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OGH vom 16.09.2020, 7Ob105/20x

OGH vom 16.09.2020, 7Ob105/20x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. V***** P*****, vertreten durch die Fritzsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, und ihres Nebenintervenienten DI E***** G*****, vertreten durch Dr. Walter Schuhmeister und Mag. Franz Haydn, Rechtsanwälte in Schwechat, gegen die beklagten Parteien 1. W***** auf Gegenseitigkeit, *****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. Mag. G***** I*****, vertreten durch Mag. Gregor Olivier Rathkolb, Rechtsanwalt in Wien, wegen 7.484,18 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 40/18m58, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 2 Cg 106/15m53, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Unter Mitwirkung und Zwischenschaltung dritter Personen schlossen die Klägerin und das in der Bundesrepublik Deutschland ansässige erstbeklagte Versicherungsunternehmen Ende Jänner 2012 einen Vertrag über eine fondsgebundene Rentenversicherung mit Einmalerlag in Höhe von 194.599,77 EUR, darin 7.484,18 EUR Versicherungssteuer, mit einer Laufzeit von 29 Jahren. Weder war feststellbar, dass der Klägerin unverzüglich eine Kopie ihres Versicherungsantrags ausgehändigt wurde, noch an wen die Polizze übermittelt und ob diese an die Klägerin weitergeleitet wurde. Erst am übermittelte die Erstbeklagte die Polizze (nicht aber das Antragsformular) an die Klägerin, woraufhin diese am den Rücktritt vom Versicherungsvertrag erklärte.

Die Klägerin begehrte die Aufhebung des Vertrags, hilfsweise die Feststellung seiner Unwirksamkeit, sowie die Rückzahlung des geleisteten Betrags (darin enthalten Versicherungssteuer). Sie brachte vor, diesen Versicherungsvertrag nicht abgeschlossen zu haben und nach Kenntnis vom Bestehen des Vertrags nach § 5b Abs 2 VersVG, hilfsweise nach § 165a VersVG, zurückgetreten zu sein. Die Erstbeklagte hafte schadenersatzrechtlich wegen Verstoßes gegen § 17e VAG und § 75 VAG.

Die Erstbeklagte entgegnete, der Klägerin stehe kein Rücktrittsrecht zu. Dessen Rechtsfolge wäre nur die Auszahlung des Rückkaufswerts nach § 176 VersVG. Sie sei nicht schadenersatzpflichtig. Die von ihr an den Staat abgeführte Versicherungssteuer habe sie nicht zurückzuzahlen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegen die Erstbeklagte teilweise statt: Es erklärte den Versicherungsvertrag für aufgehoben und erkannte die Erstbeklagte für schuldig, der Klägerin die NettoVersicherungsprämie von 187.104,59 EUR samt Zinsen zurückzuzahlen, weil dem Versicherer der Nachweis der Ausfolgung der in § 5b Abs 2 Z 1 und Z 2 VersVG genannten Urkunden nicht gelungen und die Klägerin daher berechtigt nach § 5b Abs 2 VersVG zurückgetreten sei. Das Begehren auf Rückzahlung der Versicherungssteuer in Höhe von 7.484,18 EUR wies das Erstgericht jedoch ab, weil die Versicherungssteuer beim Versicherer, der nicht selbst Steuerschuldner sei, nur eine „Durchlaufpost“ wäre. Das Klagebegehren gegen den Zweitbeklagten wies es ab.

Die Klägerin ließ die Abweisung der Klage gegen den Zweitbeklagten und die Erstbeklagte ließ den Ausspruch über die Aufhebung des Vertrags und den Zuspruch von 187.104,59 EUR an NettoVersicherungsprämie unangefochten; in diesem Umfang ist das erstgerichtliche Urteil somit rechtskräftig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen die Abweisung des Begehrens gegen die Erstbeklagte auf Rückzahlung der Versicherungssteuer in Höhe von 7.484,18 EUR nicht Folge. Die Klägerin habe keine Zuwendung an die Erstbeklagte im Sinne einer bewussten Vermehrung fremden Vermögens erbracht. Der Versicherer habe die Steuer für Rechnung des Versicherungsnehmers zu entrichten. Die Leistungsbeziehung bestehe zwischen dem Versicherungsnehmer als Steuerschuldner und dem Staat als Gläubiger der Steuerschuld. Mangels Leistungsbeziehung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer komme daher eine bereicherungsrechtliche Rückforderung der Versicherungssteuer nicht in Betracht. Dass die Versicherungssteuer vom Staat wegen Verjährung nicht mehr zurückgefordert werden könne, habe die Klägerin in erster Instanz nicht behauptet.

Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage der Rückerstattung der Versicherungssteuer bei bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung des Versicherungsvertrags zu.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine gänzliche Stattgebung des Klagebegehrens gegen die Erstbeklagte abzielt.

Die Erstbeklagte beantragt, die Revision abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

1. Der Senat hat aus Anlass der Revision mit Beschluss vom , AZ 7 Ob 211/18k, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art 267 AEUV vorgelegt und das Revisionsverfahren bis zum Einlangen der Entscheidung des EuGH gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

2. Der EuGH hat über dieses Vorabentscheidungsersuchen nunmehr mit Beschluss vom in der Rechtssache C-803/19, WWK, entschieden.

3. Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.

Zu II.:

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

A. Vorlagefrage und Beantwortung durch den EuGH:

1. Der Senat hatte dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art 31 der Richtlinie 92/96/EWG (bzw Art 35 Abs 1 in Verbindung mit Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 185 Abs 1 in Verbindung mit Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG) dahin auszulegen, dass sie nationalen Regelungen entgegenstehen, wonach im Falle eines berechtigten (Spät-)Rücktritts des Versicherungsnehmers vom Versicherungsvertrag die von ihm als Steuerschuldner geschuldete und vom Versicherer bloß als Haftender eingehobene und an den Bund (Republik Österreich) abgeführte Versicherungssteuer (in Höhe von 4 % der Netto-Versicherungsprämie) nicht jedenfalls gemeinsam mit der Netto-Versicherungsprämie vom Versicherer aus vertraglicher Rückabwicklung zurückerlangt werden kann, sondern der Versicherungsnehmer darauf verwiesen ist, die Versicherungssteuer vom Bund (Republik Österreich) nach abgabenrechtlichen Vorschriften zurückzuverlangen, oder – falls dies erfolglos bleibt – allenfalls Schadenersatzansprüche gegen den Versicherer geltend zu machen?

2. Diese Vorlagefrage hat der EuGH zu C803/19, WWK, wie folgt beantwortet:

„Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Lebensversicherungen und Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, wonach im Fall des Rücktritts des Versicherungsnehmers vom Versicherungsvertrag die Steuer auf Versicherungsprämien, die vom Versicherungsnehmer geschuldet und vom Versicherer erhoben und an den Staat abgeführt wird, von den Beträgen ausgenommen ist, die der Versicherer an den Versicherungsnehmer zurückzahlen muss, so dass dieser die Erstattung der Steuer von der Steuerverwaltung oder gegebenenfalls Schadensersatz vom Versicherer verlangen muss, dann nicht entgegenstehen, wenn die nach dem auf den Versicherungsvertrag anwendbaren Recht geltenden Verfahrensvorschriften über die Rückforderung dieser als Steuer auf Versicherungsprämien gezahlten Beträge nicht geeignet sind, die Wirksamkeit des Rücktrittsrechts, das dem Versicherungsnehmer nach dem Unionsrecht zusteht, in Frage zu stellen, was das vorlegende Gericht zu überprüfen hat.“

B. Abgabenrechtliche Bestimmungen

Nach § 1 Abs 1 VersStG, BGBl 1953/133 unterliegt die Zahlung des Versicherungsentgelts aufgrund eines durch Vertrag oder auf sonstige Weise entstandenen Versicherungsverhältnisses der Versicherungssteuer. Deren Bemessungsgrundlage ist nach § 5 Abs 1 VersStG regelmäßig das Versicherungsentgelt.

Das Versicherungsentgelt ist nach § 3 Abs 1 VersStG jede Leistung, die für die Begründung und zur Durchführung des Versicherungsverhältnisses an den Versicherer zu bewirken ist (Beispiele: Prämien, Beiträge, Vorbeiträge, Vorschüsse, Nachschüsse, Umlagen, außerdem Eintrittsgelder, Kosten für die Ausfertigung des Versicherungsscheines und sonstige Nebenkosten).

