der angebotenen Bescheinigungsmittel verwirkliche daher einen wesentlichen Verfahrensmangel.

[7] Das Rekursgericht ließ den Rekurs zu, eine Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofs zu Beweisverwertungsverboten infolge der rechtswidrigen Erlangung von Beweismittel fehle.

[8] Gegen diesen Beschluss richtet sich der (richtig § 78 EO§ 527 ZPO) Rekurs des Antragsgegners mit dem Antrag, den Beschluss des Rekursgerichts dahin abzuändern, dass der antragsabweisende erstgerichtliche Beschluss bestätigt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Antragstellerin begehrt, den Rekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

[10] Der Rekurs ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1.1 Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits mehrmals mit dem Bestehen und der Wahrnehmung von in der ZPO nicht geregelten Beweisverwertungsverboten im Zivilprozess auseinandergesetzt:

[12] In 2 Ob 272/97g ging der Oberste Gerichtshof davon aus, dass die Verletzung eines Beweisverwertungsverbots durch das Berufungsgericht an sich keine Nichtigkeit und keine Mangelhaftigkeit im Sinn des § 503 Z 2 ZPO begründe. Die grundsätzliche Frage, wie rechtswidrig erlangte Beweismittel im Zivilprozess zu behandeln sind, konnte unbeantwortet bleiben.

[13] In 4 Ob 247/99y legte der Oberste Gerichtshof unter Bezugnahme auf Vorjudikatur und Lehre dar, dass in einem Zivilverfahren, in dem nach dem Gang des Verfahrens ein Prozessbetrugsversuch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne und trotz einer Vielzahl von aufgenommenen Personalbeweisen – einschließlich der Vernehmung der Streitteile – der Beweiswert dieser Beweismittel offenbar sehr dürftig sei, eine Notwehrsituation vorliege, in der – auch wenn man die Vornahme einer Interessenabwägung für notwendig erachte – die Zulässigkeit des beantragten – allenfalls auch rechtswidrig erlangten –Beweismittels (Abhörung eines Tonbands) zu bejahen sei.

[14] Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung gelangte der Oberste Gerichtshof in 3 Ob 131/00m zum Ergebnis, dass eine rechtswidrig erlangte Tonbandaufnahme nach entsprechender Interessenabwägung nur in besonderen Ausnahmefällen (Notwehr, Notstand, Verfolgung überragender berechtigter Interessen) in einem Rechtsstreit verwendet werden dürfte. Gäbe es im Prozess weitere Beweismittel wie beispielsweise Zeugen, stelle die Rechtsansicht des Rechtsmittelgerichts, dass Rechtsfertigungsgründe für die geheime Tonbandaufnahme nicht vorlägen, keine Fehlbeurteilung dar.

[15] Ausführlich beschäftigte sich 6 Ob 190/01m mit der Frage der Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel. Der in seinem Recht auf das Wort Verletzte habe grundsätzlich einen Anspruch auf Unterlassung der Verwertung rechtswidrig erlangter Tonaufzeichnungen. Benötige eine Partei derartige Beweismittel unbedingt in einem Verfahren infolge Beweisnotstands, sei eine Güter und Interessenabwägung vorzunehmen. Für die Annahme eines rechtfertigenden Beweisnotstands reiche nicht schon das allgemeine Interesse jeder Partei, über ein besonderes beweiskräftiges Beweismittel zu verfügen. Dem Beweisführer obliege der Beweis, dass er die Tonaufzeichnung bei sonstiger Undurchsetzbarkeit seines Anspruchs benötige und dass der von ihm verfolgte Anspruch und seine subjektiven Interessen höherwertig seien, als die bei der Erlangung des Beweismittels verletzte Privatsphäre des Prozessgegners. Unter Hinweis auf dem Beweisführer zur Verfügung stehende andere Beweismittel – darunter auch das Transkript der Tonaufzeichnung – gab der Oberste Gerichtshof dem Begehren auf Unterlassung der Verwertung der rechtswidrig erlangten Tonaufzeichnung statt.

[16] In 1 Ob 172/07m und 3 Ob 16/10i gelangte der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass jedenfalls bei Transkripten solcher (rechtswidriger) Tonaufnahmen für die prozessuale Verwertbarkeit eine Interessenabwägung nicht vorzunehmen ist.

