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OGH vom 20.11.2012, 5Ob104/12y

OGH vom 20.11.2012, 5Ob104/12y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L***** D*****, geboren am , über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Mag. G***** S*****, vertreten durch Dr. Widukind W. Nordmeyer, Dr. Thomas Kitzberger, Rechtsanwälte in Wels, gegen I. den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 436/11f-177, womit infolge Rekurses der Mutter G***** D*****, der Beschluss des Bezirksgerichts Thalgau vom , GZ 3 PS 81/09v-143, in seinem bekämpften Teil (Spruchpunkt 1 und 2) aufgehoben und das vorangegangene Verfahren für nichtig erklärt wurde, sowie den Revisionsrekurs des Mag. G***** S*****, wie vor, II. gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 252/12y-187, womit infolge Rekurses des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichts Thalgau vom , GZ 3 PS 81/09v-184, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben.

Die angefochtenen Beschlüsse werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Rekursgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

L***** ist das uneheliche Kind der G***** D***** und des Revisionsrekurswerbers. Mit der Obsorge für ihn ist seine Mutter allein betraut.

Beim Erstgericht war ein Verfahren zur Regelung des Besuchsrechts anhängig, das mit Beschluss vom (ON 48, bestätigt ON 61) dergestalt beendet wurde, dass dem Vater ein 14-tägiges (außer die beiden ersten Male unbegleitetes) Besuchsrecht zugestanden wurde. Da sich die Mutter dieser Besuchsrechtsregelung widersetzte, verhängte das Erstgericht über sie eine Zwangsstrafe von 1.000 EUR (ON 73 und ON 94). In der Folge beantragte der Vater die Verhängung weiterer Zwangsstrafen, weil die Mutter ihr Verhalten fortsetzte und sich der Ausübung des Besuchsrechts durch den Vater widersetzte.

Zu I. (5 Ob 104/12y):

Mit am beim Erstgericht eingebrachtem Antrag (ON 134) begehrte der Vater, der Mutter die Obsorge für das Kind zu entziehen und an ihn zu übertragen sowie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung dahin, ihm die Obsorge vorläufig zu überantworten, der Mutter die Verbringung des Kindes ins Ausland zu untersagen und den Reisepass des Kindes sicherzustellen oder den Eintrag des Kindes im Pass der Mutter zu streichen bzw streichen zu lassen. Das bisherige Verhalten der Mutter biete nicht die geringste Gewähr, sie werde in Bezug auf das Besuchsrecht gerichtliche Anordnungen beachten und einhalten. Auch die verhängten Zwangsstrafenanträge hätten keine verhaltenssteuernde Wirkung erzeugen können. Zur Sicherung des Kindeswohls bleibe daher als einziger Ausweg die Entziehung und Übertragung der Obsorge. Die Mutter habe einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt angekündigt, alle Kontakte im Inland abgebrochen und das Kind vom Kindergarten abgemeldet.

Die Mutter sprach sich gegen die Anträge des Vaters aus; sie lebe mit ihrem Sohn nicht mehr in Österreich, sondern halte sich in Sydney/Australien auf, wobei noch nicht sicher sei, ob sie in Sydney bleiben oder an einem anderen Ort in Australien beruflich tätig sein werde (ON 139).

Das Erstgericht entzog in seinen noch verfahrensgegenständlichen Spruchteilen der Mutter die Obsorge für das Kind, übertrug diese dem Vater und sprach aus, dass diese Entscheidung nach § 44 AußStrG sofort wirksam und insoweit vorläufig (§ 107 AußStrG) sei, als sie hinfällig werde, sobald die Mutter dem Vater die unbegleitet eingeräumten Besuchskontakte ermögliche. In rechtlicher Hinsicht ging es davon aus, dass die Verweigerung eines (unbegleiteten) Besuchskontakts durch die Mutter nicht dem Wohl des Kindes entspreche und die Gefahr des endgültigen Beziehungsabbruchs entweder durch den Vater oder das Kind selbst in sich berge. Darüber hinaus äußerte das Erstgericht Zweifel darüber, ob sich die Mutter mit dem Minderjährigen tatsächlich in Australien aufhalte.