Steuerschuldner ist nach § 7 Abs 1 VersStG der Versicherungsnehmer. Der Versicherer haftet für die Steuer und hat sie für Rechnung des Versicherungsnehmers zu entrichten. Nach § 7 Abs 4 VersStG gilt im Verhältnis zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer die Steuer als Teil des Versicherungsentgelts, insbesondere soweit es sich um dessen Einziehung und Geltendmachung im Rechtsweg handelt.

Wird das Versicherungsentgelt ganz oder zum Teil zurückgezahlt, weil die Versicherung vorzeitig aufhört oder das Versicherungsentgelt oder die Versicherungssumme herabgesetzt worden ist, so wird nach § 9 Abs 1 VersStG die Steuer auf Antrag insoweit erstattet, als sie bei Berücksichtigung dieser Umstände nicht zu erheben gewesen wäre. Der Versicherer, der zur Entrichtung der Steuer verpflichtet ist, kann den Erstattungsbetrag selbst berechnen und vom Gesamtsteuerbetrag absetzen. Bei Erstattung des Rückkaufswerts gemäß § 176 VersVG wird die Steuer nicht erstattet (§ 7 Abs 2 VersStG).

C. Zur Rückforderung der Versicherungssteuer

1.1. Der Rücktritt führt zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags. § 1435 ABGB räumt einen Rückforderungsanspruch ein, wenn der zunächst vorhandene rechtliche Grund – wie etwa bei einem Rücktritt – wegfällt. Der Wegfall des Vertrags beseitigt bei beiden Parteien den Rechtsgrund für das Behalten der empfangenen Leistungen (7 Ob 15/20m, 7 Ob 20/20x mwN; vgl RS0018414 [T2]).

1.2. Leistungskondiktionen stehen zur Rückabwicklung fehlerhafter Leistungen dem Leistenden gegen den Empfänger zu und setzen eine Leistung des Verkürzten an den Bereicherten voraus, wobei unter der Leistung eine bewusste Zuwendung zur Erreichung eines bestimmten Zwecks zu verstehen ist. Wer rückstellungspflichtiger Leistungsempfänger ist, hängt davon ab, auf welchen Rechtsgrund hin der rückforderungsberechtigte Leistende seine Leistung erbringen wollte; die Absicht des Leistenden ist dabei – wie bei rechtsgeschäftlichen Erklärungen – vom Empfängerhorizont aus festzustellen (vgl

RS0020192). Sind an einer Vermögensverschiebung mehrere Personen beteiligt, so ist die Feststellung vom Berechtigten und Verpflichteten aufgrund der von den Parteien bei der Leistung vorgestellten Zweckbestimmung zu treffen. Es muss daher gefragt werden, wer nach dem angenommenen Schuldverhältnis oder der sonstigen Zweckvereinbarung Leistender und wer Leistungsempfänger sein sollte; die Rückabwicklung ist zwischen diesen Personen vorzunehmen (vgl RS0033737).

2. Bei der hier in Frage stehenden Rückabwicklung nach § 1435 ABGB ist in Ansehung der Versicherungssteuer zu berücksichtigen, dass nach § 7 Abs 1 VersStG der Versicherungsnehmer Steuerschuldner ist, während der Versicherer nur für die Einhebung und Abfuhr der Steuer haftet, was aufgrund der Ausgestaltung der Steuer schon von Anfang an klar ist.

Soweit nach § 7 Abs 4 VersStG im Verhältnis zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer die Steuer als Teil des Versicherungsentgelts „gilt“, „insbesondere“ soweit es sich um dessen Einziehung und Geltendmachung im Rechtsweg handelt, sind über den Bereich der Einziehung und Abfuhr der Steuer hinaus keine Gründe ersichtlich, warum die Steuer versicherungssteuerrechtlich zum Versicherungsentgelt gehören sollte. Hier ist darauf hinzuweisen, dass die bis dahin inhaltsgleiche deutsche Rechtslage in jüngerer Zeit insofern geändert wurde (vgl nunmehr § 7 Abs 9 dVersStG 1996 idF VerkehrStÄndG, dBGBl I 2012/57, 2433), als das Wort „insbesondere“ als entbehrlich entfallen ist (Gesetzentwurf der deutschen Bundesregierung zum VerkehrStÄndG, Bundestags-
Drucksache 321/12).