[17] In der Entscheidung 4 Ob 139/17w ging der Oberste Gerichtshof davon aus, dass es in besonderen Ausnahmefällen (Notwehr, Notstand, Verfolgung überragender Interessen) zulässig sei, auch rechtswidrig erlangte Tonbandaufnahmen jedenfalls dann zu verwenden, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein Prozessbetrugsversuch des Prozessgegners vorliegt.

[18] In 6 Ob 16/18y sprach der Oberste Gerichtshof zu § 50a DSG (der durch BGBl I Nr 120/2017 mit außer Kraft gesetzt wurde; nunmehr enthalten die §§ 12, 13 DSG die Regelungen zur Bildverarbeitung) aus, dass die Videoüberwachung eines Servitutswegs zur Gewinnung von Beweismitteln nicht rechtmäßig sei, da dies unter keinen der gesetzmäßigen Gründe für einen Eingriff in das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen fällt und § 50a Abs 3 und 4 DSG die Beweissicherung für einen Zivilrechtsstreit nicht explizit nenne. Der Oberste Gerichtshof hielt allerdings weiters fest, dass aus dem Umstand der Unzulässigkeit für die (nicht zu beurteilende) Verwertbarkeit von Aufnahmen einer privaten Videoüberwachung als Beweismittel in einem Zivilprozess nichts abzuleiten ist.

[19] 1.2 In der ZPO sind Beweisverwertungsverbote nicht geregelt. Sie und die Notwendigkeit einer Interessenabwägung werden von der herrschenden Lehre – zur Rechtslage vor Inkrafttreten der DSGVO – nicht befürwortet (vgl Rechberger in Fasching/Konecny³ Ⅲ/1 Vor § 266 ZPO Rz 70 [Stand , rdb.at]; Rechberger/Klicka, Kommentar zur ZPO⁵ [2019] Vor § 266 Rz 24 mwN; Werderitsch, DSGVO: Beweisverwertungsverbot auf Umwegen, RdW 2021, 242; Spitzer in Spitzer/Wilfinger, Beweisrecht Vorbemerkungen zu §§ 266 ff ZPO Rz 29 f [Stand , rdb.at]). Dies fußt auf der sogenannten Trennungsthese, wonach der Schutzzweck jener Normen, welche die Gesetzwidrigkeit einer Beweismittelerlangung begründen, nicht in das Zivilprozessrecht hineinreicht und ein Beweisverwertungsrecht der Wahrheitspflicht und der abschließenden Regelung der ZPO entgegensteht; zudem soll das Gericht nicht gezwungen sein, sehenden Auges ein falsches Urteil zu fällen (Klicka,Beweis(verwertungs)verbote im Arbeitsrecht? ZAS 2020/4; Werderitsch aaO, Kodek, Die Verwertung rechtswidriger Tonbandaufnahmen und Abhörergebnisse im Zivilverfahren, Zugleich ein Beitrag zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel (Teil II) ÖJZ 2001, 334 ff). 6 Ob 16/18y wird dahin verstanden, dass ein Verstoß gegen das DSG kein Beweisverwertungsverbot der rechtswidrig erlangten Aufnahme im Zivilprozess nach sich zieht (vgl Werderitsch aaO, Klicka aaO).

[20] 2.1 Zusammengefasst folgt, dass nach der Rechtslage vor Inkrafttreten der DSGVO kein generelles Beweisverwertungsverbot rechtswidrig erhaltener Beweismittel bestand. Fraglich ist, ob das Inkrafttreten der DSGVO die dargelegten Grundsätze beeinflusst:

[21] 2.2 Art 6 Abs 1 DSGVO enthält eine erschöpfende und abschließende Liste von sechs Fällen, in denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten als rechtmäßig gilt. Art 6 Abs 1 lit f DSGVO ermöglicht die Verarbeitung personenbezogener Daten in „Gleichordnungsverhältnissen“ unter Privaten, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen eines Verantwortlichen oder eines Dritten (vgl Art 4 Z 10) erforderlich ist. Diese berechtigten Interessen stellen jedoch dann keine ausreichende Begründung für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung dar, wenn die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen. Im Kern ist eine Abwägung der berührten Interessen (Interessenabwägung) im Einzelfall vorzunehmen, wobei auch zu prüfen ist, ob eine betroffene Person zum Zeitpunkt der Erhebung der personenbezogenen Daten und angesichts der Umstände unter denen sie erfolgt, vernünftigerweise absehen kann, dass möglicherweise eine Verarbeitung für diesen Zweck erfolgen wird. Fällt diese Interessenabwägung zu Gunsten des Verantwortlichen oder eines Dritten aus, ist die Verarbeitung grundsätzlich zulässig (Kastelitz/Hötzendorfer/Tschohl in Knyrim, DatKomm Art 6 DSGVO Rz 49 ff [Stand , rdb.at]).

[22] Art 9 Abs 2 lit f DSGVO ermöglicht die Verarbeitung sensibler Daten bei der Geltendmachung, Ausübung und Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit. Durch diese Regelung soll vermieden werden, dass ein Rechtsanspruch vor Gerichten, in einem Verwaltungsverfahren oder außergerichtlich nicht geltend gemacht werden kann (und damit letztlich nicht durchsetzbar ist) oder die Verteidigungsposition geschwächt wird, weil dies ohne die Verarbeitung (insb der Offenlegung im Verfahren) sensibler Daten einer anderen Person nicht möglich ist. Gleichzeitig wird normiert, dass auch Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit sensible Daten verarbeiten (insb erheben, erfassen, speichern und – sofern erforderlich – auch anderen Verfahrensbeteiligten offenlegen) dürfen. Dabei ist das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit (gegebenenfalls im Rahmen einer Interessenabwägung) zu beachten, auch wenn bei strittigen Ansprüchen die Erforderlichkeit spezifischer Daten unklar sein kann. Insofern sind keine allzu strengen Anforderungen zu stellen, es bedarf jedoch einer plausiblen Begründung der Beweiserheblichkeit, um zu verhindern, dass irrelevante, aber höchstspezifische Daten in das Verfahren verstrickt werden (Kastelitz/Hötzendorfer/Tschohl aaO Art 9 Rz 44 ff).

[23] 2.3 In der Entscheidung 6 Ob 16/21b, die nach Inkrafttreten der DSGVO erging, ohne auf diese explizit Bezug zu nehmen, war die Frage zu klären, ob die Zulässigkeit der Verwendung von Aufnahmen (Lichtbild und Tonaufnahmen) als Beweismittel als Ausnahme vom Unterlassungsgebot auch im Spruch ausdrücklich zum Ausdruck gebracht werden muss. Der Oberste Gerichtshof lehnte ein allgemeines Beweisverwertungsverbot im Ergebnis ab, da die Zulässigkeit eines Beweisvideos stets im jeweiligen Anlassverfahren zu beurteilen sei, wofür nicht zuletzt spreche, dass die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfließenden Befugnisse grundsätzlich nicht soweit reichten, die Wahrheitsfindung im Prozess zu verhindern.

Klicka (Beweis(verwertungs)verbote im Arbeitsrecht? ZAS 2020/4) nimmt an, dass sich durch das Inkrafttreten der DSGVO nichts geändert habe. Auch sie regle nur die Frage, ob eine Datenverarbeitung rechtmäßig oder rechtswidrig sei und enthalte keine Aussagen zur Frage der Verwertbarkeit rechtswidriger Datenverwendung im Zivilprozess. Die DSGVO enthalte auch keine normative Grundlage, dass eine rechtswidrige Datenverarbeitung ein zivilprozessuales Beweisverwertungsverbot nach sich ziehe.

[25] Auch nach Rechberger/Klicka ZPO⁵ Vor § 266 Rz 24) stehe die DSGVO der Verwertung von Beweismittel nicht entgegen. Art 6 Abs 1 lit f DSGVO führe zwar eine Interessenabwägung ein, die Verarbeitung personenbezogener Daten sei danach zulässig, sofern sie zur Wahrung der berechtigten Interessen erforderlich sei und die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen. Freilich seien diese Interessenabwägungen im Rahmen der DSVGO, bei der es um die Frage nach der Rechtswidrigkeit der Beweiserlangung gehe, und die allenfalls gebotene Interessenabwägung im Rahmen des Beweisverwertungsverbots voneinander zu unterscheiden. Für die Rechtsprechung liege ein solches berechtigtes Interesse unter anderem dann vor, wenn die Datenverwendung für die Rechtsdurchsetzung erforderlich sei. Die Verwertung des rechtswidrig erlangten Beweismittels werde daher jedenfalls dann zulässig sein, wenn die weitere Interessenabwägung dieses Ergebnis stütze. Allerdings ordne Art 9 Abs 2 lit f DSGVO für sensible Daten sogar ausdrücklich die Zulässigkeit der Datenverwertung zu Zwecken der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung und für die rechtsprechende Tätigkeit der Gerichte nach Maßgabe der Erforderlichkeit an. A maiori ad minus müsse dies ebenso für allgemeine Daten gelten.

