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OGH vom 30.06.2022, 4Ob103/22h

OGH vom 30.06.2022, 4Ob103/22h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny und Hon.-Prof. PD Dr. Rassi sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L* W*, vertreten durch Dr. Jürgen Brandstätter, Rechtsanwalt in St. Pölten als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte Partei G* gemeinnützige Privatstiftung, *, vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Feststellung und Zustimmung zur Einverleibung (Streitwert 900.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 16 R 135/21x-119, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Beklagte ist eine Privatstiftung, wobei der Stiftungszweck die gemeinnützige Förderung der Allgemeinheit auf dem Gebiet des Tierschutzes ist.

[2] Der Kläger übereignete im Jahr 2008 mit dem als „Übergabsvertrag“ titulierten Notariatsakt seine landwirtschaftlichen Liegenschaften einschließlich des darauf befindlichen Bauernhofs samt aller Tiere an die Beklagte zur fachgerechten Weiterführung des landwirtschaftlichen Betriebs. Hintergrund der Übergabe an die Beklagte war der Umstand, dass der Kläger mit der Versorgung der Tiere am desolaten und verschmutzten Hof überfordert war. Die Tierhaltung stand bereits unter behördlicher Beobachtung, dem Kläger wurden dazu Auflagen erteilt. Für ihn war es das Wichtigste, dass es ihm und den Tieren gut geht und er auf dem Hof wohnen bleiben kann. Es war ihm ein großes Anliegen, dass die Tiere dann unter dem Schutz der Beklagten leben.

[3] Als Gegenleistung für die Liegenschaft räumte die Beklagte dem Kläger ein unentgeltliches Wohnungsgebrauchsrecht an bestimmten Räumen der Liegenschaft ein, übernahm dessen Kreditschuld im Ausmaß von 8.000 EUR und verpflichtete sich gegenüber dem Kläger, ein monatliches (wertgesichertes) Handgeld von 200 EUR sowie die Kosten seines Begräbnisses und der Grabpflege zu zahlen.

Die Streitteile vereinbarten im Notariatsakt ua folgenden Vertragspunkt 8:

Sollte der Verkehrswert des Vertragsgegenstandes die Gegenleistung übersteigen …, ist in diesem Vertrag eine Schenkung enthalten. [Der Kläger] beurkundet seinen Schenkungswillen, [die Beklagte] nimmt eine allfällige Schenkung an. [Der Kläger] verzichtet ausdrücklich auf das Recht eine allfällige Schenkung zu widerrufen.

[4] Der begehrt die Feststellung der Nichtigkeit des Vertrags und die Zustimmung der beklagten Partei zur Einverleibung seines Eigentumsrechts an den Liegenschaften. Er sei beim Vertragsabschluss geschäftsunfähig gewesen. Hilfsweise werde der Vertrag wegen List, Drohung, Irrtums, Wucher und Sittenwidrigkeit angefochten und würden ein Verwendungsanspruch, Schadenersatz bzw ein Schenkungswiderruf geltend gemacht.

[5] Die wiesen die Klage ab.

Rechtliche Beurteilung

[6] In seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten außerordentlichen Revision, deren Zulässigkeit sich ausschließlich auf § 879 Abs 3 ABGB stützt, zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[7] 1. Ungeachtet der Frage, ob das erstmals in der außerordentlichen Revision geltend gemachte Vorbringen, dass der im Notariatsakt enthaltene Verzicht auf einen Schenkungswiderruf auch eine gröbliche Benachteiligung gemäß § 879 Abs 3 ABGB beinhalte, zumal der Vertrag in einer Ungleichgewichtssituation geschlossen worden, die einem Vertragsabschluss unter Zugrundelegung von AGB vergleichbar sei, bereits am Verstoß gegen das Neuerungsverbot scheitern muss (vgl 4 Ob 79/99t; 9 Ob 26/15m), kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht auf § 879 Abs 3 ABGB gestützt werden.

[8] 2. Gemäß § 879 Abs 3 ABGB ist eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt. Diese Regelung ist zwar nicht nur auf AGB und Vertragsformblätter anzuwenden, sondern auch in anderen Fällen, in denen sich ein Vertragsteil der vorformulierten Erklärung des anderen unterwirft (1 Ob 144/04i = RS0119322; vgl auch RS0119323). Es ist in der Rechtsprechung aber bereits geklärt, dass bei einer individuellen Aushandlung des Vertragstextes die von § 879 Abs 3 ABGB vorausgesetzte Ungleichgewichtslage („verdünnte Willensfreiheit“), wie sie der Verwendung bei AGB typischerweise zu eigen ist, gerade nicht vorliegt (1 Ob 75/19i).

[9] 3. Insoweit der Kläger den Standpunkt vertritt, dass Punkt 8 des Notariatsakts von ihm nicht geprüft hätte werden können und auch überraschend gewesen sei, weil dieser Punkt in den davor vorliegenden Vertragsurkunden nicht enthalten gewesen sei, entfernt er sich von den Feststellungen.

[10] 3.1. Demnach war dem (letztlich der Grundbuchseintragung als Titel zugrundeliegenden) Notariatsakt noch ein von einem Rechtsanwalt verfasster „Schenkungsvertrag mit wirklicher Übergabe“ zwischen den Streitteilen vorgegangen. Bereits in diesem Schenkungsvertrag fand sich eine zu Vertragspunkt 8 des Notariatsakts entsprechende Klausel. Auch im Schenkungsvertrag des Anwalts verzichtete der Kläger auf den Widerruf der Schenkung. Bereits der Rechtsanwalt ging diesen Vertrag mit dem Kläger durch, der keine Änderungen im Vertragstext reklamierte.

[11] 3.2. Der Notariatsakt wurde zwischen den Parteien deshalb geschlossen, weil das der ständige Notar der Beklagten aufgrund eines allfällig beinhalteten Schenkungselements für notwendig erachtete. Auch der Inhalt des Notariatsakts wurde dem Kläger vom vertragserrichtenden Notar ausführlich erklärt. Das hatte auch zur Folge, dass eine Reihe von Vertragspunkten vor der Unterfertigung noch abgeändert wurden. Das betraf die Steuer- und Gebührenbelastung, die Ausnahme von Liegenschaftszubehör und Werkzeug von der Übergabe, die Festlegung der Räume für das Wohnrecht sowie die Übernahme der Begräbniskosten. Explizit wurde auch Vertragspunkt 8 des Notariatsakts besprochen, der vom Kläger richtig verstanden wurde und mit dem er auch einverstanden war, sodass dieser Punkt nicht modifiziert werden musste.

[12] 3.3. Der Kläger hatte einen Schenkungswillen als er der Beklagten sein Liegenschaftseigentum übergab und nahm ein allfälliges Missverhältnis in Kauf.

[13] 4. Im Sinne der oben aufgezeigten Rechtsprechung (1 Ob 75/19i) liegt im hier vorliegenden Einzelfall beim Vertragspunkt 8 des Notariatsakts kein Fall des § 879 Abs 3 ABGB vor, sodass die Zulässigkeit des Rechtsmittels darauf nicht gestützt werden kann.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00103.22H.0630.000

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