Der Beschluss des Erstgerichts wurde an die Vertreterin der Mutter am zugestellt. Mit einem mit datierten und am beim Erstgericht eingelangten Schreiben gab die Mutter dem Gericht gegenüber bekannt, dass sie wegen ihres Aufenthalts in Australien das Vollmachtsverhältnis zu ihrer bisherigen Vertreterin beendet habe (ON 145). Eine Kopie dieses Schreibens wurde den Vertretern des Vaters zugestellt.

Das Rekursgericht hob den Beschluss des Erstgerichts im bekämpften Umfang über Rekurs der Mutter, vertreten durch ihre bisherige Vertreterin, auf, erklärte das dieser Entscheidung zugrunde liegende Verfahren für nichtig und wies die darauf gerichteten Anträge des Vaters zurück. Den Vater verwies es mit seinem Rekurs auf diese Entscheidung. In rechtlicher Hinsicht ging das Rekursgericht davon aus, dass die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses im Außenverhältnis erst mit Zustellung eines entsprechenden Schriftsatzes an das Gericht und den Prozessgegner wirksam sei. Da zunächst ein materiell-rechtlich gültiges Bevollmächtigungsverhältnis der Mutter zu ihrer Vertreterin bestanden habe, bedürfe es für einen wirksamen Vollmachtswiderruf der Anzeige nach § 36 Abs 1 ZPO. Die schriftliche Mitteilung der Mutter stelle keine solche wirksame Anzeige dar, weswegen - aus prozessualer Sicht - von einem aufrechten Vollmachtsverhältnis auszugehen und der Rekurs der Mutter zu behandeln sei.

Australien sei Mitglied des in Österreich mit in Kraft getretenen Haager Übereinkommens vom . Aktenkundig sei, dass die Mutter mit dem Minderjährigen nach Australien verzogen sei, weswegen die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Obsorge auf die Behörden Australiens übergegangen und das Verfahren vor dem Erstgericht mit dem Mangel der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit behaftet sei.

Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu.

Zu II. (5 Ob 201/12p):

Mit seiner Eingabe vom (ON 182) beantragte der Vater, der Mutter aufzutragen, (1.) dafür zu sorgen, dass er wöchentlich jeweils an Samstagen um 12:00 Uhr MESZ, in eventu zu einer sonst von der Mutter angegebenen Zeit, 15 Minuten im Wege der Internetbildtelefonie mit dem Programm „Skype“ mit seinem Sohn telefonieren könne, und (2.) ihm binnen 1 Woche bestimmte Informationen (Tagesablauf, Betreuung, Kinderzimmer, Vorlieben, Datum des nächsten geplanten Österreichbesuchs) über seinen Sohn zukommen zu lassen.

Diesen Antrag wies das Erstgericht nach Einholung einer ZMR-Auskunft zurück. Es sei davon auszugehen, dass es nach den Bestimmungen des KSÜ nicht (mehr) zuständig sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach dem Beschluss des Erstgerichts sei davon auszugehen, dass der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Australien habe. Der in Art 3 lit b) KSÜ verwendete Begriff des „Rechts auf persönlichen Verkehr“ („access“) umfasse auch die Informationsrechte des nicht mit der Obsorge betrauten Elternteils. Nach der Systematik der Art 3 und 4 des KSÜ sei eine Maßnahme im Zweifel vom Abkommen erfasst.

Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage, ob auch Informationsrechte des nicht obsorgeberechtigten Elternteils unter den Anwendungsbereich des KSÜ fallen würden, fehle.

Gegen diese Entscheidungen richtet sich zu I. der außerordentliche und zu II. der ordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben und dem Rekursgericht (bzw den Unterinstanzen) die neuerliche Entscheidung aufzutragen. Geltend gemacht wird jeweils der Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung.

Die Mutter hat - ihr zu I. durch den Obersten Gerichtshof freigestellt (zugestellt an ihre nunmehrige Zustellbevollmächtigte [ON 174]) - keine Revisionsrekurs-beantwortungen erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse des Vaters sind zulässig, weil Rechtsprechung zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nach dem KSÜ fehlt und es einer Klarstellung der Rechtslage bedarf. Sie sind auch berechtigt.

