OGH vom 09.06.2009, 4Ob100/09y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen Günther P*****, vertreten durch Dr. Fritz Miller, Rechtsanwalt in Schruns, infolge Revisionsrekurses des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom , GZ 1 R 94/09w, 95/09t, 98/09h-271, womit die Rekurse des Betroffenen gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichts Montafon vom , GZ 2 P 56/04d-225, vom , GZ 2 P 56/04d-226, und vom , GZ 2 P 56/04d-230, zurückgewiesen wurden, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die Fortsetzung der Rekursverfahren aufgetragen.
Ein Kostenersatz findet nicht statt.
Text
Begründung:
Mit Beschluss des Erstgerichts vom wurde Dr. Stefan M***** für den Betroffenen zum Sachwalter zur Besorgung folgender Angelegenheiten (§ 273 Abs 3 Z 2 ABGB) bestellt: a) Regelung der finanziellen Angelegenheiten und Verwaltung des Vermögens und der Schulden. Nach Bezahlung der laufenden Verbindlichkeiten durch den Sachwalter kann die betroffene Person über den verbleibenden Teil ihres laufenden Einkommens bis zu einem Betrag von maximal 3.000 EUR monatlich frei verfügen und sich verpflichten. b) Rechtliche Vertretung der betroffenen Person gegenüber Behörden, Gerichten und privaten Vertragspartnern.
Das Erstgericht berichtigte mit Beschlüssen vom und über Auftrag des Rekursgerichts bereits bekämpfte Entscheidungen im Zusammenhang mit der Genehmigung des Verkaufs von Liegenschaften des Betroffenen und genehmigte mit Beschluss vom den Verkauf von Liegenschaften des Betroffenen, auf denen sich das „Kurhotel M*****" befindet, an die Marktgemeinde S***** Verwaltungsgesellschaft mbH als Käuferin zu einem Preis von 1.300.000 EUR. Der anwaltlich vertretene Betroffene bekämpfte diese drei Entscheidungen jeweils mit Rekurs.
Das Rekursgericht wies die Rekurse zurück; es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Betroffener in Angelegenheiten der Vermögensverwaltung und -verwertung, die dem Sachwalter übertragen worden sei, selbst Rechtsmittel ergreifen könne. Gemäß § 281 Abs 2 ABGB habe die behinderte Person das Recht, von beabsichtigten, ihre Person oder ihr Vermögen betreffenden wichtigen Maßnahmen vom Sachwalter rechtzeitig verständigt zu werden und sich hiezu, wie auch zu anderen Maßnahmen, in angemessener Frist zu äußern; diese Äußerung sei zu berücksichtigen, wenn der darin ausgedrückte Wunsch dem Wohl der behinderten Person nicht weniger entspreche. Hier versuche der Betroffene, die Bemühungen des Sachwalters zum Verkauf seines Liegenschaftsvermögens zur Deckung offener Verbindlichkeiten zu verhindern. Er habe im Verfahren erster Instanz ausreichend Gelegenheit erhalten, zu den Verkaufsbemühungen des Sachwalters und zu den beabsichtigten Kaufverträgen Stellung zu nehmen. § 281 Abs 2 ABGB legitimiere jedoch den Betroffenen nicht auch zur Erhebung von Rekursen in Angelegenheiten der Vermögensverwaltung und -verwertung, die ausdrücklich dem Sachwalter übertragen worden sei. Dem Betroffenen stehe kein Rekursrecht gegen Entscheidungen über die Regelung von Vermögensangelegenheiten zu. Die Verpflichtung des Sachwalters, die Interessen des Betroffenen bestmöglich zu wahren, sei in Verbindung mit der amtswegigen Prüfpflicht des Gerichts, das wesentliche Verfügungen über das Vermögen des Betroffenen zu genehmigen habe, ausreichend, um den Betroffenen zu schützen. Die Vorgangsweise des Betroffenen lege den Verdacht nahe, dass er die ihm zustehenden Rechte zu seinem Nachteil ausübe, indem er das Verfahren erheblich verzögere. Die für die offenen Verbindlichkeiten weiterlaufenden Zinsen bedrohten die Möglichkeit, die offenen Verbindlichkeiten aus den Verwertungserlösen gänzlich tilgen zu können und dem Betroffenen ein Restvermögen zu erhalten.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig: Gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ist jeder im Rahmen des Rekursverfahrens ergangene Beschluss des Rekursgerichts bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage anfechtbar, also auch dann, wenn dieser auf Zurückweisung eines Rekurses lautet (RIS-Justiz RS0120565 [T7, T 10]). Eine erhebliche Rechtsfrage ist gegeben, weil das Rekursgericht die Frage, ob ein Betroffener im Sachwalterbetreuungsverfahren (hier: pflegschaftsbehördliche Entscheidungen im Zusammenhang mit der Genehmigung von Liegenschaftsverkäufen) auch dann Rechtsmittel erheben kann, wenn die bekämpfte Entscheidung in den Wirkungskreis des Sachwalters fällt, unrichtig beurteilt hat. Das Rechtsmittel ist berechtigt.
