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OGH vom 21.07.2011, 1Ob105/11i

OGH vom 21.07.2011, 1Ob105/11i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** AG, *****, vertreten durch Wolff Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei I***** SRL, *****, Rumänien, vertreten durch Mag. Dr. Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in Wien, wegen 112.500 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 1 R 52/11s 15, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 39 Cg 43/08d 11, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.167,38 EUR (darin 361,23 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Nach Einlangen der Klage fasste das Erstgericht am einen Beschluss, womit der in Rumänien ansässigen Beklagten im Sinne des § 10 ZustG aufgetragen wird, binnen vier Wochen einen in Österreich wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen; weiters wurde darauf hingewiesen, dass nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist die Zustellung der für die Beklagte bestimmten Schriftstücke ohne Zustellversuch durch Hinterlegung bei Gericht vorgenommen werde. Eine Ausfertigung dieses Beschlusses, der Klage sowie des Auftrags zur Klagebeantwortung wurden der Beklagten jeweils mit Übersetzung in die rumänische Sprache im Wege eines Zustellersuchens nach der EuZVO am zugestellt. Auf Antrag der Klägerin wurde am ein klagestattgebendes Versäumungsurteil erlassen, wobei eine Hinterlegung ohne Zustellversuch weder vom Gericht verfügt noch sonst vorgenommen wurde. Vielmehr wurde die für die Beklagte bestimmte Ausfertigung des Versäumungsurteils am vom Erstgericht abgefertigt und ist dieser frühestens am zugekommen. Mit einem am eingebrachten Schriftsatz erhob die nunmehr durch einen österreichischen Rechtsanwalt vertretene Beklagte Widerspruch gegen das Versäumungsurteil, in dem sie die Zurück bzw Abweisung der Klage beantragte.

Das Erstgericht wies den Widerspruch ebenso wie einen nachträglich hilfsweise erhobenen Wiedereinsetzungsantrag zurück. Die Beklagte sei in dem ihr am zugekommenen Auftrag zur Bestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten auf die Rechtsfolge hingewiesen worden, dass weitere Zustellungen ohne Zustellversuch durch Hinterlegung erfolgen würden, wenn ein Zustellungsbevollmächtigter nicht bestellt werde. Das in der Folge zu Recht erlassene Versäumungsurteil sei bei Gericht am abgefertigt worden, sodass es selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten die neue Regelung des § 98 Abs 1 ZPO für (bereits) anwendbar erachtete 14 Tage später als zugestellt gelte. Der Widerspruch sei allerdings erst nach Ablauf dieser 14 Tage erhoben worden und sei als verspätet zurückzuweisen.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es den erstgerichtlichen Beschluss ersatzlos aufhob und dem Erstgericht die Fortführung des Verfahrens auftrug; weiters erklärte es den Revisionsrekurs für zulässig. Noch vor Zustellung des Beschlusses, mit dem das Erstgericht der Beklagten die Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten gemäß § 10 ZustG aufgetragen habe, sei die Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten für den Zivilprozess durch die ZVN 2009 mit Wirkung vom in § 98 Abs 1 ZPO neu geregelt worden. Diese Bestimmung habe für den Bereich des Zivilprozesses die Vorgängerregelung des § 10 ZustG abgelöst. Da die alte Regelung auf laufende Verfahren nicht weiter anzuwenden sei, könne dem Erstgericht nicht vorgeworfen werden, es hätte das Versäumungsurteil aufgrund des nicht beachteten Auftrags an die Beklagte bei Gericht ohne Zustellversuch hinterlegen müssen. Ob die neue Regelung des § 98 ZPO idF der ZVN 2009 mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei, müsse nicht geprüft werden, weil der erstgerichtliche Auftrag zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten von der Beklagten nicht bekämpft worden sei. Von der somit nicht präjudiziellen Frage des Auftrags zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten sei allerdings die Frage zu trennen, ob die in § 98 ZPO angeordnete Rechtsfolge der EuZVO entspreche. Eine nähere Erörterung könne auch zu dieser Frage unterbleiben. Der Oberste Gerichtshof habe entschieden, dass ein rechtskräftiger Beschluss nach § 10 ZustG die dort normierten Wirkungen entfalte. Die vom Erstgericht mit dem Ablauf von zwei Wochen nach Aufgabe des Urteils ohne Zustellnachweis angenommene Wirkung einer fiktiven Auslandszustellung korrespondiere hier aber nicht mit einer im seinerzeitigen Auftrag angekündigten Rechtsfolge. Der Beklagten sei die in § 98 ZPO genannte Rechtsfolge nicht angekündigt worden; die angekündigte Rechtsfolge (Hinterlegung bei Gericht ohne Zustellversuch mit Zustellwirkung) sei nicht durchgeführt worden. Es gehe auch nicht an, § 98 ZPO gegenüber § 10 ZustG als „günstiger“ zu betrachten und anzunehmen, dass die Rechtsfolge nach § 98 ZPO bereits als Minus in der im Sinn des § 10 ZustG angekündigten Rechtsfolge enthalten sei. Vielmehr sei die in § 98 ZPO vorgesehene Rechtsfolge ein Aliud im Vergleich zur Sanktion nach § 10 ZustG. Aufgrund der Formstrenge des Zustellrechts und des den Zivilprozess beherrschenden Grundsatzes des Vorrangs der Sacherledigung dürfe nicht davon ausgegangen werden, dass das Urteil bereits 14 Tage nach seiner Abgabe zur Post zum Zwecke der Zustellung ohne Zustellnachweis wirksam zugestellt worden wäre. Die im Sinn des § 98 Abs 1 ZPO angeordnete fiktive Auslandszustellung sei daher mangels Ankündigung im Ergebnis unwirksam. Tatsächlich sei das Versäumungsurteil der Beklagten frühestens am zugekommen. Da der am erhobene Widerspruch somit rechtzeitig sei, sei der angefochtene Beschluss ersatzlos zu beheben und das Verfahren vom Erstgericht fortzuführen.