1.1 Zur behaupteten Unzulässigkeit des Rekurses der Mutter in dem zu I. zugrunde liegenden Verfahren:

1.2 Entsprechend der Globalverweisung in § 6 Abs 4 AußStrG gelten die Bestimmungen der §§ 26 bis 39 ZPO im Verfahren außer Streitsachen sinngemäß (Fucik/Kloiber, AußStrG [2005] § 6 Rz 8). Auf die Kündigung der Vollmacht während des Verfahrens ist daher auch im Außerstreitverfahren § 36 ZPO anzuwenden (vgl Zib in Fasching/Konecny2 § 36 ZPO Rz 12). Grundsätzlich zutreffend hat das Rekursgericht daher aus Anlass der Einwendungen des Vaters in dessen Rekursbeantwortung die Berechtigung der bisherigen Vertreterin der Mutter zum Einschreiten im Rekursverfahren anhand dieser Bestimmung der Zivilprozessordnung geprüft. Ob die gegen das dabei gewonnene Ergebnis unter Berufung auf § 10 AußStrG vorgetragenen Argumente des Revisionsrekurswerbers Bestand haben, braucht hier allerdings nicht geklärt werden.

1.3 Dem Rekursgericht lagen Rechtsmittel von beiden Elternteilen zur Entscheidung vor. Die vom Rekursgericht gewählte Formulierung seines Spruchs legt zwar nahe, dass es den im von der bisherigen Rechtsvertreterin der Mutter „innerhalb von 14 Tagen nach Vollmachtsauflösung“ eingebrachten Rechtsmittel enthaltenen Hinweis auf den Wegzug des Minderjährigen zum Anlass nahm, die internationale Zuständigkeit zu prüfen. Der derart aufgegriffene Mangel wäre aber jedenfalls (auch) über den - unstrittig zulässigen - Rekurs des Vaters wahrzunehmen gewesen. Gelangt das Rekursgericht nämlich aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels zur Überzeugung, dass der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit gegeben ist, hat es den mit diesem Mangel behafteten Beschluss von Amts wegen aufzuheben und das vorangegangene Verfahren für nichtig zu erklären (§ 55 Abs 3 iVm § 56 Abs 1 AußStrG). Dass das Rekursgericht im Spruch seiner Entscheidung dem Rekurs der Mutter Folge gab und den Vater mit seinem Rechtsmittel auf dieses Ergebnis verwies und nicht aus Anlass beider Rechtsmittel, also auch des Rekurses des Vaters, im Sinne des § 56 Abs 1 AußStrG vorging, ändert nichts am Vorliegen einer Entscheidung gemäß dieser Gesetzesstelle. Für die Beurteilung des dagegen erhobenen Revisionsrekurses ist es daher nicht mehr von Bedeutung, ob die ehemalige Vertreterin zum Einschreiten im Rekursverfahren noch berechtigt war.

2.1 Hingegen fehlt es an einer tragfähigen Sachverhaltsgrundlage für die vom Rekursgericht anhand der Aktenlage angenommene fehlende internationale Zuständigkeit.

2.2 Am ist für Österreich mit BGBl III 2011/49 das „Haager Übereinkommen vom über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern“ (Haager Kinderschutzübereinkommen - KSÜ) in Kraft getreten. Dessen Regelungen über die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht sind zufolge Art 53 Abs 1 KSÜ ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens anzuwenden. Das gilt auch für die Zuständigkeitsregelung nach Art 5 KSÜ. Demnach sind die Behörden des Vertragsstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes zu treffen. Regelungen über die Obsorge fallen unter den Begriff der „elterlichen Verantwortung“ nach Art 1 Abs 2 KSÜ und damit in den sachlichen Anwendungsbereich dieses Übereinkommens (RV 867 BlgNR XXIV. GP 4). Australien ist ebenfalls ein Mitgliedstaat dieses Übereinkommens (BGBl III 2011/49).

2.3 Grundsätzlich zutreffend hat das Rekursgericht darauf verwiesen, dass das KSÜ keine Regelung darüber enthält, welche Auswirkungen das Inkrafttreten dieses Übereinkommens auf bereits anhängige Verfahren hat. Nach Art 53 Abs 1 soll die Anwendung der Regelungen des Übereinkommens, insbesondere zur Zuständigkeit, nur auf Maßnahmen erfolgen, die die Behörden eines Vertragsstaats nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens für diesen Vertragsstaat getroffen haben (s auch RV 867 BlgNR XXIV. GP 23). Abzustellen ist daher auf den Zeitpunkt der jeweilige Behördenmaßnahme. Der Vater hat seinen Antrag auf Entzug bzw Übertragung der Obsorge - wenn auch im Zuge eines laufenden Verfahrens über die Durchsetzung des Besuchsrechts - nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens bei Gericht im Sinne des § 12 Abs 1 AußStrG anhängig gemacht. Die damit beantragte Maßnahme fällt somit unzweifelhaft in den zeitlichen Anwendungsbereich des KSÜ.

