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OGH vom 07.10.2003, 4Ob193/03s

OGH vom 07.10.2003, 4Ob193/03s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ä*****, vertreten durch Dr. Nikolaus Kodolitsch und andere Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Regina P*****, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner und Mag. Werner Diebald, Rechtsanwälte in Köflach, wegen Unterlassung (Streitwert 19.258,30 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 1.453,46 EUR), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz in Ablehnungssachen vom , GZ 3 Nc 3/03z-7, womit der Ablehnungsantrag der beklagten Partei für nicht berechtigt erkannt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass sie zu lauten hat:

"Der Senatspräsident des Oberlandesgerichtes Graz Dr. Peter K***** ist als Mitglied des 6. Senats im Verfahren über die Berufung der beklagten Partei zur AZ 6 R 251/02g befangen. Die Prozesshandlungen, an denen der befangene Richter in diesem Verfahren mitgewirkt hat, insbesondere das Berufungsurteil, werden als nichtig aufgehoben."

Die Kosten des für nichtig erklärten Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben. Der Antrag auf Zuspruch von Prozesskosten im Rekursverfahren wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Vorsitzender des Berufungssenats war Senatspräsident des Oberlandesgerichtes Dr. Peter K*****. Dieses Urteil bekämpfte die Beklagte mit außerordentlicher Revision.

Vor Erhebung der Revision hatte die Beklagte den Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden des Berufungssenats wegen Befangenheit gestellt. Darin macht sie geltend, dass der abgelehnte Richter - von dessen Teilnahme an der Entscheidung sie erst mit deren Zustellung Kenntnis erlangt habe - auch Vorsitzender der bei der Klägerin eingerichteten Schlichtungsstelle für ärztliche Behandlungsfehler und stellvertretender Vorsitzender der gleichfalls bei der Klägerin eingerichteten gemeinsamen Schlichtungsstelle für Krankenanstalten sei. Für diese Tätigkeit erhalte er von der Klägerin, die ihn berufen habe und jederzeit wieder abberufen könne, eine Aufwandsentschädigung. Diese Umstände würden eine Nahebeziehung begründen, die mehr als nur geringe Zweifel an der Unbefangenheit des abgelehnten Richters in der vorliegenden Rechtssache aufkommen ließen. Ein unbefangener Richter hätte nämlich unter anderem die ordentliche Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichtes zugelassen.

Der abgelehnte Richter erklärte sich in einer Äußerung zum Befangenheitsantrag für nicht befangen, weil auch seine Tätigkeit bei den Schlichtungsstellen jener eines unabhängigen und weisungsfreien Richters entspreche.

Der zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag berufene Senat des Oberlandesgerichts Graz wies den Ablehnungsantrag ab. Ausgehend von der Feststellung, dass die Schlichtungsstellen der Klägerin, in die der abgelehnte Richter als Vorsitzender auf die Dauer von vier Jahren (Schlichtungsstelle für niedergelassene Ärzte) und als stellvertretender Vorsitzender auf unbestimmte Zeit (gemeinsame Schlichtungsstelle für Krankenanstalten) von der Klägerin berufen worden ist, die außergerichtliche Bereinigung von Streitfällen zwischen Ärzten und Patienten im Zusammenhang mit Behandlungsvorgängen bezweckten, vertrat er in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, bei objektiver Prüfung begründeten die außerdienstlichen Beziehungen des abgelehnten Richters zur Klägerin keine Befangenheit. Dieser habe nämlich weder als Vorsitzender der Schlichtungsstelle für niedergelassene Ärzte noch als stellvertretender Vorsitzender der gemeinsamen Schlichtungsstelle der Ärztekammer und der Krankenanstalten einseitig Interessen der Ärztekammer zu vertreten oder ihren Weisungen gemäß zu handeln. Seine berufliche Stellung als unabhängiger Richter, der sich bei seinem Amtsantritt eidlich zur unverbrüchlichen Beachtung der österreichischen Rechtsordnung und damit unter anderem zur unparteiischen und uneigennützigen Amtsausübung verpflichtet habe, solle vielmehr jene Vertrauensbasis schaffen, die die außergerichtliche Herbeiführung eines gerechten Interessenausgleiches zwischen den durch die Ärztekammer vertretenen Ärzten oder den Krankenanstalten einerseits und zu Schaden gekommenen Patienten anderseits ermöglichen könne. Dass die dem Vorsitzenden der Schlichtungsstellen für seine Tätigkeit gebührende Aufwandsentschädigung in einer ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis begründenden Höhe geleistet werde, sei nicht aktenkundig. Daher könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Möglichkeit der jederzeitigen Abberufung als ständiges Mitglied der gemeinsamen Schlichtungsstelle (als Vorsitzender der Schlichtungsstelle für niedergelassene Ärzte sei der Bestellungszeitraum ohnehin mit vier Jahren festgelegt) als Motiv einer Voreingenommenheit zugunsten der Klägerin in Betracht komme.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist zulässig (§ 24 Abs 2 JN) und berechtigt.