Zwettler, Rechtliche Konsequenzen der Verwendung rechtswidrig erlangter Beweismittel?, ecolex 2019, 8, gelangt entsprechend dem bislang herrschenden Meinungsstand zum Ergebnis, dass die Verwendung rechtswidrig erlangter Beweismittel im Zivilverfahren auch nach der DSGVO regelmäßig zulässig sein werde. Zu beachten sei aber, dass eine Interessenabwägung vorzunehmen sei, wobei die Datenverarbeitung nur unzulässig sei, wenn das Geheimhaltungsinteresse der vom Eingriff betroffenen Person überwiege. Maßgeblich werde im Allgemeinen einerseits die Natur der betroffenen Daten sein, somit die Frage wie ausgeprägt das Interesse ist, dass diese nicht verbreitet werden. Andererseits müsste die vorlegende Partei abwägen, ob ihr (zumutbare) Alternativen – somit andere – Beweismittel zur Verfügung stehen und ob ihr Interesse am Prozesserfolg allenfalls außer Verhältnis zum Eingriff in das Recht auf Datenschutz stehe.

Werderitsch (DSGVO: Beweisverwertungsverbot auf Umwegen? RdW 2021, 243 ff) vertritt ebenfalls die Auffassung, die DSGVO wolle das Beweisverfahren vor den Gerichten nicht regeln. Mit Rechberger/Klicka (aaO) sei davon auszugehen, dass dann, wenn sogar sensible Daten zugunsten der Rechtspflege verarbeitet werden dürften (Art 9 Abs 2 lit f DSGVO), dies umso mehr für allgemeine, nicht sensible Daten gelten müsse. Die Wortfolge „wenn sie …erforderlich ist“ könnte zwar auch hier auf eine Interessenabwägung hindeuten. Dies sei aber insoweit entschärft, als sowohl in Lehre als auch Rechtsprechung Einigkeit bestehe, dass diese Grenze der „Erforderlichkeit“ iSd Art 9 Abs 2 lit f DSGVO aufgrund ihrer Bedeutung für die rechtsstaatliche Durchsetzung von Ansprüchen nicht allzu streng zu handhaben sei. Eine Interessenabwägung im klassischen Sinn sei im Rahmen dieser Bestimmung nicht geboten. Von solchen Extremfällen abgesehen, lasse die DSGVO die Datenverarbeitung im Rahmen eines Zivilprozesses ausdrücklich zu. Ein Unterschied zwischen rechtmäßig und rechtswidrig erlangten Beweismitteln ergebe sich aus der DSGVO nicht; die Verordnung wolle vielmehr die Beweisaufnahme und verwertung in ihrer Gesamtheit nicht regeln und statuiere zumindest kein unmittelbares Beweismittelverbot.

[28] 2.4 Der erkennende Senat geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass auch nach Inkrafttreten der DSGVO kein generelles Beweisverwertungsverbot für nach den Datenschutzbestimmungen rechtswidrig erlangte Beweismittel besteht. Die Klärung der Frage der Notwendigkeit einer Interessenabwägung vor dem Hintergrund des Inkrafttretens der DSGVO in einem Provisorialverfahren zum Schutz vor Gewalt kann dahingestellt bleiben, weil eine solche hier jedenfalls zugunsten der Antragstellerin ausginge.

[29] 3.1 Nach § 382b Abs 1 EO hat das Gericht einer Person, die einer anderen durch einen körperlichen Eingriff, einer Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar macht, auf deren Antrag 1. das Verlassen der Wohnung und deren unmittelbaren Umgebung aufzutragen und 2. die Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbaren Umgebung zu verbieten, wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient.

