OGH vom 20.09.2013, 5Ob100/13m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Grundbuchsache des Antragstellers P***** N*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Bettina Biber als Substitutin des Mag. Klaus Schöffmann, öffentlicher Notar in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Einverleibung des Eigentumsrechts, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , AZ 4 R 86/13h, mit dem infolge Rekurses des Antragstellers der Beschluss des Bezirksgerichts St. Veit/Glan vom , TZ 23069/12, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Der Antragsteller begehrt die Einverleibung seines Eigentumsrechts am Grundstück 315 der GB ***** U***** und die Zuschreibung dieses Grundstücks zu seiner Liegenschaft EZ 30 GB ***** U*****. Das Grundstück 315 sei in keinem Grundbuch eingetragen und damit herrenlos. Er habe sich das herrenlose Gut angeeignet und dadurch Eigentum erworben.
Das Erstgericht wies das Begehren ab. Das Grundstück 315 Wald im Ausmaß von 3.388 m² scheine zwar in keinem Grundbuch auf. Wohl aber sei das Grundstück im Grundstücksverzeichnis II unter Grundbuchseinlage XV des händisch geführten Grundbuchs („altes Papierhauptbuch Grundbuch Alt“) der EZ 30 KG M***** eingetragen gewesen. Obwohl weitere Erhebungen nicht gepflogen werden hätten können, weil die Hauptbücher beim Landesarchiv Graz verwahrt würden, stehe jedenfalls fest, dass das Grundstück nicht herrenlos sei, weil dieser Umstand im Grundbuch nicht einverleibt sei. Nur eine herrenlose Liegenschaft könne von jedermann erworben werden.
Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Antragstellers nicht Folge. Es teilte die Ansicht des Erstgerichts. Wenngleich dem Grundstücksverzeichnis II nur die Funktion eines Geschäftsbehelfs zukomme und die Aufnahme einer Liegenschaft darin keine konstitutive Wirkung nach sich gezogen habe, sei dennoch erwiesen, dass das Grundstück 315 einmal zu einem Gutsbestand einer bestimmten Grundbuchseinlage gehört habe. Die Aneignung einer ursprünglich herrenlosen Sache scheide daher aus. Für eine Preisgabe des Grundstücks wäre es aber erforderlich, dass dessen Herrenlosigkeit im Grundbuch einverleibt worden wäre. Das sei nicht der Fall, weswegen eine Aneignung des Grundstücks mangels Herrenlosigkeit ausscheide.
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil „die Frage der Zulässigkeit einer Grundstücksokkupation unter den hier gegebenen Voraussetzungen bislang vom Obersten Gerichtshof nicht entschieden worden sei“.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers mit dem Begehren, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass seinem Antrag Folge gegeben werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach der Rechtsprechung (5 Ob 126/98k NZ 1999, 166; RIS Justiz RS0110725) und der herrschenden Lehre ( Klang in Klang ² II 256; Spielbüchler in Rummel ³ § 387 Rz 1; Dengler , Die Dereliktion und Okkupation von Liegenschaften, NZ 1983, 182; Klicka/Reidinger in Schwimann/Kodek , ABGB 4 II § 387 Rz 1; Eccher in KBB³ § 387 Rz 1; Mader in ABGB ON 1.01 § 387 Rz 1; Höller in Kodek, Grundbuchsrecht § 4 GBG Rz 62 ff; Hoyer , Verbücherung und Dereliktion einer Liegenschaft, NZ 1999, 161f) besteht die Möglichkeit, der Preisgabe unbeweglicher Sachen und deren Aneignung. Bei verbücherten Liegenschaften muss nach den das österreichische Sachenrecht beherrschenden Grundsätzen (§ 444 ABGB) die Preisgabe des Eigentums im öffentlichen Buch eingetragen werden, was durch die Einverleibung der Herrenlosigkeit bewirkt wird (5 Ob 126/98k; RIS Justiz RS0110726; auf die Einverleibung der Löschung des letzten Eigentümers abstellend: Hoyer aaO). Bei nichtverbücherten Liegenschaften genügt zur Preisgabe von Grundstücken die Besitzaufgabe ( Klang in Klang² aaO).