3.1 Ziel des KSÜ ist unter anderem die Bestimmung des Staats, dessen Behörden zur Setzung von Maßnahmen zum Schutz des Kindes zuständig sind. Das Übereinkommen trachtet daher, konkurrierende Zuständigkeiten zwischen den Behörden verschiedener Vertragsstaaten weitgehend zu vermeiden, und stellt dazu auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab. Nach Art 5 Abs 1 KSÜ sind die Behörden des Vertragsstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig, Schutzmaßnahmen im Sinne des Übereinkommens zu treffen. Der gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen bestimmt damit die internationale Zuständigkeit (Pirrung in Staudinger, BGB, Vorbem C-H zu Art 19 EGBGB, Rn G 48). Da der Grundsatz der perpetuatio fori in diesem Übereinkommen grundsätzlich nicht zum Tragen kommt, kann die internationale Zuständigkeit auch noch während eines zulässig anhängig gemachten Verfahrens wegfallen (RV 867 BlgNR XXIV. GP 23; Nademleinsky, Haager Kinderschutz-übereinkommen in Kraft, EF-Z 2011/56 [87]). Das ist nach Art 5 Abs 2 KSÜ der Fall, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Vertragsstaat verlegt, weil damit dessen (internationale) Zuständigkeit begründet wird.

3.2 Der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ wird im Übereinkommen nicht definiert, sodass er autonom auszulegen ist (Traar, Das Haager Kinderschutzübereinkommen, [46]). Das bedeutet, dass dieser Begriff als zentraler Anknüpfungspunkt für die Begründung der internationalen Zuständigkeit nach dem Wortlaut und dem Kontext des Übereinkommens sowie dessen Zielen zu bestimmen ist.

3.3 Das KSÜ war Vorbild für die Verordnung (EG) 2003/2201 des Rates vom über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) 2000/1347 (EuEheKindVO [Brüssel IIa-VO], ABl 2003/338, 1 idF ABl L 2004/367, 1). Soweit das Übereinkommen der VO entspricht, kann daher auf die Literatur und Rechtsprechung zur Brüssel IIa-VO zurückgegriffen werden (Traar, Das Haager Kinderschutzübereinkommen, Auslegung-Anwendungsbereich
-Internationale Zuständigkeit, ). Das KSÜ seinerseits hat wiederum auf dem Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom , BGBl 1975/446 (Minderjährigenschutz-übereinkommen - MSÜ), aufgebaut und einen Großteil der dazu ergangenen Rechtsprechung kodifiziert (Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht [2007] Rz 08.13). Hauptanknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit ist im hier interessierenden Bereich jeweils der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes. Die Zielsetzungen der genannten internationalen Übereinkommen liegen der Schutz der Person des Kindes (das Kindeswohl) und die räumliche Nähe der zur Entscheidung berufenen Stellen zugrunde, sodass der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nach Art 5 KSÜ gleich auszulegen ist wie in den diesen Begriff enthaltenden Bestimmungen des MSÜ und der Brüssel IIa-VO. Dazu kann auf bestehende Rechtsprechung zurückgegriffen werden.

3.4 Nach herrschender Auffassung kommt es für die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts nicht auf die Absicht, dauernd an einem Ort verbleiben zu wollen, sondern darauf an, ob jemand tatsächlich einen Ort zum Mittelpunkt seines Lebens, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Beziehungen macht. Maßgeblich sind dauerhafte Beziehungen einer Person zu einem Aufenthaltsort, sodass sich der Aufenthalt einer Person ausschließlich nach tatsächlichen Umständen bestimmt. Die Dauer des Aufenthalts ist für sich allein kein ausschlaggebendes Moment (vgl RIS-Justiz RS0046742); wesentlich ist stets, ob Umstände vorliegen, die dauerhaft Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen. Das kann selbst bei kurzer Dauer des Aufenthalts der Fall sein (RIS-Justiz RS0046742 [T1; T 2]). Zwar kann als Faustregel angenommen werden, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt nach einer Aufenthaltsdauer von 6 Monaten vorliegen wird, doch ist die genaue Prüfung der jeweiligen Umstände erforderlich. Ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, kann in jedem Fall nur anhand konkreter Feststellungen beurteilt werden (vgl RIS-Justiz RS0074327; RS0074198; RS0074327; s auch Pesendorfer in Fasching/Konecny2 V/2 Art 8 EuEheKindVO Rz 36).