[30] 3.2 Nach § 382c Abs 1 EO hat das Gericht einer Person, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammentreffen unzumutbar macht, auf deren Antrag, 1. den Aufenthalt an bestimmt zu bezeichnenden Orten zu verbieten, 2. aufzutragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zu vermeiden und 3. zu verbieten, sich dem Antragsteller oder bestimmt zu bezeichnenden Orten in einem bestimmten Umkreis anzunähern, soweit dem nicht schwerwiegende Interessen des Antragsgegners zuwiderlaufen.

[31] Zweck des Provisorialverfahrens ist es an sich, möglichst rasch Rechtssicherheit zu gewähren. Dies gilt umso mehr für ein Verfahren auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b, 382c EO, die den Zweck hat, das Recht einer Person in der Wohnung und an Orten zu schützen, an denen sie sich regelmäßig aufhält, nicht einem gewalttätigen oder psychisch erheblich belastenden Verhalten einer anderen Person ausgesetzt zu sein. Das Gesetz soll demnach Gewaltopfer vor Eingriffen in ihre physische und psychische Integrität schützen. Eine wichtige Zielsetzung ist, die Gefahren fernzuhalten und rasch gerichtliche Hilfe in Auseinandersetzungen mit drohenden oder bereits erfolgten Gewalttaten zu ermöglichen, bevor schwerwiegende Folgen eintreten (7 Ob 232/16t mwN).

[32] 3.3 § 382d EO regelt den Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre. Zur Beurteilung was zur Privatsphäre nach § 382d EO gehört, wird insbesondere aus § 16 ABGB das jedermann angeborene Persönlichkeitsrecht auf Achtung (unter anderem) seines Privatbereichs und seiner Geheimnissphäre abgeleitet (RS0008993 [T6]; 7 Ob 130/15s). Unerwünschte Kontaktaufnahmen als Kernfall des Stalkings können einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre darstellen, sofern sie erheblich sind. Wenn die Kontaktaufnahmen in Art und Umfang eine Intensität erreichen, die den Rahmen des sozial verträglichen sprengen, kann das Recht auf Privatsphäre verletzt sein. In die Abwägung sind insbesondere der Grund der Kontaktaufnahmen und die Art des Kontakts einzubeziehen. Jedenfalls muss im Verhalten eine gewisse Beharrlichkeit zum Ausdruck kommen, wie sie dem StalkingBegriff immanent ist (7 Ob 130/15s mwN; RS0008990 [T22, T23]). Zweck der „Anti-Stalking-Regelung“ des § 382d EO ist die Verbesserung des Schutzes der Opfer, denen rasche Hilfe gegen Belästigungen durch Stalker geboten werden soll (7 Ob 54/11h mwN).

[33] 3.4 Gerade in Provisorialverfahren, die dem Opferschutz dienen, kommt dem Interesse des Beweisführers an der Durchsetzung seines zivilrechtlichen Anspruchs in Verbindung mit dem Interesse an einer materiellrechtlichen Entscheidung nach freier Beweiswürdigung besonderes Gewicht zu, hingegen können die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfließenden Befugnisse des Antragsgegners grundsätzlich nicht soweit reichen, die Wahrheitsfindung als solche zu verhindern und damit den Opferschutz zu konterkarieren. Dies gilt insbesondere, wenn wie hier einerseits zahlreiche Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien anhängig sind, das Video auf dem Grundstück der Antragstellerin aufgenommen wurde und sich in unmittelbarer Nähe nur die Antragstellerin und der Antragsgegner aufhielten, was bei gegenteiligen Aussagen eine entsprechende Gefahr des Misslingens der Bescheinigung in sich birgt und andererseits der Antragsgegner keine über das bloß unerwünschte Fotografieren hinausgehende Gründe bringt, die eine Beeinträchtigung seiner Interessen erkennen lässt.

[34] 4. Somit erweist sich die Beurteilung des Rekursgerichts, die Beweisverwertung sei zulässig und das Unterbleiben der Beweisaufnahme ein primärer Verfahrensverstoß als zutreffend, sodass dem Rekurs der Erfolg zu versagen war.

[35] 5. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00121.22B.0824.000

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