TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 18.10.1983, 4Ob105/82

OGH vom 18.10.1983, 4Ob105/82

Norm

ABGB § 870;

ABGB § 1444;

Kopf

SZ 56/149

Spruch

Eine vom Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer getroffene Vereinbarung, mit der die Entlohnung des Arbeitnehmers für die Zukunft auf einen Betrag herabgesetzt wird, der immer noch über den durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung zwingend normierten Mindestsätzen liegt, ist auch dann rechtswirksam, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für den Fall der Ablehnung einer solchen Entgeltminderung die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses in Aussicht gestellt hat

(LG Innsbruck 3 Cg 7/82; ArbG Innsbruck 2 Cr 63/81) = DRdA 1984, 352 (Eypeltauer)

Text

Der Kläger war bei der beklagten Baugesellschaft seit als Bauleiter im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Im Zuge des zu Sa 7/79 des LG I über ihr Vermögen eröffneten Ausgleichsverfahrens kundigte die Beklagte mit Schreiben vom das Arbeitsverhältnis des Klägers zum auf.

Mit der Behauptung, daß der damalige Geschäftsführer der Beklagten, Ing. Rudolf M, Anfang März 1978 das Gehalt des Klägers widerrechtlich um mehr als 31% gekürzt habe - was der Kläger wegen seines Abhängigkeitsverhältnisses und der schlechten wirtschaftlichen Situation im Baugewerbe habe hinnehmen müssen -, verlangt der Kläger von der Beklagten die Zahlung der der Höhe nach unbestrittenen Differenzbeträge, restlichem Entgelt für die Zeit vom April 1978 bis von 139 162 S und an restlicher Abfertigung von 141 887 S zusammen 281 049 S netto sA.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe am einer Herabsetzung seines Entgelts auf monatlich 25 040 S brutto ab ausdrücklich zugestimmt. Daß er damals vor die Wahl gestellt worden war, entweder in diese Gehaltskürzung einzuwilligen oder gekundigt zu werden, begrunde keine ungerechte Furcht iS des § 870 ABGB.

Das Erstgericht erkannte iS des Klagebegehrens und stellte folgenden weiteren Sachverhalt fest: Der Kläger war bis zum als Leiter einer Gruppe von Straßen- und Tiefbauten in Vorarlberg tätig gewesen. Seine Abberufung von diesem Posten erfolgte auf Betreiben des Geschäftsführers, Ing. Rudolf M, welcher dem Kläger das "gehäufte Auftreten negativer Baustellen" in Vorarlberg angelastet hatte. Das "Ergebnis" dieser Baustellen besserte sich allerdings auch unter dem Nachfolger des Klägers nicht. In der Folge stellte die Beklagte - zT gemeinsam mit dem Kläger - Überlegungen über die weitere Verwendung des Klägers in ihrem Unternehmen an. Nachdem der Kläger erklärt hatte, daß er bei der Beklagten weiterarbeiten wolle, wurde festgesetzt, daß er den Posten eines Sicherheitsingenieurs in der Zentrale der Beklagten übernehmen könne. Im Herbst 1977 war von einer Gehaltskürzung noch keine Rede. Vom bis war der Kläger auf Urlaub; anschließend befand er sich bis zum auf einem Seminar in Wien. Ab war der Kläger dann in der Zentrale der Beklagten als Sicherheitsingenieur tätig, wobei er zusätzlich auch noch andere Aufgaben zu erfüllen hatte. Am kam es zu einer Unterredung zwischen Ing. Rudolf M, dem Kläger und dem damaligen Prokuristen und Personalchef der Beklagten, Rudolf S. Bei diesem Gespräch teilte Ing. Rudolf M dem Kläger seine Überlegungen und eine Gehaltsreduzierung im Hinblick auf den neuen Tätigkeitsbereich des Klägers mit; wirtschaftliche Schwierigkeiten, welche dann letztlich zur Ausgleichseröffnung führten, wurden dabei nicht ins Treffen geführt. Ing. Rudolf M stellte den Kläger schließlich vor die Wahl, entweder eine Gehaltskürzung von 31.28% hinzunehmen oder, falls er damit nicht einverstanden sei, seine Kündigung zu gewärtigen. Eine Überlegungsfrist wurde dem Kläger bei diesem Gespräch nicht eingeräumt. Auf den Vorschlag des Ing. Rudolf M erklärte der Kläger, daß ihn zwar die Gehaltskürzung schwer treffe, daß er ihr aber unter den gegebenen Umständen zustimmen müsse. Der Kläger befürchtete nämlich, daß er in seinem Alter von damals 48 Jahren nur noch schwer einen gleichwertigen Arbeitsplatz finden werde, dies vor allem deshalb, weil die Arbeitsmarktlage in der Bauwirtschaft schlecht war und der Kläger für den Fall seiner Kündigung befürchtete, arbeitslos zu werden. Diese Situation des Klägers wurde zwar nicht ausdrücklich besprochen; sie war aber anläßlich der Verhandlungen allen Anwesenden klar. Unmittelbar nach diesem Gespräch unterzeichnete der Kläger eine schriftliche, als "Übereinkommen" bezeichnete Vereinbarung, nach welcher er sich ab mit einer Herabsetzung seines monatlichen Bruttogehaltes auf 25 040 S einverstanden erklärte. Die Einstufung des Klägers in die Gehaltsstufe A 5/14 des Kollektivvertrages für Angestellte des Baugewerbes blieb gleich; das zwischen den Parteien zuvor - gleichfalls schriftlich - vereinbarte Gehalt reduzierte sich aber auf den angeführten Bruttobetrag. Der Kläger hat dadurch eine Verkürzung an Gehalt und Abfertigung in der Höhe des jetzt eingeklagten Betrages erlitten. Nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten hat der Kläger in Vorarlberg eine neue Arbeitsstelle gefunden; er bezieht dort ein Gehalt, das etwa in der Mitte zwischen der ursprünglichen und der gekürzten Entlohnung bei der Beklagten liegt.