Daraus folgt zu I. :

4.1 Ob bzw wann der Minderjährige einen gewöhnlichen Aufenthalt in Australien begründet hat, wie das Rekursgericht annahm, und ob damit die internationale Zuständigkeit auf diesen Vertragsstaat gemäß Art 5 Abs 2 KSÜ übergegangen ist, kann nach den Feststellungen der Vorinstanzen noch nicht abschließend beurteilt werden.

4.2 Das Übereinkommen knüpft an den Aufenthalt des Kindes als einen eigenständigen und grundsätzlich nicht von den Eltern oder sonst Obsorgeberechtigten abgeleiteten Tatbestand an. Je jünger ein Kind ist, desto mehr Gewicht wird aber dem gewöhnlichen Aufenthalt der Person, der ihm gegenüber das Aufenthaltsbestimmungsrecht zukommt, beizumessen sein (vgl Pesendorfer aaO Rz 28). Dem Alter des Kindes entsprechend, ist hier der Aufenthalt der Mutter, die mit dem Minderjährigen nach Australien verzogen sein soll, von ausschlaggebender Bedeutung.

4.3 Das Erstgericht hat in seinen Feststellungen (Seite 7 in ON 143) Zweifel darüber geäußert, ob die Mutter mit dem Minderjährigen tatsächlich in Australien aufhältig ist, wie sie das in zahlreicher Korrespondenz gegenüber dem Erstrichter darstellte. Demgegenüber hielt es das Rekursgericht für aktenkundig, dass die Mutter und der Minderjährige nach Australien verzogen seien, und berief sich dazu auf eine Zentralmelderegisterauskunft (ON 176). Aus dieser kann jedoch lediglich ersehen werden, dass die Mutter in der Zeit vom bis (also bis nach Fällung der Entscheidung erster Instanz) an der dem Gericht bekannt gegebenen Anschrift im Inland gemeldet war. Anhaltspunkte dafür, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt im oben dargestellten Sinn in Australien begründet worden wäre, lassen sich daraus freilich nicht entnehmen. Auch aus dem übrigen Akteninhalt lässt sich die vom Rekursgericht angenommene Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts für den Minderjährigen in Australien keineswegs unwidersprochen ableiten. Der Vater hat in einer Stellungnahme gegenüber den Vorinstanzen unter Vorlage von Flugbestätigungen nämlich darauf hingewiesen, dass die Mutter einen Rückflug von Australien nach Österreich für Februar 2012 gebucht gehabt habe (ON 175). Auch der Umstand, dass der Vater in seiner Aussage als Partei der Begründung der Mutter, sie habe ein Angebot ihres Arbeitgebers angenommen und sei deshalb nach Australien verzogen, mit dem Hinweis begegnete, dass das Arbeitsverhältnis der Mutter zu ihrem bisherigen Arbeitgeber aufgelöst sei (ON 141), blieb in der Entscheidung des Rekursgerichts unerörtert. Tatsächlich soll es auch am in B***** M***** (beim Haus der Eltern der Mutter) zu einer - freilich nur kurzen - persönlichen Begegnung zwischen den Kindeseltern im Beisein des Minderjährigen gekommen sein (ON 189 im Teilakt zu II. ) und die Mutter - trotz ihrer Ankündigung gegenüber dem Erstgericht „Ende September“ mit dem Kind wieder an ihren „Hauptwohnort Perth in West Australien“ zurückzukehren (ON 191 und 197 aaO) - noch am in der Exekutionsabteilung des Bezirksgerichts Irdning vorgesprochen haben (ON 199 aaO), worauf das Erstgericht dieses Gericht auch um entsprechende „geeignete Erhebungen“ ersuchte (ON 200), deren Ergebnis jedoch nicht aktenkundig ist.