1. Zum Inhalt der Handlungsfähigkeit einer Person, für die ein Sachwalter bestellt ist, vertrat der Oberste Gerichtshof zur Rechtslage vor dem AußStrG 2005 wiederholt folgende Ansicht:
Besteht nach der rechtskräftigen Bestellung eines Sachwalters im Pflegschaftsverfahren zwischen dem Sachwalter und dem Betroffenen Uneinigkeit über eine wichtige Frage iSd § 273a Abs 3 ABGB, etwa über die Berechtigung oder Zweckmäßigkeit einer vom Sachwalter beabsichtigten, der Genehmigung des Pflegschaftsgerichts bedürfenden Maßnahme, hat der Betroffene ein eigenes Rekursrecht, weil nur dadurch eine erhebliche Verletzung der Interessen des Betroffenen durch Handlungen seines gesetzlichen Vertreters und die diese Handlungen genehmigende Entscheidung des Pflegschaftsgerichts hintangehalten werden kann (1 Ob 277/03x im Verfahren zur Genehmigung einer Pflegschaftsrechnung; 6 Ob 163/03v; 7 Ob 230/01a; RIS-Justiz RS0006612 [T5]; vgl auch RIS-Justiz RS0053067; Gitschthaler, Prozess- und Verfahrensfähigkeit minderjähriger und besachwalteter Personen, RZ 2003, 175, 181 f).
Der Betroffene kann aber auch einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung seiner Interessen bevollmächtigen, es sei denn, er wäre offenkundig unfähig, den Vollmachtszweck zu erfassen (RIS-Justiz RS0008539); dies gilt auch nach Inkrafttreten des AußStrG 2005, weil dessen §§ 119 und 120 im Wesentlichen § 238 AußStrG aF entsprechen (RS0008539 [T8]). Fehlt es dem Betroffenen an der geistigen Reife zur Formulierung seines Standpunkts, ist gegebenenfalls ein Kollisionskurator zu bestellen (Gitschthaler aaO; RIS-Justiz RS0008539).
2.1. An dieser Auffassung ist auch nach Inkrafttreten des AußStrG 2005 festzuhalten.
2.2. Im Sachwalterbestellungsverfahren besteht mit § 127 AußStrG eine Sondernorm, die die Rekurslegitimation regelt und klarstellt, dass auch eine betroffene Person Rekurs erheben kann. Auch im Verfahren über die Beendigung, Einschränkung oder Erweiterung der Sachwalterschaft ist ein Volljähriger, für den ein Sachwalter bestellt ist, im Rahmen des Wirkungskreises des (einstweiligen) Sachwalters verfahrensfähig (§ 128 Abs 1 AußStrG;Fucik/Kloiber, AußStrG § 2 Rz 5).
2.3. Im Sachwalterbetreuungsverfahren - also nach rechtswirksamer Sachwalterbestellung und außerhalb deren Beendigung, Einschränkung oder Erweiterung - fehlt eine § 127 AußStrG vergleichbare Bestimmung. Dieses Verfahren ist grundsätzlich nach den Bestimmungen des Allgemeinen Teils des AußStrG abzuwickeln (Schauer, Zu Rechtsmittellegitimation und Vertretungszwang im Sachwalterschaftsverfahren, in FS Rechberger 487, 489 unter Hinweis auf RV BlgNR 22. GP 224, 83). Die Rechtsmittellegitimation ergibt sich somit aus der Parteistellung iSd § 2 AußStrG (Fucik/Kloiber aaO § 45 Rz 2).
2.4. An der Parteistellung des Betroffenen im Sachwalterbetreuungsverfahren besteht kein Zweifel. Partei ist jede Person, soweit ihre rechtlich geschützte Stellung durch die begehrte oder vom Gericht in Aussicht genommene Entscheidung oder durch eine sonstige gerichtliche Tätigkeit unmittelbar beeinflusst würde (§ 2 Abs 1 Z 3 AußStrG). In einem Verfahren betreffend eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung besitzt (nur) der betroffene Pflegebefohlene Parteistellung; er (allein) ist rechtsmittellegitimiert (RIS-Justiz RS0123647; RS0006210 [T7, T 8]). Verfahrenszweck ist der Schutz der Interessen des Pflegebefohlenen (Mayr/Fucik, Das neue Verfahren außer Streitsachen3 Rz 88).