Ein Richter ist nach § 19 Z 2 JN befangen, wenn Umstände vorliegen, die es nach objektiver Prüfung und Beurteilung rechtfertigen, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen (RZ 1990/110; JBl 1990, 122; 4 Ob 117/98; 5 Ob 237/01s uva). Das Wesen der Befangenheit liegt in der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive (1 Ob 92/98f uva). Bei der Prüfung der Unbefangenheit ist im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss (1 Ob 92/98f) - auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte (Arb 10.760) - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte (Mayr in Rechberger, ZPO² § 19 JN Rz 4 mN).

Die Befangenheit ist nicht restriktiv auszulegen, sodass im Zweifelsfall Befangenheit anzunehmen sein wird (Ballon in Fasching, Zivilprozessgesetze² § 19 JN Rz 5). Für die Annahme einer Befangenheit genügt schon die Besorgnis, dass unter Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse bei der Entscheidung dieses Richters andere als rein sachliche Erwägungen eine Rolle spielen könnten (4 Ob 117/98; 1 Ob 42/99d; 3 Ob 47/02m ua).

Im Lichte dieser Rechtslage begründet der in der Befangenheitsanzeige mitgeteilte und vom Ablehnungssenat zugrundegelegte Sachverhalt tatsächlich den Anschein einer Befangenheit des betroffenen Richters, weil die Vermutung der Beklagten als Verfahrensbeteiligte, dass die Willensrichtung des abgelehnten Richters durch die am Verfahrensausgang interessierte Klägerin beeinflusst werden könnte, durch objektiv fassbare Umstände nicht widerlegbar ist (vgl 1 N 506/01; 1 N 513/02). Es kommt daher nicht darauf an, welche Berufspflichten der abgelehnte Richter zu erfüllen hat, ob er als Mitglied der Schlichtungsstellen weisungsfrei handeln kann oder wie hoch die ihm für diese Tätigkeit zufließenden finanziellen Zuwendungen sind: Entscheidend ist allein, dass die zwischen dem abgelehnten Richter und der Klägerin bestehenden besonderen außerdienstlichen Beziehungen - der abgelehnte Richter ist von der Klägerin entsandtes, Aufwandersatz beziehendes Mitglied in Schlichtungsstellen - objektiv geeignet sind, den Eindruck zu erwecken, seine Erwägungen in diesem Verfahren könnten durch Rücksichtnahme auf die Klägerin beeinflusst werden.

Dem Rekurs ist Folge zu geben und die Befangenheit des betroffenen Richters festzustellen. Zugleich waren die vom abgelehnten Richter vorgenommenen Prozesshandlungen als nichtig aufzuheben (§ 25 JN).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 2 ZPO; an der Nichtigkeit des Berufungsverfahrens trifft keine der Parteien ein Verschulden. Im Ablehnungsverfahren als einseitigem Verfahren gibt es nach dem Gesetz keine Kostenersatzpflicht (Mayr in Rechberger, ZPO² § 24 JN Rz 6; SZ 63/24; 1 Ob 191/00w; 4 Ob 108/01p uva). Das Kostenersatzbegehren im Rekursverfahren ist daher - unabhängig von der Frage nach dem Erfolg des Ablehnungsantrags - abzuweisen.