4.4 Der bloße Verweis auf den Akteninhalt durch das Rekursgericht bietet daher im Lichte aller dieser Umstände keine tragfähige Tatsachengrundlage zur Beurteilung der Frage, ob die internationale Zuständigkeit zur Entscheidung über den vom Vater gestellten Obsorgeantrag gemäß Art 5 Abs 2 KSÜ auf die Behörden eines anderen Staats übergegangen ist. Dazu bedarf es nicht nur der Klärung der Frage, ob der Minderjährige einen gewöhnlichen Aufenthalt in Australien (möglicherweise zwischenzeitig) begründet hat, sondern auch wann ein solcher allenfalls begründet wurde.

5.1 Mit einem Wechsel des Aufenthalts geht die internationale Zuständigkeit nach Art 5 Abs 2 KSÜ auf die Behörden des neuen Aufenthaltsstaats, der ebenfalls Vertragsstaat (und - wie Australien - nicht zugleich auch Mitgliedstaat der Brüssel IIa-VO) ist, über. Aus dieser Regelung folgt, dass die internationale Zuständigkeit jedenfalls im Zeitpunkt der Erlassung der Schutzmaßnahme in erster Instanz gegeben sein muss. Fallen die Voraussetzungen für die internationale Zuständigkeit nach Verfahrenseinleitung, aber noch vor Erlassung einer wirksamen Entscheidung nachträglich durch Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts durch den Minderjährigen weg, so hat dies, weil die perpetuatio fori im Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht gilt, rückwirkend die Nichtigkeit einer dennoch gefassten Entscheidung und des diesem zugrunde liegenden Verfahrens zur Folge (vgl insoweit RIS-Justiz RS0007405 zur vergleichbaren Rechtslage nach dem MSÜ). Hier steht aber nach den bisherigen Verfahrensergebnissen auch im Raum, dass ein allfälliger gewöhnlicher Aufenthalt in Australien im Sinn des Art 5 Abs 2 KSÜ erst nach der gemäß § 44 AußStrG mit vorläufiger Verbindlichkeit versehenen Entscheidung in erster Instanz begründet wurde. Art 14 KSÜ bestimmt, dass bei einem Wegfall der Grundlage für die Zuständigkeit die nach den Artikeln 5 bis 10 des Übereinkommens (von der bisher zuständigen Behörde) getroffenen Maßnahmen so lange in Kraft bleiben, bis die nach diesem Übereinkommen (neu) zuständigen Behörden sie ändern, ersetzen oder aufheben. Diese Bestimmung soll die Kontinuität des Minderjährigenschutzes, aber auch die Rechtssicherheit gewährleisten und geht davon aus, dass das Verfahren über die getroffene Maßnahme vor dem Zuständigkeitswechsel bereits abgeschlossen ist (RV 867 BlgNR XXIV. GP 12). Darüber, wann eine Maßnahme abgeschlossen ist, gibt das Übereinkommen keine Auskunft.