Die eingehobene Versicherungssteuer verbleibt nicht beim Versicherer, der nur die – ihm vom Staat übertragene – abgabentechnische Aufgabe der Berechnung, Einhebung und Ablieferung der Steuer an den Staat zu besorgen hat, ohne dass sich dadurch an deren Charakter etwas ändern würde. Nähme der Staat für die Einhebung der auf Versicherungsverträge erhobenen Steuer nicht einen privaten Dritten (hier den Versicherer) in die Pflicht, bliebe es bei der Grundregel, dass der Steuerschuldner für die Entrichtung der Steuer selbst zu sorgen hat. Dies ist auch schon nach geltendem österreichischem Recht bei Verträgen mit Versicherern ohne (Wohn)Sitz oder Bevollmächtigten zur Entgegennahme des Versicherungsentgelts im EWR der Fall (§ 7 Abs 3 VersStG). Auch dies zeigt, dass der eigentlichen Leistung des Versicherers für die Begründung und Durchführung des Versicherungsverhältnisses (§ 3 Abs 1 VersStG) nur das (Netto)Versicherungsentgelt gegenübersteht, wohingegen der Versicherungssteuer keine Leistung des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer entspricht und insofern kein Äquivalenzverhältnis besteht.

3.1. Die Erstbeklagte ist somit nach nationalem Recht durch die Versicherungssteuer nicht bereichert, sondern die Leistungszuwendung erfolgte nach dem völlig klaren Zweck der zu beurteilenden Regeln des VersStG vom Steuerschuldner – hier der Klägerin – in Erfüllung einer Steuerpflicht an den Bund und nicht an den Versicherer (vgl Perner/Spitzer, Rücktritt von der Lebensversicherung [2020] 69 f).

3.2. Nach § 1435 ABGB kann daher der Versicherungsnehmer im Falle des ihm auf unionsrechtlicher Grundlage zustehenden Rücktritts vom Vertrag vom Versicherer nur die Netto-Versicherungsprämie, also das Entgelt für die Versicherung, erlangen. Hinsichtlich der an den Bund geleisteten Versicherungssteuer ist er auf die Rückforderung im Abgabenverfahren oder auf Schadenersatz gegenüber dem Versicherer verwiesen.

4.1. Der EuGH hat bereits ausgeführt, dass in einem Fall, in dem der Rücktritt nicht fristgerecht unmittelbar nach Zustandekommen des Vertrags erklärt wird, weil überhaupt keine Informationen mitgeteilt werden oder die mitgeteilten Informationen derart fehlerhaft sind, dass dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben, es Sache des Versicherers ist, einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung bestimmter Informationen, zu denen insbesondere die Informationen über das Recht des Versicherungsnehmers, vom Vertrag zurückzutreten, gehören, nicht nachgekommen ist (C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, Rn 109 und 69, unter Hinweis auf C-209/12, Endress, Rn 30).

4.2. Nunmehr führt der EuGH in C803/19, WWK, Rn 28 und 31 f (unter ausdrücklichem Hinweis auf C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, Rn 104 und 117) aus, dass die nach dem auf den Versicherungsvertrag anwendbaren Recht an die Ausübung des Rücktrittsrechts geknüpften rechtlichen Wirkungen – also nicht die unionsrechtlich geregelten Wirkungen wie die Pflicht zur Erstattung der aufgrund des Versicherungsvertrags gezahlten Beträge zuzüglich Vergütungszinsen oder die Ingangsetzung der Verjährungsfrist für den Zinsanspruch – so beschaffen sein müssen, dass sie den Versicherungsnehmer nicht davon abhalten, sein Rücktrittsrecht auszuüben, und die Anwendung der nationalen Vorschriften über die Modalitäten zur Ausübung des Rücktrittsrechts nicht die Wirksamkeit des Rücktrittsrechts beeinträchtigen.

Die Versicherungssteuer ist eine Abgabe, deren Schuldner der Versicherungsnehmer ist, während der Versicherer nur für die Einziehung der Steuer für den Staat und die Entrichtung im Namen des Versicherungsnehmers zu sorgen hat. Der EuGH hält dazu ausdrücklich fest, dass die Ausübung des Rechts des Versicherungsnehmers, vom Versicherungsvertrag zurückzutreten, als solches nicht unmittelbar berührt wird, wenn der Versicherungsnehmer die Beträge, die er an den Versicherer als Versicherungssteuer gezahlt hat, nicht unmittelbar vom Versicherer zurückfordern kann (C803/19, WWK, Rn 34 f).

