OGH vom 24.06.2020, 1Ob104/20f

OGH vom 24.06.2020, 1Ob104/20f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr.

Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. N*****, vertreten durch Mag. Christian Pachinger, Rechtsanwalt in Bad Schallerbach, gegen die beklagte Partei Mag. S*****, Schweiz, vertreten durch Dr. Siegfried Sieghartsleitner und andere, Rechtsanwälte in Wels, wegen Löschung einer Dienstbarkeit (Streitwert 14.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 259/19y22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wels vom , GZ 5 C 334/18p17, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.017,90 EUR (darin enthalten 169,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer von Grundstücken, zu deren Lasten die Dienstbarkeit des Wasserbezugs aus einem Brunnen sowie der „Bringung oder Ableitung des Wassers auf kürzestem Wege zum öffentlichen Grund“ zugunsten eines im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücks (des darauf befindlichen Hauses) einverleibt ist. Die dienenden Grundstücke des Klägers gingen aus der Teilung eines Grundstücks hervor, das dessen Rechtsvorgänger im Eigentum 1973 im Zuge eines agrarrechtlichen Zusammenlegungsverfahrens aufgrund eines Zusammenlegungsplans der Agrarbehörde von der Rechtsvorgängerin der Beklagten erworben hatte. Im Zusammenlegungsplan wurde auch die Dienstbarkeit festgelegt.

Die Wasserversorgung des herrschenden Grundstücks erfolgte stets durch einen darauf befindlichen eigenen Brunnen. Die jeweiligen Eigentümer des herrschenden Grundstücks bezogen zu keinem Zeitpunkt Wasser aus dem Brunnen des (ursprünglich ungeteilten) dienenden Grundstücks. Die Beklagte hat die landwirtschaftlich genutzten Flächen ihres herrschenden Grundstücks verpachtet, in dem auf der Liegenschaft errichteten Gebäude befinden sich Mietwohnungen. Zur Wasserversorgung des herrschenden Grundstücks steht ein Brunnen zur Verfügung, der „qualitativ gutes, aber wenig Wasser“ liefert. Zur weiteren Versorgung auch der landwirtschaftlich genutzten Flächen wurde auf diesem Grundstück – nach den Angaben der Parteien im Jahr 2016 – ein weiterer Brunnen errichtet, der zwar ausreichend Wasser liefert, dessen Qualität jedoch „fraglich“ ist.

Der begehrt (primär) die Löschung der auf seinen – aus der Teilung des dienenden Grundstücks hervorgegangenen – Grundstücken eingetragenen Servitut, weil diese seit ihrer Begründung im Jahr 1973 (und sohin mehr als 30 Jahre lang) von keinem Eigentümer des herrschenden Grundstücks ausgeübt worden und daher verjährt sei.

Die wandte – soweit im Revisionsverfahren relevant – ein, dass die ursprüngliche Eigentümerin des dienenden Grundstücks mit dem Zusammenlegungsplan (und daher der Übertragung dieses Grundstücks) nur unter der Voraussetzung einverstanden gewesen sei, dass die künftige Wasserversorgung des ihr nach der Grundstückszusammenlegung verbleibenden (herrschenden) Grundstücks durch die zu Lasten des zu übertragenden (dienenden) Grundstücks zu begründende Servitut des Wasserbezugs und der Wasserleitung sichergestellt sei. Diese Dienstbarkeit sollte aber nur einen erst in Zukunft (allenfalls) entstehenden Wasserbedarf decken. Da sich ein solcher Bedarf frühestens 2003 – nach den Revisionsausführungen nicht vor 2016 – ergeben und zuvor kein Anlass zur Ausübung der Servitut bestanden habe, sei diese nicht verjährt.