2.5. Von der Parteifähigkeit zu unterscheiden ist die Verfahrens-(handlungs-)fähigkeit, also die Fähigkeit, Verfahrenshandlungen selbst oder durch selbst bestellte Vertreter vorzunehmen (Rechberger in Rechberger, AußStrG § 2 Rz 18 mwN). Gemäß § 2 Abs 3 AußStrG gelten in dieser Frage die Bestimmungen der ZPO, soweit nicht Sondervorschriften im besonderen Teil des AußStrG (vgl etwa §§ 127, 128 Abs 1 AußStrG) bestehen.
2.6. Nach nicht näher begründeter Auffassung von Fucik/Kloiber (aaO § 2 Rz 5) sind Volljährige, für die ein Sachwalter bestellt worden ist, im Rahmen des Wirkungskreises des (einstweiligen) Sachwalters - ausgenommen im Sachwalterbestellungsverfahren sowie im Verfahren über die Beendigung, Einschränkung oder Erweiterung der Sachwalterschaft - verfahrensunfähig.
Nach Barth/Ganner (Handbuch des Sachwalterrechts 85) besteht hingegen nach geltender Rechtslage kein Anlass, von der Rechtsprechung zum AußStrG in der Fassung vor 2005 abzuweichen, wonach dem Betroffenen bei Uneinigkeit zwischen ihm und seinem Sachwalter über eine der pflegeschaftsgerichtlichen Genehmigung unterliegende Frage ein eigenes Rekursrecht zusteht.
2.7.1. § 281 Abs 2 ABGB verpflichtet den Sachwalter, den Betroffenen von beabsichtigten wichtigen Maßnahmen rechtzeitig zu verständigen; der Betroffene hat das Recht, sich dazu zu äußern. Dieses Informations- und Äußerungsrecht, das einer behinderten Person gegenüber ihrem Sachwalter zusteht, entspricht dem früheren § 273a Abs 3 ABGB (Hopf in KBB² § 281 Rz 2).
2.7.2. Die zuvor unter Punkt 1. dargestellte ältere Rechtsprechung hat in § 273a Abs 3 ABGB kein Hindernis dafür gesehen, dem Betroffenen bei Uneinigkeit über eine wichtige Frage iS dieser Bestimmung ein eigenes Rekursrecht im Verfahren über eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung zu gewähren, um dessen Interessen zu wahren. Die Neuregelung in § 281 Abs 2 ABGB bietet nach Auffassung des Senats keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Nur damit ist gewährleistet, dass die Interessen des Betroffenen noch im Rechtsmittelverfahren auch dann gewahrt werden, falls ihm zustehende Informations- und Äußerungsrechte (§ 281 Abs 2 ABGB) verletzt worden sein sollten.
2.7.3. Dem steht auch das Fehlen einer Sonderregelung zur Verfahrensfähigkeit eines Betroffenen im Sachwalterbetreuungsverfahren nach dem Vorbild der §§ 127, 128 Abs 1 AußStrG nicht entgegen: Hat das Pflegschaftsgericht in einem Interessenwiderstreit zwischen Betroffenem und Sachwalter eine der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung unterliegende Maßnahme genehmigt, so kann der Betroffene - wegen der insoweit bestehenden, den in §§ 127, 128 Abs 1 AußStrG geregelten Fällen vergleichbaren Interessenlage - persönlich eine Überprüfung dieser Entscheidung im Rechtsmittelverfahren erwirken. Voraussetzung dafür ist wie bisher, dass der Betroffene aufgrund seiner Behinderung des Gebrauchs der Vernunft nicht gänzlich beraubt und deswegen geschäftsunfähig ist, er also wenigstens erkennt, dass und zu welchem Zweck er Vollmacht erteilt hat (vgl RIS-Justiz RS0006540).
2.8. Zusammenfassend gilt: Im Sachwalterbetreuungsverfahren steht der betroffenen Person, die des Gebrauchs der Vernunft nicht gänzlich beraubt und deswegen geschäftsunfähig ist, bei Uneinigkeit zwischen ihr und dem Sachwalter über eine Maßnahme, die der Genehmigung des Pflegschaftsgerichts bedarf, ein eigenes Rekursrecht gegen eine dem Willen des Sachwalters folgende gerichtliche Entscheidung auch dann zu, wenn die bekämpfte Entscheidung in den Wirkungskreis des Sachwalters fällt.
3. Anhaltspunkte dafür, dass der im vorliegenden Fall Betroffene offenkundig unfähig wäre, den Zweck einer Vollmachtserteilung zu erfassen, sind nicht zu erkennen. Das Rekursgericht wird sich daher inhaltlich mit seinen Rechtsmitteln auseinanderzusetzen haben.
4. Im Verfahren betreffend die Vermögensverwaltung von Pflegebefohlenen findet kein Kostenersatz statt (§ 139 Abs 2 AußStrG).