Dem Umstand, dass der Versicherungsnehmer die Erstattung der Steuer von der Steuerverwaltung oder gegebenenfalls Schadenersatz vom Versicherer verlangen muss, stehen keine unionsrechtlichen Bestimmungen entgegen, wenn die nach dem auf den Versicherungsvertrag anwendbaren Recht geltenden Verfahrensvorschriften über die Rückforderung dieser als Steuer auf Versicherungsprämien gezahlten Beträge nicht geeignet sind, die Wirksamkeit des Rücktrittsrechts, das dem Versicherungsnehmer nach dem Unionsrecht zusteht, in Frage zu stellen (C803/19, WWK, Rn 37).

5.1. Ein verständiger durchschnittlicher Versicherungsnehmer (RS0112256; RS0008901) ließe sich schon durch die Nichtrückzahlung der Versicherungssteuer in so geringem Ausmaß von 4 % der Nettoprämie nicht von einem Rücktritt von einem seinen Bedürfnissen nicht entsprechenden Vertrag abhalten; durch den Abzug der Versicherungssteuer wird daher die Wirksamkeit des Rücktrittsrechts des Versicherungsnehmers (vgl EuGH C803/19, WWK, Rn 28 und 31 f, unter ausdrücklichem Hinweis auf C355/18 bis C357/18 und C479/18, Rust-Hackner, Rn 104 und 117) grundsätzlich nicht beeinträchtigt.

5.2. Zudem steht dem Versicherungsnehmer unter den allgemeinen Voraussetzungen ein Schadenersatzanspruch gegen den Versicherer zu. Es ist dessen Sache, „einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung bestimmter Informationen,

insbesondere die Informationen über das Recht des Versicherungsnehmers, vom Vertrag zurückzutreten, nicht nachgekommen ist“ (vgl C355/18 bis C357/18 und C479/18, Rust-Hackner, Rn 106 ff). Mit den nach österreichischem Recht geltenden Möglichkeiten der Einklagung von Schadenersatz wird nach den dargelegten Kriterien des EuGH (C803/19, WWK, Rn 37) die Wirksamkeit des Rücktrittsrechts nicht in Frage gestellt. Schon jetzt sei ausgeführt, dass es dem Versicherungsnehmer aber wegen des Aufwands des abgabenrechtlichen Verfahrens und allfällig problematischer Rechtslage nicht zumutbar ist (vgl 7 Ob 13/20t mwN), vor Erhebung eines Schadenersatzanspruchs gegen den Versicherer zu versuchen, vom Bund die Steuer zurückerstattet zu erhalten. Insoweit trifft den Versicherungsnehmer daher keine Schadensminderungspflicht.

Ein Anspruch der Klägerin gegen den Versicherer auf Rückzahlung der Versicherungssteuer auf bereicherungsrechtlicher Grundlage besteht somit nicht.

6. Der von der Klägerin in erster Instanz geltend gemachte Schadenersatzanspruch wurde vom Erstgericht verneint und in der Berufung nicht mehr aufrecht erhalten.

Hat – wie hier – die Rechtsrüge in zweiter Instanz nur einen bestimmten Aspekt aufgegriffen, wurde das Ersturteil aber nicht aus dem nunmehr relevierten Grund bekämpft, dann kann die diesbezügliche rechtliche Beurteilung im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpft werden (RS0043338 [T10, T 11, T 12, T 13, T 27]; RS0041570 [T8, T 11]).

Die erstmals in der Revision erstatteten Ausführungen, der Klägerin sei ein Schaden dadurch entstanden, dass die Erstbeklagte es entgegen § 7 Abs 4 und § 9 VersStG,§ 202 BAO sowie entgegen vertragsrechtlicher Sorgfaltspflichten unterlassen habe, die Versicherungssteuer im Gesamtsteuerbetrag abzusetzen oder den Antrag auf Erstattung der Versicherungssteuer gegenüber der Steuerbehörde zu stellen, sind daher unzulässige Neuerungen.

D. Der Revision ist nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 50, 41 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00105.20X.0916.000

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