Das bestätigte die der Klage stattgebende Entscheidung des Erstgerichts und ging wie dieses davon aus, dass die Dienstbarkeit verjährt sei, weil von ihr – obwohl dies jederzeit möglich gewesen wäre – mehr als 30 Jahre lang kein Gebrauch gemacht worden sei. Ein Fall des § 1484 ABGB, wonach es für die Verjährung bestimmter „selten ausübbarer“ Rechte erforderlich sei, dass während der 30-jährigen Verjährungsfrist von drei Gelegenheiten, das Recht auszuüben, kein Gebrauch gemacht wird, liege nicht vor. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht

nachträglich zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob durch den Zusammenlegungsplan der Agrarbehörde begründete Servituten der Verjährung nach dem ABGB unterlägen und wie diese – insbesondere „im Hinblick auf § 1484 ABGB“ – auszulegen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die der Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde ebenso wie die behauptete Aktenwidrigkeit geprüft; beide liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Soweit die Revisionswerberin (inhaltlich) einen erstinstanzlichen Verfahrensmangel – nämlich die unterlassene Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage des „Zwecks der Servitut“ – rügt, wurde ein solcher bereits vom Berufungsgericht verneint; der behauptete Mangel kann daher in dritter Instanz nicht neuerlich aufgegriffen werden (RS0042963).

2.1. Der Zusammenlegungsplan, mit dem die Servitut begründet wurde, beruht auf dem – aufgrund des Gesetzes vom betreffend die Wiederherstellung des landwirtschaftlichen Zusammenlegungsrechts (oöLGBl 1955/12) wieder in Kraft gesetzten – Gesetz vom betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke (LGuVBl für das Erzherzogtum Österreich ob der Enns 1911/16; kurz „ZLG“) sowie auf der – mit Verordnung der Oberösterreichischen Landesregierung vom (LGBl 1955/30) wieder in Kraft gesetzten – Verordnung der Ministerien des Ackerbaus, des Innern, der Justiz und der Finanzen vom betreffend die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Grundstücke (agrarische Operation) in Oberösterreich (LGuVBl für das Erzherzogtum Österreich ob der Enns 1911/40; kurz „ZLV“).

2.2. Die konkrete Rechtsgrundlage für die Begründung der vorliegenden Dienstbarkeit findet sich in § 90 ZLG. Diese Bestimmung lautet wie folgt (eine vergleichbare Bestimmung findet sich in § 103 ZLV): „Kann den Erfordernissen der zweckmäßigen Benutzbarkeit eines Abfindungsgrundstückes ohne Einräumung einer Servitut zu Lasten eines anderen in die Zusammenlegung einbezogenen Grundstückes nicht entsprochen werden, so ist das betreffende Servitutsverhältnis festzustellen und bei der Bewertung des zu belastenden Grundstückes in entsprechender Weise zu berücksichtigen, beziehungsweise, wenn die etwa schon erfolgte Bewertung ohne langwierige oder kostspielige Änderung der gesamten Vorarbeit nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, die entsprechende Geldentschädigung in Ermangelung eines Übereinkommens behördlich zu bestimmen.

2.3. § 90 ZLG knüpft (wie auch § 103 ZLV) an das zivilrechtliche Rechtsinstitut der (Grund-)Dienstbarkeit an. Dies ergibt sich neben dem Wortlaut der genannten Bestimmung („Servitut; Servitutsverhältnis“) vor allem daraus, dass die dort vorgesehenen Eigentumsbeschränkungen – im Unterschied etwa zu gesetzlich besonders geregelten öffentlich-rechtlichen Nutzungsbeschränkungen (vgl beispielsweise die im [mittlerweile aufgehobenen; BGBl I 2019/14] Güter- und Seilwege-Grundsatzgesetz 1967 sowie den jeweiligen Landesgesetzen geregelten „Bringungsrechte“ oder die „Einforstungsrechte“ nach dem [ebenfalls aufgehobenen; BGBl I 2019/14] Grundsatzgesetz 1951 über die Behandlung der