5.2 Die fehlende Zuständigkeit ist ein Grund, die Anerkennung einer Entscheidung zu versagen (Art 23 Abs 2 lit a KSÜ). Der durch die Bestimmung des Art 14 KSÜ gewährte Bestandschutz gilt damit für solche Schutzmaßnahmen, die die Behörde des bisherigen Aufenthaltsorts im Rahmen der ihr vom Übereinkommen zuerkannten Zuständigkeit getroffen hat. Der Wechsel der Zuständigkeit durch die Verlegung des Aufenthaltsorts, auch wenn im Inland ein Verfahren bereits anhängig gemacht worden war (Art 5 Abs 2 KSÜ), rechtfertigt sich insbesondere aus der Überlegung, dass die Behörden am neuen Aufenthaltsort die aktuelle Situation des Minderjährigen, die für die Beurteilung einer Schutzmaßnahme primär ausschlaggebend ist, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit den Behörden des früheren Aufenthalts nach Kapitel V des Übereinkommens, in aller Regel am besten beurteilen können. Solche Erwägungen überzeugen aber dann nicht mehr, wenn bereits eine Schutzmaßnahme zulässig getroffen ist. Eine getroffene Maßnahme wird daher nicht allein deswegen wirkungslos, weil die internationale Zuständigkeit nach Abschluss des ihr zugrunde liegenden Verfahrens weggefallen ist, sondern ist im Staat des neuen gewöhnlichen Aufenthalts anzuerkennen und bleibt in Kraft, solange sie nicht durch eine anders lautende Entscheidung ersetzt wird (vgl dazu die Erläuterungen des Berichterstatters für die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht - Lagarde-Bericht Rz 43). Die Gründe für eine Versagung der Anerkennung sind in Art 23 Abs 2 abschließend aufgezählt (Lagarde-Bericht Rz 128). Dass eine Entscheidung innerstaatlich noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, begründet keinen solchen Versagungsgrund. Der erkennende Senat ist daher der Auffassung, dass sich Art 14 KSÜ nicht nur auf unanfechtbar gewordene, also rechtskräftige Entscheidungen bezieht (vgl auch Henrich in Staudinger, BGB - EGBG Art 21 Rn 162; vgl auch Rauscher in Münchener Komm zur ZPO³ § 99 FamFG Rn 36). Eine Maßnahme ist vielmehr bereits dann im Sinn des Art 14 Abs 1 KSÜ getroffen, wenn sie wirksam ist (vgl 2 Ob 1/10a zur vergleichbaren Regelung nach Art 5 MSÜ). Diese bleibt solange in Kraft, bis die Behörden des nunmehrigen Aufenthaltsorts eine anderslautende Entscheidung treffen.

5.3 Die Überlegung, dass eine vor dem Aufenthaltswechsel zulässigerweise getroffene Maßnahme zunächst in Kraft bleibt und nach den Intentionen des Übereinkommens im Staat des neuen gewöhnlichen Aufenthalts anzuerkennen ist (Lagarde-Bericht Rz 43), führt dazu, dass durch eine in erster Instanz berechtigt getroffene Entscheidung keine perpetuatio fori für das Rechtsmittelverfahren begründet wird, weil eine Anerkennung im Staat des nunmehrigen gewöhnlichen Aufenthalts bei gleichzeitig möglicher Überprüfung der anzuerkennenden Maßnahme durch die Instanzen des Staats, in dem sie erlassen wurde, mit dem Bestreben nach Rechtssicherheit unvereinbar ist. Eine vertragsautonome Auslegung des Übereinkommens führt daher zum Ergebnis, dass eine wirksam gewordenen Entscheidung erster Instanz gemäß Art 14 Abs 1 KSÜ bis zu einer abändernde Entscheidung durch die Behörden des neuen Aufenthaltsstaats in Kraft bleibt, auch wenn sie wegen des nachträglichen Wegfalls der internationalen Zuständigkeit im Instanzenzug nicht mehr überprüft werden kann (vgl Henrich in Staudinger aaO; Rauscher aaO; Bauer, Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts und perpetuatio fori in Sorgerechtsverfahren, IPRax 2003, 135). An die Stelle der Überprüfung einer solchen Entscheidung im Instanzenzug tritt die Möglichkeit der Beteiligten, durch geeignete Antragstellung im Staat des nunmehr gewöhnlichen Aufenthalts eine diese ändernde, ersetzende oder aufhebende Maßnahme zu erwirken. Die zum MSÜ ergangene Rechtsprechung, wonach für die Frage der inländischen (internationalen) Zuständigkeit (auch) für das Rechtsmittelverfahren auf den Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz abzustellen sei (5 Ob 742/78; 8 Ob 587/85 ua), kann nach Ansicht des erkennenden Senats für den Anwendungsbereich des KSÜ aus den dargestellten Überlegungen nicht übernommen werden.

6. Es bedarf daher konkreter Feststellungen zum gewöhnlichen Aufenthaltsort des Minderjährigen und zum Zeitpunkt eines allfälligen Wechsels des Aufenthaltsorts. Sollte sich dabei ergeben, dass der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt schon vor Entscheidung der ersten Instanz tatsächlich nach Australien verlegt hat, wäre die Zuständigkeit zur Entscheidung entsprechend Art 5 Abs 2 KSÜ auf die dortigen Behörden übergegangen (s dazu Nademleinsky aaO). Die internationale Unzuständigkeit des Erstgerichts zur Entscheidung in der Sache wäre dann vom Rekursgericht zu Recht aufgegriffen worden (§ 56 Abs 1 AußStrG). Falls sich ergeben sollte, dass der Minderjährige seinen Aufenthalt erst nach Wirksamkeit der Entscheidung erster Instanz nach Australien verlegte, wird das Rekursgericht seine internationale Zuständigkeit entsprechend der soeben angestellten Überlegungen zu beurteilen und gegebenenfalls seine eigene Unzuständigkeit zur Entscheidung über die Rechtsmittel wahrzunehmen haben. Dabei wird aber zu berücksichtigen sein, dass das Erstgericht seinem Beschluss, mit dem es der Mutter die Obsorge entzog und dem Vater übertrug, vorläufige Verbindlichkeit zuerkannte, sodass die internationale Zuständigkeit des Rekursgerichts nach Art 7 KSÜ vorliegen könnte.