2. Der Revisionswerber steht auf dem Standpunkt, dass die Aufnahme des Grundstücks 315 in das Grundstücksverzeichnis II des händisch geführten Grundbuchs lediglich der Evidenzhaltung diene und damit der Herrenlosigkeit nicht entgegenstehe. Er macht geltend, dass tatsächlich seit Anlegung des Grundbuchs zu Beginn der 1880iger Jahre kein Eigentümer für dieses Grundstück einverleibt gewesen sei, und beruft sich damit darauf, dass das Grundstück bisher noch nicht im Grundbuch (dem Hauptbuch) enthalten gewesen sei.
3. Bis zur Umstellung des Grundbuchs auf automationsunterstützte Datenverarbeitung bestanden die Grundstücksverzeichnisse (Hilfsverzeichnisse) I (öffentliches Gut Straßen und Wege) und II (öffentliches Gut Gewässer) für das in einer Katastralgemeinde gelegene, aber nicht verbücherte öffentliche Gut (5 Ob 59/10b SZ 2010/61 = NZ 2011, 60 [ Hoyer , 64] = wobl 2010/141, 313 [ Kodek ]). Die Aufnahme einer Liegenschaft in ein Grundstücksverzeichnis diente lediglich Evidenzzwecken. Einer solchen Aufnahme kam keine konstitutive Wirkung zu (RIS Justiz RS0049639; RS0009779; Danzl Geo 5 , § 458 Anm 10 mwN). Im Zuge der Grundbuchsumstellung wurde § 458 Geo . dahin novelliert (BGBl 1991/423), dass (nach dessen Abs 3) nicht verbücherte Grundstücke nunmehr für jede Katastralgemeinde gesammelt im A1 Blatt der EZ 50000 bis 50002 des Grundbuchs über die Katastralgemeinde wiederzugeben sind. Auch diese Wiedergabe ist keine Grundbuchseintragung, sondern steht einer Eintragung in die Hilfsverzeichnisse gleich. Ihre Funktion entspricht jener der Grundstücksverzeichnisse (1 Ob 7/01p RZ 2002/27).
4. Aus der Aufnahme des Grundstücks 315 in das Grundstücksverzeichnis II (öffentliches Gut Gewässer) unter der Grundbuchseinlage XV der KG M***** lässt sich daher entgegen der Ansicht der Vorinstanzen eine Verbücherung dieses Grundstücks gerade nicht ableiten, weil diese nur Zwecken der Evidenzhaltung dient und über dingliche Rechte nichts aussagt (vgl 5 Ob 157/01a). Das steht auch mit dem im Akt erliegenden Schreiben des Steiermärkischen Landesarchivs vom in Einklang, welches das Rekursgericht bei seinen Erwägungen unberücksichtigt gelassen hat, und demzufolge das hier in Rede stehende Grundstück bei der Anlegung des Grundbuchs 1883 nicht eingetragen wurde. Darüber hinaus ist aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zu erkennen, wie die Herrenlosigkeit eines Grundstücks verbüchert werden soll, wenn das Grundstück, wovon auch das Rekursgericht ausgeht, im Grundbuch gar nicht eingetragen ist. Dieser Umstand zwingt vielmehr zu folgenden weiteren Überlegungen.
5. Nach § 65 Abs 1 des Bundesgesetzes vom über die innere Einrichtung und die Anlegung der Grundbücher (Allgemeines Grundbuchsanlegungsgesetz - AllgGAG), BGBl 1930/2 in der geltenden Fassung, sind die Bestimmungen dieses Gesetzes auch anzuwenden, wenn ein Grundbuch durch Eintragung einer Liegenschaft, die noch in keinem Grundbuch eingetragen war, ergänzt werden soll. Davon umfasst ist nicht nur die Eröffnung einer neuen Einlage für eine noch nicht eingetragene Liegenschaft, sondern auch eine ergänzende Eintragung etwa im Wege der Zuschreibung eines Grundstücks oder einer Grundstücksteilfläche zu einer bereits eingetragenen Liegenschaft ( Kodek in Kodek , Grundbuchsrecht § 65 AllgGAG Rz 4; F eil/Marent/Preisl , Grundbuchsrecht, 707).