Wald- und

Weidenutzungsrechte sowie besonderer Felddienstbarkeiten bzw den jeweiligen Landesgesetzen) – weder im ZLG noch in der ZLV näher beschrieben und ausgestaltet werden. Dies legt nahe, dass der Gesetzgeber der genannten Bestimmungen des ZLG sowie der ZLV keine über die im ABGB geregelten Eigentumsbeschränkungen hinausgehenden oder davon abweichenden öffentlich-rechtlichen (Nutzungs-)Be-schränkungen normieren, sondern die Agrarbehörde bloß ermächtigen wollte, an den von der Zusammenlegung betroffenen Grundstücken Servitutsverhältnisse, wie sie sonst – außerhalb des Zusammenlegungsverfahrens – aufgrund privatrechtlicher Titel geschaffen werden könnten, zu begründen.

2.4. Die Kompetenz der Agrarbehörde zur Begründung von Dienstbarkeiten mit privatrechtlichem Inhalt ist dabei vor dem Hintergrund ihrer umfassenden Kompetenz zur Begründung, Aufhebung und Abänderung privater Rechte im Zusammenlegungsverfahren zu sehen. Ihre Zuständigkeit erstreckt sich gemäß § 15 ZLG grundsätzlich (mit bestimmten Ausnahmen) auf die Verhandlung und Entscheidung „über alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die bei der Ausführung der Zusammenlegung nicht in ihrem bisherigen Zustande verbleiben können“, wobei die Zuständigkeit der sonst zur Entscheidung berufenen Behörden insoweit ausgeschlossen ist (vgl zu dieser „Generalkompetenz“ der Agrarbehörde Bittner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Klang³) § 472 ABGB Rz 28; siehe auch 1 Ob 630/80 zur Grundstückszusammenlegung nach dem Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz 1952). Erkenntnisse der Agrarbehörde im Zusammenlegungsverfahren haben gemäß § 25 ZLG – soweit es sich nicht um Angelegenheiten der „politischen Verwaltung“ handelt – die Wirkung gerichtlicher Erkenntnisse bzw Vergleiche. Dass dieser Behörde neben der Zuständigkeit zur „Neuordnung“ der Eigentumsverhältnisse an den zusammenzulegenden Grundstücken auch die Möglichkeit zur Begründung „privatrechtlicher“, also (abgesehen von ihrer Begründung) den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen unterliegender Dienstbarkeiten an solchen Grundstücken zukommt (vgl 6 Ob 198/62: „Schaffung einer echten Grundservitut kraft behördlicher Verfügung“), ist nur konsequent.

2.5. Die einer Verwaltungsbehörde eingeräumte Befugnis zur Begründung von (ansonst) dem Privatrecht zuzuordnenden Dienstbarkeiten ist auch keine Besonderheit des agrarrechtlichen Zusammenlegungsverfahrens, vielmehr ist diese Möglichkeit auch im Enteignungsrecht vorgesehen (vgl § 2 Abs 2 Z 3 EisbEG; siehe bereits Klang in Klang II 559; zur Anwendung allgemeiner zivilrechtlicher [Servituts-]Bestimmungen auf solche „Zwangsservituten“ vgl 1 Ob 607/95). Da das

Zusammenlegungsverfahren auch gegen den Willen der Betroffenen eingeleitet und durchgeführt werden kann (vgl insbesondere § 3 und § 5 ZLG), weist es gewisse Ähnlichkeiten mit einem Enteignungsverfahren auf (vgl 1 Ob 630/80).