Zu II. :

7.1 Gegenstand des Übereinkommens sind insbesondere Maßnahmen zum Schutz des Kindes (Art 1 Abs 1 lit a KSÜ). Zu den Maßnahmen, die damit in den sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen, zählt Art 3 lit b KSÜ das Sorgerecht einschließlich der Sorge für die Person, insbesondere das Recht auf persönlichen Verkehr. Nach den Erläuterungen des Berichterstatters für die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (Lagarde-Bericht Rz 20) herrschte unter den Vertragsstaaten Einigkeit darüber, dass die Begriffe „access“ oder „Recht zum persönlichen Umgang“ so zu verstehen sind, dass sie Kontakte einschließen, die ein Elternteil aus der Ferne im Weg des Briefverkehrs, fernmündlich oder per Telefax zu seinem Kind unterhalten darf. Art 3 lit b KSÜ geht daher von einem weiten Verständnis des Begriffs „Recht auf persönlichen Verkehr“ aus. Zweck der Regelung des persönlichen Verkehrs zwischen dem Kind und dem nicht obsorgeberechtigten Elternteil ist die Förderung der Entwicklung des Kindes durch persönlichen Kontakt mit dem nicht erziehenden Elternteil. Diesem Zweck dienen alle Mittel der modernen Kommunikation. Auf solche Möglichkeiten wird umso mehr zurückzugreifen sein, als die Aufrechterhaltung des erforderlichen persönlichen Kontakts, etwa wegen der großen räumlichen Entfernung, sonst deutlich erschwert wird.

Der erkennende Senat hegt daher keine Zweifel daran, dass die dem Antrag des Vaters zugrunde liegende besondere Art der persönlichen Kontaktaufnahme zu seinem Sohn mittels Bild/Tonübertragung über das Internet ebenso unter den Begriff des persönlichen Verkehrs gemäß Art 3 lit b KSÜ und daher in den sachlichen Anwendungsbereich dieses Übereinkommens fällt, wie Informationsrechte des nicht erziehenden Elternteils, weil die Kenntnis von persönlich und sozial relevanten Umständen letztlich einer verantwortlichen Wahrnehmung des Rechts auf persönlichen Verkehr zwischen diesem und dem Kind dienen.

7.2 Eine abschließende Entscheidung ist aber auch hier nicht möglich, weil die Vorinstanzen auch aus Anlass des nunmehrigen Antrags des Vaters keine Verbreiterung der Tatsachengrundlage zum gewöhnlichen Aufenthalt des Minderjährigen vornahmen, sondern die im Vorbeschluss anhand eines ungenügenden Tatsachensubstrats angenommene fehlende internationale Zuständigkeit unter Hinweis auf die unverändert gebliebene ZMA-Auskunft fortschrieben. Der neuerliche Antrag des Vaters, den dieser ausdrücklich nicht als Zugeständnis der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts des Minderjährigen in Australien verstanden wissen will (Rekurs ON 185), ist als Schutzmaßnahme hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit grundsätzlich selbständig zu beurteilen. Für den Fall, dass die inländische Zuständigkeit für den unter Punkt I. behandelten erstinstanzlichen Beschluss noch gegeben gewesen sein sollte, wird jedoch ebenfalls zu beachten sein, dass allenfalls Art 7 KSÜ zur Anwendung gelangt.

8. Die Entscheidungen des Rekursgerichts sind daher aufzuheben und diesem eine neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung aufzutragen, weil dieses bei entsprechenden Ergebnissen die Rechtsmittel der Parteien ohne weitere Verzögerung erledigen kann.