Außer Streit steht, daß der Kläger auch nach der Gehaltskürzung vom nicht unter dem Kollektivvertrag entlohnt wurde.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß der Kläger beim Abschluß des Übereinkommens vom konkret vor die Wahl gestellt worden war, entweder auf einen Teil seiner bisherigen Gehaltsansprüche zu verzichten oder mit seiner Kündigung zu rechnen. Da eine solche Kündigung mit der Gefahr längerer Arbeitslosigkeit und damit finanzieller Einbußen unbestimmten Ausmaßes verbunden gewesen wäre, sei der Kläger damals tatsächlich unter "konkretem und starkem wirtschaftlichem Druck" gestanden, welcher auch einen Verzicht auf jenen Teil der Ansprüche ungültig mache, der über die unabdingbaren Mindestansprüche nach dem Kollektivvertrag hinausgehe. Der Kläger sei daher gemäß § 870 ABGB nicht verbunden, die Vereinbarung vom zuzuhalten.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG von neuem durch und kam dabei zu den gleichen Sachverhaltsfeststellungen wie das Ersturteil; davon ausgehend hielt es jedoch die Rechtsrüge der Beklagten für begrundet. Lehre und Rechtsprechung stimmten darin überein, daß ein Verzicht auf überkollektivvertragliche Ansprüche auch dann rechtswirksam sei, wenn dem Arbeitnehmer für den Fall der Ablehnung seine Kündigung in Aussicht gestellt worden sei. Soweit der Arbeitnehmer über seine Ansprüche frei disponieren könne, sei eine solche Drohung des Arbeitgebers keine Ausübung unzulässigen wirtschaftlichen Drucks, der den Arbeitnehmer zur Anfechtung der Vereinbarung gemäß § 870 ABGB berechtigen würde.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Kläger hält auch in dritter Instanz an seiner Rechtsansicht

fest, daß nach der sogenannten "Drucktheorie" ein während des

Bestehens des Arbeitsverhältnisses erklärter Rechtsverzicht des

Arbeitnehmers - auch wenn er keine zwingenden gesetzlichen oder

kollektivvertraglichen Ansprüche zum Gegenstand habe - schlechthin

unwirksam sei, weil angenommen werden müsse, daß er nicht frei,

sondern unter wirtschaftlichem Druck abgegeben wurde. Eine

Auseinandersetzung mit dieser Frage, welche in Lehre und

Rechtsprechung keineswegs einheitlich beantwortet wird (siehe dazu

die vom Jud. 26 neu = SZ 9/80 = Arb. 3725 ausgehende Rechtsprechung

des OGH, insbesondere Arb. 5456; Arb. 5908 = SozM III E 57; Arb.

8222 = ZAS 1967, 17; Arb. 9160 = ZAS 1975, 100; Arb. 9188 = ZAS

1974, 145; Arb. 9209 = SozM I E 112; Arb. 9314, 9862, 9999; SozM III

E 457 ua.; ferner Spielbüchler in Floretta - Spielbüchler -

Strasser, Arbeitsrecht I 47 f.; Martinek - Schwarz, AngG[5], 570

ff.; Mayer - Maly, Österr. Arbeitsrecht 89 und in ZAS 1967, 17 f.;

Tutschka - Dungl, Handbuch des österr. Arbeitsrechtes[4], 468 ff.;