3.1. Ausgehend davon, dass die vorliegende Servitut den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen und daher auch den für solche Rechte geltenden Verjährungsregeln unterliegt und es daher nicht darauf ankommt, ob die agrarrechtlichen Bestimmungen über die Zusammenlegung von landwirtschaftlichen Grundstücken eine Verjährung von demnach begründeten Servituten ausdrücklich anordnen (zu dieser Voraussetzung für die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche vgl RS0008926; VwGH 2003/07/0156), kommt dem Standpunkt der Beklagten, wonach die zu Gunsten ihres Grundstücks bestehende Dienstbarkeit nicht verjährt sei, keine Berechtigung zu. Gemäß § 1479 ABGB verjähren nämlich alle Rechte gegen einen Dritten, auch wenn sie „in den öffentlichen Büchern“ einverleibt sind, längstens durch dreißigjährigen Nichtgebrauch. Diese gilt gemäß § 524 ABGB auch für Dienstbarkeiten (vgl RS0034162). Dass die fragliche Servitut seit ihrer Begründung von den jeweiligen Eigentümern des herrschenden Grundstücks nicht ausgeübt – also kein Wasser vom Brunnen bezogen bzw von dort abgeleitet oder „weggebracht“ – wurde, ziehen die Parteien nicht in Zweifel.

3.2. Soweit die Beklagte meint, dass von der Servitut nur im Fall eines konkreten Wasserbedarfs Gebrauch gemacht werden hätte dürfen und ein solcher Bedarf frühestens 2003 entstanden sei, ergibt sich auch bei Anwendung der für Bescheide geltenden Auslegungsregeln (vgl RS0008822) keinerlei Anhaltspunkt für eine solche Beschränkung der durch den agrarrechtlichen Zusammenlegungsplan begründeten Dienstbarkeit. Warum sich eine solche im Wege einer „historischen Interpretation“ aus dem „Erkenntnis des Oö. Agrarsenates vom “ (in diesem Verfahren soll die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Rückübertragung ihrer Grundstücke begehrt haben) ergeben sollte, erschließt sich nicht, wurde darin nach den Revisionsausführungen doch nur bekräftigt, dass ihr Wasserbenutzungsrecht „sichergestellt“ ist. Dass nicht unmittelbar nach Begründung der Servitut eine Wasserleitung von dem auf dem dienenden Grundstück befindlichen Brunnen zum herrschenden Grundstück errichtet wurde, rechtfertigt keinen Schluss auf die von der Beklagten behauptete Beschränkung der Ausübbarkeit der Servitut mit einem konkreten Wasserbedarf, die in der Entscheidung der Agrarbehörde (im Zusammenlegungsplan) keine Deckung findet. Dass dieses Recht als „Ausgleich“ für die Übertragung des dienenden Grundstücks an die Rechtsvorgänger des Klägers gedacht war, trifft wohl zu (vgl auch VwGH 86/07/0270, wonach die Neubegründung von Grunddienstbarkeiten im Zusammenlegungsverfahren einen Teil der Entscheidung über die gesetzliche Abfindung darstellt), rechtfertigt aber nicht deren behauptete Unverjährbarkeit. Dass sich diese daraus ergeben soll, dass die Servitut „als Teil des unverjährbaren Eigentums begründet wurde“, ist nicht nachvollziehbar.

3.3. Für eine Anwendung des § 1484 ABGB, wonach die Verjährung solcher Rechte, die nur selten ausgeübt werden können, erfordert, dass während der Verjährungsfrist von drei Gelegenheiten, ein solches Recht auszuüben, kein Gebrauch gemacht worden sei, verbleibt entgegen der Ansicht der Beklagten bereits deshalb kein Raum, weil die Servitut einschließlich der Herstellung einer Rohrleitung – wie dargelegt – jederzeit ausgeübt werden hätte können und dafür (objektiv) kein besonderer Anlass erforderlich war (worin der wesentliche Unterschied zu der von der Revisionswerberin zitierten Entscheidung 10 Ob 512/88 = SZ 61/114 besteht, in der eine Dienstbarkeit des „Duldens des Zumauerns von Fenstern“ ersichtlich nur für den Fall eines zukünftigen Hausbaus [des Eigentümers des berechtigten Grundstücks] vereinbart wurde).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00104.20F.0624.000

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