6. Der Antragsteller, der davon ausgeht, dass das Grundstück 315 bislang noch nicht im Grundbuch enthalten war, strebt im Ergebnis eine Einbücherung des Grundstücks unter gleichzeitiger Eintragung seines Eigentums daran durch Zuschreibung zur Liegenschaft EZ 30 GB ***** U***** an.
6.1 Nach den Ergebnissen der bisherigen Erhebungen war das Grundstück im Grundstücksverzeichnis II (öffentliches Gut Gewässer) eingetragen, was seit der Grundbuchsumstellung der Wiedergabe des Grundstücks im A1 Blatt der EZ 50000 bis 50002 der Katastralgemeinde entspricht. Die Einbücherung öffentlichen Guts setzt gemäß § 1 Abs 2 AllgGAG einen Antrag einer Person voraus, der ein verbücherungsfähiges Recht an der Liegenschaft zusteht. Dem für die Einbücherung zuständigen Gericht (§ 14 AllgGAG) kommt dann die Aufgabe zu, in einem nach §§ 19 ff AllgGAG durchzuführenden Verfahren abzuklären, ob der Antragsteller die behaupteten verbücherungsfähigen Rechte hinsichtlich des als öffentliches Gut deklarierten Grundstücks dartun kann. Das muss auch für den Fall gelten, dass das hier in Rede stehende Grundstück zwar im Grundstücksverzeichnis II (öffentliches Gut Gewässer) eingetragen war, allenfalls aber nicht in das A1 Blatt der EZ 50000 bis 50002 der Katastralgemeinde übernommen worden sein sollte.
6.2 Der Antragsteller behauptet, originär Eigentum durch Aneignung an dem noch nicht im Grundbuch eingetragenen Grundstück erworben zu haben und macht damit verbücherungsfähige Rechte an diesem Grundstück geltend. Damit ist er nach § 1 Abs 2 AllgGAG unter der Prämisse zur Antragstellung berechtigt, dass das verfahrensgegenständliche Grundstück zuletzt als öffentliches Gut deklariert war. Das scheint nach derzeitigem Verfahrensstand der Fall zu sein, weswegen das vorliegende Einverleibungsbegehren als Antrag gemäß § 1 Abs 2 AllgGAG zu behandeln ist. Ob dem Antragsteller das von ihm behauptete Recht an dem Grundstück zusteht, wird das Erstgericht daher in einem Verfahren nach den §§ 19 ff AllgGAG zu prüfen haben.
6.3 Darüber hinaus ist bereits jetzt festzuhalten, dass für das Erstgericht keine Veranlassung besteht, das Einbücherungsverfahren zu beenden, selbst wenn sich im fortgesetzten Verfahren ergeben sollte, dass das Grundstück ungeachtet seiner Aufnahme in das Grundstücksverzeichnis II (öffentliches Gut Gewässer) nicht zum öffentlichen Gut gehört. Gemäß § 1 Abs 3 AllgGAG sind nämlich alle Liegenschaften von Amts wegen in die Grundbücher aufzunehmen. Ausnahmen bestehen lediglich für Liegenschaften, die den Gegenstand eines Eisenbahnbuchs bilden sowie für das öffentliche Gut und das Gemeindegut. In diesem Fall wird das Begehren des Antragstellers als Anregung zu werten, und das Einbücherungsverfahren von Amts wegen fortzusetzen sein (vgl 5 Ob 157/01a).
7. Ausgehend vom gegenwärtigen Verfahrensstand kann dem Antragsteller die Berechtigung zur Antragstellung gemäß § 1 Abs 2 AllgGAG sohin nicht abgesprochen werden, sodass auch von seiner Legitimation zur Erhebung des Revisionsrekurses auszugehen war.
8. Die angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts ist auch kein den Regelungen des Verfahrens außer Streit unterliegender Beschluss, weswegen die §§ 122 ff GBG gelten (siehe dazu Kodek aaO Vor § 1 AllgGAG Rz 27). Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist damit rechtzeitig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2013:0050OB00100.13M.0920.000