Der dagegen von der Klägerin erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend hat bereits das Rekursgericht darauf hingewiesen, dass die jeweils anzuwendenden auf gesetzlicher Anordnung oder (ausnahmsweise) einer in Rechtskraft erwachsenen gerichtlichen Verfügung beruhenden - Zustellvorschriften schon aus Gründen der Rechtssicherheit idR strikt einzuhalten sind (vgl nur Stumvoll in Fasching/Konecny ², ErgBd § 7 ZustG Rz 2 ff mwN). Ist dies nicht der Fall, ist regelmäßig von einer Zustellwirkung nicht auszugehen ( Stumvoll aaO § 1 Rz 15, § 7 Rz 4, 8; vgl Fasching , ZPR² Rz 521; Gitschthaler in Rechberger , ZPO³ § 87 Rz 8 mwN), sodass sich Erörterungen darüber, ob ein nicht vorgesehener Zustellvorgang allenfalls für den Empfänger „günstiger“ sein könnte als der gebotene, erübrigen.

Aus diesem Grund führt auch die Argumentation der Revisionsrekurswerberin ins Leere, dem Gesetzgeber könne nicht zugesonnen werden, er habe mit der Einführung des § 98 ZPO die Wirksamkeit sämtlicher bereits aufgrund § 10 ZustG erlassener Beschlüsse auf Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten in ihrer Wirkung „beseitigen“ wollen. Die Frage, ob angesichts der Rechtskraft des vom Erstgericht erlassenen Auftrags vom eine Zustellung auf die dort angekündigte Art (Hinterlegung bei Gericht) zu der angekündigten Rechtsfolge (Zustellwirkung mit Hinterlegung) geführt hätte, stellt sich im vorliegenden Fall nicht, ist eine solche Hinterlegung doch festgestelltermaßen nicht erfolgt.

Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin kommt es auch nicht in Betracht, den ursprünglich im Sinn des § 10 ZustG erlassenen Auftrag mit Inkrafttreten des § 98 ZPO ohne Weiteres dahin zu verstehen, dass das Unterlassen der Namhaftmachung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten nun nicht mehr die in § 10 ZustG vorgesehenen und der Beklagten angekündigten - Rechtsfolgen auslösen soll, sondern nun jene des § 98 ZPO. Eine solche Auffassung steht mit der eindeutigen Anordnung des § 98 ZPO in Widerspruch, nach der es (zwingend) erforderlich ist, die zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten aufgeforderte Partei auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Rechtsfolge hinzuweisen, also darauf, dass im Falle der unterlassenen Namhaftmachung weitere Schriftstücke ohne Zustellnachweis übersendet werden, wobei diese 14 Tage nach Postaufgabe als zugestellt gelten. Wird ein solcher Hinweis unterlassen, können nach der deutlich erkennbaren Zielrichtung der entsprechenden gesetzlichen Anordnung die grundsätzlich vorgesehenen Rechtsfolgen nicht eintreten, darf doch die aufgeforderte Partei nicht im Unklaren darüber gelassen werden, in welcher Weise zukünftige Zustellungen wirksam erfolgen werden, solange sie der Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen, nicht nachkommt; die Anordnung in § 98 Abs 1 letzter Satz ZPO (Rechtsfolgenhinweis) ist daher Voraussetzung der Wirksamkeit und keine bloße Ordnungsvorschrift (so etwa auch Stumvoll aaO § 10 ZustG Rz 10 und Sengstschmid , Handbuch Internationale Rechtshilfe in Zivilverfahren [2008] 287; zur insoweit wortgleichen Bestimmung des § 10 Abs 1 letzter Halbsatz ZustG; ähnlich N. Raschauer in Raschauer/Sander/Wessely , § 10 ZustG Rz 7 mwN sowie Walter/Thienel , VVG I² § 10 ZustG Anm 14).

Da die Beklagte im vorliegenden Fall nicht darauf hingewiesen wurde, dass nach dem kürzlich in Kraft getretenen § 98 ZPO im laufenden Verfahren weitere gerichtliche Sendungen ohne Zustellnachweis übermittelt werden können und die Zustellwirkung dann 14 Tage nach der Postaufgabe eintritt, konnte im Sinne der obigen Ausführungen eine derartige Zustellwirkung nicht eintreten, auch wenn es zur Versendung gerichtlicher Schriftstücke an die Beklagte gekommen ist. Zu Recht ist das Rekursgericht davon ausgegangen, dass die Zustellwirkung erst mit dem tatsächlichen Zukommen des betreffenden Schriftstücks, also des Versäumungsurteils, bei der Beklagten, eingetreten ist (§ 7 ZustG), (erst) damit wurde der unterlaufene Mangel des Zustellvorgangs geheilt.

Da die Klägerin im Zwischenstreit um die Rechtzeitigkeit des Widerspruchs der Beklagten unterlegen ist, hat sie dieser ungeachtet des § 397a Abs 4 ZPO die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen ( Obermaier , Kostenhandbuch² Rz 274; vgl RIS Justiz RS0123260).