Strasser, Der Verzicht auf unabdingbare arbeitsrechtliche Ansprüche, RdA 1955 H 15/13; Trieschmann, Zum Verzicht des Arbeitnehmers auf unabdingbare gesetzliche Ansprüche, RdA 1976, 68; Schrank, Zur Zulässigkeit von "Verschlechterungsvereinbarungen" bei aufrechtem Arbeitsverhältnis, RdW 1983, 12 in FN 2 und 3), ist jedoch diesmal entbehrlich. Der Revisionswerber übersieht nämlich, daß es im vorliegenden Fall nicht um einen Verzicht auf bereits erworbene, durch keine Gegenleistung mehr bedingte Ansprüche des Arbeitnehmers - etwa auf bereits fällige Entgelt- oder Urlaubsansprüche - geht, sondern um eine ausdrücklich erklärte, die Rechtsstellung für die Zukunft teilweise verschlechternde einvernehmliche Vertragsänderung (zu dieser Abgrenzung siehe Schrank aaO 16 mit weiteren Hinweisen). Daß eine solche "Verschlechterungsvereinbarung" nur insoweit rechtswirksam sein kann, als auch der geänderte Vertragsinhalt den durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung zwingend normierten Mindesterfordernissen entspricht, bedarf keiner besonderen Begründung. Innerhalb dieser Grenzen ist aber ihre Zulässigkeit von der Rechtsprechung schon mehrfach ausdrücklich anerkannt worden (Arb. 9612, 9557; Arb. 9774 = SozM I A e 1153 = ZAS 1980, 57; zuletzt ebenso 4 Ob 100/80). Die Rechtswirksamkeit solcher Änderungen des Arbeitsvertrages - auch zum Nachteil des Arbeitnehmers - ist eine Folge der das österreichische Privatrecht grundsätzlich beherrschenden Vertragsfreiheit, welche auch im Bereich des Arbeitsrechtes durch kein allgemeines "Verschlechterungsverbot" beschränkt ist. Zum gleichen Ergebnis führt aber auch ein Größenschluß aus der allgemein anerkannten Zulässigkeit einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Kann nämlich das gesamte Arbeitsverhältnis und damit die Grundlage für den Erwerb der Gegenleistung des Arbeitnehmers pro futuro jederzeit einvernehmlich beseitigt werden, dann muß es iS der zutreffenden Ausführungen Schranks (aaO 16 f.) umsomehr dem Einvernehmen der Vertragspartner überlassen bleiben, den Inhalt des Arbeitsvertrages - innerhalb der Grenzen des zwingenden Rechtes - für die Zukunft zu ändern, zumal ja das Arbeitsverhältnis gleich von vornherein auf diese Weise gültig hätte gestaltet werden können. Aus der - allein für den Verzicht auf bereits erworbene Ansprüche entwickelten - "Drucktheorie" kann deshalb entgegen der Meinung des Klägers die Unzulässigkeit einer Vereinbarung, mit welcher der Arbeitnehmer, wie hier für die Zukunft auf einen Teil seiner überkollektivvertraglichen Entlohnung ganz oder teilweise "verzichtet", nicht abgeleitet werden.

Zu prüfen bleibt noch, ob die Beklagte die hier zu beurteilende "Verschlechterungsvereinbarung" durch "ungerechte und gegrundete Furcht" iS des § 870 ABGB veranlaßt hat. Auch die Frage ist vom Berufungsgericht mit Recht verneint worden. Daß die Beklagte dem Kläger für den Fall der Ablehnung ihres Vorschlages die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses in Aussicht gestellt hat, kann - anders als etwa die Verweigerung der Auszahlung fälliger Bezüge oder ähnliche Maßnahmen - den Vorwurf rechtswidriger Druckausübung schon deshalb nicht rechtfertigen, weil die Beklagte mit einer solchen Kündigung nur von ihrem gesetzlichen Recht Gebrauch machen würde, das auf unbestimmte Zeit eingegangene Arbeitsverhältnis jederzeit unter Einhaltung einer bestimmten Frist, aber ohne Angabe von Gründen, aufzulösen (in diesem Sinne auch schon Arb. 6912; Arb. 9774 = SozM I A e 1153 = ZAS 1980, 57). Daß aber der Kläger bei seiner Entscheidung insofern unter dem (allgemeinen) "Druck " der ungünstigen Lage auf dem Arbeitsmarkt in der Bauwirtschaft gestanden war, als er für den Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit einer möglicherweise länger währenden Arbeitslosigkeit rechnen mußte, macht die Vereinbarung vom ebensowenig anfechtbar wie einem vom Arbeitgeber unter sonst gleichen Verhältnissen von vornherein nur zu den kollektivvertraglichen Entgeltsätzen abgeschlossenen Arbeitsvertrag der Einwand der Ausübung widerrechtlichen Zwanges iS des § 870 ABGB entgegengehalten werden könnte.